"Politisch relevante Filme sind nach wie vor ein Schwerpunkt"

Interview mit dem Leiter des Forums, Christoph Terhechte

Das „Internationales Forum des Jungen Films“, kurz Forum genannt, hat sich von einem aus Protest gegründeten Gegenfestival zu der Plattform der Berlinale gewandelt, auf denen Filmemacher Werke vorstellen können, die thematisch und in der Form über das konventionelle Kino hinausgehen. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um erzählende oder dokumentarische Formate handelt. Dass das Ungewöhnliche auch erfolgreich sein kann, hat das Forum als Startrampe für ambitionierte Regisseure immer wieder bewiesen. Dafür stehen Namen wie Aki Kaurismäki, Wong Kar-Wai oder auch Michael Moore. Jüngstes Beispiel ist der Dokumentarfilm „My Country, My Country“ von Laura Poitras, der 2006 im Forum lief und jetzt für den Oscar nominiert wurde.

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Christoph Terhechte sitzt seit zehn Jahren im Auswahlkomitee des Forums und ist seit 2001 Leiter der Berlinalesektion. ::festivalblog sprach mit ihm über die Entwicklung des Forums, den Auswahlprozess und das Programm des Forums 2007.

Was bedeutet das Etikett „junger Film“ heutzutage für das Forum?

Vor zwei Jahren hat die „Berliner Zeitung“ geschrieben: Jugend war im Forum noch nie eine Frage des Alters. Wir sind nicht das Forum der jungen Filmemacher, es geht um Formen und Ausdrücke, die man als jung bezeichnen kann. Aber das ist sicherlich ein etwas antiquierter Begriff, der mehr Sinn ergeben hat zur Zeit der Gründung des Forums, als das Festival ziemlich altehrwürdigen Charakter hatte. Dagegen musste etwas Junges gesetzt werden. Heutzutage verwenden wir das „jung“ gar nicht mehr – Internationales Forum des jungen Films, bevor man das ausgesprochen hat, hat man ja schon den ersten Film gesehen. Aber der Geist, der dahinter steckt, ist natürlich immer noch der gleiche. Es geht darum, den so genannten Mainstream zu konfrontieren mit Themen und Formen, die nicht so starr und festgefahren, also alt, sind.

Wie findet eigentlich der Auswahlprozess zwischen den einzelnen Sektionen der Berlinale statt? Schlagen Sie sich manchmal um Filme?

Nein, das ist heute nicht mehr so. Früher, zur Zeit von Moritz de Hadeln und Ulrich Gregor, gab es tatsächlich zwei Auswahlprozesse, wo der eine vom anderen nicht wusste, was er ausgewählt hatte. Ich erinnere mich beispielsweise, dass de Hadeln sich mal beschwerte, das Forum habe ja in Japan schon all die guten Filme eingeladen, und es wären für ihn keine mehr übrig. Wenn man dann früher da war, war es eben so. Aber es ist heute ganz anders, wir sprechen uns ab, und es gibt ja auch Vorstellungen davon, was wo am besten aufgehoben ist. Selbstverständlich gibt es Filme, die in den verschiedenen Sektionen überall ihren Platz finden könnten. Es gibt Filme, die erst ins Panorama oder Forum eingeladen werden, und dann in den Wettbewerb „upgegradet“ werden. Die letzten beiden Goldenen Bären waren Forums-Entdeckungen und wurden ursprünglich ins Forum eingeladen – Grbavica und der südafrikanische Carmen-Film. Das freut uns aber auch, wenn unsere Arbeit auf diese Weise Früchte trägt.

Bewerben sich Filmemacher auf eine bestimmte Sektion?

Einige ja, einige machen aber auch ihr Kreuzchen überall und versuchen es bei allen Sektionen. Wir sind eigentlich immer ganz erfreut, wenn die Leute wissen, wo sie hinwollen und sich Gedanken darüber gemacht haben, in welche Sektion ihr Film am besten passt.

