London, Juli 2003. Eine Serie von Bombenanschlägen in Bus und U-Bahn erschüttert die Stadt. Elisabeth Sommers, Witwe eines Falkland-Generals, lebt auf einer der britischen Kanalinseln und erfährt aus dem Fernsehen von den Anschlägen. Sie ist beunruhigt, versucht ihre in London lebende Tochter Jane auf dem Handy zu erreichen. Doch sie landet nur immer auf der Mailbox. Schließlich packt sie kurz entschlossen ihre Koffer und begibt sich auf die Suche nach Jane. In London trifft Mrs. Sommers auf den Afrikaner Ousmane, der ebenfalls auf der Suche nach seinem Kind ist. „London River“ des französischen Regisseurs Rachid Bouchareb erzählt mit sehr viel Feingefühl davon, wie sich zwei sehr unterschiedliche Menschen durch einen gemeinsamen Verlust näher kommen.
Sie könnten unterschiedlicher nicht sein: Die propere Mittelklasse-Frau und der schlaksige Mann mit den grauen Rasta-Locken, bei dessen Anblick sich Mrs. Sommers Hände unwillkürlich fester um ihre Handtasche klammern. Immer wieder kreuzen sich ihre Wege: In den Krankenhäusern, wo Listen der Toten und Verletzten aushängen, bei der Polizei, in einer Moschee, wo sowohl Jane als auch Ousmanes Sohn Ali arabisch gelernt haben. Irgendwann muss Mrs. Sommers erkennen, dass Jane und Ali ein Paar waren, sogar zusammen gelebt haben.
Sehr schön zeigt der Film, wie nahe liegende Reflexe bei Mrs. Sommers einsetzen: Ali muss ihre Tochter in irgendetwas Bedrohliches hineingezogen haben. Wieso hätte sie sonst plötzlich den Wunsch verspürt, arabisch zu lernen? „Wer spricht denn schon arabisch?“ ist einer ihrer fassungslosen Sätze, die in ihrer Hilflosigkeit schon fast komisch wirken. Ousmane dagegen mag in seinem Leben gelernt haben, seine Gefühle und Gedanken bei sich zu behalten – doch auch er befürchtet das Schlimmste: dass sein Sohn, den er nicht mehr gesehen hat, seit er sechs Jahre alt war, eventuell in die Anschläge verwickelt sein könnte. Ganz ruhig, ohne viel Aufhebens, folgt der Film den beiden Protagonisten auf ihren schier endlosen Wegen durch die von den Anschlägen traumatisierte Stadt. Allmählich fassen die beiden Vertrauen zueinander und schaffen es, sich gegenseitig Halt zu geben.
Eine Ironie in dieser Geschichte: Mrs. Sommers, die ihre Tochter alleine groß gezogen hat, scheint auch nicht mehr über deren zwei Jahre in London zu wissen, als Ousmane von seinem Sohn Ali weiß, den er seit seiner Kindheit nicht mehr gesehen hat. Das Thema Fremdsein wird in diesem Film auf mehreren Ebenen verhandelt – und in vielen kleinen Szenen auch von den Rändern her eingeblendet. Etwa über den maghrebinischen Vermieter von Janes Wohnung, der misstrauisch auf die wachsende antimuslimische Stimmung schaut. Oder auf den Imam einer Moschee, der über ein ganz anderes Netzwerk als die Polizei verfügt, wenn es darum geht, einen regelmäßigen Besucher seiner Moschee ausfindig zu machen.
„London River“ ist ein sehr gelungener Versuch, eine private Geschichte im Kontext eines politisch aufgeladenen Ereignisses auf verschiedenen Ebenen interessant und eindringlich zu erzählen. So unterschiedlich sie sind: am Schluss sind einem sowohl Mrs. Sommers als auch Ousmane sehr nahe gekommen.
Kommentare ( 1 )
Der Film ist mir völlig durch die Lappen gegangen. Schade, hätte ich gerne gesehen, da ich 2003 in London war.
Posted by andreas | 11.02.09 23:10