Experimente sind willkommen!

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Interview mit Perspektive-Leiterin Linda Söffker

Theater und Film haben im Werdegang von Linda Söffker gleichermaßen eine prägende Rolle gespielt. Die studierte Kultur- und Theaterwissenschaftlerin, Jahrgang 1969, hat als kuratorische Mitarbeiterin und Programm-Organisatorin mit Rainer Rother im Zeughauskino zusammengearbeitet und mit Alfred Holighaus für die Sektion „Perspektive Deutsches Kino“ bei der Berlinale. Seit dem Wechsel von Holighaus an die Deutsche Filmakademie im Jahr 2010 leitet Söffker die Sektion, deren explizites Ziel die Nachwuchsförderung ist. Claudia Palma und Tiziana Zugaro sprachen mit Linda Söffker über das gewisse Etwas, das ein Perspektive-Film mitbringen muss, über Talentsuche und Absagen, über brandenburgische Samurais und darüber, wie man sich während der Berlinale am besten fit hält.

Theater und Film haben im Werdegang von Linda Söffker gleichermaßen eine prägende Rolle gespielt. Die studierte Kultur- und Theaterwissenschaftlerin, Jahrgang 1969, hat als kuratorische Mitarbeiterin und Programm-Organisatorin mit Rainer Rother im Zeughauskino zusammengearbeitet und mit Alfred Holighaus für die Sektion „Perspektive Deutsches Kino“ bei der Berlinale. Seit dem Wechsel von Holighaus an die Deutsche Filmakademie im Jahr 2010 leitet Söffker die Sektion, deren explizites Ziel die Nachwuchsförderung ist. Claudia Palma und Tiziana Zugaro sprachen mit Linda Söffker über das gewisse Etwas, das ein Perspektive-Film mitbringen muss, über Talentsuche und Absagen, über brandenburgische Samurais und darüber, wie man sich während der Berlinale am besten fit hält.

Festivalblog: Frau Söffker, Sie sind in Eberswalde aufgewachsen. Wie hat sich in der brandenburgischen Provinz Ihre Filmleidenschaft entwickelt?

Linda Söffker: Eberswalde hatte damals zwei Kinos, die Passage-Lichtspiele und das Rote Finowtal. Da ich in der Nähe des Passage-Kinos wohnte, bin ich dort regelmäßig hingegangen. Jeden Sonntagnachmittag um 15 Uhr lief für Kinder und Jugendliche ein Film, zum Beispiel SIEBEN SOMMERSPROSSEN. Ein Sonntagnachmittag ohne Eltern war natürlich toll, vor allem weil auch die Jungs aus der Nachbarschaft mit dabei waren. Zum ersten Mal abends im Kino war ich mit meinen Eltern, wir haben DER GESTIEFELTE KATER REIST UM DIE WELT gesehen, einen Zeichentrickfilm. Später habe ich in Frankfurt/Oder gewohnt, dort Abitur gemacht, und es gehörte zum guten Ruf, Filme zu schauen, nicht nur die aus dem Westen wie GINGER UND FRED, sondern auch russische Werke wie GEH UND SIEH, einen Kriegsfilm. In Neuberesinchen gab es einmal im Monat den Filmclub, dort habe ich Fassbinders „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ gesehen. Biertrinken und Filmegucken, das war schön! Ich war auf einer naturwissenschaftlich orientierten Schule, und da war das Kino ein gutes Kontrastprogramm.

Festivalblog: Haben Sie nach dem Abitur an einer Filmhochschule studiert?

Söffker: Nein. Ich habe zunächst Wirtschaftsinformatik in Karlshorst studiert, aber nach einem Jahr fiel die Mauer. Ich bin dann schnell zur Humboldt-Uni gewechselt und habe mit Theaterwissenschaften angefangen. Direkt nach der Wende war Theater sehr wichtig, mindestens dreimal in der Woche waren wir dort. Später habe ich mich dann wieder mehr dem Kino zugewandt und arbeitete als studentische Hilfskraft im Zeughaus-Kino. Dort habe ich lange gearbeitet, zusammen mit Rainer Rother, der jetzt Leiter des Filmmuseums ist und die Retrospektive der Berlinale leitet. Er und Alfred Holighaus, der die Perspektive ins Leben gerufen hat, waren meine Mentoren.

