Wettbewerb - Berlinale 2024

Berlinale 2024: MÉ EL AÏN (WHO DO I BELONG TO?) von Meryam Joobeur

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© Tanit Films, Midi La Nuit, Instinct Bleu

Ein Dorf im Norden Tunesiens, nicht weit entfernt von den Klippen und dem Strand zum Mittelmeer. Eine Bauernfamilie, Mutter Aicha, Vater Brahim und drei Söhne führen ein karges, aber von Liebe geprägtes Leben. Eines Nachts verlassen die älteren beiden Söhne heimlich das Zuhause. Bald wird den Eltern klar: Sie haben sich als IS-Terroristen dem syrischen Bürgerkrieg angeschlossen. Als nach einigen Monaten nur einer der beiden Söhne, Mehdi – offensichtlich traumatisiert – heimkehrt, hat er eine geheimnisvolle, vollverschleierten und hochschwangere Frau bei sich. Plötzlich geschehen merkwürdige und gewaltsame Dinge in dem kleinen Dorf. Der Wettbewerbseitrag MÉ EL AÏN der tunesisch-kanadischen Regisseurin Meryam Joobeur ist eine souverän inszenierte Annäherung an das Grauen, das Krieg und Terror bei den davon betroffenen Menschen auslösen.

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Berlinale 2024: BLACK TEA von Abderrahmane Sissako

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© Olivier Marceny / Cinéfrance Studios / Archipel 35 / Dune Vision

Die Braut sagt „nein“: Aya, eine junge Frau aus der Republik Côte d’Ivoire, lässt am Altar ihren zukünftigen Mann und ihr bisherigen Leben hinter sich und wandert nach China aus. Cut. Aya lebt in einem quirligen Stadtviertel von Guangzhou, das wegen seiner großen afrikanischen Community „Chocolate City“ genannt wird. Sie arbeitet in einem kleinen Teeladen. Cai (!), der chinesische Besitzer des Ladens, teilt mehr mit Aya als die Liebe zum Tee. Doch nicht nur Aya hat eine komplizierte Vergangenheit – BLACK TEA von Abderrahmane Sissako ist eine Mischung aus Liebesfilm, Märchen und Selbstfindungsgeschichte. Mit der „Chocolate City“ kreiert er einen nahezu utopisch anmutenden Raum, der erwartbare Barrieren zwischen Menschen und Kulturen in Frage stellt. Leider kommt man sich als Zuschauer über weite Strecken hinweg wie in einer mittelmäßigen Seifenoper vor.

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Berlinale 2024: GLORIA! Von Margherita Vicario

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© tempesta srl

Einerseits: eine zuckrige Schmonzette mit schlechtem Schnulzen-Soundtrack. Andererseits: Ein anarchisches, lebensbejahendes Märchen, an das wir glauben sollen. Sowas kriegen wohl nur die Italiener hin (ich darf das sagen). GLORIA!, der Wettbewerbsbeitrag der italienische Popsängerin goes Regisseurin Margherita Vicario hat bei der Pressevorführungen Buhrufe und Beifall gleichermaßen ausgelöst. Wer einen Sinn fürs Lustig-Anarchische hat, sich nicht daran stört, dass der Film melodramatisch sehr (!) dick aufträgt und es erfrischend findet, dass in einer Geschichte, die um 1800 spielt, die Figuren romantische Musik, Jazz und Popmelodien für sich entdecken, ist hier gut aufgehoben. Alle andere werden wenig Freude an dem Film haben.

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Berlinale 2024: DES TEUFELS BAD von Veronika Franz und Severin Fiala

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© Ulrich Seidl Filmproduktion / Heimatfilm

Es gibt Filme, die wollen weh tun. Manchmal aus gutem Grund. Aber trotzdem nicht schön. DES TEUFELS BAD ist so ein Film. Sehr, sehr ländliches Oberösterreich, Mitte des 18. Jahrhunderts. Eine sanfte junge Frau heiratet einen bärigen, aber im Grunde ebenso sanften Mann aus dem Nachbarweiler. Dort angekommen, fühlt sie sich völlig fehl am Platz. Die Kate ist dunkel, die Schwiegermutter wuselt ihr dauernd in der Küche rum und an den Fischfang im schlammigen Fluss ist sie nicht gewöhnt. Ein Kind wünscht sie sich, aber der Ehemann mag die Ehe nicht vollziehen. Die Frau fällt in eine tiefe Depression, zu jener Zeit auch „Des Teufels Bad“ genannt. Sie betet immer mehr, aber alles wird immer schlimmer. Umgeben von einer kargen, harten Welt, geformt von dunkelstem Aberglauben und tiefstem Katholizismus, sieht sie nur einen Ausweg.

