Blog-Artikel von Tiziana Zugaro

22.02.23 22:30

Berlinale 2023: MAL VIVER von João Canijo

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Es ist ein klaustrophobisches Setting, das der portugiesische Regisseur João Canijo in MAL VIVER aufmacht: Fünf Frauen, ein düsteres Hotel und jede Menge Verzweiflung, Wut und Aggression. Die fünf Frauen – Mutter, zwei Töchter, eine Enkelin und eine Hausangestellte, machen sich das Leben gegenseitig zur Hölle und keine findet den Ausgang aus dieser geschlossenen Gesellschaft. Eigentlich ein interessanter Plot. Eigentlich sind auch die Schauspielerinnen überzeugend in ihren Rollen. Und eigentlich beweist der Regisseur ein gutes Gespür für die richtigen Bilder, um die beklemmende Stimmung des Films fühlbar zu machen. Und trotzdem ist dieser Wettbewerbsbeitrag kein gelungener Film.

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Berlinale 2023: ROTER HIMMEL von Christian Petzold

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ROTER HIMMEL ist ein Sommerfilm. In Christian Petzolds Wettbewerbsbeitrag geht es ums Erwachsenwerden und die Leichtigkeit des Sommers, aber zugleich um eine Katastrophe und die Schwere einer Reise zu sich selbst. Hauptfigur Leon hat eigentlich keine Probleme, aber Paranoia – wie es der Regisseur bei der Pressekonferenz zum Film auf den Punkt bringt.

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Berlinale 2023: 20.000 ESPECIES DE ABEJAS (20.000 SPECIES OF BEES) von Estibaliz Urresola Solaguren

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© Gariza Films, Inicia Films

Das Kind möchte nicht mehr mit seinem Namen angeredet werden – „Aituro“ fühlt sich einfach falsch an, ebenso wie bestimmte Kleidungsstücke oder der Kurzhaarschnitt, den die Großmutter dem Kind am liebsten verpassen möchte. Der Name „Cocó“ ist für eine Weile eine Übergangslösung. In Gesprächen mit der Mutter kann Cocó nur zögerlich artikulieren, was ihn (oder sie?) beschäftigt.

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21.02.23 20:16

Berlinale 2023: PASSAGES von Ira Sachs

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© SBS Productions

Letzter Drehtag an einem Filmset Paris. Regisseur Tomas hat genaue Vorstellungen davon, wie ein Darsteller die Treppe hinunterlaufen soll. Sehr direkt macht er seine Vorstellungen deutlich und den beteiligten Kollegen zur Schnecke. Bei der anschließenden Party kommt es zu kleinen Reibereien zwischen Tomas und seinem Ehemann Martin – der verabschiedet sich früh, und Tomas landet mit Agathe aus der Filmcrew im Bett. Als Tomas am nächsten Morgen atemlos durch die Straßen zu Martin radelt, sieht man ihm an, dass er fast birst vor Energie – und tatsächlich kann er es kaum erwarten, Martin stolz von seiner neuen Erfahrung zu berichten. Und wundert sich dann sehr, dass sein Mann alles andere als begeistert auf die Neuigkeit reagiert.

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20.02.23 13:10

Berlinale 2023: INGEBORG BACHMANN – REISE IN DIE WÜSTE von Margarethe von Trotta

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Foto: Wolfgang Ennenbach

Dieser Film hat ein klares Programm. Gut gegen böse. Zart gegen wuchtig. Hier die sensible, talentierte und tapfere Dichterin und Schriftstellerin. Dort der stämmige Baum von Mann, ebenfalls Schriftsteller, aber nicht ganz so dünnhautig. Sie verlieben sich. Er unterdrückt sie. Sie leidet. Kämpft tapfer um Selbstbestimmung. Scheitert. Dass diese Lesart der komplizierten Beziehung zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch nicht gerecht wird: geschenkt. Das ist künstlerische Freiheit oder auch Interpretation. Dass es aber auch als Film überhaupt nicht funktioniert, ist schon eher das Problem. Dass so etwas Margarethe von Trotta passiert, ist verwunderlich und schade. Dass der Film im Wettbewerb läuft: Hätte jetzt nicht sein müssen.

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Berlinale 2023: BAI TA ZHI GUANG (THE SHADOWLESS TOWER) von Zhang Lu

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Der chinesische Wettbewerbsbeitrag BAI TA ZHI GUANG erzählt in langsamer, gekonnt durchkomponierter Erzählweise von der Reise eines Mannes zu sich selbst – im modernen Beijing, in einer Welt, die wenig Orientierung bietet für das seelische Gleichgewicht. Es ist in erster Linie eine zutiefst persönliche Geschichte, sagt aber auch etwas darüber aus, wie eine Gesellschaft mit den im Alltag nicht sehr deutlich konturierten Schatten der Vergangenheit umgeht.

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19.02.23 15:29

Berlinale 2023: SONNE UND BETON von David Wnendt

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Neukölln schwitzt. Im Sommer 2003 quälen sich im Betonsilo Gropiusstadt alle durch die klebrige Hitze: Dealer im Park, Polizisten auf Streife, Familien in ihren stickigen Wohnungen, Schüler und Lehrer im Klassenzimmer. Konflikte kochen schnell hoch, Aggression und Gewalt sind allgegenwärtig. Lukas und seine Freunde geraten bei einem Streit unter Dealern zwischen die Fronten und müssen plötzlich 500 Euro als „Entschädigung“ auftreiben. Eine unvorstellbar hohe Summe für Jungs, die nicht mal Geld fürs Freibad haben.

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18.02.23 12:23

Berlinale 2023: THE SURVIVAL OF KINDNESS von Rolf de Heer

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Dieser Film ist eine Zumutung. Was nicht heißt, dass es ein schlechter Film ist. Aber der Reihe nach. Der australische Wettbewerbsbeitrag THE SURVIVAL OF KINDNESS ist ein Film über Gewalt, Rassismus, Ausgrenzung und über die Menschlichkeit in all diesem Wahnsinn. Umgesetzt als hochartifizielle filmische Metapher, mit starken Bildern und Tönen, aber ohne verständlich artikulierte Sprache.

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16.02.23 21:00

Berlinale 2023: SHE CAME TO ME von Rebecca Miller

Berlinale eröffnet mit leicht irrer Romantik, die Hoffnung gibt

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Auch dieses Jahr findet die Berlinale inmitten von Krieg und Katastrophen statt. Da stellt sich die Frage: Was hat das Kino dazu zu sagen? Heute eröffnete das Festival mit einem Film, der dezidiert Hoffnung inmitten der Misere geben will.

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Berlinale 2023: Wer trägt den Schleier?

Porträt einer jungen Frau

Die Potsdamer Filmstudentin Sophia Mocorrea ist mit ihren Abschlussfilm über eine argentinisch-brandenburgische Hochzeit Gast auf der Berlinale.

Eine Filmcrew kurz vor dem Dreh, zum Set gehört ein Brautkleid. Und nun geschieht etwas Ungewöhnliches: Reihum probiert die gesamte Crew, von den Schauspielern bis zum Kameramann, das Kleid an. Warum? „Es war mir wichtig, dass alle ein Gefühl dafür bekommen, wie es ist, so ein Kleid zu tragen - was es mit dir macht“, sagt Sophia Mocorrea.

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30.04.22 8:43

CROSSING EUROPE 2022: LA LIGNE von Ursula Meier

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Eine Frau rastet aus. Erst fliegt Geschirr und Essen an die Wand, dann wirft sich die grazile junge Frau wie ein Raubtier auf ihre Mutter. Mit Mühe nur kann sie von zwei erwachsenen Männern gebändigt werden. Sie reißt sich los, die Mutter versucht erst, sich hinter dem teuren Flügel zu verschanzen, dann hält sie plötzlich inne, blickt halb zärtlich, halb verächtlich auf ihr Kind und streichelt ihr die Wange. Offenbar die falsche Geste. Zack – eine heftige Ohrfeige wirft die Ältere fast um, sie knallt mit dem Kopf auf die Tastatur. Mit diesem Prolog ohne Ton und in Zeitlupe beginnt Ursula Meiers Wettbewerbsbeitrag LA LIGNE. Der Vorfall hat zur Folge, dass Margaret, die Tochter, für die nächsten drei Monate einen Abstand von hundert Meter zu ihrer Mutter Christina einhalten muss.

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16.02.22 16:58

Berlinale 2022 - Liebes Tagebuch oder: ratlos vor der Bärenfrage

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Foto: Dirk Michael Deckbar / Berlinale 2014

Auf keiner Berlinale stand ich bislang so ratlos vor der Bärenfrage wie in diesem Jahr. Zum einen, ich muss es gestehen, habe ich es nicht geschafft, alle, oder wenigstens fast alle Wettbewerbs-Filme zu sehen. Irgendwie fehlte mir dazu der Drive, auch die lieben Kolleginnen und Kollegen an der Seite, die einen sonst einfach mitziehen. Viele waren gar nicht erst angereist. Und meine Kinokollegenkumpels, die da waren, saßen nicht neben mir – weil die Sitzplatzvergabe online erfolgte. Ich will jetzt gar nicht rumheulen und bin durchaus in der Lage, mich bei Bedarf auch mit mir unbekannten Menschen neben mir über Filme auszutauschen. Tatsächlich habe ich das auch schon ein, zweimal im Leben getan. Aber früher war eben mehr Lametta.

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Berlinale 2022 - Impressionen

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Diese Berlinale war anders. Fotos vom Roten Teppich habe ich keine. Aber ein paar Impressionen vom Festivalblog-Alltag zwischen Maske, Test, Kino und Kaffee. Sie geben einen kleinen Einblick, wie sich die Berlinale in diesem Jahr angefühlt hat - jenseits der Filme. Normalerweise warten wir einen beträchtlichen Teil unseres Berlinale-Tages in den Schlangen vor den Kinos oder den Ticket-Schaltern. Jetzt haben wir auch gewartet. Aber anders.

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Berlinale 2022: SO-SEOL-GA-UI YEONG-HWA (THE NOVELIST’S FILM) von Hong Sangsoo

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Beim Filmeschauen kann man manchmal ganz ungewöhnliche Dinge lernen. "Es ist ein heller Tag. Bald wird es dunkel. Lass uns spazieren gehen." Wer Hong Sangsoos SO-SEOL-GA-UI YEONG-HWA (THE NOVELIST’S FILM) gesehen hat, kann diese drei Sätze danach in koreanischer Gebärdensprache sagen. Um am Ende des Films festzustellen: Der Regisseur hat uns gerade auf eben diesen Spaziergang mitgenommen. In seinem vierten Berlinale-Wettbewerbsbeitrag seit 2017 schickt Hong Sangsoo seine Protagonistin, die titelgebende Schriftstellerin (Lee Hyeyoung), in einem Vorort von Seoul durch einen Reigen von Begegnungen, an deren Ende sie wieder am Ausgangspunkt, einem kleinen Buchladen, ankommt. Aber: mit der Idee für ein kleines Filmprojekt in der Tasche. Schauspielerin und Kameramann hat sie an diesem Tag sozusagen am Wegesrand gefunden. Sie wird den Film umsetzen, und wir bekommen zuletzt einige Minuten daraus zu sehen. Er zeigt einen Spaziergang in der Sonne.

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15.02.22 19:40

Berlinale 2022: LEONORA ADDIO von Paolo Taviani

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Luigi Pirandello wird 1934 der Nobelpreis für Literatur verliehen. Da sitzt er nun in Stockholm, geschniegelt und gebügelt, aber richtig glücklich sieht er nicht aus. In der Tat: "Ich habe mich noch nie so einsam und traurig gefühlt", sagt die Stimme aus dem Off; Pirandello selbst hat das so in einem Brief geschrieben. Im selben Jahr kehrt er nach Rom zurück, zwei Jahre später ist er tot. Seine Asche, so hat er verfügt, soll "in einen groben Stein eingelassen" in seiner Heimat Agrigent auf Sizilien bestattet werden. Der Duce sieht das anders. Die Asche bleibt in Rom. Erst zehn Jahre später, der Weltkrieg ist vorbei, Mussolini-Italien ist untergegangen, wird die Urne nach Sizilien überführt. Die Geschichte dieser Reise liefert den Stoff für den ersten Teil von LEONORA ADDIO, dem Wettbewerbsbeitrag des 90-jährigen Paolo Taviani.

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Berlinale 2022: PK zu LEONORA ADDIO von Paolo Taviani

Ciao, Paolo! Das Leben ist eine Theatervorstellung! Wissenswertes zur Pressekonferenz Teil 3

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Paolo Taviani, 90 Jahre alt, zusammen mit seinem inzwischen verstorbenen Bruder Vittorio Goldbären-Gewinner im Jahr 2012, hat der Presse soeben seinen Wettbewerbsbeitrag LEONORA ADDIO auf der Berlinale vorgestellt. Er wollte, so sagt er, in jeder Minute des Films deutlich machen, dass es sich dabei um ein "spettacolo", eine Art Theatervorstellung also, handelt. Getreu diesem Motto hatte auch die Pressekonferenz durchaus etwas von einem spettacolo.

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Berlinale 2022: PK zu LA LIGNE von Ursula Meier

Oh lala, Benjamin! Bonjour, Valeria!

Wissenswertes aus der Pressekonferenz – Teil 2

In Ursula Meiers Wettbewerbsfilm LA LIGNE spielt die Musik eine große Rolle – sie ist Heilerin, aber auch Ursache eines tiefen familiären Zewürfnisses.

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Dann die Überraschung auf der Pressekonferenz: Benjamin Biolay (der mit der schönen Stimme und den tollen Chansons) saß leibhaftig auf dem Podium! Oh lala. Das ist doch mal was. Natürlich saß er nicht aus dekorativen Zwecken da, sondern weil er in dem Film mitgespielt hat – und zwar einen Musiker, der dann auch mal (ein von Biolay komponiertes Lied) singen darf. Gesungen hat er auf der PK leider nicht – aber seine Sprechstimme ist fast genauso schön. Seufz.

Eine sehr interessante Stimme hat auch Valeria Bruni Tedeschi, ein bisschen heiser, recht hell, und in Kombination mit der ganzen Frau einfach umwerfend. Allerdings...

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14.02.22 22:12

Berlinale 2022: KEIKO, ME WO SUMASETE (SMALL, SLOW, BUT STEADY) von Shô Miyake

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Das sind die Momente, die ein Filmfestival besonders machen: Shô Miyakes KEIKO, ME WO SUMASETE (SMALL, SLOW, BUT STEADY) ist eine echte Entdeckung auf der diesjährigen Berlinale. Der 1984 in Sapporo geborene Regisseur erzählt darin die Geschichte von Keiko (Yukino Kishii), einer gehörlosen jungen Frau aus Tokio, die trotz aller Widrigkeiten auf dem Weg zur Profiboxerin ist. Ein kleiner, schäbiger Boxclub um die Ecke ist ihre zweite Heimat, der ältere Betreiber des Klubs gibt ihr Halt und fordert sie zugleich. Doch dann ändern sich schleichend, fast unmerklich, kleine Dinge in ihrem Leben und Keiko kommt ins Wanken – im Ring ebenso wie im eigentlichen Leben. Was will sie wirklich? Ist der Kampf in Boxhandschuhen womöglich eine Flucht vor den wahren Herausforderungen des Lebens? Wohin soll ihr Weg sie führen?

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Berlinale 2022: THE OUTFIT von Graham Moore

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Um einen richtig guten Anzug zu schneidern braucht es die richtigen Materialien, hunderte von präzisen Arbeitsschritten – Maß nehmen, Schnittmuster zeichnen, den Stoff zuschneiden, nähen – bevor sich zuletzt alles zusammenfügt: im Finish. Leonard hat das Handwerk vor dem Krieg in Londons Savile Row gelernt. Jetzt, im Jahr 1956, fertigt er Hochklasse-Outfits für Chicagoer Mobster an, die es sich leisten können. Als eines Nachts zwei der Gangster in seinen Laden kommen und ihn um einen Gefallen bitten, den er nicht ablehnen kann, setzt ein undurchschaubares Spiel um Macht, Betrug und das Überleben ein. Graham Moore, Autor des Romans „The Sherlockian“ und Drehbuchautor von THE IMITATION GAME, gibt hier sein Regie-Debut. Mark Rylance (BRIDGE OF SPIES, WOLF HALL) spielt Leonard, den formvollendeten Englishman in New York, der mit Nadel und Faden ebenso präzise und virtuos umgehen kann wie mit der Schere.

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Berlinale 2022: LES PASSAGERS DE LA NUIT von Mikhaël Hers

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Es lohnt sich immer, Charlotte Gainsbourg dabei zuzusehen, wie sie Verletzlichkeit und Stärke raffiniert kombiniert. In Mikhaël Hers Wettbewerbsbeitrag LES PASSAGERS DE LA NUIT füllt sie, wieder einmal, eine solche Paraderolle mit Bravour aus. Paris, 1980er Jahre: Elisabeth wird von ihrem Ehemann verlassen, nun muss sie ihr Leben neu sortieren – zum Beispiel eine Arbeit finden, das lähmende Gefühl, absolut nutzlos zu sein, überwinden und ihren heranwachsenden Kindern Orientierung in Zeiten des Umbruchs geben. Die Arbeit in einer Late Night Radio Talk Show erweist sich dabei als unerwarteter Rettungsanker.

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13.02.22 22:03

Berlinale 2022: AEIOU – DAS SCHNELLE ALPHABET DER LIEBE von Nicolette Krebitz

Wissenswertes aus der Pressekonferenz

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Die Regisseurin und ihre beiden Stars: Sophie Rois, Milan Herms, Nicolette Krebitz

Sophie Rois hat eher keine so gute Erinnerung an die Sprecherziehung an der Schauspielschule. Ihr wurde damals recht brutal erklärt: "Du gehörst nicht auf die Schauspielschule, Du gehörst ins Krankenhaus!" Wir freuen uns, dass Frau Rois auf dieses Verdikt gepfiffen hat. Und sich nun mit einer großartigen Rolle in Nicolette Krebitz‘ wunderschönem Wettbewerbsfilm AEIOU – DAS SCHNELLE ALPHABET DER LIEBE mit Verve und Charme für diese frühe Schmach rächt. Sie spielt dort eine Schauspielerin, die als Sprecherzieherin in mehrerer Hinsicht erstaunliche Erfolge erzielt.

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Berlinale 2022: NANA (BEFORE, NOW & THEN) von Kamila Andini

Bis der Knoten sich löst

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Die Kunst, sich einen perfekten Haarknoten zu drehen, beherrscht in Indonesien in den 1960er Jahren jede Frau im Schlaf. So auch Nana (Happy Salma): Ziehen, drehen, wirbeln, feststecken – die Frisur sitzt. Und mit ihr das Lächeln, die Haltung, die Gesten und Worte der liebevollen und fürsorglichen Ehefrau und Mutter. Im Haarknoten einer Frau lassen sich ihre tiefsten Geheimnisse perfekt verstecken, so erklärt Nana ihrer kleinen Tochter einmal lächelnd. Das ist mehr als eine kindgerechte Antwort auf die Frage "Warum tragen Frauen ihr Haar eigentlich lang, Mama?" Es ist ein Bild für die Selbstkontrolle und Verleugnung, mit der Nana tagein, tagaus lebt. Kamila Andinis Wettbewerbsfilm NANA löst diesen Knoten, Windung um Windung, auf ganz eigene, poetische Weise.

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11.02.22 22:31

Berlinale 2022: RIMINI von Ulrich Seidl

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Ulrich Seidl schaut hin, bis es weh tut. Und darüber hinaus. Das macht er gut, das tut er gern. In RIMINI, dem diesjährigen Wettbewerbs-Beitrag auf der Berlinale, schaut er Richie Bravo beim Schnulzensingen, Saufen, Rauchen, Vögeln und Verzweifeln zu. Die Schauplätze dieses Dramas vom dicken Gigolo, armen Gigolo: das winterliche Rimini mit seinen maroden, leer stehenden Betonklötzen von Hotels und Richies vermeintlich zurückgelassene Heimat in Österreich. Alte Nazis kommen auch vor (Hallo, Österreich!), aber sie sind auf dem Höhepunkt ihrer Demenz (jetzt aber wirklich!) und kurz vor dem Exitus.

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Berlinale 2022: WIR KÖNNTEN GENAUSO GUT TOT SEIN von Natalia Sinelnikova

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Foto: Jakob Reinhardt

Wo liegt der Hund begraben?

Natalia Sinelnikova hat in Babelsberg Filmregie studiert. Ihr Abschlussfilm WIR KÖNNTEN GENAUSO GUT TOT SEIN eröffnet die Reihe "Perspektive Deutsches Kino" auf der diesjährigen Berlinale.

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10.02.22 20:00

Berlinale 2022: PETER VON KANT von François Ozon

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Französischer Star-Regisseur macht einen Film über das toxische Liebesleben eines deutschen Star-Regisseurs. Dabei erinnert die Hauptfigur stark an einen realen, bereits verstorbenen deutschen Star-Regisseur, der seinerzeit die Vorlage, im Theater und Film, für die Neuinterpretation des Franzosen geschaffen hat. Die drei Hauptfiguren sind nun Männer, wo es vorher Frauen waren - aber im Grunde waren es auch damals schon verpuppte Männer, denn der deutsche Star-Regisseur hatte in seinem Film seine eigene, komplizierte Liebesbeziehung zu einem seiner Hautdarsteller verarbeitet. Alles klar? Der Eröffnungsfilm des Berlinale-Wettbewerbs, François Ozons PETER VON KANT, nennt sich Adaption, ist aber vielmehr ein intelligentes Vexierspiel, das sich auf Rainer Werner Fassbinders DIE BITTEREN TRÄNEN DER PETRA VON KANT bezieht.

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05.03.21 15:02

HERR BACHMANN UND SEINE KLASSE von Maria Speth (Berlinale 2021)

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Zuerst dachte ich: Haben die ne Macke? Dreieinhalb Stunden Doku über einen Lehrer und seine Klasse? Und dann, die große Überraschung: Man bekommt gar nicht genug von HERR BACHMANN UND SEINE KLASSE: Großartig, wie sich Maria Speths Doku diesem außergewöhnlichen Lehrer und seiner Arbeit mit einer höchst diversen sechsten Klasse im ländlichen Hessen widmet. Man will die Klasse zum Schluss gar nicht gehen lassen – so sehr wachsen einem die jungen Leute und ihr Lehrer mit seiner allgegenwärtigen Strickmütze ans Herz.

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04.03.21 16:52

GHASIDEYEH GAVE SEFID (BALLAD OF A WHITE COW) von Behtash Sanaeeha, Maryam Moghaddam (Berlinale 2021)

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Hätte es nicht in den vergangenen Jahren eine auffällige Häufung von Berlinale-Preisträgern aus dem Iran gegeben, man würde jetzt schon wetten wollen, dass BALLAD OF A WHITE COW zu den ganz heißen Favoriten gehört. Nur, das können sie eigentlich nicht schon wieder bringen, oder? Aber zunächst zum Film: Großartig erzähltes, bitteres Drama über eine Frau, die mit einem schrecklichen Justizirrtum leben muss. Ihr Mann wurde fälschlicherweise wegen Mordes zum Tode verurteilt und hingerichtet. Ein unerwarteter Helfer, der ihr plötzlich scheinbar aus dem Nichts heraus zur Seite steht, entpuppt sich als ein anderer, als er zu sein vorgibt.

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PETITE MAMAN von Céline Sciamma (Berlinale 2021)

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Ein kleines Mädchen hilft seiner Mutter dabei, das Haus der Großmutter auszuräumen. Diese ist vor kurzem gestorben, das kleine Mädchen ist traurig, weil es sich beim letzten Treffen nicht richtig von ihr verabschiedet hat, wie es findet. Auch die Mutter ist durch die Rückkehr an den Ort ihrer Kindheit merklich aus dem Gleichgewicht gebracht. Eines Morgens ist sie verschwunden, stattdessen passt nun der Vater auf die Kleine auf. Die findet am nächsten Tag beim Spielen im Wald eine neue Spielgefährtin – die ihr seltsam vertraut erscheint. Wenig später wird ihr klar: Es ist ihre Mutter – zu der Zeit, als sie so alt war, wie sie selbst jetzt ist.

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GUZEN TO SOZO (WHEEL OF FORTUNE AND FANTASY) von Ryusuke Hamaguchi (Berlinale 2021)

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Drei Begegnungen, drei Episoden aus dem Glücksrad des Lebens. Der japanische Regisseur Ryusuke Hamaguchi zeichnet mit leichtem Federstrich Menschen, die auf der Suche nach sich selbst sind. Die sich, ausgelöst durch ein besonderes Vorkommnis, essentielle Fragen über sich selbst und ihre Liebesfähigkeit stellen. Dabei baut er in jede Geschichte eine unerwartete Wendung ein, die ganz unspektakulär daherkommt, aber ganz erstaunliche Folgen hat.

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03.03.21 15:31

RENGETEG – MINDENHOL LÁTLÁK (FOREST – I SEE YOU EVERYWHERE) Bence Fliegauf (Berlinale 2021)

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Sieben Streitgespräche, sieben Mann-Frau-Konstellation, sieben Mal wird Unausgesprochenes ans Tageslicht geholt. Ein verzehrender Kinderwunsch etwa, ein religiöser Fanatismus oder eine heimlich gehegte Leidenschaft. Bence Fliegaufs FOREST – I SEE YOU EVERYWHERE ist eine Reihung von zwischenmenschlichen Kammerspielen. Durchaus eindringlich, durchaus gut gespielt. Aber was hat das auf der Berlinale im Wettbewerb zu suchen?

Foto: © Ákos Nyoszoli, Mátyás Gyuricza

RAS VKHEDAVT, RODESAC CAS VUKUREBT? (WHAT DO WE SEE WHEN WE LOOK AT THE SKY?) von Alexandre Koberidze (Berlinale 2021)

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Eine junge Frau und ein junger Mann laufen sich zufällig in die Arme. Einmal, zweimal. Dann verabreden sie sich für den folgenden Abend. Aber einem bösen Zauber missfällt dieses Glück, und er torpediert die Liebe. Als beide am nächsten Morgen aufwachen, sehen sie völlig anders aus als zuvor. Ihre besten Fähigkeiten – ihre als Apothekerin, seine als Profifußballer – sind über Nacht verflogen. Am Abend, am vereinten Treffpunkt, erkennen sie einander nicht wieder. Werden sie sich trotzdem wiederfinden? Der georgische Regisseur Alexandre Koberidze erzählt in WHAT DO WE SEE WHEN WE LOOK AT THE SKY? ein Märchen von der Sehnsucht und der Kraft der Liebe.

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BABARDEALĂ CU BUCLUC SAU PORNO BALAMUC (BAD LUCK BANGING OR LOONY PORN) von Radu Jude (Berlinale 2021)

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Wenn der für das private Vergnügen gedrehte Heimporno im Internet landet, kann das unangenehme Folgen haben. In Radu Judes BAD LUCK BANGING OR LOONY PORN wird dieses Missgeschick bonbonfarben und grotesk vor dem Hintergrund einer im Kern brutalen und verlogenen Gesellschaft im heutigen Rumänien durchgespielt. Achtung: Die ersten drei Minuten sind echter Porno. Wodurch der Zuschauer flugs zum voyeuristischen Komplizen jener fragwürdigen Öffentlichkeit wird, die im Film vorgeführt wird.

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02.03.21 14:37

ALBATROS (DRIFT AWAY) von Xavier Beauvois (Berlinale 2021)

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Laurent ist ein guter Polizist. In dem kleinen Ort Étrétat an der Küste der Normandie sorgt er dafür, dass die Jugendlichen beim Mofafahren ihren Helm aufsetzen, kümmert sich um gestohlene Rasenmäher – muss aber auch schon mal einen Selbstmörder am Strand bergen. Zuhause sind seine Freundin und die gemeinsame Tochter wichtiger Halt und Ausgleich zum Job. Laurents Vater ist noch zur See gefahren, und diese Sehnsucht nach der Weite des Meeres lebt auch in ihm fort: Hokusai-Bild im Wohnzimmer, Schiffsmodell auf der Anrichte, gelegentliche Segeltörns mit dem Kollegen. Als ihn ein furchtbar schief gelaufener Einsatz aus der Bahn wirft, hilft ihm nur die Flucht auf den Atlantik, sein seelisches Gleichgewicht wiederzufinden.

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TERMÉSZETES FÉNY (NATURAL LIGHT) von Dénes Nagy (Berlinale 2021)

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Soldaten im Nebel. Soldaten im Wald. Im Dunkel, in der Dämmerung. Dénes Nagy zeichnet mit NATURAL LIGHT ein düsteres, beklemmendes Bild vom Alltag einer kleinen Truppe ungarischer Soldaten, die während des Zweiten Weltkriegs den Deutschen Besatzern helfen, die russischen Gebiete zu sichern und Partisanen aufzustöbern. Schlamm, Kälte, Nässe – ab und zu ein bisschen Elchfleisch und eine Zigarette, mehr Komfort ist unter diesen Umständen nicht zu haben. Drei Tage lang folgen wir dem Unteroffizier Semetka auf seinem Weg durch den Wald und in ein kleines Dorf, in dem Partisanen vermutet werden. Was dann dort geschieht, ist nur eine alltägliche Episode in einem brutalen Krieg. Dass sie wie nebenbei erzählt wird, macht sie umso schrecklicher.

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01.03.21 19:15

ICH BIN DEIN MENSCH (I’M YOUR MAN) von Maria Schrader (Berlinale 2021)

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Den perfekten Mann kann man sich ja bekanntlich nicht backen. Wie wäre es aber, wenn das doch ginge? In Maria Schraders ICH BIN DEIN MENSCH wird die Altertums-Wissenschaftlerin Alma mit dem punktgenau auf sie programmierten Roboter Tom zusammengebracht. Das Ergebnis von drei gemeinsamen Wochen soll eigentlich nur ein von ihr erstelltes Gutachten sein, aber am Ende ist es dann doch…so etwas wie Liebe?

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MEMORY BOX von Joana Hadjithomas und Khalil Joreige (Berlinale 2021)

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Passt eine verdrängte Vergangenheit in einen Pappkarton? Und was passiert, wenn dieser geöffnet wird? MEMORY BOX von Joana Hadjithomas und Khalil Joreige geht diesen Fragen auf eine wohltuend leichte, beschwingte Weise nach – obwohl der Inhalt des Erinnerungskartons wahrlich kein Komödienmaterial ist. Ein neugieriger Teenager befreit ein „weggepacktes“ Frauenleben aus dem Bürgerkrieg im Libanon aus der Erstarrung und setzt damit einen Heilungsprozess in Gang, der Mutter, Tochter und sogar die Großmutter mitberührt.

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29.02.20 16:59

Bären-Tipps (Berlinale 2020)

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Ali Ghandtschi © Berlinale 2008

Hach, die Spannung steigt mal wieder. Bald werden die Bären vergeben - und der Festivalblog tippt mal wieder. Zuvor eine Art Kurzresumée: Dieser Wettbewerb hatte erstaunlich wenig Ausfälle, aber auch wenige Ausschläge nach ganz oben, so mein Eindruck. Nicht ganz erschlossen hat sich mir, warum manche Filme im Wettbewerb und nicht in Encounters liefen und andersrum. Vielleicht muss sich das noch etablieren. Oder man schafft die neue Reihe eben wieder ab. Aber insgesamt, wie ich finde, hat sich die neue Leitung ganz ordentlich geschlagen.

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28.02.20 16:30

IRRADIÉS (Irradiated) von Rithy Panh (Berlinale 2020)

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Irgendwie scheine ich etwas verpasst zu haben. Ich dachte eigentlich, Bilder von Kriegsgräueln, von ausgemergelten KZ-Insassen und Leichenbergen aneinanderzureihen, sie mit einem pseudo-bedeutungsvoll-lyrischen Kommentar zu unterlegen und so quasi zu ästhetisieren, sei obszön. Offenbar ist man aber bei der Berlinale der Meinung, ein solches Vorgehen verdiene es, zum Wettbewerb eingeladen zu werden.