Wie viele Filmemacher bewerben sich denn fürs Forum?

In diesem Jahr waren es weit über 1.000 Filme, so dass man einen ausgeklügelten Auswahlprozess in Gang setzen muss, weil man natürlich nicht alle 1.000 Filme mit dem Auswahlkomitee sehen kann. Jeder Film wird erst einmal von ein oder zwei Personen gesichtet, dann weiterempfohlen, noch einmal von zwei Personen angeschaut, und erst am Ende ist dann die Runde, bei der das Auswahlkomiteesich den Film gemeinsam ansieht.

Wie viele Filme laufen in diesem Jahr im Forum?

Wir haben 39 Filme ausgewählt, davon hat einer Überlänge, sodass es 40 Vorführplätze sind, die wir belegen. Dann gibt es Sondervorführungen, wie etwa den Guy Maddin Film und „Killer of Sheep“ von Charles Burnett, der schon 1981 im Forum lief und jetzt in einer neuen Kopie zu sehen ist. Für den Bollywoodfilm „Don“ haben wir auch schon unglaublich viele Anfragen von Leuten, die wissen möchten, wann der Film läuft, weil sie extra dafür von weit her anreisen möchten. Oder der Frederick Wiseman Film, den wir erst sehr spät aufgenommen haben, weil er doch eine große Herausforderung für unsere Übersetzerin der Untertitel darstellt: Das ist ein Film, in dem von vorne bis hinten geredet wird, der Film ist vier Stunden lang, das ergibt etwa 4.000 Untertitel.

Weshalb wurde das Forum-Programm von ehemals über 90 Filmen auf etwa 40 Filme reduziert?

Ich habe irgendwann gesagt, es ist zuviel, nachdem ich gemerkt habe, dass ich es noch nicht einmal schaffe, mit jedem der eingeladenen Regisseure ein anständiges Gespräch zu führen. Da habe ich gesagt, das kann nicht sein. Man lädt die Leute hier ein, man macht sich unheimlich viel Mühe, man möchte jedem Film und Filmemacher gerecht werden. Dann muss man eben die Zahl der Filme reduzieren, um sich für jeden einzelnen richtig einsetzen zu können. Unsere Gäste haben ein Recht darauf, mit dem Auswahlkomiteee zu sprechen, und hier als Gäste zu stehen und nicht nur in den großen Topf geschmissen zu werden und durchs Festival zu irren. Ich glaube, das gefällt den Gästen auch an der Berlinale, dass sie doch viel persönlicher ist als die anderen großen Festivals.

50 Prozent der Forum-Filme 2006 sind ins deutsche Kino gekommen.

Ja, das ist ein schöner Erfolg. Dazu tragen natürlich auch die Freunde der deutschen Kinemathek bei, die einen Teil der Filme ins Kino bringen. Aber es gibt auch eine steigende Anzahl von meist kleineren Verleihern, die Forum-Filme in ihre Kinos aufnehmen. Und das ist toll. Das Forum ist für mich eben nicht nur eine Veranstaltung, die zehn Tage lang Filme feiert und dann vorbei ist, sondern ein Bestandteil der Filmkultur in diesem Land. Da ist die Zusammenarbeit mit den Freunden der deutschen Kinemathek entscheidend, aber auch mit den kleinen Verleihern und kommunalen Kinos, die an mehr als nur ans Geldverdienen denken.

Kann man eine Entwicklung aufzeigen, was die Breitenwirkung des Forums angeht?

Ja, es gibt eine positive Entwicklung, und die hat viel damit zu tun, dass wir uns auf weniger Filme konzentrieren und uns stark für diese einsetzen, und dass wir auch an die Zusammenarbeit mit dem Markt denken, dass wir die Kontakte zu Einkäufern und Verkäufern intensivieren. Das Forum ist eben nicht der Elfenbeinturm, den viele Leute auch immer wieder darin gesehen haben. Das beweist auch: Es gibt ein Publikum für diese Filme über das Festival hinaus.

