Berlinale 2023: SHE CAME TO ME von Rebecca Miller

Berlinale eröffnet mit leicht irrer Romantik, die Hoffnung gibt

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Auch dieses Jahr findet die Berlinale inmitten von Krieg und Katastrophen statt. Da stellt sich die Frage: Was hat das Kino dazu zu sagen? Heute eröffnete das Festival mit einem Film, der dezidiert Hoffnung inmitten der Misere geben will.

Und das sind die Zutaten, aus denen das Kino eine Geschichte über die Kraft der Liebe mixt: Eine romantisch veranlagte Stalkerin, die hauptberuflich einen Schleppkahn steuert. Ein kleinwüchsiger Opernkomponist mit schwerer Depression. Eine Therapeutin mit akutem Putzfimmel, die sich nach einem Leben als Nonne sehnt. Ein Teenager-Pärchen, das an die Liebe glaubt.

Im Eröffnungsfilm der Berlinale, SHE CAME TO ME, fügen sich diese Figuren in einem fein verwobenen Plot um Liebe und Wahnsinn, Mut und Verzweiflung. Und, Achtung Spoiler: die Liebe siegt. Dass man diesen Film gerne anschaut, all seine Zumutungen an unseren Verstand erträgt, spricht für ihn. Mögen auch einige Dialoge hart an der Kitschgrenze entlang schrammen, so manche Figur ein klein wenig holzschnittartig geraten sein: geschenkt. Der Film ist lustig, einfallsreich und schräg, und er beweist einmal mehr, dass wir im Kino manchmal danach dürsten, ein wenig Hoffnung geschenkt zu bekommen.

Mit Peter Dinklage, dem kleinwüchsigen Star aus „Game of Thrones“ als verzweifeltem Musiker, Anne Hathaway als seine schräge Therapeuten-Gattin, und der wunderbaren Marisa Tomei als liebeswütiger Binnenschifferin hat die Regisseurin Rebecca Miller ein Kernensemble gefunden, das den Film durch alle Sturmwellen trägt.

Der Musiker Steven leidet unter akuter Kompositionshemmung und Lebensangt. Alles läuft schief. Sein Librettist verlässt ihn für einen neuen aufstrebenden Stern am Opernhimmel. Seine Frau ist ihm mehr Mutter und Therapeutin als Partnerin. Wenn sie ihm fürsorglich über die Wange streicht, ziehen sich Stevens Augenbrauen zu einer extrem leidenden Mimik zusammen. So richtig glücklich ist aber auch sie nicht, trotz Luxusklamotten und durchdesigntem Eigenheim. Im Rahmen der ehelichen Therapie verordnet die Gattin ihrem deprimierten Musiker, mit dem Hund an der Leine vor die Tür zu gehen.

Um, wie angeordnet, „alte Muster zu durchbrechen“, macht Steven in der erstbesten Bar in Brooklyn halt, um sich Mut anzutrinken. Dort gabelt ihn eine rustikale, aber durchaus attraktive Lady auf. Wie sich herausstellt, ist das ihr nur unzureichend therapierter Zwang: Männer abschleppen, auf der Suche nach Liebe und Romantik. Marisa Tomei spielt diese Katrina zunächst mit etwas aufgesetzt wirkender Working Class Attitüde. Je besser man die Figur freilich kennenlernt, desto faszinierender ist sie: irre und verletzlich, fordernd und scheu zugleich. Das kurze, aber heftig erotische Aufeinandertreffen der beiden in der Kajüte löst offenbar gewisse Spannungen bei Steven. Zwar flüchtet er überstürzt vor dieser Circe mit Diagnose, doch erweist sie sich als hilfreiche Muse für seine verschüttete Kreativität. Die nächste Oper, die er komponiert, ist ein voller Erfolg.

Rebecca Miller spielt hier gekonnt mit unserer Kitsch-Toleranzgrenze: So überzogen gekünstelt ist die Inszenierung der Oper, so grauenhaft simpel die Musik, dass wir zum Glück gezwungen sind, diese ganze „Magie der Kunst“-Kiste nicht allzu bierernst zu nehmen.