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27.02.20 20:17

EEB ALLAY OOO! Von Prateek Vats (Berlinale 2020)

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Die Langurenaffen von Neu-Delhi sind eine Plage. Aber zugleich werden diese Affen von gläubigen Hindus als Götter betrachtet. Das verursacht einige Probleme. Denn in den Regierungsgebäuden möchte man die Viecher nicht haben. Aber ein „anständiger“ Hindu verscheucht nun mal keine Götter. Also muss diese unanständige Arbeit von den unteren Kasten erledigt werden. Von solchen Menschen wie Anjani eben, der eben erst aus seinem kleinen Dorf in die Hauptstadt gekommen ist und nun verzweifelt einen Job sucht. Sein Problem: Die Affen machen ihm richtig Angst.

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RIZI (DAYS) von Tsai Ming-Liang (Berlinale 2020)

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Ein Mann sitzt an einem Fenster und schaut hinaus auf den Regen. Regungslos. Minutenlang. Tsai Ming-Liangs Film RIZI ist für die Zuschauer eine Übung in Geduld und Langsamkeit – und das Sich-darauf-Einlassen wird reich belohnt. Lange, ruhige Einstellungen, zwei Männer, denen wir minutenlang bei ihren alltäglichen Verrichtungen zusehen, bevor sie schließlich aufeinander treffen, bevor diese Körper sich berühren und miteinander Sex haben und wieder auseinanderdriften. Und das alles geschieht fast ohne Worte.

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26.02.20 16:00

BERLIN ALEXANDERPLATZ von Burhan Qurbani (Berlinale 2020)

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Kann das gut gehen? Alfred Döblins Klassiker aus der Weimarer Republik „Berlin Alexanderplatz“ als Film ins heutige Berlin zu transferieren? Aus dem Zuchthäusler Franz Biberkopf den geflüchteten Westafrikaner Francis machen? Nach gut drei Stunden BERLIN ALEXANDERPLATZ kann ich sagen: Ja, das geht sogar sehr gut. Vorausgesetzt, man akzeptiert die bewusst als griechische Tragödie angelegte Form, den tragenden Ton des Kommentars aus dem Off, nimmt das dreimalige Scheitern der Hauptfigur als zwingend hin, weil er als tragischer Held nun mal leiden muss und nochmal leiden und nochmal leiden. Wenn man sich darauf einlassen kann, dann ist Burhan Qurbanis Film der bislang kraftvollste, wuchtigste und mutigste Beitrag in diesem Wettbewerb. Ein klarer Bären-Favorit.

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25.02.20 19:30

FAVOLACCE (BAD TALES) von Fabio und Damiano D’Innocenzo

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Die Bewohner eine properen Einfamilienhaus-Siedlung am Rand von Rom scheinen auf den ersten Blick ein gutes Leben zu genießen: Auto, kleiner Garten, wohlerzogene Kinder, das nötige technische Equipment im Haus. Trotzdem köchelt in dieser brütenden Sommerhitze mehr als nur die Temperatur. Eine merklich angespannte Stimmung, eine (meist) unterdrückte Aggression, Missgunst und Argwohn ziehen sich wie giftige Schlieren über das auf Hochglanz polierte Spiegelbild. Die Kinder fungieren dabei wie kleine Seismographen – sie nehmen die bösen Schwingungen am deutlichsten wahr, und sie sind es auch, die darauf am Ende auf schreckliche Weise reagieren werden.

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DOMANGCHIN YEOJA (THE WOMAN WHO RAN) von Hong Sangsoo

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Den ersten Szenenapplaus des Berlinale-Wettbewerbs bekommt eine dicke Katze. Für den neuen Nachbarn ist sie eine „Räuberkatze“, die man tunlichst nicht füttern sollte. Für die beiden Frauen in der Wohnung gegenüber ist sie „wie ein Kind“: Es ist ganz selbstverständlich, dass sie liebevoll versorgt wird, und dabei wird es auch bleiben. Während des Gesprächs vor der Haustür sitzt die dicke Katze daneben und schaut milde interessiert von einem zum anderen. In der sicheren Gelassenheit, so scheint es, dass ihre Unterstützerin sich mit ihrer ruhigen Beharrlichkeit durchsetzen wird. In Hong Sangsoos wunderbar beiläufig erzähltem Film THE WOMAN WHO RAN geht es immer wieder um Frauen, die miteinander reden und dabei von Männern gestört werden.

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24.02.20 18:45

SCHWESTERLEIN von Stéphanie Chuat und Véronique Reymond

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Endlich aus diesem sterilen Krankenhauszimmer rauskommen. Endlich wieder auf der Bühne stehen und spielen! Sven will nichts lieber als das. Er ist Schauspieler mit Leib und Seele und kämpft mit unbändigem Lebenswillen für seinen Lebensinhalt. Doch Sven hat Leukämie, und es sieht nicht gut aus für ihn. Seine Zwillingsschwester Lisa, die am engsten mit ihm verbundene Person auf der Welt, will ihn mit aller Kraft unterstützen – und dabei gerät ihr eigenes Leben aus den Fugen. Mit Lars Eidinger und Nina Hoss in den Hauptrollen wirft SCHWESTERLEIN einen packenden, erschütternden und sehr ehrlichen Blick auf das schmerzhafte Ringen mit dem Tod und das Glück der Liebe zwischen Geschwistern.

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23.02.20 22:30

TODOS OS MORTOS (ALL THE DEAD ONES) von Caetano Gotardo und Marco Dutra (Berlinale 2020)

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Der köstliche Kaffee aus Brasilien – bis 1888 waren vor allem versklavte Männer, Frauen und Kinder auf den großen Plantagen dafür zuständig, ihn anzubauen, zu ernten, zu verarbeiten – und zu servieren. Caetano Gotardo und Marco Dutra unternehmen in TODOS OS MORTOS den Versuch, die Auswirkungen dieser Geschichte anhand zweier miteinander eng verknüpfter Familienschicksale zu ergründen. Ehemalige Sklaven und ehemalige Sklavenhalter lebten kurz vor der Jahrtausendwende Seite an Seite in einer Gesellschaft, die sich im Aufbruch in die Moderne befand. Die entscheidenden Figuren in dieser Erzählung sind Frauen, die Männer sind als Versorger weitestgehend unbrauchbar – und die Geschichte ist in diesem mit langem Atem erzählten Film alles andere als Geschichte.

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LE SEL DES LARMES (THE SALT OF TEARS) von Philippe Garrel (Berlinale 2020)

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Vielleicht ist es einfach keine gute Idee, wenn alte Männer Filme über das Liebesleben junger Männer drehen. In Philippe Garrels LE SEL DES LARMES ist das Ergebnis jedenfalls ziemlich ermüdend bis ärgerlich.

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22.02.20 23:07

FIRST COW von Kelly Reichardt (Berlinale 2020)

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Veganer aufgepasst: Richtig gutes Süßgebäck gelingt ohne Milch einfach nicht! Doch woher soll man die Milch nehmen, in einem gottverlassenen amerikanischen Frontier-Kaff am Ende der Welt, wo die einzige Kuh dem allmächtigen Ortsvorsteher gehört? Woher also nehmen, wenn nicht stehlen? Eben. FIRST COW erzählt in einem ganz eigenen, einfühlsamen Ton von einer couragierten Enterprise im Wilden Westen des frühen 19. Jahrhunderts.

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21.02.20 22:30

VOLEVO NASCONDERMI (HIDDEN AWAY) von Girgio Diritti (Berlinale 2020)

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Ein dunkles Auge, das verschreckt aus einem über den Kopf gezogenen Mantel hervorlugt. Nur nicht gesehen werden. Antonio Ligabue (1899-1965), als Dorftrottel abgestempelter Ausnahmekünstler, hat bereit viel Schlimmes in seinem Leben erlitten, als er während der Mussolini-Ära in die Psychatrie überwiesen wird. Kindheit in der Schweiz, nach dem Tod der italienischen Eltern Unterbringung bei einem Bauernpaar, von den Dorfkindern gehänselt, vom Ziehvater misshandelt – das Kind Toni wächst zu einem misstrauischen, zutiefst scheuen Wesen heran, das sich am liebsten versteckt. Nur mit den Tieren auf dem Hof hat der Junge von Anfang an eine enge Verbindung – er spricht mit den Gänsen, ahmt kämpfende Hähne nach und verfolgt Käfer auf ihrem wirren Krabbelweg. Und Tiere sind es auch, die er als erstes zeichnet – mit einem erstaunlichen Talent, das ihn schließlich bis zu renommierten Ausstellungshäusern in Rom führen wird.

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EL PRÓFUGO (THE INTRUDER) von Natalia Meta (Berlinale 2020)

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Psychothriller, Gruselfilm oder doch Psychogramm einer jungen Frau unter extremem Stress? EL PRÓFUGO (THE INTRUDER) der argentinischen Regisseurin Natalia Meta hat von allem etwas und verknüpft die Genre-Anteile äußerst geschickt miteinander. Visuell einfallsreich und bisweilen mit skurrilem Humor erzählt der Film von einem Schwebezustand zwischen Wahn und Realität. Die besondere filmische Atmosphäre dieser Gratwanderung hallt noch lange nach der Kinovorführung nach.

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NACKTE TIERE von Melanie Waelde (Berlinale 2020)

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Was soll man nach dem Schulabschluss bloß tun, wenn man irgendwo im Nirgendwo lebt: Gehen? Bleiben? Nicht so einfach zu entscheiden, wenn es für beides gute Gründe gibt. Die 27-jährige Potsdamerin Melanie Waelde hat mit NACKTE TIERE einen starken Spielfilm über die Unsicherheiten des Erwachsenwerdens auf dem Land gedreht. Auf der Berlinale läuft er in der Reihe „Encounters“, die für ästhetisch innovative und wegweisende Filme reserviert ist. Ein wahrer Ritterschlag also für eine so junge Regisseurin, zumal es sich um ihren ersten langen Spielfilm handelt. „Nackte Tiere“, so der Titel, ist ein intensives Porträt einer Clique Jugendlicher auf dem Land. Ganz nah ist der Film seinen Protagonisten, und hält doch respektvollen Abstand.

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„Man ist nie wieder so stark wie mit 17“ (Berlinale 2020)

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Gespräch mit Melanie Waelde, Regisseurin des Encounter-Beitrags NACKTE TIERE

NACKTE TIERE – was für ein Titel! Sind Tiere nicht immer nackt, oder eigentlich nie? Melanie Waelde, 27 Jahre alt, Potsdamerin, Regisseurin, Drehbuchautorin und in diesem Jahr Teilnehmerin an der neuen Berlinale-Wettbewerbsreihe „Encounters“ hat diesen widersprüchlichen Filmtitel ganz bewusst gewählt. Die seltsamen Assoziationen, die sich dabei ergeben, heißt sie willkommen. Überhaupt mag sie es, wenn Filme nicht eindeutig sind, wenn die Zuschauer manches eben so oder so interpretieren können. Ihr Film vermeidet Eindeutigkeiten, stellt anscheinend so klare Grenzen in Frage. Was also bedeutet „Nackte Tiere“? Waelde spielt die Frage zurück an die Journalistin. „Verletzlichkeit und Ungezähmtheit“, kommen ihr in den Sinn. Scheint zu passen. Waelde lächelt.

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20.02.20 21:00

MY SALINGER YEAR von Philippe Falardeau (Berlinale 2020)

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Junge Frau kommt nach New York. Junge Frau will sich als Schriftstellerin verwirklichen und Teil der aufregenden Literaturszene der Stadt werden. Junge Frau landet bei einer Literaturagentur mit knallharter Chefin, wo sie stundenlang gähnend langweilige Texte abtippen muss. Einziger Lichtblick: Sie darf die Fanpost an J.D. Salinger lesen und diese mit Standardbriefen beantworten. MY SALINGER YEAR von Philippe Falardeau ist der Eröffnungsfilm der diesjährigen Berlinale, mit ihm soll man sanft auf das Festival eingestimmt werden – und genauso nett und harmlos kommt er auch daher. Eine gut erzählte Coming of Age Story, die aber so vorhersehbar ist, dass sie nur dank der guten schauspielerischen Leistung von Margaret Qualley (Junge Frau = Joanna) und Sigourney Weaver (Joannas Chefin) überhaupt im Gedächtnis bleibt.

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18.02.20 0:04

Berlinale 2018

Ein Ballett von Gabelstaplern gleich zu Beginn – und die Herzen der Zuschauer waren gewonnen für Thomas Stubers sanftes Supermarkt-Drama IN DEN GÄNGEN. Weitaus kontroverser wurde der Gewinnerfilm TOUCH ME NOT von Adina Pintilie bewertet.

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12.02.20 0:03

Berlinale 2012

CESARE DEVE MORIRE, Cäsar muss sterben – ein Theaterstück, gespielt von Gefängnisinsassen, von den italienischen Brüdern Taviani in einen Film gepackt, holte in jenem Jahr den Goldenen Bären ab. Hatte mal wieder keiner auf dem Schirm.

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10.02.20 1:00

Berlinale 2010

Fast scheint es wie eine Erinnerung aus einer anderen Epoche: Der Potsdamer Platz war zur Berlinale 2010 mit Schnee und Eis überzogen, der Weg von Kino zu Kino ein Akt für Hasardeure! In den Klimawandel-verseuchten Wintern der vergangenen Jahre können wir uns an solche Eiszeiten kaum mehr erinnern. Tja.

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07.02.20 6:00

Berlinale 2007

Rekorde, Rekorde Rekorde: In diesem Jahr verbucht die Berlinale 19.000 Akkreditierte aus 127 Ländern, 4.000 Journalisten, 430.000 Kinobesuche in zehn Tagen und 220.000 verkaufte Tickets.

Aus dem Wettbewerb bleibt positiv in Erinnerung: Der Goldene Bär für den chinesischen Wettbewerbsbeitrag TUYAS EHE und vor allem Christian Petzolds YELLA. Toller Film und Nina Hoss bekommt den Silbernen Bären als beste Hauptdarstellerin. Der Alfred-Bauer-Preis für neue Perspektiven in der Filmkunst für Park Chan-wooks genial übergeschnappten Film I’M A CYBORG, BUT THAT’S OK. ist mehr als nur ok. Zurecht Prügel bezieht die Berlinale hingegen dafür, dass das gut gemeinte B-Movie BORDERTOWN mit JLo als Starvehikel im Wettbewerb läuft.

Großartige Entdeckungen dagegen im Forum: Thomas Imbachs märchenhafter Film I WAS A SWISS BANKER verzaubert das Publikum, Josef Hader hat einen großen Auftritt in Ann-Kristin Reyels schönem Winterdrama JAGDHUNDE, Jeff Nichols gewaltiger Debütfilm SHOTGUN STORIES avanciert zum Kritikerliebling. Die filmische Wiederentdeckung eines verschollenen Mitglieds der Andy-Warhol-Entourage liefert in A WALK INTO THE SEA: DANNY WILLIAMS AND THE WARHOL FACTORY neues Futter für die Freunde und Feinde der Factory. Gezeigt werden zudem mehrere Warhol-Filme, darunter THE CLOSET, in dem man eine Stunde lang der unterkühlten Sirene Nico dabei zusehen kann, wie sie einen netten jungen Mann mit harmlosen Gesprächen in einem begehbaren Kleiderschrank verunsichert.

Besonderer Leckerbissen: Die Wiederaufführung von Charles Burnetts KILLER OF SHEEP, der bereits 1981 im Forum lief. Wegen Streitigkeiten um die Musikrechte gehört dieses äußerst berührende, formal zwischen Neorealismus, Jean Renoir und Cassavetes angesiedelte Drama zu den am wenigsten gesehenen berühmten Filmen der Welt.

Die Retrospektive bietet einen spannenden Blick auf die "neue Frau" im Stummfilm.

Das Panorama beglückt unter anderem mit Julie Delpies Regiearbeit ZWEI TAGE IN PARIS, der von Jeff Garlin gedrehten John Waters One-Man-Bühnenshow THIS FILTHY WORLD, Thomas Arslans stillem und gerade deshalb so packendem Familien- und Beziehungsdrama FERIEN und THE BUBBLE, in dem Eytan Fox den zum Scheitern verurteilten Versuch einiger junger Leute in Tel Aviv nachzeichnet, trotz des Palästina-Konfliktes in einer „Blase der Glückseligkeit“ zu leben.

04.02.20 6:00

Berlinale 2004

Bei den 54. Internationalen Filmfestspielen in Berlin sieht es lange Zeit so aus, als ob die Ausbeute im Wettbewerb mager ausfallen wird: zu viele peinliche Streifen, zu viele belanglose Filme, zu viel Achselzucken und Ratlosigkeit. Doch ein paar richtig gute Filme sind auch darunter – und die Jury unter dem Vorsitz von Frances McDormand beweist ein glückliches Händchen bei der Auswahl der Preise.

Riesenfreude: Der Goldene Bär für Fatih Akins wuchtiges Drama GEGEN DIE WAND bedeutet den internationalen Durchbruch des deutschtürkischen Regisseurs. In seinen eigenen Worten: "Ich war ein Leben lang eine Raupe - auf einmal bin ich ein Schmetterling". Akin hat seit KURZ UND SCHMERZLOSS über AUF DER ANDEREN SEITE bis hin zu SOUL KITCHEN gezeigt, dass er seine Geschichten in ganz unterschiedlichen Tonlagen unverwechselbar kaftvoll erzählen kann.

Großes Lob und Preise heimst auch EL ABRAZO PARTIDO des Argentiniers Daniel Burman ein – völlig zu Recht. Der Gewinner des Silbernen Bären für den Besten Film erzählt von einer Handvoll Menschen, die in einem heruntergekommenen Einkaufszentrum in Buenos Aires an ihrem Leben herumwerkeln. Brüchige Identitäten, Verlust und die Sehnsucht nach einem Lebensinhalt stehen im Zentrum dieses Films, der nie ins Betuliche abrutscht, sondern das Leben mit Gespür für Rhythmus und Tempo auf die Leinwand bannt. Hauptdarsteller Daniel Hendler bekommt einen Silbernen Bären.

Klar ist auch, dass die Südafrikanerin Charlize Theron für ihren atemberaubenden Auftritt in MONSTER den Silbernen Bären verdient hat. Dass ein zweiter Silberner Bär an die Kolumbianerin Catalina Sandino Moreno für ihre Rolle in „Maria, llena eres de gracia“ geht, ist wohl eher der politischen Relevanz dieses Drogenschmugglerfilms geschuldet.

Um ein künstlerisches Eltern-Kind-Paar geht es in Mario Van Peebles HOW TO GET THE MAN’S FOOT OUTTA YOUR ASS: der afroamerikanische Filmemacher hat sich an die Dokumentation eines Meilensteins der schwarzamerikanischen Filmgeschichte gemacht: der Entstehung des Independent-Films SWEET SWEETBACK’S BAADASSSSS SONG, den sein Vater Melvin Van Peebles 1971 unter den widrigsten Bedingungen gedreht hat. Während Melvin Van Peebles Film in der Retrospektive zu sehen ist, läuft das „Making of“ im Panorama. Familiensache ist Ehrensache.

03.02.20 6:00

Berlinale 2003

Galt das Festival 2002 bereits als politisch, so nehmen Teilnehmer der Berlinale in diesem Jahr noch eindeutiger und sichtbarer Stellung zur aktuellen politischen Lage. Der Irakkrieg steht unmittelbar bevor – Berlinale-Gäste Martin Scorsese, Spike Lee, Dustin Hoffman, Spike Jonze und natürlich auch Oliver Stone lassen sich die Gelegenheit nicht entgehen, öffentlichkeitswirksam gegen die Politik von George W. Bush zu protestieren.

Insgesamt macht das Festival einen qualitätsvollen und sehr, sehr ernsten Eindruck: Patrice Chéreau erhält für sein beeindruckendes Sterbedrama SON FRÈRE den Silbernen Bären für die Beste Regie, dem Thema Sterben widmen sich auch Isabel Coixet in MY LIFE WITHOUT ME und Nir Bergmans BROKEN WINGS – beide Filme erhalten auf dem Festival und darüber hinaus großes Lob; Hans-Christian Schmids LICHTER und Oskar Roehlers DER ALTE AFFE ANGST gehen mit beeindruckender Intensität und jeweils ganz eigenem Gefühl für die richtige filmische Form dorthin, wo es wehtut.

Die Jury unter Vorsitz von Atom Egoyan entscheidet sich schließlich für den Versuch einer konsequenten Opfersicht: Michael Winterbottoms IN THIS WORLD erhält den Golden Bären, was dem einen oder der anderen dann doch zuviel Politik und zuwenig Ästhetik ist.

02.02.20 6:00

Berlinale 2002

Die Debüt-Berlinale von Dieter Kosslick wird allgemein als gelungener Neuanfang gewertet. Der extrem gut vernetzte neue Festivalchef, so der Tenor der Berlinale-Kommentatoren, bringe frischen Wind in die Berlinale. Kosslick punktet nicht nur durch seine Expertise im Filmfördergeschäft, er ist zudem die geborene Rampensau: mit demonstrativ guter Laune jettet er im klirrend kalten Februar von Termin zu Termin und schafft es, die Menschen ein knappes halbes Jahr nach 9/11 mit seiner positiven Art mitzureißen.

Der junge deutsche Film bekommt in diesem Jahr starken Rückenwind durch die neue Sektion Perspektive Deutsches Kino, geleitet von Alfred Holighaus. Auch im Wettbewerb ist der deutsche Film mit vier Beiträgen vertreten – der Große Preis der Jury geht an einen von ihnen: Andreas Dresen erntet breites Lob für seinen betont uneitlen Blick auf das emotionale und lebenspraktische Kuddelmuddel von Menschen „wie du und ich“, HALBE TREPPE. Ein Wermutstropfen: Drei der vier deutschen Wettbewerbsbeiträge wurden ganz ohne Förderung realisiert.

Einer der ganz Großen wird für sein Lebenswerk geehrt: Robert Altman. 2006 läuft sein letzter Film A PRAIRIE HOME COMPANION auf der Berlinale, im November desselben Jahres stirbt Altman.

Den Goldenen Bären teilen sich zwei komplett unterschiedliche Filme: Hayao Miyazakis zauberhafter Zeichentrickfilm SPIRITED AWAY und Paul Greengrass' politisch engagiertes Irland-Drama BLOODY SUNDAY. Nun ja, schließlich steht die Berlinale 2002 ja auch unter dem Motto "Accept Diversity".

29.01.20 6:00

Berlinale 1998

Die Stimmung ist mal wieder schlecht. Und das, obwohl unter anderen die Coen Brüder (THE BIG LEBOWSKI), Gus Van Sant (GOOD WILL HUNTING), Alain Resnais (ON CONNAIT LA CHANSON), Barry Levinson (WAG THE DOG) und Quentin Tarantino (JACKIE BROWN) sehr gute Filme in den Wettbewerb geschickt haben.

Aber: Der Berlinale sind sowohl Clint Eastwoods MIDNIGHT IN THE GARDEN OF GOOD AND EVIL durch die Lappen gegangen (woran die Berlinale wohl keine Schuld trifft) als auch Roberto Benignis dreifacher Oscar-Gewinner 1999 LA VITA È BELLA (das hat die Berlinale allerdings selbst vermasselt). Insgesamt scheint die de-Hadeln-Müdigkeit vor allem unter den Kritikern rapide zuzunehmen – der Wechsel in der Festivalleitung schimmert bereits am Horizont.

Was das Panorama angeht, wird immer stärker deutlich, dass die aus der "Info-Schau" der 70er Jahre hervorgegangene Sektion weit mehr als ein Tummelplatz für unabhängige Produktionen ist, die einem größeren Publikum nicht zugemutet werden können. Die jüngste der drei Hauptsektionen zeigt immer mehr Arthouse-Filme mit Marktchancen – und tritt dabei in Konkurrenz zu Festivals mit eben dieser Ausrichtung: Sundance, Brüssel und Rotterdam.

Die Jury unter dem Vorsitz des britischen Extremschauspielers Sir Ben Kingsley entscheidet in puncto Goldener Bär für Central do Brasil – was den internationalen Durchbruch für Regisseur Walter Salles bedeutet.

18.01.20 6:00

Berlinale 1987

Zehn Jahre Kinderfilmfest auf der Berlinale: Ein Grund zu feiern. Im Laufe der Jahre hat sich die Sektion für die Minis einen sehr guten Ruf erarbeitet.

Im Zeichen von Perestroika, Glasnost und Gorbatschow hat die Sowjetunion ihre Filmtresore geöffnet – gezeigt werden jetzt auch ehemals zensierte Filme. Diese filmpolitische Entwicklung spiegelt sich in Wettbewerb, Panorama und Forum wider. So läuft auf der Berlinale beispielsweise eine ursprünglich einkassierte sowjetische Dokumentation über das Kernreaktorunglück in Tschernobyl und seine verheerenden Folgen. Den Goldenen Bären erhält Gleb Panfilovs TEMA – eine Entscheidung für einen guten Film, aber eben auch eine eindeutig politische Entscheidung. Das wird der Berlinale-Jury noch öfter passieren.

Erstmals wird in diesem Jahr der Alfred-Bauer-Preis vergeben, "für einen Spielfilm, der neue Perspektiven in der Filmkunst eröffnet", in Gedenken an den im Jahr 1986 gestorbenen ersten Festivalleiter der Berlinale.

12.01.20 6:00

Berlinale 1981

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Conny Froboess, Rainer Werner Fassbinder und Jeanne Moreau (Quelle: Berlinale)

Der deutschen Filmindustrie passt es nicht, dass nur ein deutscher Film im Wettbewerb läuft – und zwar ausgerechnet Herbert Achternbuschs DER NEGER ERWIN. Darin spielt das bayerische Enfant Terrible d’Avantgarde einen Ex-Sträfling, der aus der Wirtin des Gasthofs „Zum Neger Erwin“ einen Filmstar machen will. Zu diesem Zweck gibt er sich als Filmemacher Herbert Achternbusch aus.

Festivalleiter Moritz de Hadeln wird vorgeworfen, den Kontakt zu deutschen Filmemachern zu vernachlässigen. Er orientiere sich zu sehr an Amerika, klagt etwa Alexander Kluge. In der Tat fehlen de Hadeln in seinem zweiten Jahr als Festivaldirektor noch umfassende Kenntnisse und Kontakte in der deutschen Filmszene – zuvor hat er jahrelang sehr erfolgreich das Filmfestival von Locarno geleitet. Die Kritiker de Hadelns fordern ein „repräsentatives Festival“ – als es jedoch darum geht zu definieren, wie ein solches aussehen sollte, kommen sie auf keinen gemeinsamen Nenner. Der Boykottaufruf verläuft im Sande – auch durch einen taktischen Schulterschluss von de Hadeln und Forums-Leiter Ulrich Gregor.

Auf der Haben-Seite verzeichnet die Berlinale 1981 einen neuen Besucherrekord: 15 Prozent mehr Zuschauer als im Vorjahr. Nüchtern betrachtet kann sich auch die Filmauswahl sehen lassen: Martin Scorseses Meisterwerk RAGING BULL eröffnet den Wettbewerb, Andrej Tarkowskis STALKER läuft im Forum, und Carlos Sauras DEPRISA! DEPRISA!, eine mit viel Tempo und Flamenco (-Soundtrack) erzählte Kleinganovengeschichte aus Madrid erhält den Goldenen Bären.

03.01.20 6:00

Berlinale 1972

Das Forum geht ins zweite Jahr und bildet einen starken Kontrapunkt zum Wettbewerb. Die „Zeit“ charakterisiert den Wettbewerb mit den Worten „roter Plüsch“, „feine Leute und bemühte Festlichkeiten“, während sich das Forum durch „Bärte und lange Haare, Gammel-Look, eine informelle Atmosphäre, Diskussionen“ auszeichne. In der Tat bietet das Forum einen politisch zugespitzten Blick in die Welt: die Zuschauer erfahren hier etwas über Hausbesetzungen in Harlem oder den Völkermord an den kolumbianischen Indios. Die Filme orientieren sich vorwiegend am Dokumentarischen – selbst wenn sie keine Dokus im engeren Sinn sind. Kritiker sehen darin eine bedenkliche Dominanz des Politischen über das Ästhetische.

Festivaldirektor Alfred Bauer stellt sich offiziell schützend vor das Forum, gut dokumentiert sind allerdings seine inoffiziellen Bauchschmerzen zum Thema: Er fürchtet einen Bedeutungsverlust des Wettbewerbs, und er beklagt, dass das Forum seiner dezidiert politischen Perspektive auf Kosten der filmischen Qualität fröne.

Erwähnenswert ist der Wettbewerbs-Beitrag L’UDIENZA von Marco Ferreri, der Kafkas „Das Schloss“ modifiziert, indem er die Geschichte an einer Papstaudienz aufhängt. Der große Allegoriker des italienischen Films sollte zwei Jahre später mit DAS GROSSE FRESSEN Furore machen. Den Goldenen Bären 1972 gewinnt Pier Paolo Pasolini mit I RACCONTI DI CANTERBURY (Pasolinis tolldreiste Geschichten), einem Teil seiner Trilogie der Sinnlichkeit. Die Variation auf Chaucer wird jedoch von der Kritik nicht gerade mit Begeisterungsstürmen aufgenommen.

28.12.19 6:00

Berlinale 1966

Ein Foto aus dem Jahr 1966 zeigt sieben Regisseure, die während der Berlinale über die Zukunft des Films diskutieren: Peter Schamoni, Roman Polanski, Pier Paolo Pasolini, Satyajit Ray, Jean-Paul Rappeneau, Völker Schlöndorff und Erwin Leiser. Überliefert sind ein schmollender Polanski, ein Pasolini, der versucht, sein Konzept der „vergeistigten Wirklichkeit“ zu erklären und ein Beitrag von Ray über die besondere Situation der Filmproduktion in Indien. Joe Hembus von Film International schreibt: „Plötzlich wurde von Herstellungskosten gesprochen. Polanski wachte auf.“

Auch ansonsten bleiben die 15. Festspiele als Festival in Erinnerung, bei dem es wenig Staraufläufe gibt, dafür aber die Filme und Filmemacher selbst umso stärker im Mittelpunkt stehen. Ein halbes Jahrzehnt nach Oberhausen ist das wichtigste deutsche Festival immer noch auf der Suche nach den sinnvollsten Wegen zur Reform des Filmwesens.
Im Wettbewerb konkurrieren drei große Filme um die Gunst von Filmkritikern, Jury und kundigen Zuschauern: Roman Polanskis CUL-DE-SAC, Satyajit Rays NAYAK und Jean-Luc Godards MASCULIN-FÉMININ. Am Ende bekommt Polanski den Goldenen Bären, Ray eine besondere Anerkennung der Jury, und Godards Hauptdarsteller Jean-Pierre Léaud den Silbernen Bären.

Das Jahr 1966 ist auch ein gutes Jahr für den cineastischen Nachwuchs: Der Lehrbetrieb in der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) wird aufgenommen, außerdem wird beschlossen, die Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) in München einzurichten.

25.12.19 6:00

Berlinale 1963

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Quelle: Berlinale

Im Vorfeld der zwölften Festspiele werden Möglichkeiten diskutiert, wie die Auswahl der Filme neu und besser organisiert werden könnte. Klar ist: Es soll mehr Sachverstand in den Auswahlprozess einbezogen werden – doch wie soll das organisiert werden und wer soll das bezahlen? Mehrere Vorschläge zur Weiterentwicklung der Berlinale werden diskutiert: Etwa ein Spielfilmpreis „Junge Filmnationen“, mit dem die Debatte über ein Qualitätsgefälle zwischen Filmen aus so genannten Dritte-Welt-Ländern und etablierten Filmnationen aufgefangen werden soll, ein Wettbewerb der Filmhochschulen und die Etablierung einer repräsentativen deutschen Filmmesse. Außerdem soll der Kurzfilmwettbewerb abgeschafft werden, da Oberhausen und Mannheim dieses Genre zur Genüge abdecken. Eine Entscheidung über all diese Punkte wird jedoch vertagt.

Die Idee der Produzenten Artur Brauner unter dem Banner der „Riskanten Welle“ auf den Spuren der Nouvelle Vague zu wandeln, scheitert kläglich: Edwin Zboneks MENSCH UND BESTIE wird von den Journalisten auf der Berlinale verrissen. Es zeigt sich mal wieder, dass eine verordnete Revolution so ihre Tücken hat.

