Acht Jahre lang gefangen und weggesperrt. Kontakt einzig und allein mit einem einzigen Menschen – dem Entführer. Und plötzlich frei. Die 18-Jährige Gaelle in Fréderick Videaus A MOI SEULE muss ganz langsam wieder ins Leben zurückfinden. Was wie die französische Version der Kampusch-Geschichte klingt und leicht zu einem sensationslüsternen Streifen hätte werden können, übt sich in Reduktion und überzeugt als psychologisches Kammerspiel. Eine cineastische Erleuchtung ist der Film allerdings nicht.
Sehr klar und ausdifferenziert erzählt der Film zum einen von der absoluten Fremdheit, mit der sich Gaelle in Freiheit konfrontiert sieht – sie gehört noch nicht wieder in dieses „normale“ Leben, die Menschen reagieren größtenteils mit Befremden auf sie, und sie selbst muss erst wieder den normalen, nicht von Berechnung und Angst geprägten zwischenmenschlichen Kontakt lernen. In Flashbacks wird zudem von der gegenseitigen Abhängigkeit von Gefangener und Entführer erzählt, von dem quasi-normalen Frühstück mit Croissant und Marmelade am Sonntag, aber auch von der Klaustrophobie des Kellerverlieses und dem letztlich unverrückbaren Machtgefüge: Gaelle ist ihrem Entführer auf Gedeih und Vererb ausgeliefert, da mag sie noch so sehr versuchen, mit kleinen Zicken und Sperenzchen hin und wieder die Oberhand zu gewinnen.
Der Film geht erstaunlich stark auf den Entführer ein: Er selbst spricht nicht über seine Motivation – aber es wird deutlich, dass er ganz einfach die absolute Macht über eine anderes Wesen genießt, und dass er sich einen Menschen heranziehen will, der gar nicht anders kann, als ihn zu lieben. Aber genau das funktioniert natürlich nicht. Gaele fürchtet ihren Entführer und sie muss dafür sorgen, dass er ihr gewogen bleibt. Sie sucht seinen Kontakt, weil sie sonst keinen anderen Menschen hat und er ihre einzige Verbindung (materiell wie seelisch) zum Leben ist. Aber sie liebt diesen Menschen nicht, der ihr das eigene Leben genommen hat und jeden Tag Gewalt gegen sie ausübt. Dabei geht es nicht um sexuelle Gewalt, sondern um seelische. Der Entführer will das Mädchen nicht vergewaltigen, sondern sie zwingen „für immer“ bei ihm zu bleiben.
Agathe Bonitzer spielt die spröde und verstörte Gaelle völlig überzeugend, ebenso brilliert Reda Kateb als emotional schwer verstörter Entführer. Auch die Nebenrollen sind solide bis sehr gut besetzt. Leider macht Videau filmisch sehr wenig aus dem Thema. Die Kamera hält eben recht konventionell auf eine sehr unkonventionelle Geschichte.