Französischer Star-Regisseur macht einen Film über das toxische Liebesleben eines deutschen Star-Regisseurs. Dabei erinnert die Hauptfigur stark an einen realen, bereits verstorbenen deutschen Star-Regisseur, der seinerzeit die Vorlage, im Theater und Film, für die Neuinterpretation des Franzosen geschaffen hat. Die drei Hauptfiguren sind nun Männer, wo es vorher Frauen waren - aber im Grunde waren es auch damals schon verpuppte Männer, denn der deutsche Star-Regisseur hatte in seinem Film seine eigene, komplizierte Liebesbeziehung zu einem seiner Hautdarsteller verarbeitet. Alles klar? Der Eröffnungsfilm des Berlinale-Wettbewerbs, François Ozons PETER VON KANT, nennt sich Adaption, ist aber vielmehr ein intelligentes Vexierspiel, das sich auf Rainer Werner Fassbinders DIE BITTEREN TRÄNEN DER PETRA VON KANT bezieht.
Peter von Kant ist ein erfolgreicher Filmemacher in Köln. Er hat ein Händchen für destruktive Liebesbeziehungen, zu Frauen ebenso wie zu Männern. Er will geliebt werden, und er will kontrollieren. Er fordert Freiheit in der Liebe ein und kann sie zugleich nicht ertragen. Er genießt seine Macht, und schafft durch sein Verhalten stets eine solide Grundlage für die eigene Erniedrigung und die seiner Partner. Seinen Assistenten Karl, stumm, gruselig und marionettenhaft gespielt von Stefan Crépon, eine würdige Variation auf Irm Hermanns Rolle der Marlene im Original, behandelt er wie einen Einrichtungsgegenstand und erniedrigt ihn mit schockierender Beiläufigkeit.
Denis Ménochet spielt Peter, diesen Bären von Mann mit Verve und Präzision – sein Charme und seine Kuschelbedürftigkeit sind umwerfend, aber genauso schnell blitzt in seinen Augen eiskalte Berechnung, raubtierhaftes Begehren, purer Sadismus auf. Er ist ekelhaft in seiner Maßlosigkeit – die Tonspur bei seinem Schmatzen von Krustentieren hätte eine eigene Auszeichnung verdient. Wenn er tobt und schreit, hält man den Atem an. Wenn er bittere Tränen weint, denkt man: Heul doch, Du Arschloch. Aber irgendwie tut er einem auch leid. Kurzum: Er ist ein Mensch und Monstrum.
Auftritt Sidonie, ehemals Geliebte und Muse, die sich mittels eines reichen Industriellen aus dem Bannkreis von Peter entfernt hat, aber dennoch gerne die "beste Freundin" spielt und die Nähe zum Glamour genießt. Isabelle Adjani ist in der Rolle leider enttäuschend – sie spielt diese zutiefst gekünstelte Person ohne wirklich erkennbare Doppelbödigkeit. Sidonie wiederum macht Peter mit Amir bekannt: Ein wunderschöner und ziemlich unverstellter junger Mann mit brauner Haut, wilden schwarzen Locken und einem unwiderstehlichen Lächeln, der es im Leben zu etwas bringen will. Und dann kommt es natürlich, wie es kommen muss.
Amir, dieses faszinierende Wesen, das Peter-Pygmalion unbedingt formen will, hat seinen eigenen Willen - und seine eigene Agenda. Newcomer Khalil Gharbia ist in der Rolle absolut überzeugend: Er vermittelt Lebensfreude, Sinnlichkeit, Verletzlichkeit, schonungslose Ehrlichkeit und dazu eine gehörige Portion Lebenserfahrung. Selbst neben dem erfahrenen Charakterdarsteller Denis Ménochet kann er locker mithalten. Hanna Schygulla, die im Original Amirs Part spielt, hat einen kurzen Aufritt als „Mutti“ von Peter: Sie darf ihm ein tröstendes Wiegenlied singen. Ob es ihm wirklich Ruhe schenken wird, ist jedoch fraglich.
Ozon hat für PETER VON KANT ein ebenso stilisiertes Setting gewählt wie die Vorlage, auch die Manieriertheit der Figuren hat er beibehalten. Und doch gibt es Änderungen, die für die Neuinterpretation Sinn ergeben. Während Fassbinder die Geschichte in der Welt der Mode angesiedelt hat, bewegen wir uns hier im Kontext Film. Und da ist Ozon in seinem Element: Das Werben Peters um Amir findet mittels eines Castings durch die Kamera statt. Er baut ein Setting, das durch Plakate auf Fassbinder verweist, er setzt Kostüme in Szene, die eine Hommage an sein Vorbild sind. Die Kamerafahrten durch die Wohnung, die Kombination von Licht, Schatten und Farben in der Wohnung, das formvollendete Spiel mit Spiegeln: All das ist zum einen eine Verbeugung vor dem genialen Fassbinder-Kameramann Michael Ballhaus - und zugleich macht es den Film zu etwas ganz Ozon-Eigenem.
Immer wieder stellen sich interessante Verfremdungseffekte ein – ob gewollt oder ungewollt, und leider nicht immer gelungen: Diese ganze Bagage lebt in Köln und spricht französisch, hin und wieder werden deutsche Satzfetzen quasi eingesprengselt. Das funktioniert, lässt einen kurz stutzen, dann aber vergnügt lächeln. Die Adjani jedoch darf bedeutungsschwer ein deutsches Lied singen, "Jeder tötet, was er liebt". Das passt wiederum besser zum originalen Fassbinder-Ton, wirkt hier fast unfreiwillig komisch. Bis auf kleinere Ausfälle wie diesen ist Ozons Versuch, sich am großen Meister abzuarbeiten und dabei seine eigene Stimme zu finden, erfrischend und gelungen.
Am wichtigsten jedoch, und das schlüssigste Argument für eine Neuinterpretations eines Filmklassikers wie diesem, ist etwas anderes. Wo Fassbinder eben Fassbinder ist – kalt, sezierend, erbarmungslos – ist Ozon eben Ozon: Er blickt mit einem klaren, aber mitfühlenden Blick auf diesen Reigen menschlicher Liebes-Katastrophen.
Filmstills: C. Bethuel, FOZ