Berlinale 2015: Ein Kuss vor feuerrotem Himmel

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Interview mit Rainer Rother

Die satten Farben von Technicolor sind das Thema der diesjährigen Retrospektive. Es werden Klassiker wie SINGING IN THE RAIN oder THE WIZARD OF OZ gezeigt, aber auch Filme, die man selten zu sehen bekommt. Über die Wirkung von Farbe und Farbberatung für Kameraleute sprachen Claudia Palma und Tiziana Zugaro mit Rainer Rother, dem Leiter der Retrospektive.

Festivalblog: Herr Rother, das Zitat von Béla Balázs „Farbe ist eine große symbolische, assoziierende und Empfindungen weckende Kraft“ passt perfekt zum Thema der diesjährigen Retrospektive. Hat Technicolor dem Kino der Empfindungen und der Überwältigung einen kräftigen Schub versetzt? Wie haben Zuschauer und Kritiker darauf reagiert?

Rainer Rother: Überwältigung ist keine Erfindung des Farbfilms. Aber natürlich kommt durch die Farbe ein weiteres Moment hinzu, und für einen Teil der Kritik ist es zunächst verstörend. Vor allem, weil die frühe Farbtechnik das Farbspektrum noch nicht wirklich überzeugend darstellen kann. Farbfilm habe einen Schauwert, aber sonst bringe er nichts, hieß es. Bei der Einführung des Tonfilms gab es übrigens ähnliche Diskussionen.

Festivalblog: Wie konnte der Farbfilm dann doch noch überzeugen?

Rother: Farbfilme sind besser geworden. Sie haben gezeigt, was sie können. Zum einen durch einen gelungenen Schauwert – die Farbe wird im Film ausgestellt und macht Eindruck, was besonders für Musicals gilt. Farbe wird dann aber auch als dramaturgisches Mittel eingesetzt – besonders gut gelungen ist das bei GONE WITH THE WIND, der die Farbe geschickt je nach den Erfordernissen der Erzählung einsetzte und sie für den Spielfilm durchsetzte.

Festivalblog: War es nicht auch eine große Umstellung für die Regisseure, die sich dramaturgisch auf die neuen Möglichkeiten einstellen mussten?

Rother: Das war in der Tat nicht einfach. Aber von Seiten der Firma Technicolor wurde vor allem Wert darauf gelegt, Farbexzesse zu verhindern. Deshalb gab es ganz gezielte Farbberatungen für Kameraleute und Regisseure, für die das ja auch neu war. Es wurde eine gewisse zurückhaltende Farbgebung empfohlen - etwa auf schreiende Kontraste zu verzichten – und eine Farbe, die zum jeweiligen Sujet passen sollte.

Festivalblog: Es gab auch ganz genaue Vorschriften für das Make-up der Schauspieler im Farbfilm.

Rother: Das war eine Weiterentwicklung dessen, was es bereits im Schwarzweiss-Film gab. Der Star musste richtig abgelichtet werden – Greta Garbo konnte ihre Wirkung nur mit Hilfe der richtigen Schatten und aus dem richtigen Winkel heraus voll entfalten. Das gilt auch für Marlene Dietrich und Marilyn Monroe. Sie sind auch Produkte einer bestimmten Beleuchtungstechnik. Und jetzt kommt etwas Neues hinzu: Auch in Farbe muss der Star unglaublich schön sein.

Festivalblog: War es für die Zuschauer nicht auch erschreckend zu erfahren, dass diese Farben einen ungewollt in eine Traumwelt hineinziehen können?

Rother: Es gibt Filme, die genau damit spielen. Zum Beispiel THE WIZARD OF OZ. In dem Moment, in dem der Film von Kansas in Dorothy’s geträumte Welt wechselt, kommt die Farbe auf die Leinwand. Es handelt sich dabei um ein sehr kluges und ironisches Spiel mit der Wahrnehmung. Farbe im Film suggeriert, dass es sich hier um eine Ebene jenseits der Realität handelt. Es gibt also durchaus das Bewusstsein dafür, dass der Einsatz von Farbe eine andere Realität schaffen kann.

Festivalblog: Szenen in Farbe prägen sich auch in der Erinnerung besonders deutlich ein: Zum Beispiel die gelben Regenmäntel in SINGING IN THE RAIN…

Rother: …oder der Kuss vor dem feuerroten Himmel in GONE WITH THE WIND. Ja, Farbe schafft starke Erinnerungsmomente. Diese werden dann auch gerne wieder zitiert: Der Kuss von Vivian Leigh und Clark Gable wurde zum Beispiel von King Vidor in DUEL IN THE SUN wieder aufgenommen.

Festivalblog: In der Retrospektive zeigen Sie 30 Filme. Wie haben Sie die Filme ausgesucht?

Rother: Wir wollten die klassischen Genres abdecken: Es sind also Melodramen, Musicals, Western und exotische Stoffe wie zum Beispiel BLOOD AND SAND mit Rita Hayworth oder SCARAMOUCHE von George Sidney dabei – ganz typisch für Technicolor. Und die Filme müssen sowohl Farbe auf besondere, interessante Weise einsetzen, als auch eine spannende Geschichte erzählen.

Festivalblog: Viele dieser Klassiker liegen mittlerweile als gut restaurierte, digitalisierte Fassungen vor. Wer kümmert sich darum?

Rother: Filmarchive und zum Teil auch die Filmfirmen, die Rechte-Verwerter selbst haben sich darum gekümmert. Die Studios sind sehr an der weiteren Verwertung dieser Klassiker interessiert – sei es als DVD, als Fernsehausstrahlung oder als Video on demand. Es gibt also ein ökonomisches Interesse, diesen Schatz zu erhalten und ihn stets auf das aktuelle technische Niveau zu heben. Wie können auch deswegen digitalisierte Fassungen präsentieren. Zwei Filme, AFRICAN QUEEN und LA CUCARACHA, zeigen wir sowohl als originale 35-mm-Kopie als auch in der restaurierten Fassung. Da kann der Zuschauer dann prima vergleichen.

Festivalblog: Die Blütezeit erlebte Technicolor von 1935 bis 1955. Was passierte dann?

Rother: Farbfilm war zunächst bis in die 1950er Jahre sehr teuer, man benutzte sehr große Kameras und brauchte auch viel mehr Licht. Deshalb wurde ab Mitte der 1950er Jahre immer weniger mit der aufwendigen Original-Technik gedreht, sondern auf dem neu entwickelten Farbnegativfilm von Kodak und anderen. In diesem Farbverfahren sind bereits in den Emulsionen farbempfindliche Materialien vorhanden.

Festivalblog: Was schauen Sie denn lieber an? Farbe oder Schwarzweiß?

Rother: Ich bin da ganz offen. Ich gehöre noch einer Generation an, die mit einem schwarz-Fernseher aufgewachsen ist. Beide haben ihre Stärken. Interessant finde ich es, wenn diese Stärken auch dramaturgisch genutzt werden. In den vergangenen Jahren konnten wir ja einiges Beeindruckendes in Schwarzweiß sehen, wie DAS WEISSE BAND, OH BOY, DIE ANDERE HEIMAT oder THE ARTIST.


Das Interview führten Claudia Palma und Tiziana Zugaro.


Kommentare ( 1 )

Sehr spannend...ich habe richtig Lust mir verschiedene Filme in der Retro anzuschauen (umso mehr weil das Programm in Panorama und Forum sich zumindest von den Beschreibungen mich nicht vom Hocker haut)

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