Parallel entwickelt sich ein Plot um die zart knospende Liebe von Stevens Stiefsohn und dessen Freundin, der Tochter der Putzfrau. Da das junge Mädchen noch keine "Sweet Sixteen" ist, wittert der ordnungsfaschistische Stiefvater des Mädchens einen willkommenen Rechtsbruch. Nun kann er den reichen Arbeitgebern seiner Frau so richtig ans Bein pinkeln. Dem jugendlichen Romeo droht eine Verurteilung als Verführer einer Minderjährigen. Dass der Junge zudem dunkelhäutig ist, erhöht den Reiz seiner Rache aus Sozialneid. Wochenends als Konföderierter verkleidet Schlachten nachzuspielen baut die tief verwurzelten Aggressionen dieses nur dürftig verkappten Rassisten leider nicht hinreichend ab.

Im Folgenden geht es nun darum, ob inmitten dieser verfahrenen Situation Hoffnung auf Rettung besteht. Ob das mehr oder minder durchtherapierte Figuren-Ensemble sich aus den eigenen Verstrickungen lösen kann, um das Richtige zu tun.

Von Rebecca Miller lief vor einigen Jahren MAGGIE'S PLAN, ein bezaubernder Film mit Greta Gerwig und Ethan Hawke im Berlinale-Programm. Auch dort wurde Liebe etwas anders als sonst buchstabiert. Miller beweist in SHE CAME TO ME noch einmal ihr Gespür für ungewöhnliche Figuren, deren Unzulänglichkeiten sie zwar bis zur Schmerzgrenze ausstellt. Sie gesteht ihnen jedoch den Mut zu, auf ihrem stolpernden weg durchs Leben die richtigen Abzweigungen zu nehmen. Uns verlangt das ab, an die Macht des filmischen Wunderwirkens zu glauben.

Aus all dem Düsteren, das uns umgibt, etwas Kraftvolles zu schöpfen, das ist eine der Funktionen, die Kunst haben kann. So sieht es zumindest Kristen Stewart, Jury-Präsidentin dieser Berlinale. Sie selbst habe großen Respekt vor dieser Aufgabe: „Ich zittere immer noch“. Bekannt geworden durch ihre Rolle als Teenie Bella in der Vampir-Serie „Twilight“ ist die 32-jährige Amerikanerin mittlerweile eine gefragte Charakterdarstellerin und arbeitet auch als Regisseurin. Unter anderem mit Johnnie To, Regisseur, Produzent und Veteran des Hongkong Gangsterfilms, der Regisseurin Valeska Grisebach, der iranisch-französischen Schauspielerin Golshifteh Farahani, dem rumänischen Berlinale-Gewinner Radu Jude hat sie eine interessante Jury für die Auswahl der Berlinale-Bären um sich. Man darf gespannt sein.

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Im Wettbewerb um den Goldenen Bären laufen 19 Filme, davon allein fünf Filme aus Deutschland. Doch auch andere Teil der Welt sind hier vertreten: Die USA, Mexiko, Kanada, Australien, China, Japan, Spanien, Portugal Großbritannien, Frankreich, Dänemark, Serbien, Italien, Belgien, Polen und der Schweiz, Österreich und Luxemburg.

Die Ukraine spielt sowohl eine Rolle in Filmen, als auch durch die Video-Botschaft des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zur Eröffnung der Berlinale: Einst hat er als Seriendarsteller einen Lehrer gespielt, der unverhofft zum Präsidenten der Ukraine gewählt wird – bevor er selbst dann tatsächlich Präsident wurde.

Insofern schließt sich hier der Kreis zum Eröffnungsfilm: Die Kraft der Fiktion, etwas Unerwartetes, ja eigentlich Unglaubliches, zu schaffen.

Foto: Protagonist Pictures

Kommentare ( 1 )

Ja, sehr schön beschrieben, kann ich so unterschreiben.

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Titel

Orignaltitel

She Came to Me

Credits

Regisseur

Rebecca Miller

Schauspieler

Peter Dinklage

Brian d’Arcy James

Evan Ellison

Anne Hathaway

Harlow Jane

Joanna Kulig

Marisa Tomei

Jahr

2023

Dauer

102 min.

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