James Baldwin, pointierte Stimme Amerikas
„Die Weißen in diesem Land müssen versuchen, tief in ihrem Herzen herauszufinden, warum es überhaupt notwendig war, einen Nigger zu kreieren, denn ich bin kein Nigger, ich bin ein Mensch. Wenn Sie denken, dass ich ein Nigger bin, dann bedeutet das, dass Sie einen Nigger brauchen. Und Sie müssen sich die Frage stellen, warum das so ist.“ James Baldwin, als Essayist, Schriftsteller und intellektueller Gesellschaftskritiker eine der klügsten Stimmen Amerikas, formulierte diese prägnante Einsicht in den Rassismus der Vereinigten Staaten von Amerika in der 1960er Jahren – während der Zuspitzung der Auseinandersetzung um Rassentrennung, Rassismus und die daraus resultierende Gewalt. 1979 begann Baldwin einen Essay, in dem er eben diese Zeit und sein Verhältnis zu den Bürgerrechtlern Medgar Evers, Martin Luther King und zu Malcolm X, die alle in der 1960er Jahren ermordet wurden, rekapitulierte. Der Aufsatz wurde nie vollendet. Baldwin starb 1987 in Frankreich. Der haitianische Filmemacher Raoul Peck hat, unter dem Eindruck der frappierenden Aktualität des Themas, das textliche Fragment zu einem beeindruckenden filmischen Essay über Baldwin und den Kern des Rassismus „made in the USA“ verwoben.
Peck schöpft aus einem reichen Fundus von Archivaufnahmen von Sit-ins, Busboykotten, March on Washington und Polizeigewalt. Ergänzend setzt er Baldwin immer wieder selbst ins Bild – mit Ausschnitten aus Talkshows, in denen er so klarsichtig und pointiert, streitbar, mutig und klug das Verhältnis zwischen Schwarz und Weiß in Amerika seziert, dass es einem noch heute den Atem nimmt. Bilder von weißen rassistischen Mobs aus den 60er Jahren, die schwarze Schulkinder während der Zeit der gesetzlich verordneten Integration wüst beschimpfen und bespucken, von Polizisten, die Hunde auf wehrlose Demonstranten hetzen und freizügig Gebrauch von ihren Schlagstöcken machen, Bilder von Lynchmorden, bei denen die Täter stolz für Fotos posieren, sind schwer erträglich. Die gleichzeitige Sehnsucht nach kindlicher Unschuld der weißen amerikanischen Kultur, die aus den Werbe- und Kinofilmen jener Zeit spricht, die außerordentliche Verdrängungsleistung, die hier geleistet wird, ist erschreckend. Wird die heutige Ebene – etwa die Proteste in Ferguson, die gewaltsamen Tode von Trayvor Martin oder Eric Garner – danebengestellt, stellt sich unweigerlich die Frage, woran es liegt, dass diese Geschichte der Gewalt wie ein Gespenst wiederkehrt. Unterlegt sind die Bilder mit Auszügen aus Baldwins Essays, gelesen von Samuel L. Jackson.
Was macht der Rassismus mit den Menschen? Was macht er mit den Schwarzen, was mit den Weißen, wie kann man sich davor schützen, dass die eigene Seele dadurch nachhaltig verletzt wird? In wessen Verantwortung liegt es, einen Ausweg aus diesem Teufelskreis zu finden, und was muss geschehen, damit Amerika nicht von einem alles verzehrenden, metaphorischen Feuer verzehrt wird? Diese Fragen haben Baldwin, 1924 in Harlem geboren, ein Leben lang umgetrieben. In den 1950er Jahren floh er vor der erdrückenden Last des Schwarzseins in Amerika nach Europa, um in den 1960er Jahren wieder zurück zu kehren und sich in der Bürgerrechtsbewegung zu engagieren. Er war mit Medgar Evers, mit Martin Luther King und auch mit Malcolm X befreundet, und er konnte die unterschiedlichen Ansätze, mit denen seine drei Freunde sich für die Rechte der schwarzen Bevölkerung Amerikas einsetzten, allesamt nachvollziehen.
Die Konflikte jedoch, die aus den unterschiedlichen Strategien und Denkweisen resultierten, die Spannungen zwischen King und Malcolm X werden von Raoul Peck zwar kurz erwähnt, dann aber doch – wohl um der guten Sache willen – in den Hintergrund gerückt. Das ist schade, und das wird dem differenzierten Denken Baldwins nicht gerecht. Baldwin selbst musste sich in Zeiten der Radikalisierung der Black Power Bewegung wiederholt vorwerfen lassen, dass er – statt auf schwarze Unabhängigkeit zu pochen – auf ein dringend notwendiges Zusammenarbeiten von Weißen und Schwarzen zur Überwindung des amerikanischen Traumas drängte, da das Land sonst dem Untergang geweiht sei. Die Bringschuld, und hier in erster Linie die Ehrlichkeit sich selbst gegenüber, sah er allerdings immer klar auf Seiten der Weißen. Ähnlich ist es mit dem Thema Homosexualität. Während Peck eine homophobe FBI-Notiz über Baldwin zitiert, schweigt er über die Anfeindungen, denen sich Baldwin auch und gerade auch vom Black Power Movement ausgesetzt sah – deren viriles Männerbild passte so gar nicht zu dem Frauen wie Männer liebenden Baldwin.
Unterm Strich jedoch ist I AM NOT YOUR NEGRO gekonnt inszeniert und äußerst sehenswert – schon allein, um Baldwins mutige, scharfsinnige und sprachlich meisterhaften Sätze aus seinem eigenen Mund zu hören, oder um sie sich von Samuel L. Jackson vorlesen zu lassen. Wie es aussieht, wird das Thema auch in Zukunft nicht an Aktualität einbüßen. Tritt man schließlich aus dem Kino wieder in die Welt, sind es Formulierungen wie diese, die im Gedächtnis bleiben: „Die Geschichte der Afroamerikaner in den USA ist die Geschichte der USA – und es ist keine schöne Geschichte“.
Kommentare ( 1 )
puh. schön dass du den namen T vermieden hast. aber natürlich hat alles mit allem zu tun. die aussparungen, die du erwähnst, zeigen ja auch, dass es bis heute unterschiedliche perspektiven auf den rassismus und den richtigen umgang damit gibt. das hat obama auch erfahren. schöne rezi. hoffen den film mal zu sehen zu bekommen.
Posted by christian | 11.02.17 12:20