Was dagegen funktioniert, ist die TV-Brücke. Im zweiten Jahr nach dem Mauerbau sind die Ostberliner als Zuschauer von den Festspielen ausgesperrt. Nun wird ihnen durch eine Fernsehübertragung von fünf Wettbewerbsfilmen und einer Kulturfilmschau die Teilnahme zumindest partiell über den Äther ermöglicht.

Politisch relevante Konkurrenz zum Berlinale-Geschehen 1963: John F. Kennedy bekennt sich am 26. Juni zu seinem Berliner-Sein.

Der Goldene Bär geht in diesem Jahr an Tadashi Imais BUSHIDO ZANKOKU MONOGATARI. Auch dieser Sieger hat keine internationale Filmgeschichte geschrieben. Doch die Filme, so scheint es, hatten in jenem Jahr ohnehin nicht die Hauptrolle in Berlin.

23.12.19 6:00

Berlinale 1961

Retrospektiv kann festgestellt werden: Die Berlinale 1961 könnte entweder als „Busen-Berlinale“ oder als Fest der Avantgarde in die Geschichte eingehen. Für die Busen-Variante spricht: Es gibt einen Riesenskandal um den oberweitenstarken Auftritt der Schauspielerin Jayne Mansfield. Die Blondine beglückt zwar die Fotografen – und man darf annehmen auch die Leser – von „Stern“, „Quick“, „B.Z.“, „BILD“ und „Neue Revue“, „das unbekümmerte Herausstellen der körperlichen Reize“ des Busenwunders (so sagte man damals) wird aber von den Reportern eben jener Medien scharf kritisiert. Fast 50 Jahre später erscheint das alles wie ein bisschen sehr viel Aufregung um (fast) nichts.

Weg vom Klatsch, hin zur hohen Kunst: Auf der Berlinale 1961 laufen unter anderem Michelangelo Antonionis LA NOTTE, der den Goldenen Bären erhält, Jean-Luc Godards UNE FEMME EST UNE FEMME (Silberner Bär für Anna Karina und Sonderpreis Silberner Bär) und Bernhard Wickis DAS WUNDER DES MALACHIAS (Silberner Bär Beste Regie). Großartige, innovative und mutige Filme also, die obendrein noch von einer fachlich sehr gut besetzten Jury gewürdigt werden.

Die wichtigste formale Innovation 1961: Die Zahl der Filme im Wettbewerb wird erstmals begrenzt – jedes Land darf als offiziellen Beitrag nur einen abendfüllenden Film zeigen, die Festivalleitung hat darüber hinaus die Möglichkeit, zusätzliche Filme einzuladen. Insgesamt soll aber jedes Land mit nicht mehr als zwei Filmen vertreten sein. Im Wettbewerb laufen schließlich 23 Filme, fünf davon hatte Festivalleiter Alfred Bauer eingeladen.

Aus heutiger Sicht ist klar: Die Berlinale 1961 war ein filmischer Glücksfall – kurz vor den radikalen Umbrüchen, die die unmittelbare Zukunft durch den Mauerbau für die Stadt Berlin wie auch für das Festival bereit halten sollte.

22.12.19 6:00

Berlinale 1960

Zu Gast auf der Berlinale 1960 sind unter anderem die Stars Cary Grant, Jean Gabin und Jean-Paul Belmondo. Und dennoch – man reibt sich aus heutiger Sicht verwundert die Augen – wird geklagt, die Berlinale habe zu wenig Glamour vorzuweisen. Mit Glamour war damals freilich die (weibliche) Diven-Dichte gemeint; und an der hapert es tatsächlich. Zwar macht Jean Seberg in A BOUT DE SOUFFLE (Außer Atem) den radikalen Kurzhaarschnitt populär, doch im Jahr 1960 wünscht man sich wohl eher Grandes Dames à la Cannes statt knabenhafter Mädchen.

Mit dem direkten Vergleich zu dem Festival an der Côte d’Azur hatte und hat die Berlinale immer wieder aufs Neue zu kämpfen. Die Vorwürfe wechseln sich dabei in schöner Regelmäßigkeit ab: Mal heißt es „zu wenige Stars“, dann wieder „zu viel Hollywood“ – sprich: die Promis will man schon haben, aber bitte nicht um den Preis eines übermächtigen Mainstreams. Tja. Manchmal heißt es aber auch einfach, dass die Filme zu schlecht waren...

Das ist auch der Hauptvorwurf 1960: Statt einer gloriosen zehnten Berlinale spiegele die Auswahl die Krise und Stagnation in der internationalen Filmproduktion wider Darüber hinaus gibt es eine rege Debatte um die Qualität von Filmen aus so genannten Entwicklungsländern, von „Versuchskaninchen aus filmunterentwickelten Staaten" schreibt etwa der "Telegraf". Immerhin: Der große Wurf von Jean-Luc Godards A BOUT DE SOUFFLE wird mit einem Silbernen Bären für die beste Regie honoriert. Die formale Innovationsleistung Godards, der „seine Geschichte vor allem mit der Kamera erzählt“, wie die "Zeit" schreibt, wird also durchaus erkannt – man stößt sich aber daran, dass die Hauptfiguren „knastreife Elemente“ (so das "Spandauer Volksblatt") sind. Unter dieses moralische Fallbeil gerät auch Robert Bressons PICKPOCKET.

Der Goldene Bär jedoch geht an DER SCHELM VON SALAMANCA von César Ardavin, einem heutzutage nicht mehr wirklich relevanten Film nach einem Schelmenroman des 16. Jahrhunderts.

26.04.19 15:00

Crossing Europe 2019: SYSTEMSPRENGER von Nora Fingscheidt

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Es gibt Kinder, die fallen durch alle Raster der staatlichen Fürsorge. Sie akzeptieren keinerlei Regeln, sind unberechenbar, aggressiv und oft gewalttätig gegen sich und andere. Im Jargon der Erzieher gibt es ein Wort für diese Kinder – man nennt sie „Systemsprenger“. Die neunjährige Benni, Hauptfigur sowie höchst energetischer Dreh- und Angelpunkt in Nora Fingscheidts Wettbewerbsbeitrag SYSTEMSPRENGER ist ein solches Kind. Sie prügelt sich ohne Rücksicht auf sich selbst und andere, ist wahnsinnig anstrengend, greift alles und jeden an, sobald sie nicht ihren Willen bekommt, und will doch eigentlich nur zurück zu ihrer Mutter. Die allerdings ist heillos von diesem wilden Wesen überfordert und stielt sich immer wieder aus der Verantwortung – letztlich hat sie geradezu Angst vor ihrer eigenen Tochter. Welche Chancen, so fragt Fingscheidts Film, haben solche Kinder, das zu bekommen, was sie sich so sehnlich wünschen: Liebe und Geborgenheit?

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14.02.19 17:41

DI JIU TIAN CHANG (SO LONG, MY SON) von Wang Xiaoshuai (Berlinale 2019)

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Wir begleiten drei chinesische Paare, eine Single-Frau und drei Kinder als Kino-Zuschauer über drei Stunden hinweg durch ihr Leben – oder auch über einen Zeitraum von 40 Jahren, je nach Sichtweise. Kulturrevolution, Ein-Kind-Politik, Wirtschaftsreform und Turbo-Kapitalismus sind die politischen und gesellschaftlichen Eckpunkte, die – ebenso wie eine private Tragödie – tief gehende Spuren im Leben der Protagonisten hinterlassen. Oder sollte man besser von Narben sprechen? Meisterlich breitet Regisseur Wang Xiaoshuai in DI JIU TIAN CHANG ein Tableau ineinander verschränkter Handlungsstränge, Zeitebenen und Emotionen vor uns aus – und macht damit eindrücklich erfahrbar, was sonst gern als wohlfeiles Diktum behauptet wird: dass das Private und das Politische untrennbar miteinander verwoben sind.

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ELISA Y MARCELA (ELISA & MARCELA) von Isabel Coixet (Berlinale 2019)

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Wenn zwei Frauen sich lieben, kann man das entweder ganz normal finden oder Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um diese vermeintliche „Abnormität“ zu verhindern. Im Argentinien des späten 19. Jahrhunderts standen die Chancen für lesbische Frauen schlecht, ihr Lebensglück zu verwirklichen – oder sie mussten sehr trickreich vorgehen. Die aus Barcelona stammende Regisseurin Isabel Coixet hat mit ELISA Y MARCELA eine verblüffende Geschichte verfilmt, die auf wahren Begebenheiten basiert: 1901 heirateten die gebürtigen Argentinierinnen Elisa Sánchez Loriga und Marcela Gracia Ibeas in Nordspanien – Elisa mit Kurzhaarschnitt, Männerklamotten, falschem Namen und falschem Schnauzer als Bräutigam verkleidet. Nicht lange, und das Paar wurde enttarnt und musste nach Portugal fliehen. Eine spannende, außergewöhnliche und anrührende Geschichte – nur leider fällt Coixets Netflix-Produktion dem unbedingten Willen zur Schönheit zum Opfer.

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SYNONYMES (SYNONYMS) von Nadav Lapid (Berlinale 2019)

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Gleich an seinem ersten Morgen in Paris steht Yoav buchstäblich nackt da – jemand hat ihm in der riesigen, leerstehenden Wohnung, in der er übernachtet hat, Kleider, Rucksack und Gepäck geklaut, während er unter der Dusche stand. Im Grunde will der junge, innerlich offenbar tief verstörte Israeli ohnehin alles ablegen, was ihn mit seinem Heimatland verbindet – aber der Start ins Französischsein ist angesichts der winterlichen Temperaturen und fehlenden Heizung erst einmal vor allem eines: verdammt kalt.

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12.02.19 23:33

L’ADIEU À LA NUIT (FAREWELL TO THE NIGHT) von André Téchiné (Berlinale 2019)

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Wenn man eine Großmutter hat, die wie Catherine Deneuve aussieht, warmherzig und verständnisvoll ist, und obendrein wunderschöne Pferde inmitten einer paradiesischen Landschaft züchtet – warum will man dann im Krieg für den IS Ungläubige abschlachten? Dass diese Frage so penetrant im Vordergrund steht und offensichtlich eine Beantwortung nicht vorgesehen ist, das ist der entscheidende Schwachpunkt in André Téchinés Drama L’ADIEU À LA NUIT. Großartig gespielt von der Deneuve als Großmutter und Kacey Mottet Klein als radikalisierter Enkel, darbt der außer Konkurenz laufende Wettbewerbsbeitrag an seinem unbedingten Willen, Argumente gegen terroristische Radikalisierung allzu holzschnittartig im Versuchsaufbau der Figuren und der Handlung zu implementieren.

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LA PARANZA DIE BAMBINI (PIRANHAS) von Claudio Giovannesi (Berlinale 2019)

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Mit 15 möchte jeder gerne cooler sein, als er ist. Nicola und seinen Kumpels aus dem Altstadtviertel Sanità in Neapel geht es da nicht anders. Nur, dass die Wege, an Coolness (sprich: Geld, Klamotten, Mädchen und das damit verbundene Ansehen) zu kommen im Herzen der Camorra-Stadt Neapel limitiert sind. Zumindest, wenn man nicht ohnehin stinkreich, sehr willensstark oder ein ganz großes Fußballtalent ist. Also das Übliche: Karriere in Sachen Drogendealen, Schutzgelder und Co. Aber statt sich mühsam hochzudienen, haben die Jungs eine andere Idee. Sie booten bei der ersten sich passenden Gelegenheit die alten Chefs aus und übernehmen die Herrschaft über das Stadtviertel ganz einfach selbst.

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11.02.19 19:57

THE SHADOW PLAY von Lou Ye (Berlinale 2019)

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Film Noir auf Chinesisch. Ein Mord auf der Baustelle: Spontane Proteste der Bevölkerung gegen die korrupte Baukommission in der Stadt Guangzhou in Südchina scheinen aus dem Ruder gelaufen zu sein. Der dicke Baukommissar ist tot. Die Witwe scheint hinter ihrer teuren Sonnenbrille zu trauern. Der einsame Held, ein junger Polizist Marke Alain Delon auf Chinesisch, traut dem Frieden nicht und beginnt zu wühlen. Er findet: Eine verbrannte und nie identifizierte Frauenleiche, eine Baufirma, die in den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umbruchzeiten in China nach 1989 einen rasanten Erfolg hingelegt hat, einen zwielichtigen Strippenzieher im Hintergrund, „verlorene“ Polizeiakten, ein Liebesdreieck, das bald zum Liebesviereck, -fünfeck, -sechseck wird…und ihn selbst in seine Fänge zieht. Und das ist erst der Anfang.

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Oh, süßes Nichtverstehen! (Berlinale 2019)

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Endlich mal wieder asiatisches Kino genießen auf der Berlinale! THE SHADOW PLAY. Thriller aus China. Panorama-Beitrag. Der Kinosaal gefüllt mit gefühlt 90 Prozent Chinesinnen und Chinesen. Ich liebe es! Verstehe kein Wort von dem, was die vielen Menschen um mich herum so munter miteinander beplappern, aber es klingt meist gut gelaunt und eigentlich immer seeehr aufgeregt. Nichtverstehen ist manchmal richtig schön. Irgendwie entspannend. Die summende und sirrende Geräuschkulisse um mich herum macht mich ein wenig schläfrig und stimmt mich zugleich richtig gut auf den bald beginnenden Film ein. Der hat zum Glück Untertitel.

RÉPERTOIRE DES VILLES DISPARUES (GHOST TOWN ANTHOLOGY) von Denis Coté (Berlinale 2019)

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Der Blick der Kamera ruht jeweils für einige Sekunden auf tristen, verlassenen Gebäuden, die in ihrer blassen Monochromie fast im Schneegestöber untergehen. Erst eine Art Schuppen, dann eine Garage, ein Wohnhaus. Grobkörniges Filmmaterial, gedreht auf 16mm. Denis Coté, Kanadischer Regisseur, setzt bereits mit den ersten Bildern von RÉPERTOIRE DES VILLES DISPARUES (GHOST TOWN ANTHOLOGY) das Gefühl der Fremdheit und Abweisung, das sich durch den gesamten Film ziehen wird. Dann rast ein Auto durch den Schnee, durch eine scharfe Wendung des Lenkrads prallt es frontal gegen eine Mauer. Ein Knall, Stille. Drei Kinder in seltsam mittelalterlich anmutenden Kostümen, mit Geistermasken aus Pappmaché vor den Gesichtern, nähern sich vorsichtig dem Wrack. Laufen Weg. Wer jetzt mutmaßt, dass es hier nicht mit rechten Dingen zugeht, liegt nicht ganz falsch.

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10.02.19 16:30

GOSPOD POSTOI, IMETO I E PETRUNIJA (God Exists, Her Name is Petrunya) von Teona Strugar Mitevska (Berlinale 2019)

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Nicht noch ein aussichtsloses Job-Interview! Petrunija ist 32, unverheiratet, ein bisschen pummelig – und studierte Historikerin. Eine Arbeit findet sie in dem mazedonischen Kaff, in dem sie lebt, natürlich nicht. Die Mutter treibt sie dennoch immer wieder zu demütigenden Interviews, stopft sie ansonsten mit Essen voll, putzt sie gerne mal übelst herunter, und ermahnt sie sicherheitshalber, dem potentiellen Arbeitgeber gegenüber ihr Alter auf 24 herunter zu schrauben. Kein leichtes Los für Teona Strugar Mitevskas Hauptfigur in GOD EXISTS, HER NAME IS PETRUNYA. Aber: Irgendwann ist es genug, und der gestaute Frust der jungen Frau entlädt sich in einem spontanen Akt der Selbstbestimmung und Rebellion. Petunija springt ins kalte Wasser und schnappt sich ihr Glück.

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UT OG STJÆLE HESTER (Out Stealing Horses) von Hans Petter Moland (Berlinale 2019)

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Bäume. Bäume und Söhne. Söhne. Söhne und Pferde. Bäume. Bäume und Söhne. Bäume und Söhne und Pferde. Ein Wettbewerbsfilm. In Hans Petter Molands OUT STEALING HORSES geht es in der Tat um Väter und Söhne, um die Geschichte Norwegens im Zweiten Weltkrieg, um Schmerz, Verlust, Wut, Vergessen und Erwachsenwerden. Ja, auch um die Liebe. Das alles spielt in einer wunderschönen Gebirgs- und Flusslandschaft zwischen Norwegen und Schweden. Leider gibt es darüber schon einen Roman, wohl einen sehr guten, wie man hört, jedenfalls einen äußerst erfolgreichen. Pet Pettersons Vorlage für den Film. Eine ziemlich schlechte Idee ist es dann, Passagen aus dem Buch zu zitieren und sie mit den entsprechenden Bildern zu unterlegen. Doppelt gemoppelt wirkt bisweilen neutralisierend.

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DER GOLDENE HANDSCHUH von Fatih Akin (Berlinale 2019)

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Um es gleich vorweg zu sagen: Dies ist ein schwer erträglicher Film. Er zeigt rohe Gewalt, pervertierte sexuelle Brutalität und widerwärtigste Frauenverachtung. Das tut er auf eine Art, die abstoßen soll und, in der Tat, abstößt. Der Hamburger Regisseur Fatih Akin hat in DER GOLDENE HANDSCHUH die Geschichte des Frauenmörders Fritz Honka verfilmt, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Heinz Strunk. Honka hatte in den 1970er Jahren in Hamburg mindestens vier Frauen gequält, vergewaltigt, ermordet und zerstückelt.

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08.02.19 23:00

GRÂCE À DIEU (By the Grace of God) von François Ozon

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Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche ist sein einigen Jahren ein Thema, über das endlich offen gesprochen wird. Inzwischen positioniert sich sogar der Vatikan dazu. François Ozon erzählt in GRÂCE À DIEU von einem Aufsehen erregenden Fall, der in Lyon seinen Anfang nahm und 2016 zur Anklage kam, aus der Perspektive der mittlerweile erwachsenen Opfer.

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DUST von Udita Bhargava (Berlinale 2019)

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Zwischen den Welten

Wie kann man ein so komplexes Land wie Indien verstehen? Wie kann man zumindest anfangen, es zu verstehen? Vor dieser Frage steht David, der Protagonist aus Udita Bhargavas Film DUST, ebenso wie die Regisseurin selbst. Der junge Deutsche begibt sich auf eine Spurensuche in Zentralindien – entlang den letzten Lebenszeichen seiner Ex-Freundin Mumtaz, einer aus Indien stammenden Fotografin, die kurz zuvor verstorben ist. An Malaria, wie es heißt.

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Interview zu DUST von Udita Bhargava (Berlinale 2019)

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Interview mit der Regisseurin Udita Bhargava

Wie kann man ein so komplexes Land wie Indien verstehen? Wie kann man zumindest anfangen, es zu verstehen? Vor dieser Frage steht David, der Protagonist aus Udita Bhargavas Film DUST ebenso wie die Regisseurin selbst. DUST ist der Abschlussfilm von Udita Bhargava an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF. Er läuft in der Perspektive Deutsches Kino. Festivalblog hat mit der 1982 in Indien geborenen Regisseurin gesprochen.

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07.02.19 17:17

Berlinale 2019: Die Bären erwachen...

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...gaanz langsam aus ihrem Winterschlaf. Ein bisschen sehen sie noch so aus, als ob sie sich erst vorsichtig den Bärenmatzel aus den Äuglein wischen sollten, um den aufziehenden Glanz auf dem Potsdamer Platz auch angemessen würdigen zu können...

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23.02.18 16:02

OUR HOUSE von Yui Kiyohara (Berlinale 2018)

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Ein zwölfjähriges Mädchen lebt mit ihrer Mutter in einem kleinen Städtchen am Meer. Die beiden sind ein gut eingespieltes Team und haben sich in ihrem alten Holzhaus mit Papierwänden und Schiebetüren gemütlich eingerichtet. Als die Mutter ankündigt, wieder heiraten zu wollen, kommen Spannungen auf. Eine junge Frau wacht verwirrt an Bord einer Fähre auf – sie weiß nicht, wer sie ist und woher sie kommt. Eine andere junge Frau nimmt sich ihrer an, führt sie zu sich nach Hause – und es ist dieselbe Wohnung, in der auch die Mutter mit ihrer Tochter lebt. Von nun an werden beiden Geschichten parallel erzählt.

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ONDES DE CHOC – JOURNAL DE MA TÊTE von Ursula Maier (Berlinale 2018)

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Ein Teenager erschießt aus dem Nichts heraus seine Eltern und stellt sich dann der Polizei. Zuvor hat er seine Tat minutiös geplant und ein umfangreiches Tagebuch der letzten Woche vor dem Mord geführt. Dieses lässt er seiner Lehrerin per Post zukommen. Ursula Maier hat ONDES DE CHOC, „Schockwellen“, für das Schweizer Fernsehen gedreht – als einen von vier Filmen über reale Verbrechen. Dabei macht sie alles richtig: Vieles wird hier nicht erklärt, vieles nicht gezeigt.

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TWARZ von Małgorzata Szumowska (Berlinale 2018)

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Vor drei Jahren gewann die polnische Regisseurin Małgorzata Szumowska für BODY den Silbernen Bären für die Beste Regie. Mit TWARZ ist sie in diesem Jahr wieder im Wettbewerb vertreten und liefert eine böse Farce auf die bigotte polnische Gesellschaft ab. Jacek, ein junger Dorfrebell, der seine langen Haare, seine Verlobte und Heavy Metal liebt, ist nach einem Unfall so entstellt, dass er eine Gesichtsplantage benötigt. Von da an wenden sich alle von ihm ab – die Freundin, die Bekannten, sogar die eigene Mutter. Die Medien vermarkten Jaceks Schicksal, auch die Dorfgemeinschaft scheint zunächst helfen zu wollen, aber das Interesse ist nicht von Dauer. In grotesk überzeichneten Szenen wird die Verlogenheit und Eiseskälte dieser erzkatholischen Gemeinde gezeigt, die zwar stolz auf ihre aus Spenden finanzierte monumentale Jesus-Statue sind – auf deren Baustelle Jacek verunglückt ist –, aber nicht einmal das bisschen Geld aufbringt, um die Familie bei den medizinischen Kosten zu unterstützen. Letztlich macht die Regisseurin aber viel zu wenig aus ihrem Stoff. Dem Film geht irgendwann die Puste aus. Da haben wir in der Tat schon Besseres und Packenderes von ihr gesehen.

Foto: © Bartosz Mronzowski

22.02.18 21:56

MUSEO von Alonso Ruizpalacios (Berlinale 2018)

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Wenn man in der Familie nur „Zwerg“ genannt wird und wenn die Eltern und Geschwister einen auch sonst nicht ganz für voll nehmen, ist es naheliegend, irgendwann einen richtigen Knaller landen zu wollen. Um – vor allem sich selbst – zu beweisen, dass man kein totaler Loser ist. Juan hat genau dieses Problem. Und er hat ein richtig großes Ding vor: den Maya-Saal des Nationalmuseums für Anthropologie in Mexiko-Stadt auszuräumen.

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Der Sohn des Rabbis im japanischen Fischerdorf

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Berlinale, Tag drei. In der S-Bahn auf dem Weg zum Festivalgelände klage ich meinem Berlinale-Freund mein Leid: zu viele Filme, zu wenig Zeit! In ungebremstem Redefluss zähle ich die cineastischen Preziosen auf, die ich eigentlich alle an dem Tag anschauen möchte. Gemeinerweise überschneiden sich die Vorführzeiten. Wie soll man sich entscheiden zwischen einem Wettbewerbsfilm mit Hunden, einem Stummfilm aus den 1920er Jahren, in dem der Sohn des Rabbi einer Schauspielerkarriere wegen aus dem Schtetl flieht, einer Schwarzweiß-Doku über ein abgelegenes japanisches Fischerdorf, und der Geschichte einer aufmüpfigen Abitur-Klasse, die sich 1956 in der DDR mit dem Ungarnaufstand solidarisiert…? Ach herrje! Ich hole tief Luft, seufze, schaue meinen Berlinale-Freund an, der mir doch bitteschön aus diesem Dilemma heraushelfen möge.

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Berlinale goes Kiez (Berlinale 2018)

Hier wird der Rote Teppich noch selbst verlegt

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Wenn der Kiezbewohner nicht zur Berlinale kommt, dann geht die Berlinale eben zum Kiezbewohner. Nach diesem Motto ist das schöne Programm „Berlinale goes Kiez“ entstanden. Die Idee: An sieben Abenden werden in sieben ausgewählten Kiezkinos Filme aus dem Berlinale-Programm gezeigt – und zwar queerbeet durch die Sektionen. Ein kleines mobiles Team bewaffnet mit mobilen Scannern, professioneller Beleuchtung, einem Stück Roten Teppich, jeder Menge Plakaten, guter Laune und Energie zieht von Kino zu Kino, von Kiez zu Kiez, um einen Hauch von Berlinale nach Kleinmachnow, Neukölln oder Adlershof zu bringen. Im Filmkunst 66 wurde der (Einweg-)Teppich in Berlinale-Rot übrigens zwei Stunden vor Beginn der Vorstellung von Team und Kinobetreiber eigenhändig und gemeinsam verlegt. Vor neugierigem Publikum selbstverständlich.

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MEIN BRUDER HEISST ROBERT UND IST EIN IDIOT von Philip Gröning (Berlinale 2018)

Das große Labern, oder: Die Zwei von der Tankstelle

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Ein Wochenende im Sommer. Süddeutsche Provinz. Felder, Wiesen, eine Landstraße. Mitten im Nichts eine Tankstelle. Elena, blond und zierlich, hat am Montag Abiturprüfung in Philosophie. Robert, groß und schlaksig, ist ihr Zwillingsbruder. Er soll ihr beim Lernen helfen. Die Hitze flimmert, die Insekten zirpen, die Geschwister stapfen durch die Wiese und lassen sich mit Sicht auf die Tankstelle nieder. In gedrechselten Sätzen werden Zitate und Gedanken von Heidegger, Plato, Nietzsche und den anderen Jungs aus der Band wie Ping Pong Bälle hin- und hergespielt. Sie fragt. Er erklärt. Zum Beispiel die Gegenwärtigkeit von Zeit anhand einer zerbrochenen Bierflasche. Das hat bisweilen etwas von Philosophie für Erstsemester. Recht ambitioniert und letztlich zu gewollt, um charmant zu sein. Ergänzt werden diese Lehrstunden immer wieder durch kleine Machtspielchen, in denen die Geschwister diverse Zickigkeiten und Spannungen miteinander aushandeln. Das wird so harmlos nicht bleiben.

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20.02.18 23:29

DON’T WORRY, HE WON’T GET FAR ON FOOT (Berlinale 2018)

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John Callahan ist ein ziemlich bekannter Cartoonist. Er war für seinen schwarzen Humor bekannt und saß außerdem im Rollstuhl. John Callahan ist seit acht Jahren tot. Und nun hat Gus Van Sant einen Film über John Callahan gedreht. Gus Van Sant hat früher viele tolle Filme gedreht. In denen kamen oft ganz schräge, kaputte Typen vor. Die Filme waren schwierig anzuschauen, aber toll. Der neue Film ist nicht so toll. Weil er eine ziemlich schräge Geschichte in einen ganz braven Rahmen mit Happy End presst. Damit alle sich über das Ergebnis freuen können. Das passt irgendwie nicht. Außerdem hat Joaquin Phoenix, der John Callahan spielt, eine ganz komische, karottenfarbige Perücke auf. Die ist hässlich und sieht außerdem falsch aus. Und er ist mindestens 20 Jahre zu alt für die Rolle.

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Ooh, aah, ooh – OPIUM! (Berlinale 2018)

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Die Gefahr lauert überall. Zunächst natürlich im Weibe. Aber gerne auch in fernen, exotischen Ländern. Die Menschen dort haben nämlich ein böses Gift erfunden, das brave europäische Ärzte und Familienväter ruckzuck zu sabbernden Schatten ihrer selbst macht: das Opium. Wenn dann noch ein rachsüchtiger Chinese ins Spiel kommt, sollte man um das Glück der Menschheit bangen. So in etwa lässt sich die Quintessenz von Robert Reinerts Stummfilm OPIUM aus dem Jahr 1919 in ein paar Sätzen zusammenfassen. Doch nicht allein diese bemerkenswerte Verdrehung historischer Tatsachen, was das Opium und seine Verbreitung angeht, macht diesen Film für uns heute so spannend. OPIUM befremdet uns gleich in mehrfacher Hinsicht. So ist es absolut erhellend zu sehen, wie völlig selbstverständlich hier offen rassistische, stereotype Darstellungen des hinterlistigen Chinesen oder des treuen indischen Dieners auf die Leinwand gebracht wurden. Zudem wird hier die große Theatralik der Stummfilm-Ära nach allen Regeln der Kunst ausgespielt – große Gesten der Verzweiflung (einfacher Diadem-Griff, doppelter Diadem-Griff), hinterlistig gerollte Augen, vor Sehnsucht der Liebsten entgegengestreckte Arme. Wenn man sich darauf einlässt, hat das durchaus etwas für sich. Für das heutige Publikum ist das alles natürlich in erster Linie ein ernst zu nehmender Angriff auf das Zwerchfell.

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Presseticket-Counter, 7:30 Uhr (Berlinale 2018)

Malle ist überall

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Wir alle haben das Bedürfnis, uns einen möglichst guten Platz im Leben zu sichern. Auf Mallorca und anderswo geschieht das mit Handtüchern, die schon vor dem Frühstück strategisch geschickt am Hotelpool platziert werden. Auf der Berlinale treibt diese Revier-Markierungs-Manie ihre ganz eigenen Blüten. Eine halbe Stunde vor Öffnung des Presseticket-Schalters liegen dort schön einsam, aber Autorität gebietend, drei Rucksäcke und diverse Jacken in der Schlange. Ihre Besitzer sind beim Kaffeetrinken um die Ecke. Filmjournalisten sind eben auch nur Spießer.

19.02.18 9:23

DER HIMMEL AUF ERDEN von Reinhold Schünzel und Alfred Schirokauer

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Wenn ausgerechnet der frisch gebackene Präsident des Berliner Sittlichkeitsvereins ein verrufenes Nachtlokal erbt, dann geht es hoch her! Dem Abgeordneten Bellmann passiert just an seinem Hochzeitstag genau dies. In Reinhold Schünzels und Alfred Schirokauers wunderbarer Stummfilm-Komödie DER HIMMEL AUF ERDEN (1927) zeigt das Weimarer Kino auf der Berlinale Screwball-Kunst in höchster Qualität. Bei all den Irrungen und Verwirrungen bleibt kein Auge trocken. Der überschäumende Witz und die unbändige Energie dieses Films, seine feine Situationskomik und großartige Figurenzeichnung, der Sinn fürs perfekte Timing und viele herrlich verrückte Regie-Einfälle machen DER HIMMEL AUF ERDEN zu einem echten Genuss. Schünzel, der sowohl im Filmgeschäft als auch auf der Bühne versiert war, spielt dabei die Hauptrolle gleich selbst. Und zeigt, Jahrzehnte vor Billy Wilder, wie man eine falsche Fummeltrine effektiv in einer Komödie einsetzt.

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18.02.18 17:09

EVA von Benoit Jacquot (Berlinale 2018)

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Callboy mit hungrigem Blick bekommt durch eine (zumindest für ihn) günstige Fügung, die eine Badewanne involviert, das Leben eines talentierten Stückeschreiber geschenkt. Doch das angenehme Dasein im falschen ist nicht ohne Tücke. Die Pariser Theaterszene dürstet es nach einem zweiten Stück. Durch einen weiteren Zufall trifft der junge Mann auf die Edelprostituierte Eva, die ihn gleich mal k.o. schlägt. Von da an ist der junge Mann entflammt und will, dass Eva sich in ihn verliebt. Aus ihrer Begegnung will er Inspiration für sein neues Stück ziehen. Und vor allem: Er will sie, die der Welt ebenfalls mit einer Maske gegenübertritt, kontrollieren.

