„Bal – Honig“ von Semih Kaplanoglu

Wenn es einen Preis für den poetischsten Film des Wettbewerbs gäbe, dann müsste ihn eindeutig (Stand: heute) „Bal - Honig“ des türkischen Filmemachers Semih Kaplanoglu bekommen. Der Film entführt uns in eine andere Welt, irgendwo zwischen Traum und Wirklichkeit, in der das Rauschen der Blätter, das Knacken eines Astes oder die Spiegelung des Mondes in einem Wassereimer Ereignisse sind, die uns genauso in den Bann ziehen, wie die heißeste Actionszene in einem Thriller. Ein kleiner Junge namens Yusuf ist hier die Hauptfigur – und aus seiner Perspektive verfolgen wir staunend, wie schrecklich und wunderbar zugleich die Welt sein kann, wenn man sechs Jahre alt ist, Angst davor hat, vor der Klasse laut vorzulesen, in einem Holzhaus mitten in einem Wald mit riesigen Bäumen lebt, und wenn man einen Vater hat, der auf diese riesigen Bäume klettert, um dort den wertvollen schwarzen Honig zu finden.

Die Geschichte selbst ist kurz erzählt: Während seiner Arbeit verunglückt der Vater. Frau und Sohn erfahren dies aber erst Tage später. Wir sehen (In echt? In Yusufs Vorstellung? In seinem Traum?) in der ersten Szene den Vater, wie er zwischen Leben und Tod hängt, weil ein Ast, an dem er mit seinem Seil hängt, angeknackst ist. Es folgt – viel später im Film – ein kurzer Moment, in dem der Vater im freien Fall gezeigt wird. Der Film umfasst eine kurze Zeitspanne vor dem Unfall, die Zeit des Wartens, und endet mit der Überbringung der Todesnachricht.

Der Film erzählt jedoch noch so viel mehr: Er erzählt von den Träumen, Hoffnungen, Ängsten und Wünschen eines kleinen Jungen, der eine große Vorstellungskraft hat. Er erzählt von der Bedeutung, die Natur und Sprache für Yusuf haben. Und er erzählt von einer Welt, die dem Betrachter bereits als verloren erscheint: weil es die Welt der Kindheit ist, und weil diese Welt gleichzeitig wie aus einer anderen Zeit zu stammen scheint. Neben der wunderbaren eigenen Sprache dieses Films ist der kleine Schauspieler Bora Altas, der Yusuf spielt, eine echte Sensation: denn schließlich muss er den Film über weite Strecken hinweg tragen.

Der keine Yusuf liebt es, mit seinem Vater zusammen, den Wald zu erkunden. Der Vater befestigt künstliche Bienenstöcke hoch oben in den Bäumen, um dann später den schwarzen Spezialhonig zu ernten, für den diese Region an der Schwarzmeerküste berühmt ist. Es ist nicht ganz klar, in welcher Zeit der Film spielt – und der Regisseur hat dies bewusst offen gelassen. Yusuf und seine Eltern leben jedenfalls in einfachen, fast archaischen Verhältnissen. Vater, Mutter und Sohn sprechen nicht viel miteinander, gehen aber auffallend liebevoll miteinander um.

Während der kleine Junge seinem Vater zuhause ohne Scheu laut vorliest, hat er in der Schule eine riesige Scheu davor: Er fängt an zu stottern und versagt unter Tränen, die er sich tapfer aus den Augen wischt. Im Klassenzimmer steht ein großes Glas mit roten Plastik-Ansteckern für all die Kinder, die bereits gut lesen können. Dieses Glas ist ein Objekt des Begehrens für Yusuf, sehnsüchtig blickt er darauf. Und er hat Angst davor, als einziges Kind keinen Anstecker zu bekommen.

Überhaupt liebt der kleine Junge nicht nur die Natur, er liebt auch die Sprache: Als eine Mitschülerin ein Gedicht vorliest, ist er völlig fasziniert; und später liest er diese Zeilen zuhause mit größtem Eifer immer wieder. Kaplanoglu hat mit Yusuf in „Bal“ die jüngste Stufe einer Figur geschaffen, von denen er in drei Filmen in gegenläufiger Chronologie erzählt: Neben „Bal“ sind das „“Süt – Milch“ und „Yumurta – Eier“. Die Figur, die in allen drei Filmen Yusuf heißt, wird später tatsächlich Dichter. Allerdings lässt der Regisseur offen, ob es sich dabei tatsächlich um dieselbe Person handelt – denn schließlich spielen alle Filme mit Yusuf in unterschiedlichen Lebensaltern in einer leicht unstimmigen Jetzt-Zeit. Vielleicht sind die drei auch verschiedene mögliche Charaktere, die aus derselben Idee entsprungen sind.

Ein durch und durch poetischer und gelungener Film also. Vielleicht ist er jedoch etwas zu behutsam und vorsichtig mit seinen Figuren und in seiner Aussage, um im Wettbewerb eines Festivals als wirklich preisrelevant zu gelten. Sehenswert und horizont-erweiternd ist er jedoch in jedem Fall.

Kommentare ( 2 )

Schau an, schau an. Da haste mit Deinem Lob mal richtig gelegen. Never underestimate a Jury!

and never underestimate European film!
http://www.youtube.com/watch?v=mnzJjZk0I0o

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Titel

Orignaltitel

Bal

Englischer Titel

Honey

Credits

Regisseur

Semih Kaplanoglu

Schauspieler

Bora Altas

Ayse Altay

Erdal Besikcioglu

Tülin Özen

Alev Ucarer

Land

Flagge DeutschlandDeutschland

Flagge TürkeiTürkei

Jahr

2009

Dauer

108 min.

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