Von Hirschen, Blut und Liebe
Wie schön, dass das Kino einen immer wieder überraschen kann: Plötzlich stehen da zwei Hirsche im verschneiten Wald. Ein männliches Tier mit mächtigem Geweih und eine etwas kleinere Hirschkuh. Sie beschnuppern sich, suchen gemeinsam nach Futter, laufen an einem Teich entlang und lauschen aufmerksam jedem Geräusch nach. Dass diese Tiere mehr sind als stimmungsvolle Deko, wird in Ildikó Enyedis zauberhaftem Film TESTRÖL ES LELEKRÖL erst nach einer guten Weile klar. Zunächst führt sie uns, mitten im Sommer, in die raue Wirklichkeit eines Schlachthauses in Budapest. Und genau dort, wo man es nicht unbedingt vermuten würde, zwischen Blutlachen und zerteilten Kuhkadavern, blüht ein zartes, scheues Pflänzchen der Liebe.
Mária ist jung, zartblond und extrem zurückhaltend, akribisch bis zur Manie und mit einem ungewöhnlich guten Gedächtnis ausgestattet. Die Fähigkeit zu „normaler“ menschlicher Kommunikation scheint ihr weitgehend zu fehlen, sie rekapituliert oder „übt“ Gespräche in ihrer klinisch sauberen Wohnung mittels Requisiten wie Salzstreuern und Playmobilfiguren. Körperliche Berührungen sind besonders problematisch – es spricht alles für einen leichten Autismus. Als neue Fleischinspekteurin wird sie ihrerseits neugierig von den Kollegen begutachtet und recht bald als seltsame Spinnerin abgestempelt. Endre, deutlich älter und für die Finanzen des Betriebs zuständig, hat einen lahmen Arm und eine sehr wache Menschenkenntnis. Über die Liebe macht er sich keinerlei Illusionen mehr. Mária jedoch fasziniert ihn seit dem ersten ungelenken Aufeinandertreffen in der Kantine. Girl meets Boy, aber, man ahnt es schon, so einfach ist das hier nicht.
Wie sich diese beiden einsamen Seelen langsam annähern, welche zwischenmenschlichen Hürden sie mit zum Teil mit absurden Aktion überwinden müssen, erzählt die Künstlerin und Filmemacherin Enyedi mit hintergründigem Humor und viel Aufmerksamkeit für ihre Figuren. Zugleich lässt sie eine ganze kleine Welt – den Kosmos des Schlachthauses und seine Mitarbeiter – mit wenigen filmischen Pinselstrichen lebendig werden. Was sie dabei über das Leben und die Menschen zu erzählen hat, ist allemal sehenswert. Zum Beispiel, dass ein Schlachter ohne Mitgefühl für die Tiere, die er töten zerlegen muss, verloren ist. Dass man ungarische Polizisten gut mit Rindfleisch bestechen kann. Und dass auch toughe Psychologinnen äußerst empfindlich darauf reagieren, wenn sie das Gefühl haben, dass man sie nicht ernst nimmt.
Kommentare ( 1 )
Sehr schöner Film und sehr schöne Besprechung!
Posted by Andreas | 11.02.17 08:38