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LA PRIÈRE von Cédric Kahn (Berlinale 2018)

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Der 22-jährige Thomas kommt zum Heroin-Entzug in die französischen Alpen. Hier kümmert sich eine katholische Gemeinschaft darum, jungen Menschen einen Weg zurück ins drogenfreie Leben zu ermöglichen: Mit harter Arbeit, Demut und einem starken Zusammengehörigkeitsgefühl, mit Glauben, Liebe und Gebeten. Regisseur Cédric Kahn folgt dem jungen Mann ein gutes Jahr auf seinem Weg – es werden so ziemlich alle prototypischen Stationen eines glaubensbasierten Entzugs durchgespielt: von anfänglichem zornigen Schweigen, über Täuschung und offene Rebellion, Eingewöhnung und Rückfall, bis hin zum Erweckungserlebnis und eigenständiger Entscheidung. Dabei enthält sich der Film weitgehend jeglichen Kommentars. Kritik an der Sinnhaftigkeit eines solchen Entzugs wird nur indirekt deutlich. Wir als Zuschauer müssen uns unser eigenes Urteil bilden.

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DOVLATOV von Alexey German Jr. (Berlinale 2018)

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Sowjetunion, bleierne Zeit, 1971. Leonid Breschnew ist, wenn er nicht gerade einen Auftritt in den absurden Träumen des Schriftstellers Sergei Dovlatov hat, damit beschäftigt, den Hauch von Frühlingsluft zu verscheuchen, der sich in den Jahren zuvor bemerkbar gemacht hat. Darunter leiden besonders jene Freigeister – Schriftsteller, Maler und Dichter gleichermaßen –, die „echte“ Künstler sein wollen und nicht Handlanger der Staatspropaganda. Wer feinsinnige Gedichte schreibt wie Joseph Brodsky oder ironische Geschichten wie Dovlatov, der hat schlechte Karten, überhaupt publiziert zu werden. Gefragt sind stattdessen Loblieder auf die Steigerung der Kohleproduktion. Das verschneite, graue Leningrad bereitet sich im November 1971 auf die großen Staatsfeierlichkeiten zu Ehren der Revolution vor. Zugleich diskutiert ein Grüppchen Dissidenten in einem fort die Frage: Wie kann ich in diesem System sein, der ich sein möchte – oder muss ich dafür fortgehen?

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MORGEN BEGINNT DAS LEBEN von Werner Hochbaum (Berlinale 2018)

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Was für ein Wunder es doch eigentlich ist, wenn uns Kinogeschichten und Filmfiguren zutiefst berühren, obwohl sie aus einer anderen Epoche zu uns sprechen! In Werner Hochbaums MORGEN BEGINNT DAS LEBEN aus dem Jahr 1933 ist es das Schicksal eines jungen Geigers, der nach fünf Jahren Gefängnis wieder freikommt und um die Liebe seiner Frau bangen muss. Der Mann irrt durch Berlin, seine Zerrissenheit spiegelt sich in Bildern und Tönen der lärmenden, bedrängenden, einsam machenden Großstadt wider, die eindeutig am Expressionismus geschult wurden. Der Konflikt der Protagonisten wird mit den filmischen Mitteln der Avantgarde zugespitzt und für die Zuschauer intensiv erlebbar gemacht. In einer anderen, sehr starken Szene vereinen sich die höhnischen Kommentare der Nachbarn zu einem fanatischen Chor der Gehässigkeit – verzerrte Fratzen, geflüstertes Gift, anklagend zeigende Finger verdichten sich zu einer alptraumartigen Sequenz.

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17.02.18 10:00

THE HAPPY PRINCE von Rupert Everett (Berlinale 2018)

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In seinen letzten Lebensjahren war der große, der geistreiche, der vor Esprit sprühende Oscar Wilde nur noch ein Schatten seiner selbst. Der Schriftsteller war 1895 wegen homosexueller „Unzucht“ zu zwei Jahren Zuchthaus mit harter Zwangsarbeit verurteilt worden. Danach war er ruiniert: körperlich, finanziell, gesellschaftlich und seelisch. Sich als Regisseur auf diese letzten Jahre zu konzentrieren, die Wilde unter falschem Namen im französischen und italienischen Exil verbrachte, erfordert Mut. Was Wilde-Fans so sehr an Wilde lieben, ist hier nur noch in Anklängen vorhanden. Die freche Leichtigkeit, die lässige Eleganz und die spitzen aber gut gelaunten Bonmots sind einem bitteren Sarkasmus gewichen. Der bislang vor allem als Schauspieler bekannte Rupert Everett hatte diesen Mut. Und nicht nur das: Er spielt bei seinem Debüt als Spielfilmregisseur auch gleich die Hauptrolle selbst. Man kann ihn dazu nur beglückwünschen. THE HAPPY PRINCE ist ein rundum gelungener, schonungsloser und ehrlicher Film über einen Menschen, der von der Verlogenheit der Gesellschaft und seinen eigenen Dämonen vernichtet wird.

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16.02.18 22:11

DAMSEL von David und Nathan Zellner (Berlinale 2018)

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Es hätte so schön sein können. Robert Pattinson als tollpatschiges Greenhorn, das seine Verlobte aus den Fängen eines bösen Entführers befreien will und dafür einen falschen Priester anheuert. Und dann ist plötzlich alles ganz anders als gedacht. Versprochen wurde uns eine rasante Western-Parodie. Geliefert wurde eine peinliche Möchtegern-Satire. Die Witze zünden nicht. Die Slapsticks sind bemüht. Der Ton schwankt ständig zwischen schwarzhumorig und dann doch wieder irgendwie ernst gemeint. Zum Verzweifeln. Und zwar lange 113 Minuten lang.

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STORKOW KALIFORNIA von Kolja Malik (Berlinale 2018)

Pandabär flieht vor Mutti

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Das Storkow in Kolja Maliks STORKOW KALIFORNIA bedient alles andere als das erwartbare Bild von Brandenburg. Vielmehr scheint man in diesem Beitrag zur „Perspektive Deutsches Kino“ Hals über Kopf in einem Andy Warhol Film aus den wilden 1970er Jahren gelandet zu sein: Harte Drogen, gieriger Sex, grellbunte Lichter und eine recht vernebelte Sicht auf das Leben finden hier zu einem Roadmovie der besonderen Art zusammen. Ein junger Mann, optisch eine Art Kreuzung aus Kurt Cobain und Pandabär (Augenringe), verbringt seine berauschten Nächte in trostlosen Raststätten-Kneipen bei Storkow, wünscht sich aber verständlicherweise nach Kalifornien. Im Schlepptau hat er eine verlebte ältere Frau, in der man zunächst seine Geliebte vermutet. Aber es ist seine Mutti.

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DAS ALTE GESETZ von Ewald André Dupont (Berlinale 2018)

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Eine echte Preziose zeigt die Berlinale in ihrer Reihe Berlinale Classics mit dem 1923 entstandenen Stummfilm DAS ALTE GESETZ von Ewald André Dupont. In dieser Emanzipationsgeschichte verlässt der Sohn eines Rabbiners sein galizisches Schtetl und damit auch die kulturelle und religiöse Heimat, um sich seinen Lebenstraum zu erfüllen: Er will Schauspieler in Wien werden. Die Geschichte ist in der Mitte des 19. Jahrhunderts angesiedelt und muss vor dem Hintergrund der Migrationsbewegung vieler Ostjuden nach Westen in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg gesehen werden – und dem damit verbundenen Erstarken des Antisemitismus. Historisch prallten damals zwei Welten aufeinander – Tradition und Moderne. Und genau diesen cultural clash verhandelt auch Duponts Film, wenngleich vor einer weiter zurückliegenden historischen Folie.

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Die Taschen sind da – Bearology part two

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Die Taschen, die Taschen! Seien wir ehrlich: Es ist jedes Jahr eine große Aufregung darum, nur geringfügig weniger hysterisch als die heißen Diskussionen um das Wettbewerbsprogramm. Hier werden die wirklich großen Fragen gestellt: Welche Mode-Farbe haben die Festivaltaschen in diesem Jahr? Sind es überhaupt Taschen oder leider wieder nur Beutel? Passen alle Programmhefte plus Festivalverpflegung inklusive 2-Literflasche Cola und mein Laptop rein? Und: Sie werden doch wohl nicht wieder so stinken wie diese rosaweißen Ungeheuer aus dem Jahr wannwardasnochmal?

In diesem Jahr kann man sich über die Taschen wirklich freuen. In eleganter Linie streckt darauf der Berlinale Bär seine Tatzen aus, ansonsten sind sie im Design angenehm zurückhaltend. Modebewusste Cineasten oder solche mit Rückenproblemen tragen das Teil als Rucksack, die anderen können gerne auf die Henkel-Variante zurückgreifen. Das Beste: Wir haben die Wahl – Knallrot oder Elegant-Grau sind im Angebot. Viel Spaß damit!

15.02.18 20:00

ISLE OF DOGS von Wes Anderson (Berlinale 2018)

Warum der Hund das Stöckchen holt

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Der Hund ist des Menschen bester Freund. Doch was passiert, wenn der Mensch des Hundes ärgster Feind wird? In Wes Andersons Berlinale-Eröffnungsfilm ISLE OF DOGS wird dieses Gedankenspiel zur schwarzhumorigen Gesellschaftsparabel. Kurzfassung: Ein kleiner Junge will seinen Hund aus der Verbannung retten und zettelt damit eine Revolte an. Bereits zum zweiten Mal seit FANTASTIC MR. FOX lässt Anderson dabei die Puppen tanzen. Mit der äußerst aufwändigen, aber in ihrem Effekt unglaublich bezaubernden Stop-Motion-Technik erweckt er hier erneut eine liebevoll inszenierte, detailreiche Welt zum Leben. Der Grundton des Films ist verspielt, aber er ist durchzogen von düsteren Anklängen an Totalitarismus, Faschismus und Genozid. Dabei wartet Anderson, wie zu erwarten war, mit seinen Markenzeichen auf: Fantastische Regie-Einfälle, wunderbar intelligente Dialoge, skurrile Figuren und Situationen und das sichere Gespür für schräge Komik.

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RÅ von Sophia Bösch (Berlinale 2018)

Muttermilch und Blut

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Sie hat sich ihr Gewehr selbst ausgesucht. Nun wird Linn, 16 Jahre alt, definitiv kein Girlie und auf angenehme, ruhige Weise sehr selbstbewusst, in den tiefen Wäldern Nordschwedens ihren ersten Elch schießen. Begleitet wird sie dabei von ihrem Vater und seinen Jagdfreunden. Die Regisseurin Sophia Bösch inszeniert den Eintritt des jungen Mädchens in diese eingeschworene Männergemeinschaft als eine Art Initiation – die bald aus dem Ruder läuft.

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22.12.17 14:41

Der Bär ist mal wieder los - Bearology part one

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Im dritten Jahr in Folge tapst ein Bär durch die Berlinale-Plakate. Der Plakat-Bär ist äußerst beliebt (siehe Tiere, siehe coole Hauptstadt), deshalb Motto: Never change a winning bear. Diesmal: in metallicfarbener SciFi-Optik. 2016 debüttierte er als Existenzialisten-Bär. Ganz wunderbar melancholisch und fremd stromerte er durch nachtleere Stadtlandschaften; Wong kar-wei ließ auch schön grüßen.

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2017 wurde er dann schon dreister, erlaubte sich als kesser Problem-Bär den einen oder anderen augenzwinkernden Scherz, schmiegte sich etwa eindeutig zweideutig an eine U-Bahnsäule und fuhr Paternoster.

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Nun ist er endgültig zum Star geworden. Glänzend, spacig, abgehoben, turnt er auf der Weltzeituhr und macht den Rössern vom Quadriga-Gespann die Ansage, dass er den Karren eigentlich auch ganz gut alleine ziehen könnte. Als Star-Bär klappert er denn auch alle erwartbaren Sehenswürdigkeiten von Big B brav ab - da war der an den Unorten der Stadt unterwegs seiende, einsame Alain-Delon-Albert-Camus- und-die-anderen-Jungs-in-der-Band-Bär irgendwie schon cooler.

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Doch 2018 kann auch lustig: Der Star-Bär im Whirlpool sieht aus wie ein Frosch im Kochtopf, der nicht merkt, dass das Wasser langsam zu sieden beginnt und es höchste Zeit wäre, die Bärentatzen unter die Arme zu nehmen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

In diesem Sinne: Bon appétit!

18.02.17 18:00

Welches Bärlein hättens denn gerne...?

Bärentipps? Bärentipps!

Geraune, Geflüster, wahlweise ratloses Schulterzucken...es ist nicht leicht, einen Tipp für die Verleihung der Berlinale-Bären abzugeben...in diesem Jahr, wie ich finde, ist es ganz besonders schwierig, Aber, nun gut, mutig voran:

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17.02.17 19:30

ANA, MON AMOUR von Călin Peter Netzer (Berlinale 2017)

Beziehung auf der Analyse-Couch

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Eine große Liebe. Eine psychische Krankheit, die diese Liebe von Anfang an definiert. Eine Weiterentwicklung. Ein Scheitern. Der rumänische Regisseur Călin Peter Netzer seziert in ANA, MON AMOUR diese Liebe mit einem sehr klaren, sehr nahen und wohltuend nicht-wertenden Blick auf die beiden Hauptfiguren. Er zeigt – in drei verschiedenen, filmisch miteinander verwobenen Zeitebenen – wie das Paar gegen diverse Widrigkeiten kämpft, wie sich die Rollen innerhalb der Beziehung über die Jahre ändern, und wie ihnen diese Liebe dann letztlich doch abhanden kommt. ANA, MON AMOUR ist ein eindringliches, sehr gelungenes Psychogramm einer Liebe unter schwierigen Vorzeichen. Und Netzer ein talentierter Analytiker.

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HAO JI LE (einen schönen Tag noch) von Liu Jian (Berlinale 2017)

Kein Platz für Träumer

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Eine Tasche voller Geld und eine Handvoll Menschen, die hinter diesem Geld her sind. Die Stimmung: düster, mit Einsprengseln von schwarzem Humor. Das Setting: eine kleine Stadt im Süden Chinas, Gegenwart. Die Umsetzung: hochstilisiert-reduzierte Animation. Liu Jian hat mit seinem zweiten animierten Langfilm HAO JI Le einen klassischen Film Noir vorgelegt – und zugleich einen schonungslosen Kommentar auf die Gier nach Geld in ihrer besonderen Ausprägung im heutigen China. Gangsterboss, Gelegenheitsdieb, Garküchenbesitzerin oder Profikiller: all diese Figuren sind von einer existentiellen Leere getrieben, die sich anscheinend nur durch sehr, sehr viele Banknoten mit Maos Konterfei darauf füllen lässt.

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16.02.17 11:58

Husten, Schnupfen, Heiterkeit

Power-Kur gegen Berlinale-Schniefen

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Man hätte es ähnen können. Stunden-, ja tagelang neben hustenden, schniefenden, sich dauerräuspernden Journalisten im Kinosaal eingesperrt - da musste ja irgendwann ein kleiner, vorwitziger Erkältungskeim von einem Kinosessel auf den anderen herüberhüpfen. Das Resultat: Halsweh, Husten, Schnupfen. An sich kein Drama, aber gerade etwas ungelegen. Weil: Noch nicht alle Filme gesehen, die man sehen wollte. Das Gegenmittel? Sämtliche verfügbaren Hausmittelchen plus eine Extra-Ration Schlaf plus ganz viel Optimismus. Power-Kuring sozusagen. Das Experiment läuft noch. Die Nase auch.

15.02.17 20:07

COLO von Teresa Villaverde (Berlinale 2017)

Sprachlos in Portugal

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Mutter, Vater, Tochter. Wirtschaftskrise. Arbeitslosigkeit. Sprachlosigkeit. Entfremdung. Das sind die Zutaten von Teresa Villaverdes COLO. Ein unglaublich deprimierender Film. Nicht unbedingt, weil das Thema so traurig ist, was es zugebenermaßen ist (der Portugiese in der Krise). Sondern, weil der Film damit in einer deprimierend uninspirierten und uninspirierenden Weise umgeht. 138 quälend lange Minuten schaut man einer Familie dabei zu, wie sie schleichend auseinanderdriftet. Die gemeinsame Wohnung, die eigentlich ein Hort der Geborgenheit sein sollte, wird zum Gefängnis, dem man nur noch entfliehen kann. Man selbst wünscht sich, dem Kinosaal ebenfalls entfliehen zu können. Das tut man aber nicht, weil man geschätzte 120 Minuten lang darauf hofft, dass der Film doch noch eine interessante Richtung einschlägt. Allein: es wird nichts damit.

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FÉLICITÉ von Alain Gomis (Berlinale 2017)

Starke Frau, harte Welt

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Was von diesem Film definitiv bleiben wird, ist das Gesicht von Félicité. Beziehungsweise die beiden Gesichter dieser Frau: das eine leer, desillusioniert, die Augen unglaublich hart. Das andere offen, fröhlich, voller Kraft und Leben. In Alain Gomis FÉLICITÉ kommen wir das zweite, das lebensbejahende Gesicht nur zu sehen, wenn Félicité singt. In einer Spelunke in Kinshasa ist sie mit ihrer rauen, kraftvollen Stimme und den mitreißenden Rhythmen die Königin der Nacht. Tagsüber kämpft sie ganz banal ums Überleben in einer knallharten Gesellschaft, die ihr nichts schenkt, und sonst auch keinem.

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Vor dem Film (Berlinale 2017)

Ich bin nicht kreativ, das ist nur Notwehr

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Erst steht man mit anderen Journis ewig lange in der Schlange, um im Berlinale-Palast einen guten Platz zu ergattern, und dann sitzt man in den - zugegebenermaßen sehr weichen, sehr bequemen - Sitzen endlos lange rum, bevor der Film endlich anfängt. Um dabei nicht einzuschlafen (siehe sehr weiche, sehr bequeme Sitze plus festivalbedingter kumulativer Schlafmangel), wird man aus Notwehr kreativ. Opfer dieser fotografischen Kurzzeit-Ambitionen wurde mein lieber Kinofreund Magdi. Er hat aber auch den schönsten Ohrring von allen!

p.s. Dass ich nicht wirklich kreativ bin, sieht man schon an der Überschrift (Danke, lieber Funny van Dannen!)

14.02.17 19:16

Sondereinlage für die Journalisten (Berlinale 2017)

Finnischer Tango auf der Pressekonferenz

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Und gerade, wenn man denkt, man hat schon alles gesehen und gehört, stellt sich Sakari Kuosmanen, finnischer Schauspieler und Hauptdarsteller in Aki Kaurismäkis Wettbewerbsbeitrag TOIVON TUOLLA PUOLEN (Die andere Seite der Hoffnung) mitten in der Pressekonferenz hin und schmettert einen Tango. Minutenlang! Einen finnischen Tango!! Und hey, Herr Kuosmanen singt richtig gut! Um die versammelten Journis, ohnehin schon ganz verliebt in den Film, war es dann komplett geschehen...

13.02.17 22:30

MR. LONG von Sabu (Berlinale 2017)

Messer sind nicht nur zum Töten da

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Mr. Long kann extrem gut mit dem Messer umgehen. Zunächst demonstriert der Profikiller diese Fähigkeit anhand von mehreren durchgeschnittenen Kehlen und aufgeschlitzten Bäuchen. Später benutzt er dann das selbe Werkzeug, um Gemüse und Fleisch für äußerst schmackhafte Gerichte zu schneiden. Dazwischen liegt eine Reise von Taiwan nach Tokyo und eine Lebensentscheidung. Der japanische Regisseur Sabu stellt in MR. LONG die Frage, ob es jemals zu spät ist für ein anderes Leben.

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THE PARTY von Sally Potter (Berlinale 2017)

Ein paar Wahrheiten zuviel für einen gepflegten Abend

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Wie viel Wahrheit über sich verträgt ein über Jahrzehnte eingespielter Freundeskreis? Janet, eine ehrgeizige Londoner Politikerin, ist als Ministerin ins Schattenkabinett des linken Premierminister-Kandidaten berufen worden. Diesen Erfolg will sie nun mit ihrem Mann Bill und den engsten gemeinsamen Freunden feiern. Allerdings verläuft die Party dann ganz anders als gedacht. Sally Potter, britische Regisseurin mit Lust am Experimentieren, schickt in ihrem cineastischen Kammerspiel THE PARTY ein Starensemble des britischen Kinos durch das Fegefeuer unbequemer Enthüllungen – in 71 fulminanten Minuten wird alles, was wir am Anfang über diese Leute zu wissen glaubten, auf den Kopf gestellt. Intelligente, wie aus der Pistole geschossene Dialoge, viel Humor und noch mehr Sarkasmus, schauspielerische Glanzleistungen an der Grenze zur Satire und prägnante Schwarzweiß-Bilder geben dieser bitterbösen Komödie einen ganz besonderen Drive, dem man sich kaum entziehen kann (und will).

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12.02.17 22:30

UNA MUJER FANTASTICA (a fantastic woman) von Sebastián Lelio (Berlinale 2017)

Eine Frau mit Gegenwind

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Eine Frau muss darum kämpfen, um ihren toten Geliebten trauern zu dürfen. Warum? Weil Marina nicht als Frau geboren wurde und von der Familie Orlandos, des Mannes, mit dem sie ihr Leben geteilt hat, als Monster und Bedrohung, als „Chimäre“ angesehen wird. Der chilenisch-argentinische Regisseur Sebastián Lelio schafft mit UNA MUJER FANTASTICA das Kunststück, diese komplexe Geschichte um Identität und Verletzlichkeit, ja um die menschliche Würde, so zu erzählen, dass man gar nicht anders kann, als die beharrliche Forderung Marinas, die zu sein, die sie ist, rückhaltlos zu bewundern. Dabei nutzt Lelio die filmischen Mittel des Erzählens virtuos und gekonnt. Um Marina als Figur lebendig werden zu lassen, findet er starke Bilder, die noch lange im Gedächtnis bleiben.

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POKOT (Spoor) von Agnieszka Holland (Berlinale 2017)

Gute Tiere, böse Jäger

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Wer Tiere tötet, ist ein Mörder. Das ist das klare und kompromisslose Credo von Duszejko. Die pensionierte Ingenieurin und passionierte Astrologin lebt in einem abgelegenen Bergdorf an der polnisch-tschechische Grenze. Die eingesessene Jäger-Gemeinschaft im Dorf sieht die Frau natürlich als Spinnerin an. Bis dann mehrere dieser Männer unter mysteriösen Umständen ums Leben kommen. In der Nähe der Tatorte finden sich stets Tierfährten. Befinden die Hirsche, Wildschweine und Rehe auf einem Rachefeldzug gegen ihre Peiniger? Agnieszka Holland inszeniert mit POKOT einen anarchischen Genremix aus Detektivstory, Gesinnungsfilm und Satire – was ihr aber nicht wirklich überzeugend gelingt.

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WILDE MAUS von Josef Hader (Berlinale 2017)

Mann dreht durch

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Für Georg Endl läuft es gerade gar nicht gut. Der gleichsam geachtete wie gefürchtete Musikkritiker einer Wiener Tageszeitung wird von einem Tag auf den anderen vor die Tür gesetzt. Dass jetzt kein einziger Redakteur mehr eine Oper von einem Singspiel unterscheiden kann, ist dabei egal. Der aalglatte Chefredakteur, der die Sparmaßnahme vollzogen hat, steht von nun an ganz oben auf Georgs Hassskala. Sein Tunnelblick hat nurmehr ein Ziel: Rache. Georgs Frau Johanna, Psychologin mit leicht erhöhtem Rotweinverbrauch, erfährt von all dem nichts; ihr Fokus liegt auf dem Last-Minute-Kinderkriegen. Josef Hader, österreichischer Kabarettist, Autor und Schriftsteller, hat mit seinem Regiedebut WILDE MAUS eine rasante und bitterböse Tragikomödie über die Angst vor dem sozialen Abstieg vorgelegt. Drehbuch und Hauptrolle hat er gleich mit übernommen. Das Ergebnis ist phänomenal: Plot und Timing, Dialoge und Bilder, Schauspieler und Regie – hier stimmt einfach alles. Getragen wird der Film von einem abgründigen und intelligenten Humor, der Hader-Fans wohlbekannt ist.

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10.02.17 22:37

T2 TRAINSPOTTING von Danny Boyle (Berlinale 2017)

Sie sind zurück!

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Die 90er Jahre waren nicht für alle lustig. Vier Verlierer aus Edinburgh – Renton, Sick Boy, Spud und Begbie – haben uns das in Danny Boyles TRAINSPOTTING 1996 auf virtuose Weise vor Augen geführt. Die Nachwehen des Thatcherismus, soziale Tristesse im ehemaligen Edinburgher Hafenviertel Leith, Heroin, Aids, Kleinkriminalität und Gewalt – all das hat uns der Film trotzig und punkig, humorvoll und todtraurig, ins Gesicht geschleudert. Irvine Welshs Roman hatte durch die Filmversion eine kongeniale Umsetzung erfahren, und wir alle haben kapiert, dass der Working Class Dialekt aus Edinburgh einfach nicht zu verstehen ist. 20 Jahre später hat Boyle die Geschichte weitergesponnen. Die vier Hauptfiguren tragen ein paar Falten mehr im Gesicht, die wandelnde Aggro-Zeitbombe Begbie hat jetzt einen Schnauzer und ein paar Kilo zugelegt, aber die Grundkonstellation bleibt die gleiche. Von der Gentrifizierungswelle, so hören wir, haben nicht alle Edinburgher profitiert, auch in den 2010er Jahren müssen sich einige mehr als andere nach der Decke strecken – und da, wo eine Gelegenheit ist, ist auch Verrat.

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TESTRÖL ES LELEKRÖL (On Body and Soul) von Ildikó Enyedi (Berlinale 2017)

Von Hirschen, Blut und Liebe

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Wie schön, dass das Kino einen immer wieder überraschen kann: Plötzlich stehen da zwei Hirsche im verschneiten Wald. Ein männliches Tier mit mächtigem Geweih und eine etwas kleinere Hirschkuh. Sie beschnuppern sich, suchen gemeinsam nach Futter, laufen an einem Teich entlang und lauschen aufmerksam jedem Geräusch nach. Dass diese Tiere mehr sind als stimmungsvolle Deko, wird in Ildikó Enyedis zauberhaftem Film TESTRÖL ES LELEKRÖL erst nach einer guten Weile klar. Zunächst führt sie uns, mitten im Sommer, in die raue Wirklichkeit eines Schlachthauses in Budapest. Und genau dort, wo man es nicht unbedingt vermuten würde, zwischen Blutlachen und zerteilten Kuhkadavern, blüht ein zartes, scheues Pflänzchen der Liebe.

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I AM NOT YOUR NEGRO von Raoul Peck (Berlinale 2017)

James Baldwin, pointierte Stimme Amerikas

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„Die Weißen in diesem Land müssen versuchen, tief in ihrem Herzen herauszufinden, warum es überhaupt notwendig war, einen Nigger zu kreieren, denn ich bin kein Nigger, ich bin ein Mensch. Wenn Sie denken, dass ich ein Nigger bin, dann bedeutet das, dass Sie einen Nigger brauchen. Und Sie müssen sich die Frage stellen, warum das so ist.“ James Baldwin, als Essayist, Schriftsteller und intellektueller Gesellschaftskritiker eine der klügsten Stimmen Amerikas, formulierte diese prägnante Einsicht in den Rassismus der Vereinigten Staaten von Amerika in der 1960er Jahren – während der Zuspitzung der Auseinandersetzung um Rassentrennung, Rassismus und die daraus resultierende Gewalt. 1979 begann Baldwin einen Essay, in dem er eben diese Zeit und sein Verhältnis zu den Bürgerrechtlern Medgar Evers, Martin Luther King und zu Malcolm X, die alle in der 1960er Jahren ermordet wurden, rekapitulierte. Der Aufsatz wurde nie vollendet. Baldwin starb 1987 in Frankreich. Der haitianische Filmemacher Raoul Peck hat, unter dem Eindruck der frappierenden Aktualität des Themas, das textliche Fragment zu einem beeindruckenden filmischen Essay über Baldwin und den Kern des Rassismus „made in the USA“ verwoben.

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Gespräch mit Herrmann Zschoche, Regisseur EOLOMEA (Berlinale 2017)

Kein blasser Schimmer von technischen Details

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Herrmann Zschoche, 1934 in Dresden geboren, kam nach einem Studium an der Filmhochschule Babelsberg zur Defa. Bekannt wurde er durch seine Kinder- und Jugendfilme wie SIEBEN SOMMERSPROSSEN (1978). Nach der Wende übernahm er Regieaufgaben bei Fernsehserien wie dem „Tatort“. Mittlerweile widmet er sich ganz dem Schreiben. Zschoche lebt in Storkow (Oder- Spree). 1972 drehte Zschoche für die Defa den Sciencefiction EOLOMEA, der in diesem Jahr die Retrospektive eröffnet. Wir haben ihn zu den Dreharbeiten befragt.

Foto: Von Ernst Hirsch - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=18834381

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09.02.17 18:31

EOLOMEA von Herrmann Zschoche (Berlinale 2017)

Der lässige Charme der stillen Revolte

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Acht Raumschiffe verschwinden spurlos, der Funkkontakt zur Weltraumstation „Margot“ bricht plötzlich ab. So der Ausgangspunkt von Herrmann Zschoches Science-Fiction-Film EOLOMEA, 1972 von der Defa produziert und mit Unterstützung von Filmgesellschaften Bulgariens und der Sowjetunion hergestellt. Die Revolution spielt sich in diesem bemerkenswerten Film vor Augen der Regierung ab – und die bekommt davon nichts mit, bis die Sache so gut wie gelaufen ist. Auf der Berlinale eröffnet dieser DDR-SciFi die Retrospektive.

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19.02.16 20:14

Bärentipps 2016

Welchen Bären hätten's denn gerne?

Stimmige Bärentipps abzugeben finde ich in diesem Jahr ganz besonders schwer. Kaum ein Film hat mich - wie man so schön sagt - so richtig vom Hocker (oder Kinosessel) gerissen...trotzdem waren einige gute Sachen dabei. Also: Dann tippe ich mal auf...die Filme, denen ich gerne selbst die entsprechenden Bären geben wollen würde...

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Berlinale 2016: WIR SIND DIE FLUT von Sebastian Hilger

Schockstarre am Wattenmeer

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Vor 15 Jahren ist vor der Küste von Windholm das Meer verschwunden und mit ihm alle Kinder des Ortes. Zwei junge Physiker aus Berlin machen sich auf, das geheimnisvolle Phänomen zu untersuchen. Dabei werden sie mit ihrer eigenen Geschichte konfrontiert. WIR SIND DIE FLUT ist der Abschlussfilm von Sebastian Hilger an der Filmakademie Ludwigsburg; er wurde gemeinsam mit der Hochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolff (Potsdam) und unter Beteiligung des rbb realisiert. Hilger überzeugt mit einer Story, die Raum für offene Fragen lässt, und mit äußerst stimmungsvollen Bildern.

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17.02.16 21:51

Berlinale 2016: KOLLEKTIVET von Thomas Vinterberg

Lustig ist das Kommunenleben

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Wieviel Freiheit verträgt das Leben? Kann man Liebe teilen? Und ist das Ideal der "offenen Beziehung" nicht manchmal einfach nur gelebte Rücksichtslosigkeit und Egoismus? Thomas Vinterbergs geht diesen Fragen in seinem wunderbaren Wettbewerbsbeitrag KOLLEKTIVET auf manchmal leichte, manchmal schmerzhafte Weise nach. Ort der Versuchsanordung ist ein idyllisches großes Haus nördlich von Kopenhagen, in der eine bunt gemischte Gruppe von Freunden in den 70er Jahren das Kommunenleben übt. Dabei herausgekommen ist eine Art dänischer ICE STORM - vielleicht etwas weniger tragisch, aber nicht weniger eindringlich.