Festivalblog: Jetzt leiten Sie seit vier Jahren selbst die Perspektive Deutsches Kino. Was muss ein Film haben, um in Ihrer Reihe gezeigt zu werden?

Söffker: Wir kümmern uns um den Nachwuchs. Es geht darum, Leute zu entdecken, die in der Branche noch keinen Namen haben. Ich suche Filmemacher, die zwar nicht das Rad neu erfinden, die aber eine Geschichte filmästhetisch anders umsetzen – eben nicht so, wie ich es schon x-mal gesehen habe. Experimente in der Filmsprache sind da sehr willkommen. Es muss auch nicht der perfekte Film sein, Fehler sind durchaus erlaubt. Aber die Filme sollten ein Versprechen für die Zukunft geben, das heißt, erahnen lassen, dass da noch etwas richtig Großes und Außergewöhnliches kommen kann. Natürlich gibt es auch ein paar formale Voraussetzungen: Der Film muss mit deutschem Geld produziert sein, er muss das Debüt oder der zweite Film des Regisseurs sein und er sollte mindestens zwanzig Minuten lang sein.

Festivalblog: Wie viele Einsendungen gab es für diese Berlinale?

Söffker: Wir hatten 400 Bewerbungen in diesem Jahrgang, aber rund hundert passten gar nicht in unser Programm. Gesehen habe ich am Ende etwa 300 Filme.

Festivalblog: Sind Sie auch viel in Deutschland unterwegs, um Filme für Ihr Programm zu finden?

Söffker: Ja, ich schaue mich in den Filmhochschulen um und fahre auch zu einigen Festivals. Vor allem geht es darum, dass die Studenten mich kennenlernen, dass wir miteinander reden und auch mal ein Bier zusammen trinken, damit sie die Scheu verlieren. Sie sollen mich ja schließlich anrufen, wenn sie einen Film fertig haben!

Festivalblog: Welche Chance haben in der Perspektive Autodidakten, die nicht von Filmhochschulen kommen?

Söffker: Etwa ein Drittel der Einreichungen kommt ohne den Hintergrund einer Schule. Die Technik ist ja heute viel leichter zu handhaben, jeder kann loslegen und Filme machen. Und tatsächlich kommen bei uns immer wieder Autodidakten und Quereinsteiger ins Programm, wie zum Beispiel Georg Nonnenmacher, der lange als Oberbeleuchter gearbeitet hat und jetzt seinen zweiten Film RAUMFAHRER bei uns zeigt.

Festivalblog: In Ihrer Reihe präsentieren Sie 14 Filme, mehr passt nicht ins Programm, Sie müssen also sehr viel absagen. Wie läuft das?

Söffker: Das ist nicht gerade meine Lieblingsaufgabe! Es gibt eine Standardmail vom Festival, die wir verschicken. Aber Leuten, die ich persönlich kenne, Regisseuren und Produzenten, sage ich persönlich ab. Es kann eben nicht alles auf der Berlinale laufen. Aber ich spreche zum Beispiel mit den Kollegen vom Festival „Achtung Berlin“ und mache sie auf einzelne Filme aufmerksam.

Festivalblog: Tauschen Sie sich über einzelne Filme auch mit den anderen Leitern der Berlinale-Sektionen aus, wie dem Forum oder Panorama?

Söffker: Natürlich sprechen wir uns ab und empfehlen uns Filme – das geht in alle Richtungen. In diesem Jahr laufen vier deutsche Filme im Wettbewerb, das war nicht abzusehen, als wir im Oktober mit dem Sichten begannen. Ein echt starker Jahrgang. Der Potsdamer HFF-Absolvent Dietrich Brüggemann ist ja auch dabei, er hat bei uns in der Perspektive 2006 seinen ersten Film NEUN SZENEN gezeigt. RENN, WENN DU KANNST war 2010 unser Eröffnungsfilm und jetzt ist Brüggemann im Wettbewerb vertreten. Wenn das keine Karriere ist!

Festivalblog: In diesem Jahr haben Sie zwei lange Filme von der Filmhochschule aus Potsdam-Babelsberg in die Perspektive eingeladen. Das gab es ja auch lange nicht.

