Submarino von Thomas Vinterberg

Alkohol. Gewalt. Verwahrlosung. Was passiert mit Kindern, die in einer solchen Umgebung aufwachsen? Welche Chancen haben sie, wie viel Kraft muss es kosten, die vorgelebten Muster nicht zu wiederholen? Thomas Vinterberg gibt mit seinem Brüderdrama „Submarino“ eine ziemlich schonungslose Antwort auf diese Fragen. Dabei gelingt ihm das beinahe Unmögliche: Die Geschichte von Nick und seinem Bruder wirkt realitätsnah, ohne als pädagogisches Lehrstück daherzukommen; der Film ist unglaublich hart und lässt doch ein winziges Fünkchen Hoffnung, ohne in den Sozialkitsch abzugleiten. Und: „Submarino“ setzt die narrativen Mittel des Kinos ein, ohne sein Gefühl für Geschichten, wie sie das Leben leider manchmal schreibt, zu korrumpieren.

Anfangs sieht man zwei Jungs, vielleicht elf und neun Jahre alt, die sich liebevoll um einen Säugling kümmern: Kinderhände, unter den Fingernägeln starren schwarze Schmutzränder, streicheln das Kind vorsichtig, geben ihm das Fläschchen, die Jungen küssen das Baby und reden mit ihm. Weil es keinen Namen hat, suchen sie einen aus dem Telefonbuch. Weil es keine Windeln mehr hat, klauen sie welche. Die Mutter – das wird schnell klar – ist mit der Mutterrolle überfordert. Sie verbringt ihre Tage im Suff und die Nächte irgendwo außerhalb der Wohnung. Wenn sie die Jungs schlägt, weil sie den Schnaps und die Zigaretten der Mutter alle gemacht haben, stellt sich der ältere Nick trotzig in den Weg. Der Jüngere zieht den Kopf ein. Für das Baby sind diese zwei Kinder die einzigen, die sich kümmern. Diese zerbrechliche Geborgenheit wird eines Morgens brutal zerstört, als das Baby tot in seinem Bettchen liegt. Schnitt.

Gut zwanzig Jahre später kämpfen beide Brüder damit, ihr Leben in den Griff zu bekommen. Nick ist gerade aus dem Gefängnis entlassen worden und lebt in einem Obdachlosenwohnheim am Stadtrand von Kopenhagen. Ab und an hat er Sex mit Sofia, einer freundlichen und zutiefst unglücklichen Frau aus dem Wohnheim, die er wohl auch mag. Echte Nähe mag er aber nicht zulassen. Nick ist ein großer, muskulöser Kerl mit Bart und Tattoos, der Gewichte stemmt und öfter mal zuschlägt; Jakob Cedergren gibt dieser Figur eine sanfte Verletzlichkeit, die sich über die Augen, über die Stimme und über die Art, sich zu bewegen, vermittelt. Gegenüber Ivan, dem Bruder seiner Exfreundin, entwickelt Nick sogar eine Art Beschützerinstinkt. Ivan ist dick und schüchtern und hat ein Problem damit, seine Sexfantasien unter Kontrolle zu bringen. Ein Problem, dass Nick ganz fatal unterschätzt.

Nicks Bruder hingegen hat Familie und eine Wohnung: Allerdings hängt er an der Nadel. Seine Frau ist zwei Jahre zuvor gestorben, nun kümmert er sich allein um den fünfjährigen Martin. Er weiß, dass er mit seiner Sucht das einzige gefährdet, dass seinem Leben Sinn gibt – das Zusammenleben mit seinem Kind – aber dennoch schafft er es nicht, davon loszukommen. Ganz ohne Kitsch schildert der Film den Alltag der beiden: Momente der Nähe und Geborgenheit genauso wie Momente der Verzweiflung. Der Film zeigt, wie der namenlose Bruder, sehr eindrücklich gespielt von Peter Plaugborg, hin- und hergerissen wird zwischen der Bedürfnissen, die sein kleiner Sohn hat (voller Kühlschrank, Verlässlichkeit, Da-Sein) und der eigenen Sucht danach, sich in das große Vergessen zu stürzen, das das Heroin ihm schenkt. Ein Balanceakt, der irgendwann schief gehen muss.

Vinterberg erzählt die beiden Geschichten hintereinander, während sie eigentlich zeitgleich passieren. Mit kleinen Hinweisen, die niemals aufdringlich oder gekünstelt wirken, gibt er den Zuschauern Gelegenheit, die Chronologie zu durchdringen. „Submarino“ basiert auf dem gleichnamigen Roman des Dänen Jonas T. Bengtsson. Vinterberg sagt, dass er die Metapher des Unterseebootes als Titel bewusst beibehalten habe, auch wenn er sie im Film nicht explizit erklärt: Die Figuren, um die sich der Film dreht, sind wie U-Boote, die kaum einmal die Chance haben, den Kopf über Wasser zu bringen. Verletzte Menschen verletzen Menschen – dieser Spruch (im Englischen noch eindrücklicher: hurt people hurt people) wird in der Geschichte schrecklich deutlich. Das ist kein Fatalismus, das ist Realität. Und dennoch, auch das ist ein starker Impuls des Films, haben beide Brüder das Bedürfnis, diesen Teufelskreis zu durchbrechen, sie sehnen sich danach, Liebe und Geborgenheit zu geben und annehmen zu können, und scheitern doch immer wieder.

Ohne auf den Parallelen herum zu reiten wird klar, warum die Verwundungen, die die Brüder seit ihrer Kindheit mit sich herum tragen, Auswirkungen auf ihr Leben als Erwachsene haben. Nick zieht sich im Laufe des Filmes zudem eine neue Wunde zu, und auch die verheilt nicht. Er bekommt jedoch, im Gegensatz zu seinem Bruder, die Chance, den Kopf vielleicht doch noch über Wasser zu halten. Vinterberg lässt das offen.

Kommentiere den Film oder den Eintrag

Titel

Orignaltitel

Submarino

Credits

Regisseur

Thomas Vinterberg

Schauspieler

Jakob Cedergren

Peter Plaugborg

Morten Rose

Patricia Schumann

Land

Flagge DänemarkDänemark

Jahr

2010

Dauer

110 min.

Related

Thomas Vinterberg (Regisseur)

BERLINALE 2016

Kollektivet (Regisseur)

Impressum