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Berlinale 2016: ZERO DAYS von Alex Gibney

Eine Waffe, von der keiner etwas wissen will

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Nach A-, B- und C-Waffen sieht sich die heutige Welt mit einer vierten Art von extrem gefährlicher Kriegstechnologie konfrontiert: dem Cyberwar. Über entsprechende Manipulationen digitaler Infrastrukturen können Netzwerke und Infrastrukturen lahmgelegt werden, von der Stromversorgung bis hin zu Systemen der Verkehrsregelung. 2010 entdeckten internationale Sicherheitsexperten den sich selbst replizierenden Computervirus Stuxnet. Er war offenkundig von den Regierungen der USA und Israels in die Welt gesetzt worden, um gezielt das iranische Atomprogramm anzugreifen. Doch der Virus infizierte auch "unbeteiligte" Rechner auf der ganzen Welt. Obwohl bis heute keine einzige offizielle Stelle zugibt, was geschehen ist, scheinen die Fakten klar zu sein. Der amerikanische Dokumentarfilmer Alex Gibney hat mit ZERO DAYS die Geschichte dieser Cyberattacke rekonstruiert und dabei hochkarätige Insider aus CIA, NSA, Mossad und IT-Spezialisten vor die Kamera geholt, die das Puzzle Stück für Stück zusammensetzen. Es wird klar: Wir haben hier ein Thema von internationalem Belang, über das wir dringend offen reden müssten.

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Berlinale 2016: CHI-RAQ von Spike Lee

No Peace, no Pussy!

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Statistiken gefällig? Zwischen 2001 und 2015 starben in der von Drogen und Gangs überschwemmten South Side von Chicago 7356 Menschen durch Waffengewalt - mehr als in den Irak-Einsätzen der US-Army in dieser Zeit. Spike Lee, seit Jahrzehnten an der politischen Front kämpfender afroamerikanischer Regisseur hat diesen "nationalen Notstand" zum Anlass genommen, um mit CHI-RAQ eine bissige Komödie zum Thema auf die Leinwand zu bringen. Was zunächst vielleicht unpassend scheint, funktioniert erstaunlich gut. Lee variiert hier das klassische Lysistrata-Thema und wendet es auf die Situation in der US-Hochburg des Mordens an, auf Chicago alias Chi-Raq. Dabei ist erstaunlicherweise ein höchst beschwingter, intelligenter und böse-witziger Film herausgekommen. Und eine schöne Utopie: Denn ob ein Sex-Streik tatsächlich die Lösung für dieses Dilemma sein könnte? Man würde es sich jedenfalls wünschen.

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16.02.16 19:07

Berlinale 2016: SOY NERO von Rafi Pitts

Ein bitterer Deal

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Nero ist 17 und lebt in Mexiko. Nichts wünscht er sich mehr, als wieder in die Vereinigten Staaten zu gelangen - er ist in L.A. aufgewachsen, aber seine Familie wurde vor einigen Jahren ausgewiesen. Der iranische Regisseur Rafi Pitts zeigt in SOY NERO die Odyssee des Jungen, die ihn über den berüchtigten Grenzzaun zwischen Mexiko und den USA, über L.A. und schließlich als sogenannter Greencard G.I. in die Wüste in irgendein Kriegsgebiet im Mittleren Osten führt. Es ist eine bittere Geschichte, die Pitts hier erzählt. Und genauso bitter ist die Realität, die dahinter steht: So manchem G.I., der nur wegen der Greencard in die Army eingetreten ist, wird erst posthum die amerikanische Staatsangehörigkeit verliehen. Andere wiederum werden nach ihrer Zeit in der Army nichtsdestotrotz abgeschoben.

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15.02.16 22:30

Berlinale 2016: CHANG JIANG TU (CROSSCURRENT) von Yang Chao

Der junge Mann und der Fluss

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Der junge Kapitän Gao Chun fährt auf seinem Frachtschiff den Jangtse von Schanghai aus aufwärts, um eine geheimnisvolle Ladung zu übergeben. Mit an Bord sind ein jüngerer und ein älterer Angestellter. Gao Chun, dessen Vater vor kurzem gestorben ist, hat auf dem Schiff die Gedichte eines Unbekannten gefunden, die jede Station auf dem Weg mit einem kurzen Poem würdigen. Während er sich in die Verse vertieft, zieht die Landschaft langsam draußen vorbei. Merkwürdigerweise trifft Gao Chun an jeder Station der Reise dieselbe Frau, die aber immer jünger zu werden scheint, je näher man der Quelle des Flusses kommt. Auch sie hat eine spirituelle Verbindung zu den Gedichten. CROSSCURRENTS von Yang Chao ist eine äußerst poetische Reise durch Raum und Zeit, Realität und Fantasie - die allerdings in knapp zwei Stunden dann doch etwas lang wird.

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Berlinale 2016: ALONE IN BERLIN (JEDER STIRBT FUER SICH ALLEIN) von Vincent Perez

Wundersame Wandlungen

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Hans Falladas Roman "Jeder stirbt für sich allein" ist ein Klassiker der deutschen Nachkriegsliteratur. Bereits 1947 erschienen, war die authentische Geschichte der Berliner Eheleute Quangel, die zwei Jahre lang Postkarten und Handzettel mit Anti-Hitler-Botschaften in Umlauf brachten, schließlich erwischt und 1943 hingerichtet wurden, eine der ersten Auseinandersetzungen mit dem Widerstand in Nazi-Deutschland. Nach Neuübersetzungen ins Französische und Englische erfuhr der Roman vor einigen Jahren eine neue Welle der Aufmerksamkeit. Nun hat ihn der Schweizer Vincent Perez mit einer Starbesetzung - Emma Thompson, Brendan Gleeson und Daniel Brühl - unter dem Titel ALONE IN BERLIN verfilmt. Leider hat der Film einige schwerwiegende Macken, das Ergebnis ist geradezu ärgerlich.

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14.02.16 22:30

Berlinale 2016: QUAND ON A 17 ANS (BEING 17) von André Téchiné

Coming of Age and Out

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Manchmal ist eine große Abneigung nur ein Zeichen für eine darunter liegende, verdrängte Anziehungskraft füreinander. Damien und Thomas, beide 17, gehen in die selbe Schulklasse und lassen keine Gelegenheit aus, einander an den Kragen zu gehen. Sie könnten auch unterschiedlicher nicht sein: Damien ist der freundliche, aber verträumte Sohn einer Landärztin und eines Militärfliegers, der gerade im Auslandseinsatz ist, während der verschlossene Thomas hoch oben in den Bergen bei seinen Adoptiveltern auf einem kleinen Bauernhof lebt. Altmeister André Téchiné lässt sich in QUAND ON A 17 ANS viel Zeit damit, den allmählichen Wandel in der Beziehung der beiden Jungen zu erzählen. Drei Trimester dauert die erzählte Zeit an - und in diesen Monaten schöpft das Leben aus dem Vollen, im Guten wie im Schlechten.

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Berlinale 2016: 24 WOCHEN (24 WEEKS) von Anne Zohra Berrached

Kein Richtig oder Falsch

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Astrid und Markus sind ein glückliches Paar. Sie ist eine erfolgreiche Kabarettistin, er managt sie. Zusammen mit der neunjährigen Tochter leben die beiden in einem schönen Haus im Grünen. Sie freuen sich sehr auf ihr zweites Kind. Da erfahren sie, dass das Baby mit Down-Syndrom auf die Welt kommen wird. Zunächst stellt sich das Paar dieser Herausforderung mit großem Optimismus - doch dann ergibt eine neurliche Untersuchung, dass das Kind zudem einen gravierenden Herzfehler hat und voraussichtlich eine langwierige und komplizierte medizinische Betreuung brauchen wird. Rechtlich gesehen kann eine solche Schwangerschaft auch noch im späten Stadium, also nach 24 Wochen, unterbrochen werden. Astrid und Markus durchleben einen schmerzhaften Prozess, um zu einer Entscheidung über die Zukunft ihres ungeborenen Kindes zu kommen.

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Berlinale 2016: CARTAS DE GUERRA (LETTERS FROM WAR) von Ivo M. Ferreira

Poetische Liebe in Zeiten des Krieges

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Der Militärarzt António wird 1971 in den Kolonialkrieg nach Angola geschickt. Zurück in Portugal bleibt seine schwangere Frau. António kann die Trennung von seiner Geliebten kaum ertragen und schreibt ihr unzählige Briefe aus der Ferne - schwärmerisch, voll von Liebeserklärungen und Sehnsucht, aber auch voller Niedergeschlagenheit ob der mörderischen Situation, in der er sich befindet. Hoch artifiziell hat Regisseur Ivo M. Ferreira die authentischen Briefe von António Lobo Antunes in Szene gesetzt. Über flirrende Schwarzweiss-Bilder sind im Voice-Over die Briefe zu hören - mal von ihm, mal von ihr gelesen. Die hierbei gewollte Poesie ist nicht jedermanns Sache.

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13.02.16 18:03

Berlinale 2016: FUOCOAMMARE (Fire at Sea) von Gianfranco Rosi

Tun, was getan werden muss

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Das Meer steht in Flammen - in Gianfranco Rosis Dokumentarfilm gilt das meist im übertragenen Sinn, manchmal aber auch ganz real. Seit Jahren schon gilt Lampedusa, jenes karge Stück Felsen zwischen Sizilien und Nordafrika als Endstation für viele tausend Flüchtlinge, die sich über das Mittelmeer auf nach Europa machen. Dabei sind diejenigen, die auf Lampedusa ankommen, noch die Glücklichen unter ihnen. Der Rest stirbt: verhungert in der Wüste, wird von Menschenhändlern gekidnappt, gefoltert und getötet, ertrinkt kurz vor dem Ziel im Meer oder verdurstet gar an Bord einer der Nusschalen, mit denen Schleuser die Verzweifelten zu horrenden Preisen übers Meer schippern. Wie kann der Alltag auf dieser Insel aussehen, die sich täglich mit dem Elend der Welt konfrontiert sieht? Rosi wagt einen dokumentarischen Ansatz auf diese Frage - und schafft auf diese Weise eine beeindruckende Erzählung über die Menschen von Lampedusa, Einheimische wie Flüchtlinge.

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Berlinale 2016: Interview mit Sebastian Hilger, Regisseur WIR SIND DIE FLUT

Dreh bei Windstärke Sieben


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Vor 15 Jahren ist vor der Küste von Windholm das Meer verschwunden und mit ihm alle Kinder des Ortes. Zwei junge Physiker aus Berlin machen sich auf, das geheimnisvolle Phänomen zu untersuchen. Dabei werden sie mit ihrer eigenen Geschichte konfrontiert. Regisseur Sebastian Hilger, Jahrgang 1984, hat an der Filmakademie Ludwigsburg studiert. WIR SIND DIE FLUT, ist sein Diplomfilm. Die Koproduktion der Anna Wendt Filmproduktion, der Filmakademie Baden-Württemberg, der Filmuniversität Babelsberg „Konrad Wolff“ unter Beteiligung des rbb, wurde gefördert vom Medienboard Berlin-Brandenburg und entstand im Rahmen der rbb-Initiative LEUCHTSTOFF. Der Film läuft auf der Berlinale in der Perspektive Deutsches Kino. Tiziana Zugaro sprach kurz vor dem Festival mit Sebastian Hilger.

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12.02.16 20:03

Wettbewerb 2016: INHEBBEK HEDI (Hedi) von Mohamed Ben Attia

Keine Revolte ohne Schmerz

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Hedi tut, was man ihm sagt. Wird die Frau heiraten, die Mama für ihn ausgesucht hat. Übernimmt, weil sein Boss es so will, eine Woche vor seiner Hochzeit eine neue Route als Peugeot-Vertreter, obwohl es zuhause soviel zu tun gäbe. Aber dann, für seine Umgebung völlig überraschend, bricht der junge Tunesier aus dem so lange gelebten Rollenmuster aus. Er verliebt sich in eine ganz und gar nicht standesgemäße Frau und will für sie seine Hochzeit sausen lassen und ins Ausland gehen. Aber wird er wirklich den Mut haben, diese private Revolte durchzuziehen?

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11.02.16 21:46

Wettbewerb 2016: HAIL, CAESAR! von Joel & Ethan Coen

Ein Hündchen namens Engels

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Was tun, wenn der Hauptdarsteller in einem bombastischen Kostümfilm plötzlich spurlos vom Set verschwindet - und das in voller Römerrüstung ? Eddie Mannix ist der Mann in den Hollywood-Studios, der so etwas wieder in Ordnung bringt. Da wird eben schnell mal ein Koffer voller Dollarnoten besorgt. Nebenbei muss er sich überlegen, ob er vom Filmbusiness in die noch lukrativere Flugzeugindustrie wechseln will. Das alles kostet ihn Schlaf und Nerven, und so klappt es auch mit dem guten Vorsatz, nicht mehr zu rauchen, so gar nicht. Josh Brolin spielt Mannix mit einer hinreißenden Mischung aus Abgebrühtheit und Sensibiliät, am Set der harte Boss, im Beichtstuhl ein Häuflein Elend. Die Regisseure Joel und Ethan Coen haben beim diesjährigen Eröffnungsfilm "Hail, Caesar!" tief in die Trick- und Besetzungskiste gegriffen: Dabei herausgekommen ist eine wunderbare Persiflage auf das 50er Jahre Filmbusiness, die es ganz nebenbei schafft, doch so etwas wie Nostalgie für die bedingungslose Hingabe an die große Illusion Hollywood zu wecken.

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08.02.16 13:56

Berlinale 2016: Erinnerung an drei kürzlich Verstorbene

Filme von Ettore Scola und mit David Bowie und Alan Rickman

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Alan Rickman, David Bowie, Ettore Scola – in diesem Jahr mussten wir von diesen drei großen Künstlern Abschied nehmen. Die Berlinale erinnert mit Sondervorführungen an die kürzlich Verstorbenen.

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02.02.16 15:15

Berlinale 2016: Die Jury ist komplett!

Meryls Hilfstrupp für die Bären-Auswahl

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Schauspielgöttin Meryl Streep, diesjährige Vorsitzende der Berlinale-Jury hat ihre Riege von Mitstreitern um sich geschart: Wie heute bekannt wurde, werden ihr bei der Bären-Auswahl folgende Persönlichkeiten aus der Film- und Kulturszene zur Seite stehen: Die Schauspieler Clive Owen und Lars Eidinger, die Schauspielerin Alba Rohrwacher, der Filmkritiker Nick James, die Filmemacherin Malgorzata Szumowska und die Fotografin Brigitte Lacombe.

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14.02.15 19:35

Goldener Bär 2015: TAXI von Jafar Panahi

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Taxifahrer sind so etwas wie die lebensnahen Lieblinge der Regisseure – können sie doch durch ihren dauernden Kontakt mit den Fahrgästen sehr verlässlich die Stimmung einer Gesellschaft an einem bestimmten Ort, zu einer bestimmten Zeit einfangen. TAXI DRIVER, COLLATERAL und NIGHT ON EARTH sind nur einige der zahlreichen Beispiele dafür. Nun hat sich der iranische Regisseur Jafar Panahi für seinen Film TAXI selbst ans Steuer eines Taxis gesetzt, im Jahr 2014 in Teheran. Die Begegnungen, die er dabei hat, ergeben eine kluge und unterhaltsame (!) Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Stimmung im Land.

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13.02.15 22:00

Berlinale 2015: CHASUKE’S JOURNEY von Sabu

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Was für ein irrer Gedanke: Im Himmel sind Horden von Drehbuchschreibern damit beschäftigt, das Lebensskript eines jeden Menschen auf der Welt zu entwickeln. Manchmal sind sie dabei ein bisschen arg konventionell, dann lautet die göttliche Anweisung: „Mehr Avantgarde!“ Und manchmal kommen sich die Stories gegenseitig in die Quere. Chasuke, dessen Aufgabe es ist, den Schreibern am laufenden Band Tee zu bringen, erfährt, dass eine seiner Lieblingsfiguren, also ein echter Mensch, bei einem Unfall getötet werden soll. Er beschließt, auf die Erde hinab zu steigen und den Lauf der Dinge zu ändern. Was nun folgt, ist ein wilder und fantasievoller Genremix à la Sabu, der noch immer einer der überraschendsten Filmemacher Japans ist. Mit CHASUKE’S JOURNEY beweist er einmal mehr seinen Sinn für intelligente Skurrilitäten.

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Berlinale 2015: MISFIT von Jannik Splidsboel

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Tulsa, Oklahoma liegt mitten im so genannten Bible Belt Amerikas, hat 400.000 Einwohner, 4.000 Kirchen und ein einziges schwul-lesbisches Jugendzentrum. Wie lebt es sich als schwuler Junge oder lesbisches Mädchen in dieser streng gläubigen, zutiefst intoleranten Stadt? Wie kommt man durch den Alltag? Wo findet man Halt? Der dänische Filmemacher Jannik Splidsboel hat drei Jugendliche über einen längeren Zeitraum hinweg begleitet und sich an die Frage herangetastet, was es bedeutet, aufgrund der sexuellen Identität bereits in so jungen Jahren ein geächteter Außenseiter zu sein. MISFITS, der in der Reihe Panorama Dokumente läuft, ist ein ruhiger, unaufgeregter Film, und er erzählt nicht nur von Hass und Intoleranz, sondern auch von sehr viel Liebe.

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Berlinale 2015: VERGINE GIURATA von Laura Bispuri

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Eine Frau hat ihrem Mann zu gehorchen. Sie redet nicht, wenn er redet, sie kocht und putzt und füttert die Tiere, darf aber niemals ein Gewehr in die Hand nehmen. Das sind die strengen Regeln, die in der archaischen Gesellschaft in den Bergen Nordalbaniens gelten. Die junge Hana will so nicht leben. Sie genießt es, allein in den Wäldern umherzustreifen, und sie liebt das Gefühl, eine Waffe abzufeuern. Es gibt einen Ausweg aus der für sie vorgesehenen Frauenrolle: Wenn sie ihrem Frausein abschwört und gelobt, niemals Sex zu haben, darf sie als so genannte „Vergine Giurata“, eingeschworene Jungfrau, existieren – sie wird als Mann behandelt und ansonsten in Ruhe gelassen. Es ist ein einsames Leben, das Hana jetzt als Mark führt. Als ihre Stiefmutter stirbt, macht sie sich auf den Weg nach Mailand, zu ihrer Stiefschwester. Dort beginnt für sie ein tastender Weg in das Leben, das sie tatsächlich führen will. Der Italienerin Laura Bispuri ist mit VERGINE GIURATA ein starker und einfühlsamer Film über ein Leben außerhalb der Norm gelungen.

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12.02.15 9:24

Berlinale 2015: AFERIM! von Radu Jude

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1835, mitten in der unwirtlichen Wallachei. Der alternde Gendarm Constandin und sein halbwüchsiger Sohn Ionita sind auf der Suche nach einem entlaufenen „Zigeunersklaven“, der seinem Herrn, einem reichen Bojaren entlaufen ist. Hoch zu Pferde geht es über Stock und Stein, vorbei an ärmlichen Siedlungen und durch dichte Wälder. Die Gegend wird von Menschen unterschiedlicher Nationalität und Religionen bevölkert: Sie treffen auf Türken und Russen, Rumänen und Ungarn, Zigeuner, Christen, Moslems und Juden. Keiner hat über den anderen etwas Gutes zu sagen. Mit diversen Anspielungen auf klassische Westernfilme hat der rumänische Filmemacher Radu Jude mit AFERIM! einen atmosphärisch dichten Balkan-Western in schwarzweiss auf die Leinwand gebracht. Er stellt den spätfeudalen Balkan als ein Gemisch von Brutalität und Elend, von chauvinistischen und rassistischen Traditionen dar, die immer auch auf die Gegenwart verweisen.

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10.02.15 21:00

Berlinale 2015: EVERY THING WILL BE FINE von Wim Wenders

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Tomas ist ein kanadischer Schriftsteller, der sich zum Schreiben am liebsten so weit wie möglich von seinen Mitmenschen zurückzieht. Deshalb übernachtet er gerne mal in einer Holzhütte auf dem zugefrorenen See, um seine Inspiration nicht durch die Nähe anderer zu gefährden. Auch in seiner Beziehung scheint das Konzept „Nähe“ vermintes Gelände zu sein. Als Tomas eines Abends über die verschneiten Straßen nach Hause fährt, geschieht ein tragischer Unfall, bei dem ein kleiner Junge stirbt. Wim Wenders EVERY THING WILL BE FINE folgt nun den Protagonisten – Tomas, der Mutter und dem Bruder des toten Jungen und Tomas’ wechselnden Freundinnen – über ein Jahrzehnt hinweg dabei, wie sie mit dieser Katastrophe umgehen. Herausgekommen ist dabei ein leiser und melancholischer Film, der allerdings Tomas’ Problem teilt: So richtig kommt man an ihn nicht heran.

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09.02.15 22:00

Berlinale 2015: BODY von Malgorzata Szumowska

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Ein Mann hat sich an einem Baum erhängt. Als die Spurensicherung ihn bereits von allen Seiten fotografiert und vom Ast geschnitten hat, rollt er sich auf einmal zur Seite und spaziert seelenruhig aus dem Bild. Wie bitte? So frech, wie die polnische Regisseurin Malgorzata Szumowska in den ersten fünf Minuten mit unserer Wahrnehmung und Erwartungshaltung spielt, wird sie auch die kommenden 85 Minuten von BODY damit fortfahren. Um es gleich vorweg zu nehmen: Es sind großartige 90 Minuten! Selten ist ein im Grunde so tragisches Thema wie der Verlust eines geliebten Menschen und die damit einhergehende Einsamkeit der Zurückgebliebenen auf so ungewöhnliche, skurrile und doch zutiefst menschliche Weise im Film gezeigt worden.

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Berlinale 2015: ALS WIR TRÄUMTEN von Andreas Dresen

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Wovon träumen Teenager in der Nachwendezeit in Leipzig? Im Grunde davon, wovon andere Jungs auch träumen: Mädchen, Musik, Boxerkarriere. Unter dem Brennglas des Systemwechsels betrachtet, nehmen diese Träume jedoch andere Schattierungen an als, beispielsweise, vergleichbare Wunschvorstellungen in Stuttgart. Der Autor Clemens Meyer hat diese besondere Stimmung 2006 in einem Roman einzufangen versucht, der Regisseur Andreas Dresen hat nun gemeinsam mit Drehbuchschreiber Michael Kohlhaase ALS WIR TRÄUMTEN auf die Leinwand gebannt. Der Film hat einige schöne Momente und ein paar richtig gute Dialoge – insgesamt hinterlässt er aber eher ein schales Gefühl. Was, so fragt man sich, soll denn nun das Besondere an dieser Geschichte sein? Und warum wird sie mir überhaupt erzählt?

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08.02.15 17:23

Berlinale 2015: MR. HOLMES von Bill Condon

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Sherlock ist in die Jahre gekommen. Mit 93 Jahren wird selbst sein so messerscharfer Verstand allmählich alterstrübe. Namen und Ereignisse entfallen ihm, und der elegante Spazierstock ist nicht länger nur eitles Zierwerk, sondern notwendiges Hilfsmittel. Inzwischen lebt er zurückgezogen auf seinem Landsitz in Sussex, alles könnte friedlich und entspannt sein – doch die Geister der Vergangenheit lassen dem Meisterdetektiv keine Ruhe. Eine schwere Schuld lastet auf seinem Gewissen. Leider kann er sich bei aller Seelenqual nicht mehr erinnern, warum dies so ist. Mit MR. HOLMES ist Bill Condon ein wunderbarer Film über das Altern, über Fakten und Fiktion, Einsamkeit und Nähe gelungen. Obwohl er ein würdiger Kandidat um den einen oder anderen Bären gewesen wäre, läuft der Film im Wettbewerb außer Konkurrenz.

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Berlinale 2015: DIARY OF A CHAMBERMAID von Benoit Jacquot

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Benoit Jacquot ist eigentlich sehr gut darin, Kostümfilme gegen den Strich zu bürsten: Im besten Fall gewinnen wir dadurch einen ungewöhnlichen Blick auf eine Epoche, die uns durch unzählige Kostümschinken bereits allzu vertraut erschien. Dies gelang ihm etwa, trotz aller Schwächen, mit FAREWELL MY QUEEN (Berlinale 2012). In DIARY OF A CHAMBERMAID erliegt er jedoch selbst den Klischees, die herauszufordern er sich – hoffentlich – zum Ziel gesetzt hatte. Die Bediensteten im Frankreich der vorigen Jahrhundertwende sind entweder treu ergeben oder aufmüpfig, die Dienstherren lüstern, die Madames bösartig oder aber herzensgut. Dazwischen wird bedient, gevögelt, abgetrieben und ein bisschen gemordet, und am Schluss sind wir so schlau wie schon zuvor.

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05.02.15 21:00

Berlinale 2015: NOBODY WANTS THE NIGHT von Isabel Coixet

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Zwei Frauen im Schnee. In der Nähe des Nordpols, zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die eine, Mrs. Peary, ist die amerikanische Gattin eines Polarforschers, die andere eine junge Eskimofrau namens Alaka. Beide warten auf denselben Mann. Der Eröffnungsfilm des Wettbewerbs, NOBODY WANTS THE NIGHT, hätte ein packendes Kammerspiel im ewigen Eis werden können, zumal eine der beiden Damen von Juliette Binoche gespielt wird. Dabei herausgekommen ist jedoch ein langatmiges, stets den moralinsauren Zeigefinger hebendes Stück Kitsch.

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03.02.15 10:00

Berlinale 2015: Waiting for my man

Ich will ja wirklich nicht meckern...aber in den vergangenen Jahren gab es für uns Damen (oder auch für die eher an Männern interessierten Herren) doch einige sehr leckere Augenweiden in der Internationalen Jury zu bewundern. Dieses Jahr sieht es leider etwas mau aus.

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31.01.15 10:00

Berlinale 2015: Ein Kuss vor feuerrotem Himmel

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Interview mit Rainer Rother

Die satten Farben von Technicolor sind das Thema der diesjährigen Retrospektive. Es werden Klassiker wie SINGING IN THE RAIN oder THE WIZARD OF OZ gezeigt, aber auch Filme, die man selten zu sehen bekommt. Über die Wirkung von Farbe und Farbberatung für Kameraleute sprachen Claudia Palma und Tiziana Zugaro mit Rainer Rother, dem Leiter der Retrospektive.

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15.02.14 14:43

Die Bären-Prognose und die Problem-Bären-Vergabe

Alle Jahre wieder fragen wir uns, wem WIR, wären wir die Jury, die Bären in die Hand drücken wollen würden.

Hier meine Bären-Wunsch-Auswahl (inklusive der Vergabe einiger Problem-Bären):

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CHIISAI OUCHI (The Little House) von Yoji Yamada

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Yoji Yamada, japanischer Regisseur Jahrgang 1931, ist ein Meister der leisen Töne. In seinem Wettbewerbs-Beitrag CHIISAI OUCHI (The Little House) zeigt er einmal mehr, wie man eine Geschichte großer Gefühle mit kleinen Gesten erzählen kann. Leider verliert er sich diesmal allzu sehr in einer betont harmlosen und beschwichtigenden Erzählweise – und nimmt dem Film damit die in ihm steckende Brisanz. Was bleibt, ist eine Geschichte, die eigentlich höchst erwachsene Themen verhandelt, sich aber so gibt, als müsse sie für ein Kind erzählt werden.

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14.02.14 21:15

WU REN QU (No Man’s Land) von Ning Hao

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Staubige Straßen in der Wüste, wüste Gesellen mit dreckigen Visagen und klobige Knarren Marke Eigenbau: Ning Haos NO MAN’S LAND hat den Look und Feel eines Westerns mit chinesischem Flair. Ästhetisch bewegt er sich zwischen Sergio Leone und MadMax, er überzeugt durch seine Stilsicherheit und ein stringentes Erzähltempo, das einen bei der Stange hält. Nebenbei – wie es sich für einen Western gehört – werden hier Fragen von Gut und Böse, von Schuld und Sühne verhandelt. Über allem schwebt das Primat der Gier, der alle Figuren verpflichtet sind.

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AL DOILEA JOC (The Second Game) von Corneliu Poromboiu

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Der Ball ist rund und das Spiel dauert 90 Minuten. Außerdem schneit es während der kompletten Spielzeit. Nach einer Viertelstunde hat sich der Rasen in einen matschigen Dorfacker verwandelt. Und trotzdem schaut man anderthalb Stunden lang gebannt auf das grisselige Fernsehbild und lauscht mit großem Vergnügen dem Kommentar aus dem Off. Es handelt sich um ein Match aus längst vergangener Zeit: Am 3. Dezember 1988 traten die beiden Topmannschaften Rumäniens gegeneinander an: Steuau und Dinamo, die Equipe des Militärs gegen die von Polizei und Securitate. Der Vater des Filmemachers Corneliu Porumboiu war damals Schiedsrichter. Jetzt kommentiert er das Spiel gemeinsam mit seinem Sohn von der heimatlichen Couch aus. Alles, was man zu sehen bekommt, ist jedoch das Spiel selbst.

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12.02.14 23:00

BAI RI YAN HUO (Black Coal, Thin Ice) von Diao Yinan

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Eine klassische Cop-Story im verschneiten Nordchina: In Kohlehaufen versteckte Leichenteile lassen die Polizei fieberhaft nach einem grausamen Mörder fahnden. Als ein Verdächtiger gefunden ist und dingfest gemacht werden soll, geht die Verhaftung furchtbar schief. Zwei Polizisten sterben dabei, ein dritter wird schwer verletzt. Fünf Jahre später geschehen plötzlich wieder ähnliche Morde, und der inzwischen suspendierte Polizist ermittelt auf eigene Faust. Die Spur führt ihn in einen Waschsalon und zu einer schweigsamen Schönen, die bereits in den ersten Mordfall verwickelt war.

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Die Sache mit dem echten Tony

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Nachdem die Rezensentin vor einigen Jahren an dieser Stelle darüber geklagt hatte, dass sie während der Berlinale beinahe ein Interview mit dem falschen Tony Leung vereinbart hatte, soll hier nicht unerwähnt bleiben: In diesem Jahr ist der echte Tony da! Und da er sogar in der Jury sitzt, sieht sich die Rezensentin in der glücklichen Lage, jeden Tag mehrere Stunden in unmittelbarer Nähe des echten Tony verbringen zu dürfen.

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LA TERCERA ORILLA (The Third Side of the River) von Celina Murga

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Einem Teenager, der wie auf Valium wirkt, anderthalb Stunden lang dabei zuzuschauen, wie er durch die Gegend schlufft, ist eine echte Anfechtung. Leider verdonnert Celina Murgas Wettbewerbsfilm LA TERCERA ORILLA die Zuschauer genau dazu. Dabei ist die Geschichte eigentlich ganz spannend: Ein Arzt aus einer argentinischen Kleinstadt führt ein Doppelleben mit zwei Frauen und zwei Familien, wobei beide Familien voneinander wissen, die Kinder sogar viel gemeinsame Zeit miteinander verbringen. Als der Doppel-Patriarch seinen ältesten Sohn immer stärker dazu drängt, seine Rolle als „zweiter Mann in der Familie“ zu übernehmen, spielt dieser zunächst recht willenlos mit, rebelliert dann aber völlig unerwartet und radikal.

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TO MIKRO PSARI (Stratos) von Yannis Economides

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Melancholie, Dein Name ist Auftragskiller. Was haben wir im Kino nicht schon für traurige Berufsmörder bei ihrer Arbeit beobachten dürfen! Aber sicher war keiner so absolut fertig mit der Welt wie Stratos, der Grieche. Das Gesicht verhärmt, die Augen tiefschwarz und unendlich müde, der Gang trotz allem aufrecht. In jungen Jahren muss er ein echter Berserker gewesen sein. Nach einer langen Zeit im Gefängnis verrichtet er sein blutiges Handwerk inzwischen präzise, ohne Schnickschnack und Emotionen. Bumm, und aus. Nachts arbeitet Stratos zur Tarnung in einer Bäckerei, den Rest seiner Zeit verbringt er in einer trostlosen kleinen Neubauwohnung oder in einem nicht minder trostlosen Mini-Park in seiner Nachbarschaft. Je weiter der Regisseur Yannis Economides seine Geschichte entwickelt, desto klarer wird: Die einzige moralische Instanz in diesem Film ist ausgerechnet der Mörder.

