ANA, MON AMOUR von Călin Peter Netzer (Berlinale 2017)

Beziehung auf der Analyse-Couch

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Eine große Liebe. Eine psychische Krankheit, die diese Liebe von Anfang an definiert. Eine Weiterentwicklung. Ein Scheitern. Der rumänische Regisseur Călin Peter Netzer seziert in ANA, MON AMOUR diese Liebe mit einem sehr klaren, sehr nahen und wohltuend nicht-wertenden Blick auf die beiden Hauptfiguren. Er zeigt – in drei verschiedenen, filmisch miteinander verwobenen Zeitebenen – wie das Paar gegen diverse Widrigkeiten kämpft, wie sich die Rollen innerhalb der Beziehung über die Jahre ändern, und wie ihnen diese Liebe dann letztlich doch abhanden kommt. ANA, MON AMOUR ist ein eindringliches, sehr gelungenes Psychogramm einer Liebe unter schwierigen Vorzeichen. Und Netzer ein talentierter Analytiker.

Die Kamera bleibt den beiden Protagonisten, Ana und Toma, die ganze Zeit über sehr nahe, die Nähe der Kamera fängt auch die Nähe zwischen den beiden Liebenden ein. Die Sexszenen erzählen mehr als nur von Sex – wie es gute Sexszenen eigentlich immer tun sollten. Die Farben changieren zwischen warm/lichtdurchflutet und bleich/bleiern schwer. Bei aller Schwere gibt es aber auch immer wieder absurde oder komische Momente, die dem ganzen Geschehen etwas Leichtigkeit verschaffen. Sowohl Diana Cavallioti als Ana als auch Mircea Postelnicu als Toma überzeugen durch ihr eindringliches, subtiles Spiel.

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Ana und Toma lernen sich an der Uni kennen und werden ein Paar. Ana leidet unter Panikattacken, die Toma gleichsam abschrecken und auf seltsame Weise auch anzutörnen scheinen. Er begleitet Ana zu diversen Ärzten, hilft ihr, eine ungute Medikamenten-Abhängigkeit zu überwinden und unterstützt sie, soweit er kann. Ana kommt aus schwierigen Familienverhältnissen, Toma aus gutbürgerlichem Haus, seine Familie ist aber nicht weniger zerrüttet als die von Ana. Die gemeinsamen Antrittsbesuche bei den Familien enden jeweils im Desaster. Das junge Paar gibt sich viel Nähe und Geborgenheit, ist eine feste Zweier-Front gegen die Welt da draußen. Ana braucht unendlich viel Kraft, um den Alltag zu meistern, Toma sehr viel Kraft, Durchhaltevermögen und Rückgrat, um ihr zu helfen – um ihren Widerstand gegen ärztliche Behandlung zu durchbrechen, um einen Suizidversuch zu verhindern, um sie vor anderen zu schützen, die keinerlei Verständnis für ihre Krankheit haben. Bald wird klar: Toma zieht einen großen Teil seiner Identität in dieser Zweierkonstellation daraus, der „Stärkere“ zu sein. Damit zwingt er Ana aber auch, bewusst oder unbewusst, in eine Abhängigkeit und in die Pflicht, die „Schwächere“ zu bleiben. Als Ana ein Kind erwartet und daraufhin eine psychoanalytische Therapie beginnt, gewinnt sie zusehends Boden unter den Füßen, während Toma ins Wanken gerät.

Das Bedürfnis, „zu beichten“ und Erlösung zu erlangen, sei es bei einem Psychotherapeuten, einem Arzt oder bei einem Priester, zieht sich wie ein roter Faden durch den Film. Die katholische Kirche erscheint in diesem Kontext als nicht besonders hilfreich. Ein Priester erkundigt bei der Beichte zunächst nach dem Zigarettenkonsum, ein anderer verteilt den Sündererlass nach zweifelhaften patriarchalisch-moralischen Vorstellungen. Von der entscheidenden Therapie Anas bekommt man kaum etwas mitgeteilt – wie das in echten Therapien ja auch sein sollte. Allein, Ana wird sichtbar selbstsicherer und traut sich Schritt für Schritt mehr zu. Als Toma selbst – nach der Scheidung von Ana – schließlich selbst eine Therapie anfängt, hat man zum ersten Mal das Gefühl, dass er sich auch seinen eigenen Abgründen stellt. Für die große Liebe in diesem Film wohl leider zu spät. Für ihn selbst vielleicht nicht.

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Titel

Orignaltitel

Ana, mon amour

Credits

Regisseur

Calin Peter Netzer

Schauspieler

Diana Cavallioti

Vasile Muraru

Tania Popa

Mircea Postelnicu

Carmen T?nase

Land

Flagge DeutschlandDeutschland

Flagge FrankreichFrankreich

Flagge RumänienRumänien

Jahr

2016

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