Das ganze Jahr am Rödeln

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Panorama-Chef Wieland Speck spricht im Interview mit Festivalblog über den Arabischen Frühling, Schwulenfilme im Panorama und die Zukunft des Festivals.
Traditionell sind in der Berlinale-Sektion Panorama die echten cineastischen Perlen zu finden. Wie schafft Wieland Speck das? Mit dem 60-jährigen sprachen Claudia Palma und Tiziana Zugaro.

Festivalblog: Herr Speck, letzte Woche hat Ihnen der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit den Bundesverdienstorden überreicht...
Wieland Speck: Das war eine Überraschung, an so was denkt man doch nicht! Es war mir übrigens ganz recht, dass ich zu Klaus Wowereit ins Rote Rathaus gebeten wurde und nicht zum Bundespräsidenten, schließlich habe ich den Regierenden Bürgermeister als meiner Arbeit sehr verbunden erlebt.

Festivalblog: Sie wurden unter anderem für Ihr Engagement als Leiter des Panoramas bei der Berlinale geehrt. Wie bewahrt man sich nach 20 Jahren die Lust an dem Job?
Speck: Die gemeine Verführung bei der Sache ist, dass sie erfolgreich ist und dass es jedes Jahr neue Filme gibt. Das Burnout stellt sich eher wegen der Struktur, den immer gleichen Abläufen, ein. Der Inhalt bleibt dagegen spannend. Und wenn ich das diesjährige Programm betrachte – das ist doch ein Jungbrunnen!

Festivalblog: Sie sind auch selber Autorenfilmer. Keine Lust, mal wieder einen eigenen Film zu machen?
Speck: Doch schon, aber beim Filmemachen ist das Lustprinzip nur ein Element. In den letzten zehn Jahren konnte ich nicht mehr an einem Drehbuch schreiben, mir fehlt einfach die Zeit, obwohl ich nicht das ganze Jahr unter Vertrag bin. Der Kommunikationsaufwand ist mittlerweile sehr hoch, ständig ist etwas los, da lädt zum Beispiel Dieter Kosslick spontan zu einem Meeting ein und da muss ich natürlich hin. Und auch sonst ist man das ganze Jahr am Rödeln.

Festivalblog: Rödeln heißt: Reisen, Kontakte pflegen, Filme fürs Panorama entdecken.
Speck: Zu reisen beginne ich immer erst spät im Jahr. Die Filme sollen ja ganz neu sein, wenn sie bei uns auf der Berlinale laufen. Wir wollen, dass sich der Filmmarkt für Panorama-Filme besonders stark interessiert, damit die Filme einen Verleih finden, in die Kinos kommen und zum Publikum. Ein Leben der Filme nach der Berlinale sehen wir als unsere Aufgabe.

Festivalblog: Und wo gehen Sie auf filmische Entdeckungsreise?
Speck: Ende August fahre ich für 14 Tage nach New York und spreche mit Leuten, die neu aufgetaucht sind, schaue, wo die alten Bekannten geblieben sind, die teilweise nach Los Angeles in Indie-Szene abgetaucht sind. Im Anschluss gehe ich nach Toronto aufs Festival, dort ist die ganze nordamerikanische Sippe vereint. Das ist für die zweite Jahreshälfte ein wichtiges Festival, wo alle ihre Filme positionieren. Außerdem besuche ich noch Länder wie Brasilien, Argentinien, England und Spanien, einige Metropolen wie Hongkong, Taipeh, Seoul, Tokio. Aber immer nur sehr, sehr kurz. Es sind ganz effektive Besuche, die unsere Delegierten vor Ort vorbereitet haben.

Festivalblog: Delegierte?
Speck: Das sind unabhängige Leute, die beste Kontakte zur Filmszene haben und sich sehr gut auskennen, meistens Journalisten. Ich bleibe zwei bis drei Tage vor Ort und dann geht es schon weiter. Ich kenne diese Städte eigentlich überhaupt nicht. Wenn mich jemand nach einem Restaurant fragen würde, hätte ich keine Ahnung.

Festivalblog: Welche Themenschwerpunkte haben Sie in diesem Jahr fürs Panorama entdeckt?
Speck: Ein Schwerpunkt ist der Arabische Frühling. Dank der Digitalisierung sind erstaunlich schnell viele Filme entstanden. Wir waren sehr überrascht, wie durchdacht und reflektiert diese Werke schon sind. Es sind zum Beispiel zwei Filme aus Kairo dabei: „In the shadow of a man“ von Hanan Abdalla und „Words of Witness“ von Mai Iskander, von zwei Frauen also, die sich fragen, was die Revolution für die Gleichberechtigung bringt, und wie ihre Rollen in einer neuen erhofften Gesellschaft aussehen. Das sind tiefe Einblicke von Frauen vor und hinter der Kamera.

