Ein bitterer Deal
Nero ist 17 und lebt in Mexiko. Nichts wünscht er sich mehr, als wieder in die Vereinigten Staaten zu gelangen - er ist in L.A. aufgewachsen, aber seine Familie wurde vor einigen Jahren ausgewiesen. Der iranische Regisseur Rafi Pitts zeigt in SOY NERO die Odyssee des Jungen, die ihn über den berüchtigten Grenzzaun zwischen Mexiko und den USA, über L.A. und schließlich als sogenannter Greencard G.I. in die Wüste in irgendein Kriegsgebiet im Mittleren Osten führt. Es ist eine bittere Geschichte, die Pitts hier erzählt. Und genauso bitter ist die Realität, die dahinter steht: So manchem G.I., der nur wegen der Greencard in die Army eingetreten ist, wird erst posthum die amerikanische Staatsangehörigkeit verliehen. Andere wiederum werden nach ihrer Zeit in der Army nichtsdestotrotz abgeschoben.
Pitts findet überzeugende Bilder für die Geschichte, die er erzählen will: Die Wüste in Mexiko unterscheidet sich nicht groß von der Wüste, in die der Junge als Soldat geschickt wird. Hier schießen US-Grenzposten auf den Jungen, dort feindliche Araber. Aber es gibt auch Momente von bizarrer Schönheit: Als Nero den Grenzzaun in die Staaten überwindet, wird gerade ein riesiges Feuerwerk gezündet. Bunte Lichter-Raketen erhellen den Himmel über der Wüste. Es ist, als ob hier Neros Grenzüberschreitung als sein ganz persönlicher 4. Juli gefeiert wird - einen symbolischeren Tag hätte er sich wahrlich nicht aussuchen können.
Erst einmal in den USA, wird er von einem anscheinend leicht traumatisierten Ex-Soldaten mitgenommen. Der hat zum einen eine sehr niedliche kleine Tochter auf der Rückbank sitzen, mit der er lustige Lieder singt, zum anderen aber einen beängstigenden Hang zu Verschwörungstheorien und einen extrem "short fuse". Als der Mann von einer Polizeistreife kontrolliert wird und aufgrund der Situation völlig ausrastet, kann Nero gerade noch davonlaufen.
Nach einer weiteren Begegnung mit einer Polizeistreife findet Nero schließlich seinen Bruder, der offenbar in einer luxuriösen - aber beispiellos geschmacklosen - Villa in Beverly Hills residiert. Der erste Abend und die Nacht vergehen wie in Trance, Nero wähnt sich in seine kühnsten Träume versetzt - bis es dann am nächsten Morgen ein böses Erwachen gibt. Es ist eben ein viel zu schöner Traum, dass sich die designierten Verlierer dieser Welt einfach so im Luxus wiederfinden können.
Um schließlich doch noch an eine Greencard zu kommen, geht Nero mit einer falschen ID seines Bruders zur Army. Der Deal ist, dass er nach der überstandenen Militärzeit darauf hoffen kann, eine Greencard zu bekommen. Der Militärdienst in der Wüste ist zäh und zermürbend. Neros Kompaniechef ist offensichtlich depressiv, seine zwei Kameraden beharken sich ständig: einer kommt aus Compton, der andere aus der Bronx. Ergänzend zum Krieg außerhalb führen die beide ein kleines East-Coast versus West-Coast Scharmützel. Als die kleine Einheit in einen Hinterhalt gerät, nimmt Neros Geschichte eine weitere tragische Wendung. Am Ende läuft er so alleine wie zuvor durch die endlose Wüste.
Obwohl der Film ganz gut um eine halbe Stunde hätte gekürzt werden können, dringt Pitts mit seiner Geschichte durch, Drehbuch und Bilder erzeugen gemeinsam einen stimmigen Ton. Die Lehre, dass man sich besser nicht mit einer Sache einlassen sollte, die zu groß für einen ist, wird gleich am Anfang erteilt, in einen Witz verpackt, den ein Mexikaner am Grenzzaun erzählt: "Ein Elefant und eine Ameise treffen sich auf der Straße. Sie verlieben unsterblich ineinander, tanzen miteinander und haben tollen Sex. Am nächsten Tag ist der Elefant tot. Sagt die Ameise: 'Verdammte scheiße! Einmal super Sex gehabt und dafür verbringe ich jetzt den Rest meines Lebens damit, ein Grab zu schaufeln.'" Dumm nur, dass die meisten "Ameisen" gar keine andere Wahl haben.