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Berlinale 2024: PEPE von Nelson Carlos De Los Santos Arias

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© Monte & Culebra

Unhappy Hippo

Ein Nilpferd namens Pepe erinnert sich, wie seine Vorfahren aus ihrer Heimat in Namibia auf die Hazienda von Pablo Escobar gebracht wurden. Es spricht Afrikaans, Mbukushu und kann „AEIOU“ sagen und grunzen. Es ist ein sehr philosophisches Nilpferd und sinniert über sein Leben und das seiner Familie nach und darüber, warum es überhaupt sprechen kann. Spoiler: Ganz am Anfang und am Ende nochmal wird es erschossen, redet aber trotzdem weiter.

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Berlinale 2024: LANGUE ÉTRANGÈRE von Claire Burger

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© Les Films de Pierre

Zwei 17-jährige Mädchen, eine Französin und eine Deutsche, begegnen sich über einen von ihren Eltern organisierten Schülerinnenaustausch in Leipzig. Während die Deutsche Lena selbstbewusst, verantwortungsvoll und politisch engagiert ist, wird die schüchterne Fanny zuhause in ihrer Klasse gemobbt und flüchtet sich in ihre eigene Welt. Zunächst ist Lena sehr abweisend, aber als Fanny nach und nach scheinbar dramatische Details aus ihrem Leben preisgibt, wächst eine immer stärker werdende Nähe zwischen den beiden jungen Frauen – und eine Neugierde, sich gegenseitig auch jenseits der Sprachaustauschs zu erkunden. Die renommierte Regisseurin Claire Burger hat in LANGUE ÉTRANGÈRE eigentlich alle Zutaten zu einem richtig guten, interessanten, ungewöhnlichen Film. Aber.

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Berlinale 2024: ARCHITECTON von Victor Kossakovsky

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© 2024 Ma.ja.de. Filmproduktions GmbH, Point du Jour, Les Films du Balibari

Die Bilder und die Musik von ARCHITECTON drücken einem in die Kinositze zurück. Der Blick erhebt sich über die Monolithen von Baalbek, die Drohnenkamera umkreist Häuser in einem zerstörten ukrainischen Wohnviertel, deren Wohnzimmer und Küchen wie in einem Puppenhaus freiliegen und damit ihren verletzlichen Innenraum schutzlos preisgeben, oder wir sehen in Slow Motion einen unaufhaltsamen, gewaltigen Steinschlag. Doch das Ausreizen der ästhetischen Mittel und die pompöse Musik geben dem Film auch etwas Martialisches.

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Berlinale 2024: STERBEN von Matthias Glasner

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© Jakub Bejnarowicz / Port au Prince, Schwarzweiss, Senator

Nach knapp 90 Minuten von Matthias Glasners STERBEN sitzt Tom (Lars Eidinger) mit seiner Mutter Lissy (Corinna Harfouch) am Esstisch und sagt, er verstehe jetzt, „warum wir so furchtbar sind“. Mit „wir“ meint er seine Mutter und sich selbst. Seine Mutter kommt gerade von der Waldbestattung, bei der sie die Asche ihres Mannes (Hans-Uwe Bauer) beigesetzt hat. Zum Abschied sagt sie: „Du warst einer von den Guten – danke dafür.“ Tom hat die Beerdigung verpasst, weil seinem E-Auto auf dem Weg in den Ruhewald der Strom ausgegangen ist. Mit dem Satz von Tom, der in einem aufwühlenden Gespräch zwischen Mutter und Sohn beendet, hätte STERBEN zu Ende sein können. Alles ist gesagt, was soll jetzt noch kommen?