Söffker: Die HFF Potsdam war sehr erfolgreich in den vergangenen Jahren, die Studenten und Absolventen haben auf Festivals Furore gemacht. Regisseure wie Axel Ranisch oder Aron Lehman haben eine richtige Welle ausgelöst. Da passiert was und das spiegelt sich auch bei uns wider. Mit dabei von der HFF ist der Schwede Jöns Jönsson, der uns schon 2009 aufgefallen ist, als er bei den Berlinale-Shorts seinen Kurzfilm DAS MEER zeigte. Jetzt ist er mit seinem Abschlussfilm LAMENTO bei uns. Er hat in Schweden gedreht und erzählt eine Familiengeschichte. Auch Ester Amrami begibt sich mit ihrem Film ANDERSWO in ihre Heimat, nach Israel. Ein sehr lustiger Film, in dem die Hauptfigur Noa mit ihrem Freund von Berlin nach Israel, zu ihren Eltern reist. Die wussten bislang gar nichts von dem deutschen Freund ihrer Tochter, und es kommt zu einigen Verwicklungen.

Festivalblog: Viele Filmemacher drehen also gar nicht vor der Haustür.

Söffker: Genau, sie sind unterwegs. In Brandenburg selbst ist nur ein Film entstanden, Till Kleinerts Thriller DER SAMURAI, der in den dichten Wäldern von Brandenburg spielt und bei uns als Midnight Movie programmiert ist.

Festivalblog: Erhöht das die Chancen für die Perspektive, auch im Ausland wahrgenommen zu werden?

Söffker: In unseren Premieren sind leider wenige ausländische Besucher. Internationale Markteinkäufer kommen dagegen häufig in unsere Presse-Vorführungen, was genau daran liegt, dass wir nicht nur typisch deutsche Filme zeigen, sondern Produktionen, die im Ausland spielen, in Kirgisien, Kuba, Israel. Auch viele internationale Festivalmacher schauen sich unser Programm an und laden die Filme zu sich ein.

Festivalblog: Schaffen es Filme aus der Perspektive auch ins Kino?

Söffker: In den vergangenen Jahren haben viele Filme auf der Berlinale einen Verleih gefunden. Darunter auch einige aus der Perspektive. Die Kinolandschaft hat sich verändert, viele kleine Verleiher bringen kleinere Filme ins Kino. Und auch Dokumentarfilme sind jetzt immer mehr im Kino zu sehen. Früher hieß es ja immer, Dokus gehören ins Fernsehen.

Festivalblog: Jedes Jahr verlassen hunderte von Absolventen die Filmhochschulen in Deutschland. Werden so viele Filmemacher überhaupt gebraucht?

Söffker: Eine gute Ausbildung schadet nie. Es kommt darauf an, was man daraus macht. Ich freue mich, wenn junge Leute Ideen haben. Das ist besser, als wenn sie gelangweilt und desinteressiert durch die Welt gehen. Konkurrenz und Kampf gibt es in jedem Berufszweig.

Festivalblog: Sie vergeben in Zusammenarbeit mit Glashütte Original den „Made in Germany - Förderpreis Perspektive“, dotiert mit 15.000 Euro, an ehemalige
Teilnehmer der Perspektive. Warum?

Söffker: Die Preisträger sind von der Berlinale als Talent ausgemacht worden und sie sollen weiterarbeiten können. Weil der Markt eben so groß ist, und es für Nachwuchs-Filmer nicht leicht ist, sich zu behaupten, unterstützen wir sie. Sie sollen sich Zeit nehmen können für ein Drehbuch, und sie bekommen einen Mentor, der sie dramaturgisch berät.

Festivalblog: Worauf freuen Sie sich am meisten auf der Berlinale?

Söffker: Als erstes auf die Eröffnung der Perspektive und dann auf die Weinbar bei der Deutschen-Filme-Party.

Festivalblog: Zehn Tage lang von von morgens bis spät nachts im Kinosessel - das ist eine Herausforderung für so manch eine Bandscheibe. Wie halten Sie sich fit während der Berlinale?

Söffker: Es ist clever, sich rechtzeitig ein Rezept für Massagen und Krankengymnastik zu besorgen. Und wenn man zwischen zwei Filmen Zeit hat, dann sollte man sich eine Behandlung gönnen. Und schon sitzt man wieder ohne Rückenschmerzen und ohne Verkrampfungen im Kino.

Festivalblog: Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führten Claudia Palma und Tiziana Zugaro für Festivalblog.

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