UNA MUJER FANTASTICA (a fantastic woman) von Sebastián Lelio (Berlinale 2017)

Eine Frau mit Gegenwind

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Eine Frau muss darum kämpfen, um ihren toten Geliebten trauern zu dürfen. Warum? Weil Marina nicht als Frau geboren wurde und von der Familie Orlandos, des Mannes, mit dem sie ihr Leben geteilt hat, als Monster und Bedrohung, als „Chimäre“ angesehen wird. Der chilenisch-argentinische Regisseur Sebastián Lelio schafft mit UNA MUJER FANTASTICA das Kunststück, diese komplexe Geschichte um Identität und Verletzlichkeit, ja um die menschliche Würde, so zu erzählen, dass man gar nicht anders kann, als die beharrliche Forderung Marinas, die zu sein, die sie ist, rückhaltlos zu bewundern. Dabei nutzt Lelio die filmischen Mittel des Erzählens virtuos und gekonnt. Um Marina als Figur lebendig werden zu lassen, findet er starke Bilder, die noch lange im Gedächtnis bleiben.

Nach dem plötzlichen Tod von Orlando in der Notaufnahme eines Krankenhauses in Santiago de Chile beginnt eine Serie von Demütigungen für Marina: Im Krankenhaus wird sie misstrauisch beäugt, die Polizei verhört sie, weil sie einen Mord im Strichermilieu vermutet, und sie muss schließlich eine erniedrigende körperliche Untersuchung über sich ergehen lassen. Die soll zwar augenscheinlich dazu dienen, etwaige Verletzungen an Marina zu protokollieren, de facto aber ist die Entblößung und fotografische Dokumentation ihres nackten Körpers durch einen Polizeiarzt ein brutaler Angriff auf ihre Integrität. Orlandos Ex-Frau und sein erwachsener Sohn machen ihr in aller Deutlichkeit klar, dass sie erstens schleunigst aus der gemeinsamen Wohnung verschwinden, zweitens das Auto zurückgeben und sich drittens von der Trauerfeier (in einer Kapelle namens Sagrada Familia!) fernhalten soll. Doch Marina lässt sich nicht einfach so ausschließen.

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Dabei erfährt sie durchaus Unterstützung – von ihrer Schwester und deren Mann, selbst von Orlandos Bruder, der sich aber nicht traut, offen gegen die Familie zu opponieren. Immer, wenn der Frust zu groß wird, drischt Marina auf einen Sandsack ein, um sich abzureagieren. Nach einer bedrohlichen Begegnung mit Orlandos Sohn versucht Marina, in einem Club wieder das Gefühl für ihren eigenen Körper wiederzufinden – hier knutscht sie im Stroboskoplicht mit einem Fremden, hier imaginiert sie sich für eine wunderschöne Sequenz lang als Disco-Queen im Glitzerkostüm, hier darf sie ihre selbst gefühlte Identität als fantastische Frau ausleben. Äußerst stilsicher zeigt Lelio immer wieder Sequenzen, die zwischen Realität und Imagination changieren. Ab und an taucht Orlando als tröstender Geist in Marinas Blickfeld auf, und in einer Szene sieht man, wie sie sich auf der Straße gegen einen orkanartig aufbrausenden Wind lehnt, bis sie fast die Gesetze der Schwerkraft außer Kraft setzt – ein wunderbares Bild!

Lelio hat vor vier Jahren auf der Berlinale mit GLORIA gezeigt, dass er ein Gespür für starke und interessante Frauenfiguren hat. War damals das gleichnamige Disco-Lied der Soundtrack der Hauptfigur, so klingt nun aus Marinas Autoradio „You make me feel (like a natural woman)“. Ohnehin spielt Musik für Marina eine wichtige Rolle. Das erste Mal sehen wir sie, wie sie als Interpretin von lasziven Tralala-Liedchen in einem Club auftritt. Doch auch hier greift Marinas Wille, sich gegen das allzu leicht Erwartbare zu stemmen: Sie nimmt klassischen Gesangsunterricht – und schafft es zuletzt mit Händels „Ombra mai fú“, gerne von Counter-Tenören interpretiert, als elegant gekleidete, ernst zu nehmende Sängerin auf die Bühne.
Die Selbstzweifel und Verletzlichkeit seiner Hauptfigur zeigt Lelio fast nebenbei, wenn sie etwa bei der Maniküre die Bemerkung fallen lässt, dass sie „Hände wie ein Orang-Utan“ habe, oder wenn ihre Mine versteinert, als ein Familienmitglied von Orlando sie wüst und ordinär beschimpft. Doch Marina wehrt sich gegen fremde und allzu einfache Definitionen ihres Selbst.

Die vielleicht einfallsreichste Einstellung dauert nur ganz kurz: Marina liegt nackt auf dem Sofa ausgestreckt, und die Stelle zwischen ihren Beinen wird von einem kleinen Spiegel verdeckt. Was alle Außenstehenden in diesem Film brennend zu interessieren scheint – Schwanz oder nicht Schwanz – wird hier geschickt ad absurdum geführt. Denn Marinas Blick zwischen ihre Beine reflektiert nur eines: ihr Gesicht.

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Titel

Orignaltitel

Una mujer fantástica

Englischer Titel

A Fantastic Woman

Credits

Regisseur

Sebastián Lelio

Schauspieler

Luis Gnecco

Aline Kuppenheim

Francisco Reyes

Nicolas Saavedra

Daniela Vega

Land

Flagge ChileChile

Flagge DeutschlandDeutschland

Flagge SpanienSpanien

Flagge Vereinigte StaatenVereinigte Staaten

Jahr

2017

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