Bis der Knoten sich löst
Die Kunst, sich einen perfekten Haarknoten zu drehen, beherrscht in Indonesien in den 1960er Jahren jede Frau im Schlaf. So auch Nana (Happy Salma): Ziehen, drehen, wirbeln, feststecken – die Frisur sitzt. Und mit ihr das Lächeln, die Haltung, die Gesten und Worte der liebevollen und fürsorglichen Ehefrau und Mutter. Im Haarknoten einer Frau lassen sich ihre tiefsten Geheimnisse perfekt verstecken, so erklärt Nana ihrer kleinen Tochter einmal lächelnd. Das ist mehr als eine kindgerechte Antwort auf die Frage "Warum tragen Frauen ihr Haar eigentlich lang, Mama?" Es ist ein Bild für die Selbstkontrolle und Verleugnung, mit der Nana tagein, tagaus lebt. Kamila Andinis Wettbewerbsfilm NANA löst diesen Knoten, Windung um Windung, auf ganz eigene, poetische Weise.
Nana kommt ursprünglich aus einem kleinen Dorf in West-Java. In den Wirren des Krieges hat sie ihre Familie verloren – der Ehemann ist verschollen, ihr Baby auf der Flucht gestorben. Nun hat sie einen neuen Mann (Arswendy Bening Swara) und neue Kinder. Doch die Schwiegermutter stichelt, Albträume aus der Vergangenheit reißen sie jede Nacht aus dem Schlaf, und die elegante Haarnadel, die ihr Mann ihr schenkt, erspäht sie wenig später als exakte Kopie im Haar einer jungen, attraktiven Schlachterin (Laura Basuki) im Ort.
Was nun folgt, ist überraschend: Es gibt keinen erbitterten Kampf um den Mann. Vielmehr verbünden sich die beiden Frauen. Und zwar nicht gegen den Mann, sondern um sich gegenseitig zu unterstützen, zu befreien – soweit das für eine Frau zu dieser Zeit in dieser Gesellschaft möglich sein kann.
Diese persönliche Emanzipationsgeschichte ist eng verwoben mit der wechselvollen und brutalen Geschichte des Landes, in der sie spielt. Die Erinnerung an den niederländischen Kolonialismus klingt hier ebenso an wie die Gewaltspirale von Krieg, Guerillakampf und Militärputsch. Dass der neue Präsident Suharto und nicht länger Sukarno heißt, flüstern sich die Bediensteten in Nanas Haushalt nur hinter vorgehaltener Hand zu. Sie haben schon zu viele Menschen wegen eines unbedachten Wortes verschwinden sehen.
Andini erzählt die Geschichte Nanas in Bildern, die mit traumtänzerischer Sicherheit zwischen Fantasie und Wirklichkeit changieren. Da steht schon mal eine Kuh im Wohnzimmer oder ein Geist am Wegesrand. Wenn Nana Blumen in einer Vase arrangiert oder ihrem Mann die Haare schneidet, tut sie das mit Hingabe, Ruhe, Präzision: Die Kamera macht daraus eine quasi-kultische Verrichtung, tastet sich Bild für Bild an die Gefühlswelt der Hauptfigur heran. Ein sprichwörtlicher Sprung ins kalte Wasser ist später ein befreiender Kontrast zu dieser permanenten Selbstkontrolle. Die Art der Szenografie, der Einsatz der Musik, die geniale Übersetzung von Gefühlen in Farben, Licht, Bilder und Töne: All das erinnert stark an das Kino von Wong Kar-wei. Die indonesische Regisseurin Kamila Andini interpretiert diese Ästhetik und Erzählweise freilich neu – im kulturellen Kontext Indonesiens verortet und mit einem klaren, feministischen Blick.
Filmstills: Batara Goempar