Wettbewerb: LA VOIE DE L’ENNEMI (Two Men in Town) von Rachid Bouchareb

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Der Film beginnt mit einem rohen Akt der Gewalt vor einer atemberaubenden Landschaft: Ein Mann schlägt einem anderen, am Boden liegenden, mit einem großen Stein den Schädel ein. Dahinter geht die Sonne auf und taucht die Wüstenlandschaft in ein überirdisch schönes, blutrotes Licht. Langsam zieht sich die Kamera von der Brutalität zurück, zoomt weg und lässt den Blick auf der unendlichen Weite ruhen. Ein Mord, der durch seine Darstellung geradezu biblische Dimensionen anzunehmen scheint: Der Mensch, die Kreatur Gottes, die sich inmitten seiner wunderschönen Schöpfung als Tier offenbart. Tatsächlich aber erzählt Rachid Bouchareb in LA VOIE DE L’ENNEMI vom Schicksal, das von Menschen gemacht wird, und dem der Mensch nicht entrinnen kann.

Die Geschichte ist schnell erzählt: Der Kleinganove William Garnett hat in einem amerikanischen Kaff an der mexikanischen Grenze einen Deputy ermordet, nach 18 Jahren Gefängnis ist er nun auf Bewährung entlassen. In dieser Zeit hat er eine tiefe Wandlung durchgemacht, er wünscht sich nichts mehr als ein normales Leben in Ruhe und Frieden. Eine patente Bewährungshelferin wird ihm zur Seite gestellt, der im Knast gefundene muslimische Glauben gibt ihm Kraft, und bald hat er einen einfachen Job und eine wunderbare Freundin gefunden. Doch die Vergangenheit holt ihn ein: Der Sheriff, dessen Mitarbeiter Garnett getötet hat, sinnt auf Rache, ebenso will ihn ein früherer Kumpan, der jetzt mit Menschenschmuggel Geld macht, um keinen Preis aus seinen Klauen entlassen. Unerbittlich entziehen diese beiden Figuren Garnett Stück für Stück jeden Halt, den er gefunden hat. Die Vergeblichkeit jeglicher Hoffnung auf eine zweite Chance wird hier bitter bis zum Ende durchexerziert.

Nun sind solche Geschichten nicht neu, sie gehören quasi zum festen Repertoire des Gangsterfilms ebenso wie des Western. 1973 hat der Schriftsteller und Regisseur José Giovanni die Geschichte als DEUX HOMMES DANS LA VILLE in Frankreich angesiedelt, um die Ungerechtigkeit des dortigen Justizsystems an den Pranger zu stellen. Nun hat Bouchareb – der 2009 mit LONDON RIVER schon einmal im Wettbewerb der Berlinale vertreten war – sie ins heutige Amerika transportiert – inklusive der menschenverachtenden Flüchtlingstragödie an der Grenze.

Was an dieser Variante jener altbekannten, trostlosen Geschichte neu ist, ist Forest Whitaker. Man möchte während des gesamten Films die Augen nicht von ihm lassen. Er spielt den tragischen Helden Garnett als Berg von Mann, der hinter seiner betont ruhigen und höflichen Fassade verzweifelt versucht, seine Hoffnungen und Ängste, seine Wut und Scham und Verletzungen im Zaum zu halten. Diese Anstrengung, diesen Kampf, merkt man ihm in jeder Sekunde an – in kleinen Gesten und Blicken, in der Körpersprache, an der Stimme. Wenn die Wut auch nur ansatzweise durchbricht, bebt der ganze Mann und mit ihm die Erde. Umso leichter atmet man zusammen mit ihm auf, wenn er einen Hauch von Freiheit verspürt – bei der Arbeit an der frischen Luft oder wenn er auf seinem alten Motorrad durch die Wüste braust.

Leider sind die Umstände des Scheiterns so klar vorgezeichnet, dass der Dramaturgie des Films darüber schnell die Puste ausgeht: Der Sheriff – Harvey Keitel, der in dieser Rolle seltsam blass bleibt – wird Garnett nicht in Ruhe lassen, da mag er in seinem Umgang mit mexikanischen Flüchtlingen noch so sympathische Züge an den Tag legen. Der böse, böse Mexikaner-Kumpel (Paraderolle für Luis Guzman) dräut die ganze Zeit hinweg als Nemesis am Horizont, und selbst Brenda Blethyn als robuste Bewährungshelferin mit Herz wird nicht gegen die durch alle Filmkonventionen vorgegebene Zwangsläufigkeit des Plots anrennen können. Vielleicht wäre das nicht einmal das Problem – dann aber müssten die anderen Figuren so interessant und spannend gezeichnet sein, dass sich dadurch eine zusätzliche Spannung ergibt. Leider bleiben Sheriff, Geliebte und Bösewicht aber Schablonen – lediglich die Bewährungshelferin hat so etwas wie ein wirklich überzeugendes, spannungsreiches und nachvollziehbares Innenleben.

Die grandiosen Bilder, die Bouchareb für dieses große menschliche Drama findet, und die außergewöhnliche Leistung von Forest Whitaker machen diesen Film bei allen Schwächen dennoch sehenswert.

Kommentare ( 2 )

Mich hat der Film leider nie wirklich gepackt, was vor allem an den schwachen Nebenfiguren und am doch arg vorhersehbaren Plot lag - bei den Schwachpunkten sind wir uns einig. Hinzu kamen auch noch die 120 Minuten Länge, die der schwache Plot nicht rechtfertigte.

Whitakers Spiel fand ich gut, nicht herausragend - aber natürlich kann man wegen ihm besser mit den Schwächen des Films leben. Insgesamt glaube ich nicht, dass mir dieser Film besonders in Erinnerung bleibt.

Vier Augen, zwei Meinungen ;-)

So unterschiedlich sind doch die Meinungen von Artikel und Kommentar gar nicht! Das Porträt der texanischen Landschaft fand ich trotzdem sehr betörend, es erinnerte mich in seiner Kombination von Indifferenz und Schönheit an "Fargo", mit Sand und Geröll statt Schnee und Eis. Auch die Dialoge fand ich in ihrer Knappheit nicht schlecht. Trotzdem fehlte einiges zu einem richtig großen Film.
Mehr Eindrücke zur Berlinale gibt es hier: http://istinalog.net/2014/02/10/verfolgung-und-einsamkeit-berlinalebericht-i/

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Titel

Orignaltitel

La voie de l‘ennemi

Englischer Titel

Two Men in Town

Credits

Regisseur

Rachid Bouchareb

Schauspieler

Brenda Blethyn

Luis Guzmán

Dolores Heredia

Harvey Keitel

Forest Whitaker

Land

Flagge AlgerienAlgerien

Flagge BelgienBelgien

Flagge FrankreichFrankreich

Flagge Vereinigte StaatenVereinigte Staaten

Jahr

2013

Dauer

120 min.

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