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11.02.14 21:22

PRAIA DO FUTURO von Karim Ainouz

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Rettungsschwimmer rettet Mann. Zweiter Mann ertrinkt. Rettungsschwimmer verliebt sich in Überlebenden und folgt ihm von Brasilien ins kalte Berlin. Der Brasilianer Karim Ainouz lässt sich in PRAIA DO FUTURO sehr viel Zeit, um seine Geschichte zu erzählen. Er charakterisiert seine Figuren fast nebenbei, achtet auf Stimmungen und sinnliche Eindrücke, und er hat Mut zu Auslassungen. Das gibt dem Film einen ganz eigenen, ruhigen Drive, und eine besondere Atmosphäre. Trotzdem fragt man sich, ob dieser Wettbewerbsfilm nicht besser im Panorama aufgehoben gewesen wäre. Denn für einen potentiellen Bären-Kandidaten fehlt es ihm ganz klar an Relevanz.

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TUI NA (Blind Massage) von Lou Ye

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Das Geschirr klappert besonders laut, Türen schließen mit einem gut hörbaren Klacken und jeder Schritt über den Fußboden hat einen deutlich vernehmbaren Nachhall: In TUI NA (Blind Massage) von Lou Ye muss das Ohr ausgleichen, was das Auge nicht sieht. Denn der Film des chinesischen Regisseurs spielt in einem Massagesalon in Nanjing, in dem fast ausschließlich blinde Menschen arbeiten. Statt daraus eine dramatische Geschichte zu entspinnen, legt Lou den Fokus darauf, das Miteinander und den Alltag dieser Männer und Frauen zu vermitteln. Die verstärkte Tonspur ist ein Versuch, die Wahrnehmung der Protagonisten sinnlich erfahrbar zu machen. An anderen Stellen setzt er dafür stark verschwommene Bilder oder Spiele mit Licht und Schatten ein. Leider gelingt ihm der Brückenschlag nicht wirklich. Es wird beispielsweise kaum greifbar, wie es sich für einen Blinden anfühlen mag, eine Massage zu geben, oder einem anderen Menschen das Gesicht abzutasten, um sich ein Bild von ihm machen zu können.

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Nächtlicher Spuk am Potsdamer Platz

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Nachts. Man kommt mit der S-Bahn auf dem Potsdamer Platz an, fährt mit der Rolltreppe nach oben. Stutzt. Ist der Platz nicht sehr seltsam beleuchtet? Irgendwie gespenstisch gelb, irreal. Kurz zu vor hat es geregnet. Die Szenerie wirkt dadurch noch unwirklicher als sonst. Das wird es wohl sein. Bis man realisiert, dass einem sehr eigenartige Geräusche ans Ohr dringen – eine Art Mischung aus Sirenengesang, Sphärenklängen und Rückkopplung. Wo kommt das nur her?

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10.02.14 18:08

Von der Müdigkeit

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Cinestar, kurz vor der Spätvorstellung. Man will sich den hoch gelobten „chinesischen Fassbinder“ anschauen. Deshalb hat man sich zu dieser nachtschlafenden Zeit tapfer aufgerafft, obgleich einen der Schiller und sein Piller knappe 14 Stunden zuvor bereits zum ersten Mal an diesem Tag in den Kinosaal getrieben haben.

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YE (The Night) von Zhou Hao

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Irgendwo in einem Altstadtviertel in irgendeiner chinesischen Stadt: Ein junger Mann steht jeden Abend vor dem Spiegel, bewegt sich zu den Klängen schmalziger Popmusik und wirft sich verführerische Blicke zu. Er zieht ein neues, buntes Hemd an, bindet sich eine Krawatte um und macht sich auf in die Nacht. In einer engen Gasse, beleuchtet vom gelben Licht einer Laterne, preist es sich als Stricher seinen Kunden an. Eines Abends steht an seinem Stammplatz eine junge Frau, die ebenfalls ihren Körper verkauft. Zwischen den beiden entwickelt sich eine zögerliche Freundschaft, changierend zwischen Distanz und Nähe, bald kommt noch ein weiterer junger Mann ins Spiel, der sich unglücklich in den Stricher verliebt. Der liebt nämlich einzig und allein nur sich selbst. In unruhigen, grobkörnigen Bildern wird diese Geschichte von Begehren und Selbstliebe in leisen Tönen und doch voll emotionaler Wucht in Szene gesetzt.

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NYMPHOMANIAC VOLUME I von Lars von Trier

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Skandal, Sandal! So raunte es in Erwartung von Lars von Triers neuem Film NYMPHOMANIAC VOLUME I, weil darin jede Menge expliziter Sexszenen zu sehen sein sollten, die aus der Perspektive einer Nymphomanin geschildert werden. Vom Skandal ist nicht viel übrig geblieben. Es gibt zwar viel Sex in dem Film, dessen Director’s Cut im Wettbewerb läuft, aber besonders sinnlich oder gar verstörend ist das alles nicht. Stattdessen führt uns von Trier auf durchaus komische und unterhaltsame, aber gleichzeitig bitterböse zynische Weise vor, was passiert, wenn Sex, von Emotionen abgekoppelt, zur Sucht wird. Und vor allem: Wie hervorragend dieses Modell von Lustbefriedigung in die heutige Gesellschaft passt.

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08.02.14 23:00

DIE GELIEBTEN SCHWESTERN von Dominik Graf

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Kann man eine Liebe zu dritt leben? Wo doch schon die Liebe zu zweit ganz schön kompliziert sein kann. Um es gleich vorweg zu nehmen: Das Trio aus Dominik Grafs DIE GELIEBTEN SCHWESTERN kriegt es nicht hin. Stattdessen kriegen sich die beiden Frauen irgendwann in Haare. Soweit, so vorhersehbar. Allerdings geht es dabei nicht um irgendeine Ménage à trois – diese hier spielt sich im Zentrum des deutschen Dichter-, Denker- und Aufklärertums ab. Zwei Schwestern, Charlotte von Lengefeld und Caroline von Beulwitz, née von Lengefeld, lieben beide den rebellischen Dichterfürsten Friedrich Schiller, und auch einander – zumindest anfangs – sehr. Sie schließen einen Pakt: Die Sanfte (Charlotte) wird Schillers Frau, die mit dem Sex Appeal (Caroline) seine zeitweilige Geliebte. Und dann geht das Drama los. Theoretisch. Denn leider ist das alles nicht wirklich dramatisch, sondern vielmehr sehr, sehr putzig. So putzig, dass es schon wieder deprimierend ist.

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THE MIDNIGHT AFTER von Fruit Chan

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Quirliges, buntes Hongkong bei Nacht: Eine Stadt, die niemand schläft, überall blinken die Leuchtreklamen, Menschen bevölkern die Straßen, der Verkehr schleppt sich hupend durch die Metropole. Mitten drin: Ein bunt bemalter Kleinbus, der eine ebenso bunt zusammen gewürfelte Schar von Passagieren in den Stadtteil Tai Po bringen soll. Doch nach der Fahrt durch einen Tunnel sind plötzlich alle Menschen außerhalb des Busses wie vom Erdboden verschluckt. Und hier beginnt der Grusel erst.

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07.02.14 21:00

Wettbewerb: LA VOIE DE L’ENNEMI (Two Men in Town) von Rachid Bouchareb

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Der Film beginnt mit einem rohen Akt der Gewalt vor einer atemberaubenden Landschaft: Ein Mann schlägt einem anderen, am Boden liegenden, mit einem großen Stein den Schädel ein. Dahinter geht die Sonne auf und taucht die Wüstenlandschaft in ein überirdisch schönes, blutrotes Licht. Langsam zieht sich die Kamera von der Brutalität zurück, zoomt weg und lässt den Blick auf der unendlichen Weite ruhen. Ein Mord, der durch seine Darstellung geradezu biblische Dimensionen anzunehmen scheint: Der Mensch, die Kreatur Gottes, die sich inmitten seiner wunderschönen Schöpfung als Tier offenbart. Tatsächlich aber erzählt Rachid Bouchareb in LA VOIE DE L’ENNEMI vom Schicksal, das von Menschen gemacht wird, und dem der Mensch nicht entrinnen kann.

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06.02.14 21:54

Hauptsache gut bemützt: Die Pressekonferenz zum Eröffnungsfilm THE GRAND BUDAPEST HOTEL

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Mützchen haben ja eine große Tradition auf der Berlinale – siehe unsere wegweisende Berichterstattung zum Thema auf der Berlinale 2007. Heute aber hat auf diesem Gebiet der große, brummige, wundervolle Bill Murray den Vogel abgeschossen: Auf der Pressekonferenz zum Eröffnungsfilm THE GRAND BUDAPEST HOTEL trug er eine keck aus der Stirn geschobene Strickversion in Schwarz, die nur ganz dezent an seinen Jacques-Cousteau-Deckel aus THE LIFE AQUATIC WITH STEVE ZISSOU (siehe Foto oben) erinnert, was insofern passend war, da auch hier Wes Anderson Regie führte.

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Forum: KUMIKO, THE TREASURE HUNTER von David Zellner

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Eine junge Frau läuft zielstrebig an einem einsamen, von schroffen Felsen gesäumten Sandstrand entlang. Ihre rote Fleece-Jacke bildet den einzigen Farbtupfer inmitten von tristem Grau, Blau und Braun, ihre Füße hinterlassen flüchtige Spuren im nassen Sand. In einer felsigen Höhle angekommen, beginnt sie zu graben – und unter einer Schicht von Kieseln und allerlei Krebsgetier kommt eine triefende VHS-Kassette zum Vorschein. Diese seltsame, traumartige Eröffnungssequenz gibt bereits den Ton vor für das, was noch kommt. Die Hauptfigur in David Zellners KUMIKO, THE TREASURE HUNTER hat eine Mission: Zielstrebig und unbeirrbar begibt sie sich auf eine Schatzsuche, die sie von Tokio nach Fargo in North Dakota führt, und mit der sie konsequent die Grenze zwischen Realität und Fiktion negiert. Damit zielt der Film mitten ins Herz des Kinos.

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31.01.14 18:00

Experimente sind willkommen!

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Interview mit Perspektive-Leiterin Linda Söffker

Theater und Film haben im Werdegang von Linda Söffker gleichermaßen eine prägende Rolle gespielt. Die studierte Kultur- und Theaterwissenschaftlerin, Jahrgang 1969, hat als kuratorische Mitarbeiterin und Programm-Organisatorin mit Rainer Rother im Zeughauskino zusammengearbeitet und mit Alfred Holighaus für die Sektion „Perspektive Deutsches Kino“ bei der Berlinale. Seit dem Wechsel von Holighaus an die Deutsche Filmakademie im Jahr 2010 leitet Söffker die Sektion, deren explizites Ziel die Nachwuchsförderung ist. Claudia Palma und Tiziana Zugaro sprachen mit Linda Söffker über das gewisse Etwas, das ein Perspektive-Film mitbringen muss, über Talentsuche und Absagen, über brandenburgische Samurais und darüber, wie man sich während der Berlinale am besten fit hält.

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15.02.13 17:50

NUGU-UI TTAL-DO ANIN HAEWON (Nobody's Daughter Haewon) von Hong Sangsoo

Haewon ist eine hübsche junge Studentin in Seoul, deren Leben auf einmal voller Unwägbarkeiten ist. Zunächst eröffnet ihr die Mutter, dass sie nach Kanada ziehen wird; dann entdecken ihre Kommilitonen, dass sie seit längerem ein Verhältnis zu einem verheirateten Uni-Dozenten hat. Haewon ist sich nicht sicher, welche Richtung sie ihrem Leben nun geben soll. Sie flüchtet sich immer öfter in Tagträume, die für den Zuschauer nicht ohne weiteres von der Realität zu unterscheiden sind. Mit NOBODY’S DAUGHTER HAEWON ist der koreanische Regisseur Hong Sangsoo bereits zum zweiten Mal im Wettbewerb der Berlinale vertreten, zuletzt erzählte er 2808 in NIGHT AND DAY von einem jungen Mann, der in Paris nach Antworten auf die Fragen seines Lebens sucht.

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14.02.13 17:57

UROKI GARMONII (Harmony Lessons) von Emir Baigazin

Alles ist Gewalt. In der Schule wird der 13-jährige Aslan fortwährend von seinen Mitschülern gedemütigt und gequält. Als ein neuer Klassenkamerad sich mit ihm solidarisch zeigt, geht es auch ihm an den Kragen. Keiner der Erwachsenen scheint in der Lage zu sein oder überhaupt Interesse daran zu haben, diesem brutalen Treiben Einhalt zu gebieten. Zuhause entwickelt der traumatisierte Junge immer merkwürdigere Angewohnheiten: Er wäscht sich zwanghaft, reißt Kakerlaken die Beine aus oder exekutiert sie auf einem selbst gebastelten elektrischen Stuhl im Miniaturformat. Als der Anführer der Quälgeister aus der Schule ermordet aufgefunden wird, landen Aslan und sein Freund in Untersuchungshaft – und dort scheint die gängige Ermittlungsmethode der Polizei daraus zu bestehen, Geständnisse aus den Verdächtigen herauszuprügeln.

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13.02.13 15:44

EPIZODA U ŽIVOTU BERACA ŽELJEZA (An Episode in the Life of an Iron Picker) von Danis Tanovic

Senada, Nazif und die beiden kleinen Mädchen Sandra und Semsa sind eigentlich eine glückliche kleine Familie. Liebevoll spielen die Eltern mit den Kindern, Mann und Frau sind sich nahe, die Kinder scheinen rundum zufrieden. Nur: Sie sind bitter arme Roma, die in einem erbärmlichen Kaff in Bosnien-Herzegowina von der Hand in den Mund leben. Nazif schlachtet für ein paar Kröten alte Autos aus, um das Metall zu verkaufen. Senada kümmert sich um den Hauhalt. Doch dann bringt eine unerwartete Katastrophe das fragile Gefüge zum Einsturz: Eine Schwangerschaft, schwere Komplikationen und eine dringend benötigte Operation, für die aber weder Krankenversicherung noch Geld da ist. Der Regisseur Danis Tanovic zeigt in den folgenden anderthalb Stunden hautnah die Odyssee, die aus dieser verzweifelten Situation folgt.

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10.02.13 15:14

DOLGAYA SCHASTLIVAYA ZHIZN (A Long and Happy Life) von Boris Khlebnikov

Irgendwo in Russland an einem Fluss. Sascha hat dort auf einer ehemaligen Kolchose zusammen mit einer Handvoll Arbeitern eine kleine Landwirtschaft aufgebaut. Doch nun wollen die Provinzbeamten das Land wieder haben. Zunächst will sich Sascha mit der Abfindung abfinden, doch dann ermutigen ihn seine Arbeiter, sich quer zu stellen. Boris Khlebnikovs Wettebewerbsbeitrag A LONG AND HAPPY LIFE ist eine bittere Parabel darüber, wie sich jeder selbst der nächste ist. Denn was wie eine hoffnungsvolle kleine Geschichte über eine Mini-Revolution beginnt, endet völlig desillusioniert und tragisch.

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GOLD von Thomas Arslan

Ein deutscher Western? Kann so was überhaupt funktionieren, wird sich so mancher gefragt haben, als bekannt wurde, dass Thomas Arslan, Vertreter der Berliner Schule, seinen Wettbewerbsbeitrag GOLD in den Weiten Kanadas zu Ende des 19. Jahrhunderts angesiedelt hat. Erzählt wird die Geschichte einer Handvoll deutschstämmiger Einwanderer, die sich vom Goldfieber angesteckt, auf den beschwerlichen Weg nach Klondyke machen. Dort wollen sie den glänzenden Stoff der Träume finden und die Grundlage für ein neues Leben schaffen. Klassisches Genrekino eben, nur mit deutschen Vorzeichen. Und siehe da: Das Ergebnis ist durchaus sehenswert, aber leider auch nicht wirklich umwerfend.

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08.02.13 19:47

W IMIE... (IN THE NAME OF) von Malgoska Szumowska

Adam ist ein Mann in den besten Jahren – er ist sympathisch, sieht gut aus und hält sich mit Joggen fit. Adam ist katholischer Priester in einem gottverlassenen polnischen Kaff, wo er ein Heim für schwer erziehbare Jugendliche leitet. Adam ist außerdem schwul. IN THE NAME OF, der polnische Wettbewerbsbeitrag, zeigt das Hin- und Hergerissensein Adams zwischen seinem Glauben und seiner Leidenschaft. Mehr als einmal werden dabei visuelle Symbole aus der Passionsgeschichte bemüht, um die Qualen des Geweihten zu verdeutlichen.

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PARADIES: HOFFNUNG von Ulrich Seidl

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Was tun, wenn man ein übergewichtiger Teenager ist und sich im Diät-Camp in einen vierzig Jahre älteren Arzt verliebt? Ganz einfach: Man kämpft mit den verfügbaren Mitteln um den Mann der Träume. Ulrich Seidls dritter Teil seiner PARADIES-Trilogie, HOFFNUNG, bietet völlig unsentimentale, aber dennoch anrührende Einblicke in das Gefühlsleben eines jungen Mädchens, das einfach auch nur geliebt werden will.

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YI DAI ZONG SHI (The Grandmaster) von Wong Kar-Wai

Regentropfen peitschen aufs Pflaster, Hände und Füße pflügen blitzschnell durchs Wasser, Körper wirbeln durch die Luft und knallen mit einem dumpfen Knirschen gegen Mauern: Kung Fu als ästhetische Übung à la Wong Kar Wai. Mit dem Eröffnungsfilm der Berlinale, THE GRANDMASTER, hat der große Regiemeister des Hongkong Kinos neue Maßstäbe im Martial Arts Film gesetzt. Dabei, so Wong, wollte er gar keinen Kung Fu Film drehen, sondern einen Film über Kung Fu. Und wirklich: Die Schönheit des Kampfes zeigt die Schönheit des Inneren seiner Figuren.

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05.02.13 8:00

Interview mit der Leiterin des Filmmarkts

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400 Aussteller, 8000 Fachbesucher aus 100 Ländern und mehr als 1100 Filmvorführungen: Der European Film Market (EFM) zählt zu den bedeutendsten Branchentreffs der internationalen Filmindustrie. Beki Probst leitet den EFM seit seinen Anfängen. Claudia Palma und Tiziana Zugaro sprachen mit ihr über Zahlen, Trends und den tagtäglichen Wahnsinn.

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18.02.12 15:02

Wettbewerb: REBELLE von Kim Nguyen

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Die Geschichte ist uns aus den Nachrichten und Reportagen bekannt, aber es ist doch noch einmal etwas anderes, ihr über einen Film so nahe zu kommen: Ein halbwüchsiges Mädchen wird bei einem Überfall auf ihr Dorf von den Rebellen gefangen genommen und muss als ultimative Trennlinie von ihrem alten Leben die eigenen Eltern erschießen. REBELLE des Kanadiers Kim Nguyen zeigt die Geschichte dieses Mädchens als Heilungs- und Emanzipationsprozess von diesem furchtbaren Trauma.

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13.02.12 21:15

JAYNE MANSFIELD’S CAR von Billy Bob Thornton

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Autos sind wie Flugzeuge – man kann sich in ihnen wunderbar wegträumen. Skip Caldwell, einer von drei erwachsenen Söhnen des kauzigen Jim Caldwell, hat diese Träume bitter nötig. Die Erinnerungen an seinen Beinahe-Flammentod im Zweiten Weltkrieg verfolgen ihn noch Jahrzehnte später. Deshalb hat er sich einen hübschen Fuhrpark angeschafft – zum Träumen. Sein Bruder Carroll zieht derweil das Marihuana-induzierte Nirvana vor, während der Älteste, Jimbo, ganz in der Rolle des Erwachsenen aufgeht, der alles im Griff hat. In Billy Bob Thorntons Wettbewerbsfilm JAYNE MANSFIELD’S CAR hat sich eine Familie in den späten 60er Jahren mitten in Alabama in der inneren Emigration eingerichtet. Bis eines Tages die Nachricht vom Tod der Mutter das Gefüge durcheinander wirbelt. Sie hatte die Familie bereits vor Jahrzehnten verlassen und eine zweite Familie in England gegründet. Diese unerwünschten Verwandten rücken nun an, um die gemeinsame Mutter zu beerdigen.

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L’ENFANT D’EN HAUT von Ursula Meier

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Sonne, Skifahren, Berge und blauer Himmel: Was für die einen Erholung pur ist, bietet für andere lediglich eine günstige Gelegenheit zu klauen. L’ENFANT D’EN HAUT spielt in den französisch-schweizer Alpen und zeigt uns den Alltag von Simon, der sich mit seinen zwölf Jahren weitgehend selbst durchs Leben schlägt. Er wohnt mit Louise, von der lange nicht klar ist, ob sie seine Mutter oder Schwester ist, in einem trostlosen Sozialbau im Tal, und wenn sie mal wieder einen Typen anschleppt, stopft er sich ganz lakonisch Zigarettenfilter als Stöpsel in die Ohren. Jeden Tag fährt Simon in die Berge und klaut dort dreist Skier und Ausrüstung, die er anschließend verhökert. Die Regisseurin Ursula Meier zeigt einen Jungen, der als einzige Sicherheit im Leben einen Stapel Schweizer Franken ansieht.

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11.02.12 22:00

BARBARA von Christian Petzold

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© Christian Schulz

DDR, Anfang der 80er Jahre. Barbara, eine junge Ärztin aus Berlin, hat einen Ausreiseantrag gestellt. Sie wird in ein Provinzkrankenhaus nach Mecklenburg-Vorpommern versetzt. Während sie ihre Flucht vorbereitet, wird sie von der Stasi observiert und muss zugleich ihren Alltag im Krankenhaus meistern. Christian Petzold schildert in seiner fünften Regiearbeit mit der Schauspielerin Nina Hoss stimmig und sensibel eine hoch bedrückende und beängstigende Situation, in der die Hauptfigur sich dadurch zu schützen versucht, dass sie einen Panzer um sich und ihre Gefühle legt.

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Wettbewerb: A MOI SEULE von Fréderick Videau

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Acht Jahre lang gefangen und weggesperrt. Kontakt einzig und allein mit einem einzigen Menschen – dem Entführer. Und plötzlich frei. Die 18-Jährige Gaelle in Fréderick Videaus A MOI SEULE muss ganz langsam wieder ins Leben zurückfinden. Was wie die französische Version der Kampusch-Geschichte klingt und leicht zu einem sensationslüsternen Streifen hätte werden können, übt sich in Reduktion und überzeugt als psychologisches Kammerspiel. Eine cineastische Erleuchtung ist der Film allerdings nicht.

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09.02.12 21:30

LES ADIEUX A LA REINE (Leb wohl, meine Königin!) von Benoït Jacquot

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Was soll man sagen? Der Eröffnungsfilm der Berlinale ist mal wieder eine volle Pleite. Wer sich durch die 100 Minuten LES ADIEUX A LA REINE von Benoit Jacquot gegähnt hat, kommt zu dem Schluss, dass es doch nicht die schlechteste Idee der Franzosen war, den Hofstaat von Versailles nach Möglichkeit einen Kopf kürzer zu machen.

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DON - THE KING IS BACK von Farhan Akhtar

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Don is back! Für Freunde des Bollywood-Actionkinos ein Grund zum Feiern. In der Tat ist Farhan Akhtars Shah-Rukh-Khan-Vehikel ein kurzweiliges Vergnügen mit viel Ballerei und Schlägerei, fiesen Gangstern, schönen Polizistinnen und – natürlich – mit dem charmantesten aller Verbrecherkönige.

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08.02.12 21:02

Das ganze Jahr am Rödeln

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Panorama-Chef Wieland Speck spricht im Interview mit Festivalblog über den Arabischen Frühling, Schwulenfilme im Panorama und die Zukunft des Festivals.
Traditionell sind in der Berlinale-Sektion Panorama die echten cineastischen Perlen zu finden. Wie schafft Wieland Speck das? Mit dem 60-jährigen sprachen Claudia Palma und Tiziana Zugaro.

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06.02.12 8:55

Berlinale Countdown: Das Klo als Chance und Risiko

Auf der Berlinale ist das Klo eine lästige Notwendigkeit. Hektisch unterwegs zum nächsten Film, die Blase wegen des saukalten Wetters ohnehin nicht die belastbarste, muss man noch schnell „um die Ecke“. In den Kinos ist das zumeist eine Zumutung. Abgesehen von der olfaktorischen Belastung, die nun mal so ein Massenansturm auf die paar Toiletten im Cinemaxx hervorruft, sind es vor allem die Schlangen im und vor dem Damenklo, die einem den Gang zur nervlichen Belastung werden lassen. Kein freies Örtchen, nirgends.

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05.02.12 8:55

Berlinale Countdown:
THE HUNTER (Berlinale 2010)

Bei der Berlinale 2010 lagen die Wahl-Demonstrationen im Iran noch nicht mal ein Jahr zurück und waren noch sehr präsent, als der umwerfende Film „Shekarchi" von Rafi Pitts die Festival-Besucher vom Kinosessel fegte.

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THE HUNTER (Berlinale 2010) " »

04.02.12 8:55

Berlinale Countdown: PK-Fragen oder: Clooney in Afrika

Bei den Pressekonferenzen auf der Berlinale scheint sich der Intelligenzquotient der Fragenden gegenläufig zur Berühmtheit der befragten Schauspieler oder Regisseure zu verhalten.

Sehr beliebt sind Fragen wie: „Wie war die Arbeit mit Regisseur X?“, oder „Wie gefällt Ihnen Berlin?“

Manchmal ist aber eine Frage gar keine Frage, sondern ein Angebot. George Clooney kennt sich damit aus.

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26.01.12 8:55

Berlinale Countdown:
HAPPY GO LUCKY von Mike Leigh (2008)

Herzerfrischend!

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Wie so oft, war auch der Berlinale-Wettbewerb im Jahr 2008 von Tod und Trauer und Grausamkeiten geprägt. Mitten hinein in dieses Tränenmeer platzte dann Mike Leighs lebensbejahender Film HAPPY GO LUCKY. Leigh hatte ganz entgegen seiner Gewohnheit diesmal kein deprimierendes Sozialdrama auf die Leinwand gebracht, sondern ein beschwingtes Porträt einer wunderbar verrückten Frau, die mit einer schier unbegrenzten Lebensfreude durch London hüpft.

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HAPPY GO LUCKY von Mike Leigh (2008) " »

25.01.12 11:55

Berlinale Countdown:
SNOW CAKE von Marc Evans (2006)

Leise rieselt der Stuss

An richtig schlimme Filme erinnert man sich leider ganz besonders gut. Mir ist von Mark Evans SNOW CAKE aus dem Wettbewerbs-Jahrgang 2006 vor allem im Gedächtnis geblieben, wie sehr ich mich für Sigourney Weaver fremdgeschämt habe. Die Alien-Heroine mimt darin eine autistische Frau, die dem Film wohl seinen besonderen Zauber verleihen soll (Rain Man lässt grüßen…). Ein hinreißend naives Geschöpf, so wird es wohl im Storyboard geheißen haben, verweigert sich der realen Wahrnehmung der Welt – dafür muss man sie einfach lieben! Leider geht das Ganze überhaupt nicht auf.

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SNOW CAKE von Marc Evans (2006) " »

24.01.12 8:55

Berlinale Countdown:
ZEMESTAN von Rafi Pitts (2006)

Ein leiser, starker Film

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Es passiert selten, zumal auf Festivals – aber manchmal ist man völlig gebannt von einem Film, seiner Stimmung, seiner Aura. Mir ist das auf der Berlinale zum ersten Mal im Jahr 2006 so gegangen. Bei Rafi Pitts ZEMESTAN (Winter). Jahre später sollte sich dieses Gefühl bei seinem Drama „The Hunter“ wiederholen. Im Vergleich zu dem jüngeren Film ist ZEMESTAN weniger hart, weniger verzweifelt. Die emotionale Kraft des Nachfolgefilms hat er dennoch.

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ZEMESTAN von Rafi Pitts (2006) " »

14.01.12 6:44

Berlinale Countdown 2012

Die Berlinale nähert sich mal wieder mit Siebenmeilenstiefeln. Am 9. Februar geht es los und die Redaktion von Festivalblog rüstet sich bereits zur Berichterstattung. Doch schon jetzt berlinalet es schon ganz gewaltig auf unserer Website: Um uns adäquat auf das bevorstehende Filmfest einzustimmen, hat sich die Redaktion von den Tops und Flops der vergangenen Berlinale-Jahrgänge inspirieren lassen: Vom 14. Januar an finden sich auf festivalblog.com Texte zu besonders positiv oder negativ in Erinnerung gebliebenen Festivalfilmen, außerdem allerhand nützliche Tipps rund ums Berlinale-Geschehen (von den nettesten Cafés bis zu den kürzesten Warteschlangen). Außerdem haben wir auch diesmal nette kleine Beobachtungen „am Wegesrand“ aufgelesen, um Sie unseren Leserinnen und Lesern präsentieren zu können. Der Countdown dieser Vorab-Texte läuft dann bis zum 9. Februar.

Bis dahin findet sich auf unserer Website auch die Vorberichterstattung zu allen Sektionen der Berlinale - sodass man sich schon einmal informieren und einstimmen kann.

Pünktlich zum Festivalbeginn legt die Redaktion dann richtig los: Wir stellen ganz aktuell Rezensionen zu den Festivalbeiträgen und bunte Artikel rund um die Berlinale ein, die von Euch natürlich gerne kommentiert werden können.

Wir freuen uns schon auf die Berlinale - freut Ihr Euch mit auf festivalblog.com!

18.02.11 15:34

WER WENN NICHT WIR von Andreas Veiel

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In den vergangenen Jahren gab es eine ganz Reihe von Filmen, die sich mit der RAF auseinandergesetzt haben. Manche mehr, manche weniger überzeugend. Nun hat sich Deutschlands derzeit wichtigster Dokumentarfilmer Andreas Veiel daran gemacht, einen Teil der Vor-Geschichte fiktional zu erzählen: und zwar als Beziehungsgeschichte zwischen Gudrun Ensslin und ihrem ersten Freund Bernward Vesper. Was den Regisseur interessiert, sind die biografischen und sozialen Prägungen seiner Hauptfiguren, aus denen sich die späteren Entwicklungen neu bewerten lassen. Klar, dass die Frage im Raum stand, ob der Veiel wohl Spielfilm kann. Und man muss sagen: Er kann. WER WENN NICHT WIR ist ein sehr überzeugender und packender Film geworden.

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16.02.11 16:51

OUR GRAND DESPAIR von Seyfi Teoman

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Zwei Männer, eine Frau – dass das zu Verwicklungen führt, weiß man aus unzähligen Filmen. Wie nun aber der türkische Regisseur Seyfi Teoman ein solches amouröses Dreieck in OUR GRAND DESPAIR auf die Leinwand bringt, ist erfrischend ungewöhnlich. Ender und Cetin kennen sich seit der Schulzeit und wohnen nun in einer gemütlichen Wohnung im ungemütlichen Ankara. Als die Schwester eines gemeinsamen Freundes die Eltern bei einem Autounfall verliert, nehmen die beiden die junge Frau bei sich auf. Zunächst geht es darum, das Mädchen in seiner Trauer nicht allein zu lassen. Doch bald entwickelt sich eine starke Zuneigung zwischen den neuen Wohnungsgenossen – und dann verlieben sich beide Männer Hals über Kopf in die junge Frau. Als Ender und Cetin sich schließlich gegenseitig ihre Verliebtheit gestehen, schütteln sie ungläubig den Kopf, seufzen und stoßen erst mal mit Raki auf das Schlamassel an. Nach dem Motto: War ja klar, dass so etwas ausgerechnet uns passiert!

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MEIN BESTER FEIND von Wolfgang Murnberger

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Eine Geschichte, die in der Nazi-Zeit spielt und trotzdem heitere Töne anschlägt? Tragische Begebenheiten, und man lacht dennoch? Geht das gut? Wenn der richtige Regisseur es in die Hand nimmt, dann ja. Wolfgang Murnbergers MEIN BESTER FEIND beweist es.

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15.02.11 18:09

BRASCH – DAS WÜNSCHEN UND DAS FÜRCHTEN von Christoph Rüter

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In den achtziger Jahren erhielt er den Bayerischen Filmpreis und wagte es, vor laufender Kamera, der Filmhochschule der DDR für seine Ausbildung zu danken – lautes Buhen aus dem Publikum war die Folge. Thomas Brasch, hüben wie drüben ein aufmüpfiger Geist, ließ sich jedoch nicht beirren, und wiederholte seinen Dank. Franz Josef Strauß, politisches Urviech par excellence, nutzte die Gelegenheit, ging ans Mikro und dankte Brasch dafür, dass er sich hier so wunderbar als lebender Beweis der „liberalitas bavariae“ präsentiert habe. Christoph Rüters Doku BRASCH – DAS WÜNSCHEN UND DAS FÜRCHTEN zeichnet ein einfühlsames Bild dieses Schriftstellers, Dichters und Theatermanns und schreckt auch nicht vor seinen weniger sympathischen Ecken und Kanten zurück.