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Berlinale 2024: HORS DU TEMPS (SUSPENDED TIME) von Olivier Assayas

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© Carole Bethuel

"Es hat eigentlich kaum Filme über Corona gegeben". Ich dachte nach, aber meine Freundin hatte recht. Mir fielen nur sehr wenige Filme ein, darunter kein einziger Spielfilm. Gemessen daran, wie die Pandemie über Jahre unseren Alltag geprägt hat, war das überraschend. Zu einer ähnlichen Erkenntnis ist auch Olivier Assayas gekommen. Gleich nach dem ersten Lockdown hatte er angefangen, seine Erfahrungen niederzuschreiben. Als dann drei Jahre später die von ihm erwarteten Pandemie-Filme ausblieben, hat er sich entschlossen, aus seinen Manuskripten HORS DU TEMPS zu machen.

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Berlinale 2024: LA COCINA von Alonso Ruizpalacios

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© Juan Pablo Ramírez / Filmadora

Sex in der Kühlkammer, derbe Küchenschlachten und viel Klassenkampf. Der Wettbewerbsbeitrag LA COCINA von Alonso Ruizpalacios zeigt die Menschen, die in der Küche einer riesigen Fast-Food plus Hummer-Touristenfalle am Times Square schuften. Sie kommen aus allen möglichen Nationen, viele davon haben keine Papiere, aber alle haben Träume. Mitten drin: ein Liebespaar in Nöten, das sich entscheiden muss, ob es eine gemeinsame Zukunft haben will. Er (Raúl Briones Carmona) Typ manischer mexikanischer Macho mit Herz, sie (Rooney Mara) die abgeklärte Blonde, aber letztlich ebenfalls mit Herz. Die Arbeit von Küchenpersonal und Serviererinnen ist nichts für Trödler: Zack, zack, zack muss es gehen, wenn die hungrigen Touristen im Obergeschoss abgefüllt werden wollen. Geschrei, Geklapper, Flüche. Wenn der Druck sich zwischen Tortellini und defekter Soda-Maschine entlädt, kann es sehr unschön werden. Als dann auch noch Geld in der Kasse fehlt, eskaliert die Situation.

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Berlinale 2024: KEYKE MAHBOOBE MAN (MY FAVOURITE CAKE) von Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha

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© Hamid Janipour

Einsame ältere Witwe sucht noch einmal die Liebe. Und findet sie. Der Rest wird nicht verraten. Mit KEYKE MAHBOOBE MAN (MY FAVOURITE CAKE) ist dem iranischen Regie-Duo Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha der erste echte Wettbewerbs-Hingucker gelungen: eine stilsichere Balance aus Komödie und Tragödie, oft wunderbar leicht und dann wieder bitter ernst. Der Film erzählt eine zutiefst private, anrührende und wahrhaftig wirkende Geschichte – und ist zugleich ein mutiges gesellschaftliches und politisches Statement. Diesen Brückenschlag hinzubekommen ist eine Kunst.

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Berlinale 2024: SMALL THINGS LIKE THESE von Tim Mielants

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Foto: ©Shane O’Connor

Dies vorweg: Der Eröffnungsfilm der diesjährigen Berlinale ist kein Gute-Laune-Movie. Macht aber nichts, passt zum Thema. Schauplatz: Eine irische Kleinstadt Anfang der 1980er Jahre. Plot: Bill, ein stiller, aber freundlicher Kohlenhändler und Familienvater wird durch eine schockierende Begegnung in einem Nonnenkloster aus seinem ruhig dahinfließenden Alltag gerissen und mit Dämonen aus seiner Kindheit konfrontiert. Das Problem: Diese Dämonen sind katholisch, mächtig und noch sehr lebendig. Bill muss sich entscheiden, ob er gegen sie kämpfen will. Um der Dramatik das Häubchen aufzusetzen, spielt die Geschichte in der Vorweihnachtszeit. Leider stellt der Film seine – durchaus lobenswerte – Botschaft ein wenig zu sehr in den Vordergrund. Wegen eines brillanten Cillian Murphy in der Hauptrolle ist er dennoch absolut sehenswert.

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