Dieses Publikum ist über die Jahre hinweg sicher auch mit gewachsen.

Das Publikum wächst ständig mit. Die Filme, die wir zeigen, hielt man lange Zeit für nicht verleihbar. Jede Vorführung, die im Arsenal oder im Delphi ausverkauft ist und Standing Ovations erhält, beweist, dass es auch für die sogenannten schwierigen Filme ein Publikum gibt.

Von dem ehemaligen Protestcharakter des Forums ist allerdings nicht mehr viel geblieben.

Natürlich protestieren wir gemeinsam mit den Filmemachern gegen die Zustände in der Welt, die diese Filme beschreiben. Wir sind nach wie vor solidarisch mit politischen Bewegungen, mit denen die Filme verknüpft sind. Aber das Forum selber will nicht gegen die Berlinale protestieren, wie es vielleicht mal gewesen ist. Wir wollen auch nicht Bannerträger sein für eine bestimmte Art der Filmkultur. Es ist die praktische Arbeit, die wir machen, die etwas bewegt und nicht die große Geste.

Es gibt mehrere Regisseure, die immer wieder ins Forum eingeladen wurden – etwa Aki Kaurismäki oder früher Wong Kar-wai – das ist sehr schön, aber schafft das nicht auch gewisse Voransprüche?

Schauen Sie sich das aktuelle Programm an. Für jeden Filmemacher, der wieder bei uns im Programm ist, müssen wir mindestens zehn dieser alten Freunde vor den Kopf stoßen, weil wir ihnen absagen mussten. Wenn wir Erbhöfe pflegen würden, müssten wir 400 Filme zeigen und nicht 40. Unsere Arbeit besteht ständig auch daraus, Leute zu enttäuschen und ihnen zu sagen, diesmal nicht.

Viele Länder, aus denen Forum-Filme kommen, haben mit Zensur und politischer Unterdrückung zu kämpfen. Wie gehen Sie damit um?

Das ist ein wichtiger Aspekt. Wo wir aber immer vorsichtig sind, sind diese engagierten Filme, die sich oft sehr gut und intelligent mit einem Thema beschäftigen, aber überhaupt keine filmische Form dafür finden. Da sind wir eigentlich ziemlich erbarmungslos und sagen, wichtig für uns ist, dass dabei ein interessanter Film rauskommt und nicht die schiere Beschäftigung mit einem Thema. Andererseits haben wir Filme wie den belgischen Beitrag „Le Cercle des noyés“, in dem die Leidengeschichte der schwarzen Opposition in Mauretanien erzählt wird – das ist filmisch in eine derart konsequente Form gebracht und so genau ohne jede Ablenkung erzählt, dass er mit diesem historischen Thema mehr Wirkung erzielt, als jeder engagierte Film zum Thema Darfur, den wir beispielsweise in diesem Jahr gesehen haben. Aber politisch relevante Filme sind natürlich nach wie vor ein Schwerpunkt für uns.

Wie kam die Entscheidung zustande, eine Okamoto Kihachi-Retrospektive zu machen?

Die Idee kommt aus Tokyo, von der Leiterin des Tokyo FilmEx Festival, mit der wir schon lange eng verbunden sind. Kihachi ist einer der ganz großen und bedeutenden Regisseure in Japan. Seine Filme sind aber in Europa zum großen Teil noch gar nicht gezeigt worden. Kihachis Witwe und Produzentin wird mit 25 Leuten seines Stabes anreisen und das Programm begleiten. Filmhistorisch ist das eine große Entdeckung hier für uns.

Das Interview führten Tiziana Zugaro-Merimi und Steffen Wagner.


Kommentare ( 1 )

Chapeau Monsieurdame! Gute Fragen, gute Antworten und viel gelernt.

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