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14.02.11 21:10

CORIOLANUS von Ralph Fiennes

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Eine wütende Menschenmenge fordert in einer sauber einstudierten Choreographie „Brot!“ von den bewaffneten Militärs, die eine Brotfabrik bewachen. Ein Trupp Soldaten mit schwerem Geschütz und Tarnuniformen stürmt eine Neubausiedlung und spricht dabei in Jamben. Shakespeare meets Balkankrieg – Ralph Fiennes Regiedebut CORIOLANUS transportiert das Elisabethanische Drama in die Jetztzeit und liegt damit goldrichtig. Wuchtig, gewalttätig und blutig ist dieser Film – und dabei subtil und psychologisch fein ausgearbeitet; nicht zuletzt dank der wunderbaren Sprache von William Shakespeare.

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13.02.11 17:55

LES CONTES E LA NUIT von Michel Ocelot

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In den letzten Jahren ist die Qualität und Komplexität von Animationsfilmen so gestiegen, dass man durchaus mit einiger Erwartung in den einzigen Trickfilm im Wettbewerb gehen darf. Leider bleibt nach LES CONTES DE LA NUIT von Michel Ocelot eigentlich nur eines zu sagen: ganz hübsch. Und den 3-D-Effekt hätte man sich eigentlich auch sparen können....

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Die heimlichen Stars der Berlinale: Die Brille

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Rieseninsekten im Kinosessel

Heute tragen wir auf der Berlinale alle schicke schwarze 3-D-Brillen. Sehen gaaaanz schön spacig aus, die Teile. Und sie sind ein richtiger Equalizer: Wir schauen als gleich doof aus der Wäsche – selbst die supercoolen Promis in der Jury. Lauter Rieseninsekten im Kinosessel. Frau Rosselini findet das sicher lustig, hat sie doch vor kurzem einen lustigen Film über das Sexualleben von Insekten gedreht.
Am vierten Berlinale-Tag ist man außerdem froh, dass die Augenringe durch das Teil einigermaßen verdeckt werden. Wer sich allerdings schon gefreut hat, dass man endlich mal ein Give-Away von der Berlinale mit nach Hause nehmen darf, der wird herb enttäuscht. Gleich vor Filmbeginn und am Schluss der Vorführung nochmal wird per Lautsprecherdurchsage darauf hingewiesen, dass die Brillen UNBEDINGT wieder abzugeben sind...Schade eigentlich.

YELLING TO THE SKY von Victoria Mahoney

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Es hätte eine schöne Milieustudie werden können. Oder ein eindrückliches Porträt eines jungen Mädchens, das in einer widrigen Umwelt zu sich selbst finden muss. Letztlich ist Victoria Mahoneys YELLING TO THE SKY aber ein oberflächlicher Film geworden, der sich nicht recht entscheiden kann, was er sein will, und seine Protagonisten als leere Hüllen vor sich hin werkeln lässt. Das hat weder Saft noch Kraft, und ganz bestimmt keine Haltung.

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11.02.11 23:00

EL PREMIO von Paula Márkovitch

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Ein kleines Mädchen stapft auf Rollschuhen einen unwirtlichen Strand entlang. Der Wind zerrt an ihren Haaren und Kleidern, und der nasse Sand macht das Rollen der Räder unmöglich. Die Widrigkeiten der Elemente sind nicht die einzigen Hindernisse, mit denen Cecilia zu kämpfen hat. Paula Márkovitchs Spielfilmdebut EL PREMIO zeigt ein Kinderschicksal in Argentinien in den Zeiten der Militärdiktatur.

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MARGIN CALL von JC Chandor

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Und noch ein Film, der uns in der Sprache des Thrillers die große Finanzmarktkrise des 21. Jahrhunderts nahe bringt. JC Chandor hat für sein Spielfilmdebüt MARGIN CALL Stars wie Kevin Spacey und Jeremy Irons an Land gezogen, die ihre Sache sehr ordentlich machen, und zieht auch optisch alle Register: Mit Panoramaschwenks über Manhattan wird nicht gegeizt. Das dramatische Geschehen in einer Investmentbank an der Wall Street wird binnen einer Nacht und eines Vormittages ein Erdbeben auslösen – und Chandor tut uns den Gefallen, die komplexe Materie von den Spezialisten wiederholt so erklären zu lassen, dass auch ein Kind sie verstehen könnte (anscheinend weil sonst der Oberboss auch nur Bahnhof verstünde – oh süße Lügenwelt Hollywood…).

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10.02.11 16:55

TRUE GRIT von Joel und Ethan Coen

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Coming of Age mal anders

Ein Western, der eigentlich kein Western ist. Eine toughe Heldin, die gerade mal vierzehn Jahre zählt, und ein alternder Marshall, der in seiner Bräsigkeit und Schlampigkeit stark an den Dude aus THE BIG LEBOWSKY erinnert – und, siehe da, er wird gespielt von Jeff Bridges. Joel und Ethan Coen haben der Berlinale mit TRUE GRIT einen fulminanten Eröffnungsfilm geschenkt. Ziemlich gerade heraus und doch deutlich mit dem immer ein wenig verdreht um die Ecke kommenden Humor der Coen-Brüder versehen.

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08.02.11 6:00

Berlinale Tipps: Pressekonferenzen Fragen

George Clooney in Afrika

Bei den Pressekonferenzen auf der Berlinale scheint sich der Intelligenzquotient der Fragenden gegenläufig zur Berühmtheit der befragten Schauspieler oder Regisseure zu verhalten.

Sehr beliebt sind Fragen wie: „Wie war die Arbeit mit Regisseur X?“, oder „Wie gefällt Ihnen Berlin?“

Manchmal ist aber eine Frage gar keine Frage, sondern ein Angebot. George Clooney kennt sich damit aus. Eine sichtlich aufgeregte und sichtlich extra für die Pressekonferenz herausgeputzte junge Dame wandte sich vor ein paar Jahren mit den einleitenden Sätzen an ihn: „Ich weiß nicht, ob Sie sich erinnern, aber wir haben uns im vergangenen Jahr in Cannes kennen gelernt“. Darauf Clooney: „Ich würde nicht sagen, dass wir uns kennen gelernt haben“. Sehr hübsch. War aber wahrscheinlich inszeniert, oder kann das Leben manchmal einfach ein solches Geschenk sein?

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01.02.11 6:00

Berlinale Tipps: Toiletten-Tipps für sie

Das Klo als Chance und Risiko

Auf der Berlinale ist das Klo eine lästige Notwendigkeit. Hektisch unterwegs zum nächsten Film, die Blase wegen des saukalten Wetters ohnehin nicht die belastbarste, muss man noch schnell „um die Ecke“. In den Kinos ist das zumeist eine Zumutung. Abgesehen von der olfaktorischen Belastung, die nun mal so ein Massenansturm auf die paar Toiletten im Cinemaxx hervorruft, sind es vor allem die Schlangen in und vor dem Damenklo, die den Gang zur nervlichen Belastung werden lassen. Kein freies Örtchen, nirgends.

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22.01.11 13:25

Berlinale-Jury ist vollzählig!

Prominente Truppe unter dem Vorsitz Isabella Rossellinis

Unter dem Vorsitz der Schauspielerin, Produzentin und Regisseurin Isabella Rossellini wird die Internationale Jury auf der 61. Berlinale über den Goldenen Bären und die Silbernen Bären entscheiden, sowie über den Alfred-Bauer-Preis.

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18.01.11 6:00

Berlinale Countdown 2011: Bergman und Humor

Vom Tod und dem Penis

Ingmar Bergman und Humor? Soll wohl ein Witz sein? Nein, nicht ganz.

Wer sich bei Bergman an die humorfreie Zone zerrütteter Ehen, bedrohliche Schwarzweißbilder von Uhren ohne Zeiger und ebenso humorfreie Bilder glücklich in der Natur herum springender junger Maiden erinnert, erinnert zwar richtig, aber er blendet auch einiges aus:
Die derben Witze in der Familie von FANNY UND ALEXANDER (bevor der humorfeindliche Pastor dort Einzug hält) etwa, oder DAS LÄCHELN EINER SOMMERNACHT, als Komödie beworben und bei den Filmfestspielen von Cannes mit dem Großen Preis für den „besten poetischen Humor“ ausgezeichnet (was auch immer man sich darunter vorzustellen hat).

Doch der Schalk Bergmans lauert auch anderswo.

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14.01.11 6:00

Berlinale Countdown 2011: Bergman und das Theater

Laterna Magica und Puppenspiel

Der schwedische Regisseur war von Anfang an vom Kino ebenso fasziniert wie vom Theater. Aus seiner Kindheit erzählte Bergman prägende Erlebnisse: Zum einen der Bildprojektor, eine Laterna Magica, die sein älterer Bruder Weihnachten 1927 geschenkt bekam, und die der kleine Ingmar gegen hundert Zinnsoldaten eintauschte, um sich immer wieder denselben Film, „Frau Holle“, anzusehen. Zum anderen führte der kleine Ingmar Puppenspiele von Strindberg-Stücken (!) auf: Bei diesen Ein-Kind-Produktionen sprach er alle Rollen und war gleichzeitig für die Ausstattung und Beleuchtung zuständig. Später soll er dann im Keller des elterlichen Wohnhauses seine ersten Stücke einstudiert haben.

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12.01.11 21:00

Panorama-Dokus: schwul, politisch, anders

Die Dokumentarfilme im diesjährigen Panorama-Programm versprechen spannende Filmstunden. Besonders interessant dürfte Angélique Bosios Doku über drei Pioniere des schwulen Kinos werden: THE ADVOCATE FOR FAGDOM nimmt Bruce La Bruce, John Waters und Gus Van Sant unter die Lupe. Kaspars Gobas HOMO@LV widmet sich dem Thema Schwulsein in Lettland – ein bislang cineastisch durchaus unterbelichtetes Sujet.

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11.01.11 6:00

Berlinale Countdown 2011: Bergman und Fellini

Die Kippe in den Tortellini

Es sollte eine Zusammenarbeit der Filmgiganten werden: Der amerikanische Produzent Martin Poll wollte Ingmar Bergman, Federico Fellini und Akira Kurosawa 1969 für einen gemeinsamen Episodenfilm gewinnen, TRE STORIE DI DONNE. Jeder der Regisseure sollte für eine von drei Frauengeschichten verantwortlich zeichnen.

Nachdem Kurosawa frühzeitig abgesprungen war, blieben noch Bergman und Fellini übrig. Man traf sich in Cinecittà, wo Fellini gerade SATYRICON drehte. Georg Seeßlen schildert dieses Treffen – das nicht das erste der beiden Regisseure war – als eine Reihe von Missverständnissen, die vor allem eines zeigte: Die charakterliche Inkompatibilität dieser beiden Visionäre des europäischen Kinos.

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20.02.10 16:08

„Bal – Honig“ von Semih Kaplanoglu

Wenn es einen Preis für den poetischsten Film des Wettbewerbs gäbe, dann müsste ihn eindeutig (Stand: heute) „Bal - Honig“ des türkischen Filmemachers Semih Kaplanoglu bekommen. Der Film entführt uns in eine andere Welt, irgendwo zwischen Traum und Wirklichkeit, in der das Rauschen der Blätter, das Knacken eines Astes oder die Spiegelung des Mondes in einem Wassereimer Ereignisse sind, die uns genauso in den Bann ziehen, wie die heißeste Actionszene in einem Thriller. Ein kleiner Junge namens Yusuf ist hier die Hauptfigur – und aus seiner Perspektive verfolgen wir staunend, wie schrecklich und wunderbar zugleich die Welt sein kann, wenn man sechs Jahre alt ist, Angst davor hat, vor der Klasse laut vorzulesen, in einem Holzhaus mitten in einem Wald mit riesigen Bäumen lebt, und wenn man einen Vater hat, der auf diese riesigen Bäume klettert, um dort den wertvollen schwarzen Honig zu finden.

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19.02.10 20:08

"Na Putu" von Jasmila Žbanić (II)

Was passiert, wenn der Mann, den du liebst, plötzlich zum fundamentalistischen Moslem mutiert? Wenn die Nähe und Gemeinsamkeit, die bislang die Beziehung zu einer glücklichen machte, in Frage gestellt wird von anderen Wertvorstellungen, einer anderen Art zu denken und die Welt zu beurteilen? Jasmila Žbanić, vor drei Jahren Gewinnerin des Goldenen Bären für „Grbavica – Esmas Geheimnis“, verortet diese Geschichte in Bosnien und erzählt sie aus der Perspektive der Frau. Entstanden ist ein Film, der klar Stellung bezieht und starke Momente hat, alles in allem aber erstaunlich brav daherkommt.

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17.02.10 11:20

Shekarchi – The Hunter von Rafi Pitts

Wieviel Grausamkeit kann ein Mensch ertragen bevor er zurückschlägt? Wann zerreißt die innere Spannung? Das sind uralte Fragen, auch im Kino, aber selten habe ich sie so konzentriert und konsequent auf der Leinwand gesehen wie in „Shekarchi“ – The Hunter des iranischen Regisseurs Rafi Pitts. Der Film spielt in Teheran kurz vor den Wahlen im Jahr 2009. Ali, die Hauptfigur (gespielt von Pitts selbst), lebt bereits vor der Katastrophe, die als Initialzündung für den Film funktioniert, unter ständiger Anspannung. Mit wenigen Szenen gelingt es Pitts, diese Spannung aufzubauen, ohne die der weitere Verlauf der Geschichte nicht nachvollziehbar wäre. Das Faszinierende dabei: Er psychologisiert nicht, er erklärt nicht, er zeigt nur: und trotzdem, oder gerade deshalb, ist man als Zuschauer von Anfang bis Ende von dieser Figur und ihrer Geschichte gebannt.

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15.02.10 20:50

Caterpillar von Koji Wakamatsu

Japan, Anfang der 40er Jahre. Eine junge Frau schreit: „Das ist nicht mein Mann! Das Ding da ist nicht mein Mann!“ „Das Ding“ ist ein junger Soldat, der als hoch dekorierter Veteran aus dem zweiten japanisch-chinesischen Krieg in sein kleines Dorf zurückkehrt – ohne Arme, ohne Beine, taub, sprachlos und mit von Brandwunden entstelltem Gesicht. Von der Ehefrau wird nun ganz selbstverständlich erwartet, dass sie sich aufopferungsvoll um den Kriegshelden kümmert und so die „Heimatfront“ stärkt. Nach dem ersten Schock stellt sich die Frau dieser Aufgabe dann auch.

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En ganske snill mann von Hans Petter Moland

Mann kommt nach zwölf Jahren aus dem Knast und muss wieder Fuß fassen. Das ganze spielt in Norwegen. Ich bin also schon voll auf hartes Sozialdrama eingestellt und versenke mich ergeben in meinem Kinosessel. Der Film beginnt, und das erste, was mich irritiert, ist die Musik: Lustig, leicht und beschwingt. Was in den folgenden 107 Minuten folgt, stellt so ziemlich jede Erwartung, die man in Bezug auf das Genre „Mann kommt aus dem Knast und muss wieder Fuß fassen“ hat, auf den Kopf. „En Gnaske Snill Mann“ – A Somewhat Gentle Man – von Hans Petter Moland hat einen schön schrägen Humor und eine Hauptfigur, die so gar nicht ins Klischee passt.

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A Woman, a Gun and a Noodle Shop von Zhang Yimou

Mit „A Woman, a Gun and a Noodle-Shop“ hat Zhang Yimou eine Art Spaghetti-Western (Noodle-Shop!) auf Chinesisch gedreht, eine unterhaltsam-blutrünstige Geschichte um Gier und Feigheit, Verzweiflung und Arroganz, Mord und Totschlag. Chinas Vorzeige-Regisseur hat sich dabei von „Blood Simple“, dem Frühwerk der Coen-Brüder aus dem Jahr 1984, inspirieren lassen. Doch was bei den Coens eine Groteske mit Abgründen ist, gerät hier zur farbenprächtigen Farce ohne wirkliche Tiefe. Der Film hat trotzdem seine Reize: das Erzähltempo ist gekonnt rasant, die Geschichte ist rund, und Yimou besitzt auch für dieses schrillen Genre ein Gefühl für Stil. Vor allem aber ist der Film ein interessantes Vexierbild: Hier wird eine Parodie (Blood Simple) des (westlichen) Outlaw-Genres mit Figuren und Formen des asiatischen Kinos nochmals parodiert.

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14.02.10 19:18

Greenberg von Noah Baumbach

Roger Greenberg ist ein ziemlich schwieriger Typ. Verklemmt, egozentrisch und latent aggressiv. Allerdings nicht von der Sorte Ruck-zuck-eins-auf-die Fresse, denn schließlich wird Roger Greenberg von Ben Stiller gespielt: Die Hiebe, die er austeilt, sind rein verbal. Nichtsdestotrotz fügen sie den Menschen, die Roger an sich herankommen lassen, nicht unerheblichen Schaden zu. Nach einem Nervenzusammenbruch will der 40-jährige Ex-Musiker und aktuelle Schreiner erst mal eine Auszeit nehmen und „nichts tun“. Er verlässt New York und quartiert sich bei seinem Bruder in Los Angeles ein. Der ist – natürlich! – erfolgreich, hat eine Frau, zwei Kinder nebst Hund (Mahler!), ein Haus mit Swimming Pool, eine nette Assistentin (Haushaltshilfe, Babysitterin, Gassigeherin und Mädchen für alles - Florence) und er verbringt seinen Urlaub in Vietnam. Als Dankeschön für den Unterschlupf soll Roger eine Hundehütte für Mahler bauen.

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Submarino von Thomas Vinterberg

Alkohol. Gewalt. Verwahrlosung. Was passiert mit Kindern, die in einer solchen Umgebung aufwachsen? Welche Chancen haben sie, wie viel Kraft muss es kosten, die vorgelebten Muster nicht zu wiederholen? Thomas Vinterberg gibt mit seinem Brüderdrama „Submarino“ eine ziemlich schonungslose Antwort auf diese Fragen. Dabei gelingt ihm das beinahe Unmögliche: Die Geschichte von Nick und seinem Bruder wirkt realitätsnah, ohne als pädagogisches Lehrstück daherzukommen; der Film ist unglaublich hart und lässt doch ein winziges Fünkchen Hoffnung, ohne in den Sozialkitsch abzugleiten. Und: „Submarino“ setzt die narrativen Mittel des Kinos ein, ohne sein Gefühl für Geschichten, wie sie das Leben leider manchmal schreibt, zu korrumpieren.

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12.02.10 22:30

Sawako Decides von Ishii Yuya

Die junge Sawako hat es nicht leicht. Seit fünf Jahren hangelt sie sich in Tokio von einem trostlosen Job zum nächsten, und ihr derzeitiger Freund ist auch nicht gerade ein Lichtblick. Die Schikanen im Büro und die Luschigkeit des Freundes werden in absurd komischen Szenen zur schrillen Farce eines durchschnittlichen Lebens. Die Chefs und Mitarbeiter im Büro scheuchen die junge Frau durch die Gegend und machen sich aufs Perfideste über sie lustig. Der Freund, ein allein erziehender Vater und erfolgloser Spielzeugdesigner ohne einen Funken von Kreativität, ist seit kurzem zwecks Profilschärfung auf dem Ökotrip und permanent am Pullis stricken. Und Sawako? Die verweigert scheinbar kategorisch jeglichen Widerstand gegen die Umstände. Sie saugt all den Trübsinn um sie herum ergeben in sich auf, bekennt sich in entwaffnender Offenheit zur eigenen Unterdurchschnittlichkeit, schüttet Unmassen von Dosenbier in sich herein, und stolpert einfach weiter durchs Leben. Doch dann muss sie auf einmal überraschend die Muschelfabrik ihres schwerkranken Vaters in der Provinz übernehmen.

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11.02.10 18:11

Kanikosen von Sabu


Vorwärts im Krabbengang

Die Geschichte von Ausbeutung, Unterdrückung und Revolte ist im Kino schon auf völlig unterschiedliche Weise erzählt worden: opulent wie bei Eisenstein, ganz nah dran am Alltag wie bei den italienischen Neorealisten, es gibt sie als Tragödie, Komödie und Science Fiction. Der Japaner Sabu hat sich bei der Verfilmung von Takiji Kobayashis Roman Kanikosen aus dem Jahr 1929 für eine Mischung aus Fantasie und Realismus, aus Satire und bitterem Ernst entschieden. Die Figuren in Sabus KANIKOSEN sind Typen, aber sie sind in ihrer Typenhaftigkeit extrem präsent und noch Wochen nach dem Kinobesuch von bleibender Wirkung. Der Film lehnt sich in seiner Ästhetik zudem deutlich an die Manga-Version des Romans an, die 2006 für ein Revival des Stoffes sorgte.

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Tuan Yuan von Wang Quan’an

Wie erzählt man von einer Liebe, die 50 Jahre Trennung überdauert hat und dann doch nicht gelebt werden darf? Eigentlich ist die Situation, die der chinesische Regisseur Wang Quan’an in Tuan Yuan schildert, eine furchtbare Tragödie. Eine Frau will sich zugunsten ihrer großen Liebe von ihrem Mann und ihrer Familie trennen. Und schafft es dann doch nicht. Soweit, so vertraut. Doch Wang Quan’an erzählt die Geschichte nicht in der erwartbaren Tonlage. Er macht kein großes Drama aus dieser höchst dramatischen Situation. Stattdessen wirft er einen fast grausam nüchternen, sezierenden Blick auf die Figuren. Er zeigt über kleine Gesten und Blicke die Hilflosigkeit seiner Figuren, er deutet dezent an, wo die Personen dem Bild, das sie von sich selbst haben und das sie für gewöhnlich nach außen zeigen, widersprechen, und er enthält sich, bis auf ganz wenige Ausnahmen, jeglicher Parteinahme.

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La belle visite von Jean François Caissy

Das lange Warten


Irgendwo in der Nähe von Québec. Ein umgebautes Motel, eingeklemmt zwischen Schnellstraße und Meer, dient als Altersheim. Die Bewohner haben vor allem eins: viel Zeit. Kleine alltägliche Verrichtungen wie der Gang zum Frühstückstisch oder der Besuch bei der Diätberaterin werden von den alten Menschen ausgiebig zelebriert. Irgendwie muss ja diese schier endlose Spanne von freier Zeit gefüllt werden. Im Sommer ist es schöner, da kann man sich wenigstens auf dem schmalen Streifen Natur, das einen vom Meer trennt, vom Wind durchpusten lassen. Im Winter dominiert das Klaustrophobische in den bemüht gemütlich gestalteten Zimmern und in den kahlen, funktionalen Gängen des Heims.

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01.02.10 16:06

Mit Torte und Grafitti ins 60. Jahr

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60 Jahre Berlinale sollen gebührend gefeiert werden. „Happy Birthday, Berlinale“ ist nun also das offizielle Motto der diesjährigen Filmfestspiele. Eine riesige Geburtstagstorte zum Jubiläum wurde vorsorglich schon mal auf der Eröffnungs-Pressekonferenz am Montag in Berlin geschlachtet. Es gab also nicht nur das komplette Programm zu verdauen, sondern auch ein mehrstöckiges Zuckerwerk. Gaumenzeugen berichten, der weißrotcremigsüße Kuchen sei lecker gewesen. Und Festivalchef Chef Dieter Kosslick steuerte als verbales Präsent – ganz in der gewohnt launigen Art – gleich noch ein schwäbisches Sprichwort über betagte Jubilare bei: „Wenn die Kerzen teurer sind als die Torte, dann kommt man langsam ins Nachdenken“.

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31.01.10 16:16

Interview mit Ulrich Gregor

„Irgendetwas musste man ja tun“

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Ulrich Gregor, 1932 in Hamburg geboren, arbeitete als Filmkritiker, Filmhistoriker und Festivalleiter. Der studierte Romanist und Publizist hob 1957 gemeinsam mit Enno Patalas die Zeitschrift "Filmkritik" aus der Taufe. Mit seiner Leidenschaft für das, was gute, neue und aufregende Filme ausmacht, hat er Filmgeschichte geschrieben: 1963 gründete Gregor zusammen mit seiner Frau Erika den Verein "Freunde der deutschen Kinemathek" in Berlin, 1970 kam das Kino Arsenal dazu, 1971 dann die Gründung der Berlinale-Sektion Internationales Forum des jungen Films, die er bis 2001 leitete. Zudem publizierte er umfangreich zur Geschichte des Films. Ulrich Gregor lebt in Berlin. Tiziana Zugaro und Claudia Palma sprachen mit ihm übers Filme machen, Filme finden und Filme zeigen in Zeiten des Kalten Krieges.

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22.01.10 18:32

Forum: Meerestiere und andere Leckerbissen

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Das Forum verspricht wie immer einige wirkliche Leckerbissen in seinem umfangreichen Programm – und viele Filme, von denen man sich einfach mal überraschen lassen muss. Die Berlinale schreibt dazu: „Das Forum der Berlinale versammelt in seinem 40. Jahr Filme, die sensibel auf die Zeitstimmung reagieren. Selten fand man in Spiel- und Dokumentarfilmen so viele Menschen in unauflöslichen Konflikten gefangen, vor lebenswichtige Entscheidungen gestellt und mit Abgründen konfrontiert wie in der diesjährigen filmischen Auslese.“ Nun denn.
Auf alle Fälle freuen kann man sich auf den neuen Filmen des japanischen Enfant Terrible Sabu: Mit KANIKOSEN hat der Regisseur von POSTMAN BLUES (1997), MONDAY (2000) und HARD LUCK HERO (2003) eine gelungen skurrile Verfilmung des Romans von Takiji Kobayashi aus dem Jahr 1929, der 2006 in einer Manga-Version ein Revival erlebte, auf die Leinwand gebracht.

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12.02.09 17:03

"My One and Only" von Richard Loncraine

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Endlich mal ein so richtig schön beschwingter Film: In Richard Loncraines „My One and Only“ folgen wir Renée Zellweger, wie sie als frisch getrennte Ehefrau mit ihrer beiden halbwüchsigen Söhnen im Gepäck in einem babyblauen Cadillac „El Dorado“ quer durch Amerika heizt, um das Glück im allgemeinen und einen neuen Ehemann im besonderen aufzustöbern. Der Film hat Flow und gute Musik, der Film hat das richtige Tempo, er hat eine Menge wundervolle One-Liners zu bieten und er erzählt eine Geschichte, die ans Herz geht, ohne kitschig zu werden.

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11.02.09 16:25

"London River" von Rachid Bouchareb


London, Juli 2003. Eine Serie von Bombenanschlägen in Bus und U-Bahn erschüttert die Stadt. Elisabeth Sommers, Witwe eines Falkland-Generals, lebt auf einer der britischen Kanalinseln und erfährt aus dem Fernsehen von den Anschlägen. Sie ist beunruhigt, versucht ihre in London lebende Tochter Jane auf dem Handy zu erreichen. Doch sie landet nur immer auf der Mailbox. Schließlich packt sie kurz entschlossen ihre Koffer und begibt sich auf die Suche nach Jane. In London trifft Mrs. Sommers auf den Afrikaner Ousmane, der ebenfalls auf der Suche nach seinem Kind ist. „London River“ des französischen Regisseurs Rachid Bouchareb erzählt mit sehr viel Feingefühl davon, wie sich zwei sehr unterschiedliche Menschen durch einen gemeinsamen Verlust näher kommen.

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Interview mit Josef Hader

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Josef Hader, geboren 1962 in Oberösterreich, ist Kabarettist, Autor und Schauspieler, und bekannt für seinen bitterbösen schwarzen Humor, der immer sehr elegant daher kommt. Einem breiteren Publikum wurde Hader 1993 mit dem Film „Indien“ bekannt. Zurzeit tourt er mit seinem aktuellen Kabarettprogramm „Hader muss weg“ durch Österreich und Deutschland. Er hat bereits in drei Verfilmungen von Brenner-Krimis nach Wolf Haas den Detektiv Simon Brenner gespielt. Auf der Berlinale läuft die aktuelle Verfilmung, "Der Knochenmann", im Panorama. (Link zur Filmkritik) Mit Josef Hader sprachen Tiziana Zugaro-Merimi und Steffen Wagner.

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"Notorious" von George Tillman, Jr.

Ein kleiner dicker Junge sitzt auf den Treppenstufen eines Brownstones in Brooklyn und redet davon, dass er ein großer Rap-Star werden will. Kommt ein kleines Mädchen vorbei und sagt: „Ach was, der ist doch viel zu hässlich, zu fett und zu schwarz, um ein Star zu werden.“ Das Biopic „Notorious“ zeigt, wie es der kleine dicke Junge dann doch schafft, einer der größten Stars der East Coast Rap-Szene zu werden: Christopher Wallace, a.k.a. The Notorious B.I.G., a.k.a. Biggie Smalls, setzte Mitte der Neunziger Jahre neue Maßstäbe im Gangsta Rap.

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09.02.09 18:58

"Gigante" von Adrián Biniez

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Bamm, bamm, bamm. Morgens um neun von einem martialischen Heavy-Metal-Song wachgerüttelt zu werden, hat schon was. Ganz groß im Bild, weiß auf rotem Grund: ein gigantisches “A”. Dann weitet sich der Blick der Kamera und der Filmtitel “Gigante” erscheint in seiner ganzen Blockbuchstaben-Pracht. Der Gigant, um den es sich hier handelt, ist ein im Grunde sehr sanftmütiger Nachtwächter, der in einem Supermarkt in einem tristen Vorort von Montevideo arbeitet. Der Film des Uruguayaners Adrián Biniez folgt diesem sanften Riesen auf Schritt und Tritt durch sein eigentlich sehr langweiliges Leben. Das kleine Wunder dabei: es wird einem dabei keine Sekunde langweilig.

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08.02.09 18:39

"Distanz" von Thomas Sieben

Ein bisschen komisch ist er ja schon. Aber erst mal nicht unsympathisch. Daniel arbeitet als Gärtner im Botanischen Garten in Berlin; er ist recht schweigsam und wird regelmäßig von seinem großmäuligen Kollegen provoziert – was aber einfach an ihm abzuperlen scheint. Eines Abends steht er dann aber mit einem kleinen Kieselstein in der Hand auf einer Autobahnbrücke. Er dreht und wendet den Stein zwischen den Fingern, und irgendwann lässt er ihn fallen.

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07.02.09 23:13

"Über Elly" von Asghar Farhadi

Eine Gruppe von befreundeten Paaren fährt für ein paar Tage ans Meer. Mit dabei: Elly, eine Bekannte einer der Frauen. Wir sehen die Ausflügler beim Picknick unterwegs, wie sie das Ferienhaus sauber machen, viel lachen und sich gegenseitig aufziehen. Was leicht und unbeschwert wie ein Eric-Rohmer-Ferienfilm à la Iran anfängt schlägt bald in eine Tragödie um. Denn Elly ist plötzlich verschwunden.

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06.02.09 18:41

"Little Soldier" von Annette K. Olesen

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Mit den posttraumatischen Störungen von Soldaten sind wir inzwischen einigermaßen vertraut. Neu und ungewohnt ist es hingegen, einer ehemaligen Soldatin dabei zuzusehen, wie sie sich damit abmüht ins zivile Leben zurückzufinden. Der dänische Wettbewerbsbeitrag „Little Soldier“ tut genau dies. Die Ex-Soldatin Lotte stolpert darin mit einem geradezu greifbaren psychischen Schutzpanzer durch den Film. Ihre erste zivile Mission: eine nigerianische Prostituierte zu retten. Dumm nur, dass die sich aber gar nicht retten lassen möchte.