Festivalblog: Ein Blick ins Programm zeigt, dass sich Regisseure mit Nomadentum beschäftigen.
Speck: Ja, wir zeigen den israelischen Spielfilme„Sharqiya“, der von einem Beduinen erzählt, der allerdings nicht mehr im Zelt lebt, sondern in einer Wellblechhütte mit Kühlschrank. Plötzlich soll er den Behörden beweisen, dass das Land, auf dem die Hütte steht, ihm gehört. Das ist natürlich nicht möglich, Nomaden haben keine Besitzurkunden. Sie sollen dort weg, die Regierung hat auch schon Häuser gebaut, in die sie einziehen sollen. Ein ähnliches Thema hat auch „Wilaya“, eine spanische Produktion über den Westsahara-Konflikt. Auch dort wurden die Nomaden daran gehindert, sich weiter zu bewegen. Tony Gatlif, ein Stammgast bei uns, schaut in „Indignados“ durch die Augen einer illegal aus Afrika eingereisten Frau auf unser Europa. Da er ja auch Romano ist, weiß er natürlich, wovon er spricht. Von Paul Virilio stammt ein sehr interessanter Gedanke: Ein Zeichen unserer Zeit ist, dass wir Stadtmenschen, wir Urbanisten, überall hinkönnen, auf der ganzen Welt zu Hause sind, während die eigentlichen Nomaden sich nicht mehr bewegen dürfen.

Festivalblog: Traditionell sind im Panorama ja auch viele schwul-lesbische Filme.
Speck: Wir haben zwei Filme zu den Schwulenbewegungen in Deutschland, in Ost und West: In „Detlef“ sehen wir, dass erstaunlicherweise Bielefeld in den 70er Jahren ein Nest der Schwulenbewegung und der Titelheld Detlef dort eine treibende Kraft war.
Die andere Geschichte ist „Unter Männern – schwul in der DDR“. In den 70ern gab es in „Gesundheit“ den ersten Artikel, mit dem Tenor, dass man gegen das Schwulsein wohl nichts machen könne, und auch der Kommunismus kriegt das nicht weg. Und man soll sie freundlich leben lassen. Der Film zeigt neben echten Aktivisten auch Überlebensstrategien in den Nischen dieser Gesellschaft.

Festivalblog: Warum sind im Medium Film viele schwul-lesbische Themen so präsent?
Speck: Film ist eine Möglichkeit der Sichtbarmachung, die Chance, Reflexion ins Spiel zu bringen, die man sonst eben nicht unter die Leute bringen kann. Und es geht nicht darum, eine Nischenexistenz zu frönen, sondern Sichtbarkeit zu erzeugen. Wenn man der Gesellschaft keine Möglichkeit gibt, sich zu verhalten, dann bleibt sie natürlich unverändert. Das sehen wir auch daran, dass es immer wieder Filme mit schwullesbischen Themen gibt aus Ländern, wo man nicht dachte, dass dies möglich sei. Dieses Jahr zeigen wir die ersten Schwulenfilme aus Serbien und Vietnam.

Festivalblog: Andreas Dresen und Romuald Karmakar zeigen auch Ihre neuen Werke.
Speck: Andreas Dresens Doku über den CDU-Abgeordneten Wichmann lässt uns hoffen, dass die Demokratie in Brandenburg doch noch nicht verloren ist. Und Karmakar hält wieder den Finger in die Wunde: Seine Doku „Angriff auf die Demokratie“ ist eine Aufzeichnung einer Veranstaltung im Haus der Kulturen der Welt mit zehn Wissenschaftlern. Denn nicht nur die Politiker haben verpennt, auch die Intellektuellen haben verpennt, dass die Macht woanders hingewandert ist. Und jetzt versuchen sie, die Deutungshoheit zurückzuerobern.

Festivalblog: Herr Speck, wo bleibt das Entertainment?
Speck: Da haben wir Kinofreaks natürlich einiges im Programm, unter anderem den völlig verrückten Film „Iron Sky“, da geht es um eine Gruppe Nazis, die 1945 mit Raumschiffen hinter den Mond geflüchtet sind, und sich dort eingerichtet haben. Udo Kier spielt den Obernazi, der die Rückeroberung der Erde plant. Ein finnischer Film mit atemberaubender Fantasie, sehr schön und sehr schräg. 18.000 Zuträger aus dem Internet haben hier Unterstützung geleistet, mit Ideen und Geld.

Festivalblog: Herr Speck, eine letzte Frage: Wie sehen Sie die Zukunft der Berlinale? Wandert das Festival irgendwann ins Internet ab?

Speck: Internetfestivals werden sich sicher weiter entwickeln, aber die Berlinale wird es auch weiterhin geben. Das ist wie Fast Food und gutes Essen. Alle Dinge, von denen wir dachten, sie würden etwas ersetzen, haben das nie getan. TV nicht das Kino, Kino nicht das Theater. Ich glaube nicht, dass Menschen plötzlich auf Gemeinschaftserlebnisse verzichten wollen. Das Leben ist eben doch etwas sehr Körperliches.

Kommentare ( 1 )

Udo Kier als Obernazi auf einem Raumschiff? Das muss ich sehen! Ist mir bisher durchgerutscht.

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