Berlinale 2015: NOBODY WANTS THE NIGHT von Isabel Coixet

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Zwei Frauen im Schnee. In der Nähe des Nordpols, zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die eine, Mrs. Peary, ist die amerikanische Gattin eines Polarforschers, die andere eine junge Eskimofrau namens Alaka. Beide warten auf denselben Mann. Der Eröffnungsfilm des Wettbewerbs, NOBODY WANTS THE NIGHT, hätte ein packendes Kammerspiel im ewigen Eis werden können, zumal eine der beiden Damen von Juliette Binoche gespielt wird. Dabei herausgekommen ist jedoch ein langatmiges, stets den moralinsauren Zeigefinger hebendes Stück Kitsch.

Schon bei dem ersten Abendessen der amerikanischen Polarforscher müssen wir uns darüber belehren lassen, dass zu den Todesopfern von Expeditionen auch die einheimischen Eskimos gezählt werden müssen. Später monologisiert die junge Wilde darüber, dass die Menschen nur immer an sich selbst und nicht „an die Welt“ dächten, und schließlich fragt sich eine versonnen murmelnde Erzählerstimme aus dem Off, ob denn ein zivilisiertes Dach über dem Kopf jemals die große Leere im Inneren überdecken könne. Wird man ständig so plakativ mit der Moral von der Geschicht’ bombardiert, führt das – zumindest bei mir – recht schnell zu Abwehrreaktionen. Das scheint anderen ähnlich gegangen zu sein, war der Applaus nach dem Film doch sehr verhalten bis nicht existent. Schade eigentlich, hat die Regisseurin Isabelle Coixet doch schon mehrfach bewiesen, dass sie eindringlich und zugleich unaufdringlich erzählen kann – zum Beispiel in dem bewegenden Drama MEIN LEBEN OHNE MICH, das 2002 auf der Berlinale lief.

Im Grunde ist Frau Binoche im Schnee ganz schön anzusehen: die täglichen Verrichtungen im engen Basislager, die sie wie eine gute Hausfrau ausführt, die Steifheit, mit der sie in perfekter Garderobe auf den von Huskys gezogenen Schlitten sitzt, die Strapazen, die sie stoisch erträgt, aber auch die emotionalen Ausbrüche, als sie von der Untreue ihres Ehemanns erfährt – all das lassen eine außergewöhnlich willensstarke Frau in all ihrer Sturheit und Verletzlichkeit lebendig werden. Wenn nur nicht die gewollte Bedeutungsschwere jeder einzelnen Einstellung so schwer auf ihren Schultern lasten würde. Die Zivilisierte muss die Achtung vor der Wilden erst lernen und demütig werden, dann darf sie auch rohes Huskyfleisch essen. Wo sie vor kurzem noch von der Park Avenue geträumt hat, muss sie nun den seidenen Morgenmantel verfeuern. Es ist, als blinke in jeder zweiten Szene ein Schild mit der Aufschrift „Achtung, symbolische Bedeutung!“ auf.

Doch all dies ist letztlich dann doch bedeutungslos: Zum Schluss kehrt Mrs. Peary einsam und mit einem noch dickeren Panzer als zuvor umgeben, wieder in ihr altes Leben zurück. Die Erinnerung an die Nähe zu der Inuit-Frau, an die ausgefallenen Haare und Fingernägel, an das rohe Walrossfett und anderes mehr, wird sie für immer tief in sich begraben. Park Avenue wird sie wieder in die Arme schließen. Das ist einer der wenigen ehrlichen Momente des Films.


Kommentare ( 1 )

Zwei erschreckend eindimensionale Frauenfiguren: die verzweifelt liebende, von der Zivilisation verdorbene Amerikanerin und die junge, edle, ach so weise Eskimofrau, die eins ist mit der Natur (und bestimmt auch mit dem Universum). Dass solcher Esoterik-Schmus bei der Berlinale immer gerne genommen wird, ist mir ein Rätsel. Da fühlten sich zwei Stunden Kino an wie dreieinhalb.

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