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05.02.09 18:31

Ommmm - der Actionfilm als Yogaübung

Ach, wie schön ist es, exzessiver Gewalt vom Kinosessel aus zuzusehen! Mit Genuss habe ich heute miterlebt, wie eine Handvoll übelster Halunken das Guggenheim innerhalb von zehn Minuten in ein von Einschusslöchern durchsiebtes, blutüberströmtes Trümmerfeld verwandelt haben. Und noch eine MG-Salve, und noch ein herabstürzendes pulverisiertes Kunstwerk, und noch eine pulsierende, zerschossene Halsschlagader. Yes!!! Da tritt man dann nach dem Abspann auf den Potsdamer Platz hinaus und alles kommt einem so wahnsinnig friedlich vor. Mitten in Berlin. Am Potse! Es muss wohl so sein: Die Berlinale ist so was wie Yoga für Faule. Dieselbe beruhigende Wirkung. Dasselbe verklärte Lächeln, das einem hinterher um die Lippen spielt. Mehr davon!

02.12.08 21:33

"Three Monkeys" von Nuri Bilge Ceylan

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Was ist nur mit diesen Menschen los? Ein Familienvater, der ohne mit der Wimper zu zucken für seinen Chef ins Gefängnis geht. Eine Frau, die sich so offensichtlich selbst belügt, dass sie immer wieder laut darüber lachen muss. Ein Sohn, der eine besondere Form der Rebellion lebt, indem er den Großteil des Tages schlafend im Bett verbringt und ansonsten todtraurig in die Welt schaut. Das Reden wird nicht groß geschrieben in dieser Familie. Das Nicht-Reden über bestimmte Dinge dagegen schon – ebenso wie das Nicht-Hören und Nicht-Sehen von allem, was schmerzhaft, kompliziert oder unangenehm sein könnte. Der türkische Regisseur Nuri Bilge Ceylan erzählt in Three Monkeys die Geschichte von drei Menschen, die wie jene berühmten drei Affen nach dem Prinzip „See no evil, hear no evil, speak no evil“ handeln. Und sich dabei immer tiefer in ihre Hilflosigkeit verstricken.

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16.02.08 12:18

"Be Kind Rewind" von Michel Gondry

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Mach deinen eigenen Film

Zwei Nerds arbeiten in einem Videoladen. Gähn. Das hat man nun wirklich schon zu oft gesehen, als dass daraus etwas Spannendes werden könnte. Aber halt, stopp: Diesmal hat sich das französische Wunderkind Michel Gondry („The Science of Sleep“) des Themas angenommen. Und genau deshalb ist dabei auch ein großartiger, vor Fantasie strotzender, herrlich abgedrehter Film entstanden. „Be Kind Rewind“ ist zugleich Jungskomödie, Liebeserklärung an die Kinomanie, anrührendes Neighbourhood-Märchen und eine Hommage an all die durchgeknallten Kreativen, die mit ihren irren Ideen den Bilder in unseren Köpfen das Fliege beibringen.

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15.02.08 10:42

"Restless" von Amos Kollek

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Ein jeder löffle seine Suppe allein

Gleich am Anfang bekommt Moshe richtig eins in die Fresse. Ganz nah dran ist die Kamera, als der ältere Mann von zwei arabisch sprechenden Jungs brutal zusammengeschlagen wird. Es geht irgendwie um ein Geschäft, das schief gelaufen ist, soviel bekommt man mit. Moshe wehrt sich nicht; er schleppt sich nur irgendwann in seine düstere Kellerwohnung im Village in New York und wischt sich das Blut aus dem Gesicht. Müde sieht er aus, dieser Moshe, und ein bisschen wie ein verwahrlosten Poet. Wo Amos Kollek bislang den Fokus auf zerbrechliche und meist sehr einsame Frauengestalten gelenkt hat, nimmt er sich in seinem neuen Film „Restless“ eine zerrüttete Vater-Sohn-Beziehung vor. Und voilà: Auch das kann er sehr eingängig erzählen.

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14.02.08 9:59

"Bananaz" von Ceri Levy

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Ein echtes Jungsding

Comic-Figuren als Bandmitglieder mit Starallüren, auf Live-Konzerten sieht das Publikum eine große Leinwand, auf der diese animierten Charaktere wilde Abenteuer bestehen, und im Hintergrund spielen die „echten“ Musiker: das ist die geniale Idee von „Gorillaz“, einem leicht durchgeknallten Projekt des Blur-Sängers Damon Albarn und seines Kollegen Jamie Hewlett. Ceri Levy, wiederum ein Kumpel von Albarn und Hewlett, hat die Entwicklung der „Gorillaz“ über mehrere Jahre hinweg mit der Digicam begleitet und daraus eine wunderbare Dokumentation gebastelt. Unter dem Titel „Bananaz“ ist sie im Panorama zu sehen.

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12.02.08 19:04

"Happy-Go-Lucky" von Mike Leigh

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Little Miss Sunshine im Working Class London

Ha! Endlich mal wieder ein Film, der so richtig Spaß macht. Mike Leigh hat entgegen seiner Gewohnheit diesmal kein deprimierendes Sozialdrama auf die Leinwand gebracht, sondern ein beschwingtes Porträt einer wunderbar verrückten Frau, die mit einer schier unbegrenzten Lebensfreude durch London hüpft. Poppy heißt das verrückte Huhn, und sie widerlegt alle negativen Klischees über Grundschullehrerinnen, angefangen bei ihren gewagten lila Spitzenstrumpfhosen und wild gemusterten Stiefeln, über die bezaubernde Art, ihren humorlosen Fahrlehrer in die Verzweiflung zu treiben, bis hin zu ihren kabarettreifen Bemühungen, die stolze Würde des Flamenco-Tanzes zu erlernen.

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"Bam Gua Nat" (Night and Day) von Hong Songsee

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Ein Koreaner in Paris

Erstaunlich, was man auf der Berlinale alles so über ferne Länder lernt: Zum Beispiel, dass man in Südkorea fürs Marihuana-Rauchen in ernsthafte Schwierigkeiten kommen kann. So geschieht es Kim Sung-nam, der gar nicht erst wissen will, was ihm für eine Strafe droht, sondern Hals über Kopf in den nächsten Flieger nach Paris steigt – um dort dann ziemlich bedröppelt durchs Leben zu tapsen.

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11.02.08 18:59

"Man Jeuk" ("Sparrow") von Johnnie To

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Vier Buben für eine Dame

Ein Taschendieb-Quartett mit Gentleman-Qualitäten, eine geheimnisvolle Schöne im schwarzen Glitzerkleid und High Heels sowie ein gealterter Mafioso mit Zigarre im Mund – das sind die Zutaten zu einer flott erzählten Gaunerkomödie à la Hongkong. Man schaut Altmeister Johnny Tos „Sparrows“ gerne zu, amüsiert sich und fiebert mit. Was will man mehr?

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10.02.08 11:07

"My Brother's Wedding" von Charles Burnett

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Rastlos zwischen zwei Welten

Ein junger Mann driftet durch den Tag – Pierce hilft in der kleinen Reinigung seiner Eltern in Watts in L.A. mit, ab und an kümmert er sich um seine alten Onkel und Tanten, zwischendurch balgt er sich wie ein Schuljunge mit seinem Vater, und manchmal bekommt er auch Besuch von einer flotten jungen Dame, die erst ihren Ehering abstreift, bevor sie den Laden betritt. Während dessen ist seine Familie ganz mit den Hochzeitsvorbereitungen für den älteren Bruder beschäftigt – doch Pierce kann die vornehme Mittelklasse-Familie, die hier angeheiratet wird, auf den Tod nicht ausstehen. Als Pierce bester Freund Soldier aus dem Knast entlassen wird, eskaliert der Konflikt zwischen den Welten, in denen sich Pierce bewegt.

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"Om Shanti Om" von Farah Khan

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Berlin im Bollywood-Fieber

Fünfzigjährige Berliner Hausfrauen, die einen Shah Rukh Khan Fanclub gründen, „Shah Rukh, Shah Rukh!“ kreischende Menschenmassen vor dem Kino International, in sieben Minuten ausverkaufte Vorstellungen des Films „Om Shanti Om“: So sieht die Bollywood-Hysterie aus, wenn sie die Spree erreicht...

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08.02.08 20:56

"There Will Be Blood" von Paul Thomas Anderson

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Ein Mann wie brennendes Öl

Der Filmtitel sei als eine Art Versprechen an die Zuschauer gedacht gewesen, sagt Daniel Day-Lewis auf der Pressekonferenz über „There Will Be Blood“ – und in der Tat, unsere Erwartungen werden voll und ganz erfüllt, denn Blut fließt reichlich in Paul Thomas Andersons Wettbewerbsbeitrag über die rauen Anfänge der Ölförderung im amerikanischen Westen.

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25.02.07 14:08

Spätbären statt Problembären - oder die Liste reloaded

Nach den Filmpreisen ist vor den Filmpreisen. Alle reden von den Oscars – Berlinale, war da was? Wie Funny van Dannen so schön sagt: „Die Zeit vergeht so rasend, so unwahrscheinlich schnell“. Und dann sagt er noch was Kluges über Herzen, Hotels und Flughäfen, aber das gehört jetzt nicht hierher. Jedenfalls wird man in diesen Tagen einfach mal so aus dem Post-Berlinale-Loch in die Prä-Oscar-Spannung katapultiert. Ich hätte aber, frei nach dem Motto besser spät als nie, noch hier und da ein paar verspäte Bären zu vergeben…

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17.02.07 17:50

Das Leben ist ein Kitschroman

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„Angel“ von François Ozon (Wettbewerb)

Angel Deverell schreibt mit echter Leidenschaft inbrünstige Liebesromane – und trifft damit in England in den Jahren vor den Ersten Weltkrieg den Geschmack der Leser, wenn auch nicht den der Kritiker. Mit dem eisernen Willen versehen, die Welt ihren Träumen anzupassen, schafft Angel den Aufstieg aus der Backsteinsiedlung ins herrschaftliche Anwesen, und holt sich schließlich ihren Traumprinzen ins Haus. Doch dann beginnt ihr Stern zu sinken, der Traum zerbricht Stück um Stück. Hört sich nach einem Melodrama aus den 50er Jahren an? Richtig. François Ozon hat seinen Wettbewerbsbeitrag „Angel“ an genau diesem Genre ausgerichtet – und es gleichzeitig weiter entwickelt. Angel ist grotesk und anrührend, manipulativ und naiv zugleich, und vor allem ist sie – das wird schon in den ersten zwanzig Minuten des Films klar – eine ganz furchtbar schlechte Schriftstellerin.

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Emotionaler Börsencrash in Peking

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„Ping Guo“ (Lost in Beijing) von Li Yu (Wettbewerb)

In Peking werden wie bekloppt Wolkenkratzer hochgezogen, während sich das einfache Fußvolk kalt berechnend durchs Leben wurschtelt. Geld regiert die Welt – auch in der Hauptstadt der Volksrepublik China. Der Turbokapitalismus durchdringt alle Lebensbereiche. Sex wird gekauft, der Wert eines Babies orientiert sich wie eine Aktie nach den Kriterien Geschlecht und Blutgruppe, und um die Spielregeln von Beziehungen werden nach harten Verhandlungen Verträge aufgesetzt. Dass die Rechnung trotzdem nicht aufgeht, zeigt der chinesische Wettbewerbsbeitrag „Ping Guo“ (Lost in Beijing) der Regisseurin Li Yu.

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16.02.07 11:04

Die Sache mit dem falschen Tony

An dieser Stelle ein kleiner Tipp: Tony Leung ist nicht unbedingt Tony Leung. Nun könnte man natürlich sagen, Tony Leungs kann es gar nicht genug geben. Das Problem dabei: Einer davon ist der falsche Tony, der, der immer auftaucht, wenn man nicht mit ihm gerechnet hat...

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Die Sache mit der Tasche

Gut, dass es die mauvenen oder mauverfarbenen oder wie auch immer Umhängetaschen gibt. Besonders in den letzten Berlinale-Tagen hinterlassen Schlafmangel, Filmoverkill, sowie andere Dinge, von denen ich hier gar nicht reden will, Spuren. Der Berlinale Besucher wird müde, unaufmerksam, fahrig, hysterisch, gaga, wasduwillst. Was das mit den mauvenen oder mauvefarbenen, also den Taschen zu tun hat? Sie funktionieren prima als Alarmsignal. Autofahrer wissen: Fuß vom Pedal, der hat vielleicht gerade zu viele mongolische Autorenfilme gesehen und latscht mir gleich in seiner Verträumtheit vors Auto. Der Halbstarke an der Ecke sagt sich: Der werfe ich jetzt lieber keinen blöden Spruch an den Kopf, weil: die Nerven liegen bloß, und wie schnell hat man so eine Berlinale-Tasche, gefüllt mit der kompletten Berlinale-Katalogsammlung auf den Kopf gedroschen bekommen. Eben. Kurzum: Die Tasche erfüllt ihren Zweck. Da können die üblichen Berlinale-Taschen-Lästerer lästern wie sie wollen. Ich jedenfalls sage: Nicht ohne meine Tasche!

Berlinale-Beamten-Stampede

Wir sind Berlinale-Beamten. Wir sind alle gleich getaktet. Stehen um dieselbe Zeit auf, nehmen jeden Morgen dieselbe U-Bahn zum Potsdamer Platz und verschwinden auf Kommando im Kino. Damit man uns besser erkennt, tragen wir mauvefarbene Umhängetaschen. Diejenigen von uns, die nicht wussten, was mauve ist, haben es in der letzten betriebsinternen Fortbildung, auch Berlinale-Pressekonferenz genannt, gelernt. Gemeinsam trotten wir von Kino zu Kino zu Starbucks zu Kino. Wir stehen mit den Füßen scharrend dicht gedrängt vor Cinemaxx 7 und wenn die Kinotür sich öffnet, beginnt ein einzigartiges Naturphänomen – die Berlinale-Beamten-Stampede. Zuschauer reisen von weit her an, um sie zu sehen. Es werden sogar schon Tickets dafür verkauft. Deshalb auch die langen Schlangen in den Arkaden.

13.02.07 21:54

Ein luxuriöses Spielzeug zeigt die Zähne

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"The Walker" von Paul Schrader (Wettbewerb a.K.)

Mit seinem Film „The Walker“ zeigt Regisseur Paul Schrader, dass er – Drehbuchautor von Taxi Driver und Raging Bull – noch immer in der Meisterklasse mitspielt. Allerdings läuft der Film im Wettbewerb außer Konkurrenz, immerhin ist Schrader Jury-Vorsitzender, und ein weiteres Jury-Mitglied, Willem Dafoe, ist in einer Nebenrolle zu sehen. Die Hauptrolle spielt Woody Harrelson: Er ist Carter Page III, genannt Car, der hauptberuflich die Frauen gestresster Washingtoner Politiker in die Oper begleitet und mit ihnen Canasta – und eventuell auch noch andere Dinge – spielt.

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Bilder, die von innen heraus leuchten

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„Factory“, "Harold Stevenson #1 and #2“ und „Trips and Parties“ von Danny Williams (Forum)


Danny Williams, Harvard Student und Filmemacher, gehörte für kurze Zeit – von 1965 bis 1966 – zu Andy Warhols Künstlerclique in der legendären Factory. Zeitweise war er Warhols Lover und lebte – mit dessen Mutter zusammen – in der gemeinsamen Wohnung. Er arrangierte die Lichtshow für Velvet Underground Konzerte und drehte experimentelle Kurzfilme. Irgendwann verlor der junge Mann die Gunst Warhols, kehrte in sein Elternhaus zurück, borgte sich noch am selben Abend das Auto seiner Mutter und ist seitdem verschwunden. Das Forum zeigt in diesem Jahr drei seiner stummen schwarzweiss Kurzfilme als Weltpremiere: Factory, Harold Stevenson #1 and #2 und Trips and Parties. Williams Werke bestechen durch ihren außergewöhnlichen Sinn für Rhythmus, eine Beleuchtungstechnik, die die Figuren geradezu leuchten lässt, und einer Kombination aus traumhafter Schönheit und feinem Witz.

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11.02.07 22:35

Auf den Coolness-Faktor kommt es an

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„Don“ von Farhan Akhtar

Er ist smart, er ist sexy, er ist der König der Gangster – er ist Don. Und weil wir uns im Universum von Bollywood befinden, wird der Boss himself natürlich von Shah Rukh Khan gespielt, dem indischen Filmstar schlechthin. Farhan Akhtars Forum-Film „Don“ hat zwar eine stolze Länge von fast drei Stunden, dass einem aber trotzdem nie langweilig wird, verdankt man einem rasanten Plot, der gespickt ist mit spannenden Fights, gut getimten Gags und einer bunten Bilderflut. Und wenn den Figuren danach ist, fangen sie einfach an zu singen und zu tanzen: Willkommen in Bollywood.

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Ein Ganove im Dienste der Nazis

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„Die Fälscher“ von Stefan Ruzowitzky (Wettbewerb)

Sally Sorowitsch ist ein Ganove – einer, der weiß, wie er sich durchschlagen muss im Vorkriegs-Berlin. Vorwiegend mit Fälscherein. Irgenwann einmal, so sagt er, hatte er auch Familie. In Russland. Irgend etwas ist passiert, damals,und seitdem spricht er kein russisch mehr. Wie dieser Sally, als Jude und Krimineller doppelt gebrandmarkt, dann im KZ Sachsenhausen zum Meisterfälscher im Dienste der Nazis wird, davon erzählt der deutsche Wettbewerbsbeitrag „Die Fälscher“ von Stefan Ruzowitzky.

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09.02.07 18:42

Die Sache mit der Mütze

Was besonders viel Spaß auf der Berlinale macht ist ja bekanntlich das Stars-Watching. Eine recht gute Gelegenheit bietet sich dafür während der Pressevorführungen im Wettbewerb, wo die Jury nett aufgereiht und gut sichtbar mitten im Publikum sitzt. Da kann man dann beobachten, dass die Damen viel pünktlicher sind als die Herren und auch sichtlich ausgeschlafener wirken. Es war weiterhin zu beobachten, dass Gael Garcia Bernal offenbar einen Zwang zur Kopfbedeckung in der Öffentlichkeit hat. Zog er sich nach der 9-Uhr-Vorstellung noch flugs einen Schal über den Kopf, kam er dann zur Nachmittags-Vorstellung schon ganz professionell mit Indio-Strickmützchen in den Kinosaal. Das blieb dann auch während des gesamten Films auf dem Kopp. Ehrlicherweise müssen wir dabei zugeben, dass Herr Bernal selbst mit lächerlichem Mützchen hinreißend aussieht...

Fußball, Ferien und Moses im Schilf

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„O ano em que meus pais sairam de férias“ („The Year my Parents went on vacation“) von Cao Hamburger (Wettbewerb)

Brasilien 1970. Es herrscht eine Militärdiktatur und in Mexiko bereiten sich die Mannschaften auf die Fußball-Weltmeisterschaft vor. Der 12-jährige Mauro fiebert mit seinen Helden mit, übt sich im Tischfußball und kann es kaum erwarten, das die WM beginnt. Da eröffnen ihm seine Eltern, dass sie für unbestimmte Zeit „in Urlaub“ fahren müssen. Mauro soll unterdessen beim Großvater wohnen. Cao Hamburgers „O ano em que meus pais sairam de férias“ verknüpft die politischen Ereignisse dieses Jahres geschickt mit dem gesellschaftlichen Ereignis Nummer Eins aus der Sicht eines kleinen Jungen.

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08.02.07 22:39

Wo Frikadellen noch Buletten heißen

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"Jagdhunde" von Anne-Kristin Reyels (Forum)

Ein schöner Film, der die Irrungen und Wirrungen einer Berliner Familie im Mecklenburger Exil zeigt

Wenn Berliner nach Mecklenburg-Vorpommern ziehen, dann kann es schon mal vorkommen, dass sie sich wundern. „Du Papa, wie lange dauert das denn, bis die anfangen mit uns zu reden?“, fragt der Teenager Lars denn auch seinen Papa. Der weiß das auch nicht so genau, baut aber trotzdem fleißig weiter an seiner „Hochzeitsscheune“ und wartet halt mal ab, wie sich das mit den verschrobenen Dorfbewohnern so entwickelt. Anne-Kristin Reyels „Jagdhunde“ ist ein Film der leisen Töne, in dem eigentlich tragische Situationen mit einem ganz feinen Humor dargestellt werden. Und der ist nicht zuletzt dem begnadeten Josef Hader zu verdanken, der hier den Loser-Papa im ostdeutschen Exil gibt.

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05.02.07 18:44

Retrospektive: Nicht ohne meine Zigarettenspitze

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Kesser Augenaufschlag, frecher Bubikopf, und ganz selbstverständlich in der Öffentlichkeit rauchen: In den 10er und 20er Jahren des Zwanzigsten Jahrhunderts trat mit einem Paukenschlag ein neuer Frauentypus in Erscheinung, der zugleich Glamour und Emanzipation versprach. Unabhängig und lebenslustig präsentierte sich die neue Frau in ihrer natürlichen Umgebung – der Großstadt. Larger than life konnte man diese City Girls auf der Kinoleinwand bewundern, wo sie als Projektionsfläche für die Sehnsüchte all jener Kinobesucherinnen dienten, die sich nicht unbedingt einen so flamboyanten Lebensstil wie ihre Celluloid-Idole leisten konnten. Auf der diesjährigen Berlinale widmet sich die Retrospektive dem Thema „City Girls“ mit einer Reihe von Stummfilmschätzen, in denen dieser neue Frauentypus wieder zum Leben erweckt wird.

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03.02.07 18:26

Damals in der Factory

Die 60er Jahre sind ein stummer schwarzweiss Film, überbelichtet und mit seltsamen Kameraschwenks. Wer dieses Bild vor Augen hat, dessen Erinnerung bezieht sich irgendwie auf die Filme, die in und um die Factory von Andy Warhol entstanden sind – in diesem legendenumwobenen Laboratorium für Underground Kultur.

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17.02.06 23:48

Wettbewerb: Offside von Jafar Panahi (II)

"Was ist bloß los mit euch Teheraner Mädchen?"

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Iran gegen Bahrain. Qualifikationsspiel für die WM in Deutschland. Die fußballbegeisterte Stadt Teheran ist in heller Aufregung. Fahnen, bemalte Gesichter, Sprechchöre – junge und ältere Männer strömen ins Stadion. Und wenn man genau hinschaut, steckt unter dem einen oder anderen Basecap auch ein Mädchengesicht. Weibliche Fußballfans gibt es auch im Iran. Allerdings müssen sie sich als Jungs tarnen, um ins Stadion zu gelangen. Was passiert, wenn die Verkleidung dieser Mädchen auffliegt? In Jafar Panahis "Offside" nichts wirklich Schlimmes – denn die erwischten Mädchen sind erfrischend selbstbewusst, bringen die Ordnung der Dinge ins Wanken, und entlarven mit Witz und Raffinesse die Absurdität des Stadionverbots.

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Wettbewerb: Requiem von Hans-Christian Schmid (I)

Von der Ohrfeige zur Stillen Nacht

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Beeindruckend, beklemmend und großartig gespielt: Hans-Christian Schmid hat mit "Requiem" den mit Abstand besten deutschen Wettbewerbsbeitrag vorgelegt. Das Thema: Ein Fall von Exorzismus mit tödlichem Ausgang, der sich in der süddeutschen Provinz in den 70er Jahren mehr oder weniger tatsächlich so zugetragen hat. Aber vor allem geht es um Michaela: Eine empfindsame junge Frau, gespielt von der großartigen Sandra Hüller, die mit ausgeprägt starkem Willen versucht, ihren eigenen Weg zu finden: Zwischen tief empfundenem Glauben, erzkatholischer Familie und der ersehnten Befreiung aus dem kleinbürgerlichen Milieu durch das Studentenleben. Aber epileptische Anfälle und Wahnvorstellungen treiben Michaela zur Verzweiflung. Bald ist sie fest davon überzeugt, von Dämonen besessen zu sein.

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16.02.06 13:28

Die Liste - Teil zwei

Popjournalisten müssen Listen schreiben. Das habe ich mal irgend wo gehört. Kann aber auch schon ein paar Jahre her sein. Egal. Hier ist meine, Teil zwei. Thema diesmal: Die Liebe. Denn auf der Berlinale gibt es auch wichtige Dinge darüber zu lernen:

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Berlinale 2007

Noch ohne Kaffee stolpere ich morgens aus der Haustür und falle fast über die Kabel. Ein kleine Menschentraube hat sich versammelt...egal ich muss jetzt zum Potsdamer Platz. Als ich mich kurz umdrehe, schaue ich in das entsetzte Gesicht einer jungen Frau mit Block und Pudelmütze...oh..bin ich etwa im Bild....ja, ja hier wird gedreht, also nutze ich die andere Strassenseite. Kurz darauf erklingt: “Wir können jetzt drehen. MAZ ab” und schon machen Statisten genau das, was mir verboten wurde und laufen als Passanten verkleidet über den Bürgesteig.

15.02.06 19:24

Wettbewerb: "Sehnsucht" von Valeska Grisebach

Epische Liebe in Brandenburg

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Die Geschichte ist bekannt: Ein Mann und eine Frau lieben sich seit langem. Dann verliebt sich der Mann in eine andere. Die Filmemacherin Valeska Grisebach hat ihren Hauptdarsteller irgendwo im Brandenburgischen "beim Schuhe zubinden" gecastet. Schauspielerfahrung hatte er vorher keine. Das ganze Ensemble von "Sehnsucht" besteht aus Menschen, die keine Profis sind. Die Idee ist klar: Große Gefühle passen eigentlich nicht zum wortkargen, nüchternen Menschenschlag in Brandenburg. Oder doch?

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Wettbewerb: Zemestan (It's Winter) von Rafi Pitts

Ein Mann geht, ein anderer kommt

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Es schneit. Es ist kalt. Es ist Winter. Die einzigen schwarzen Punkte im Schnee sind die Gleise und ein hagerer Mann, der langsam an ihnen entlang geht. Aus dem Off erklingt ein Gedicht von Mehdi Akhavan Saless. Es erzählt davon, wie im Winter die Menschen den Gruß nicht erwidern, weil sie den Kopf zwischen den Schultern und den Kragen hochgeklappt haben.

Rafi Pitts Film "Zemestan" erzählt von Arbeit und Arbeitssuche, vom Weggehen und Bleiben, von Traum und Realität, und auch vom Winter: nicht nur vom tatsächlichen, sondern auch vom metaphorischen in der Gesellschaft. Und es geht um lebensnotwendige Farbtupfer.

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14.02.06 13:32

Die Liste - Teil eins

Popjournalisten müssen Listen schreiben. Das habe ich mal irgend wo gehört. Kann aber auch schon ein paar Jahre her sein. Egal. Hier ist meine. Die persönlichen Tops (+) und Flopps (-) der Berlinale. Nichtfachlich, völlig koffeinabhängig und parteiisch.

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13.02.06 19:46

Wettbewerb: Grbavica von Jasmila Žbanić

Die Vergangenheit ist noch lange nicht vorbei

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Sarajewo, in der Gegenwart. Esma hat gerade ihren Job verloren und arbeitet nun nachts als Bedienung in einer Disko, um sich und ihre 12-jährige Tochter Sara über die Runden zu bringen. Das Verhältnis der beiden ist eng, fast kumpelhaft – und doch spürt man immer wieder seltsame Irritationen. Mutter und Tochter balgen wie junge Katzen auf dem Boden, Sara wirft sich auf Esma und hält ihre Arme fest. Da versteinert das Gesicht der Mutter: "Hör auf, hör auf!" ruft sie. Das Spiel ist abrupt zuende. Sara ist in dem Glauben aufgewachsen, ihr Vater sei als Held im Krieg gegen die Tschetniks gestorben. Doch die Wahrheit ist sehr viel schmerzhafter.

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Wettbewerb: Elementarteilchen von Oskar Roehler (2)

Ein Herz für die Elementarteilchen

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Regisseur Oskar Roehler sagt, er habe es nicht übers Herz gebracht, die Figuren in seinem Film "Elementarteilchen" im Stich zu lassen. Produzent Bernd Eichinger ergänzt, man habe bei der Verfilmung des Romans von Michel Houellebecq "einen ganz anderen Spirit" erzeugen wollen. Leider ist diese humanistische Anwandlung, die wohl auch mit Blick auf die Kinokassen enstand, in die Hose gegangen: Das Konzept, die "Elementarteilchen" zu domestizieren, geht nicht auf. Wo bei Houellebecq, seines Zeichens Berufszyniker und Moralist (doch, das kann man kombinieren), die Unmöglichkeit menschlicher Beziehungen die totale Isolation bedeutet, wo Porno und Asexualität irgendwann auf denselben Punkt zulaufen, zaubert Roehler schwuppdiwupp wie ein Kaninchen aus dem Hut die Liebe als heilende Kraft. Das passt leider hinten und vorne nicht zur Geschichte. Der Rest des Films ist über weite Strecken flacher Klamauk und Psychologie für Anfänger.

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10.02.06 22:37

Wettbewerb: Slumming von Michael Glawogger

Herr Kallmann geht über den See

Einem wie Kallmann geht man auf der Straße oder in der U-Bahn lieber aus dem Weg. Verlottert, schwankend, irrer Blick. In einem fort rezitiert er seltsame Monologe, die sich bei näherem Hinhören als Mischung aus derben Beschimpfungen und großer Dichtung offenbaren, sich aber unvermittelt zu einem wüsten Brüllen steigern können. Und das alles auf wienerisch – der Sprache der eleganten Gehässigkeit. Als Sebastian, Typ gelangweilter reicher Junge, und sein Adlatus Alex den Kallmann im Vollrausch auf einer Parkbank finden, ist nix mehr mit Reden, und mit Brüllen sowieso nicht. Und so wird das wehrlose Opfer kurzerhand ins Luxusauto geladen und auf einer Parkbank im tschechischen Nirgendwo abgelegt. Nur so aus Spaß, Langeweile und Bosheit. Michael Glawoggers "Slumming" ist ein wunderbarer, schräger Wettbewerbsbeitrag – ihn doppelbödig zu nennen wäre eine Untertreibung.

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09.02.06 23:44

Panorama: Brothers of the Head von Keith Fulton und Louis Pepe

Sex & Drugs und Rebellion

"Sie rocken einfach total!" O-Ton eines hysterischen Teenagers, schweißüberströmt und glücklich, nach einem ekstatischen Auftritt von "The Bang Bang". Die Band, das sind in erster Linie Tom und Barry Howe, selber noch Teenager und vor allem siamesische Zwillinge. Man schreibt die 70er Jahre in England, Punk ist noch lange nicht tot und ein cleverer Musik-Manager hat erkannt, dass die Zeit reif ist für eine Freak-Show. "Brothers of the Head" ist der erste Spielfilm von Keith Fulton und Louis Pepe, und sie haben ihn als Mischung aus fiktionaler Dokumentation und Roadmovie inszeniert, basierend auf einem Roman des Sci-Fi-Autors Brian Aldiss. Dass die Zuschauer bisweilen die verschiedenen Realitäts- und Zeitebenen durcheinander bringen mögen, ist nicht weiter schlimm. Faszinierend ist der Sog, den die Geschichte entwickelt – durch die Erzählstruktur und durch die Musik, die aus allen Poren das, nun ja, Underground-Gefühl verströmt: Sex & Drugs und Rebellion.

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Wettbewerb: Snow Cake von Marc Evans (1)

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Scrabble für Fortgeschrittene

Britischer Humor trifft auf Autistin. Das klingt nach absurden und komischen Momenten, vielleicht sogar nach Klamauk. Gleichzeitig hat "Snow Cake", der Eröffnungsfilm der Berlinale, ein ernstes Thema – es geht um Schuld und Erlösung, um das Wahren und Einreißen zwischenmenschlicher Grenzen. Doch der Film des walisischen Regisseurs Marc Evans hält gekonnt die Balance. Abgesehen von einigen Längen und einigen allzu gewollt wirkenden Wendungen des Plots, ist "Snow Cake" ein schöner Eröffnungsfilm für die Berlinale. Einen gehörigen Anteil daran haben die beiden Hauptdarsteller: Sigourney Weaver (als Autistin fast so gut wie Dustin Hoffman) und Alan Rickman (jaja, der fiese Snape aus Harry Potter diesmal sehr traurig) sind ein großartiges Duo.

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Bevorstehende Festivals

DOK.fest München 2024

01.05.2024 - 12.05.2024

München, Deutschland

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