Eine junge Frau läuft zielstrebig an einem einsamen, von schroffen Felsen gesäumten Sandstrand entlang. Ihre rote Fleece-Jacke bildet den einzigen Farbtupfer inmitten von tristem Grau, Blau und Braun, ihre Füße hinterlassen flüchtige Spuren im nassen Sand. In einer felsigen Höhle angekommen, beginnt sie zu graben – und unter einer Schicht von Kieseln und allerlei Krebsgetier kommt eine triefende VHS-Kassette zum Vorschein. Diese seltsame, traumartige Eröffnungssequenz gibt bereits den Ton vor für das, was noch kommt. Die Hauptfigur in David Zellners KUMIKO, THE TREASURE HUNTER hat eine Mission: Zielstrebig und unbeirrbar begibt sie sich auf eine Schatzsuche, die sie von Tokio nach Fargo in North Dakota führt, und mit der sie konsequent die Grenze zwischen Realität und Fiktion negiert. Damit zielt der Film mitten ins Herz des Kinos.
Die Anleitung für ihre Schatzkarte hat Kumiko nämlich aus den grisseligen Bildern, die sie mit viel Geduld und Pusten der alten Videokassette entlockt – und die zeigt eben jenen Film der Coen-Brüder, FARGO, der mit dem Vorspann „This is a True Story“ beginnt. Also ist für Kumiko klar, dass dort, irgendwo in der nordamerikanischen Schneewüste, noch immer ein Koffer mit sehr viel Geld vergraben liegt. Mit detektivischem Scharfsinn spürt sie sogar die exakte Position des Verstecks zwischen zwei Pfählen eines windschiefen Zauns auf. Nun muss sie nur noch nach Fargo und den Schatz heben.
In der Tat gibt es wenig, was Kumiko in Tokio hält. Ein trostloser Bürojob, eine am Telefon stets nörgelnde Mutter und das Unverständnis ihrer Umgebung, dass sie mit Ende zwanzig immer noch weder Mann noch Kinder vorweisen kann – all das trägt nicht gerade zur Stimmungsaufhellung bei. Und so zeigt Zellner Kumiko als verschlossene, stets ein wenig bockig dreinschauende Gestalt, die lustlos und ungekämmt durchs Leben schlurft und einzig an ihrem kleinen Hasen ein wenig Freude hat. Und dennoch: Die Welt um sie herum, in der die Menschen den Erwartungen der Gesellschaft mit allen Kräften perfekt zu genügen versuchen, fühlt sich um einiges künstlicher an als Kumikos kleine, unordentliche, versponnene und traurige Welt. In absurden kleinen Episoden wird die ganze komische Tragik ihres Nicht-Dazugehörens entfaltet: Die adretten jungen Kolleginnen tauschen lachend und scherzend Beauty-Tipps aus, während Kumiko ihrem Chef miesepetrig den morgendlichen Tee kocht, eine Schulfreundin arrangiert ein Wiedersehen, von dem Kumiko beim Anblick der kleinen Tochter ihrer Bekannten voll Panik flieht, um den Weg nach Fargo zu finden, weiß sich die junge Frau nicht anders zu helfen, als einen riesigen Atlas unter dem Pulli versteckt aus der Bibliothek zu schmuggeln – wobei sie natürlich prompt erwischt wird.
Erstaunlicherweise gelangt Kumiko dann aber doch noch in die USA – und hier trifft sie auf eine Reihe von Personen, die mehr oder minder direkt aus dem Film FARGO entsprungen zu sein scheinen. Die unendliche weiße Weite des amerikanischen Nordens liefert wunderbare Bilder, Kumikos rote Jacke hat nun endlich den richtigen Hintergrund gefunden, und die Schatzsucherin kämpft sich durch, obwohl sie für den Ausflug ins verschneite Minnesota denkbar schlecht ausgerüstet ist. Unbeirrbar, ja stur folgt sie ihrem Ziel.
Leider verliert der Film hier etwas von seiner anfänglichen Stringenz, ein paar Szenen weniger, mit denen kulturelle Missverständnisse als Witz verpackt werden, hätten es auch getan. Schließlich gelangt Kumiko an den Punkt, an dem sie ihrem treuesten Helfer wütend entgegenschmettern muss: „It’s not fake – it’s real!“ und den Weg in ihre ganz eigene Realität konsequent alleine weiter gehen muss. Zum Schluss, nein, fast zum Schluss, werden sich die wirbelnden Schneeflocken dann ganz den grobkörnigen Bildern der VHS-Kassette angleichen, und der Kreis schließt sich.
KUMIKO, THE TREASUE HUNTER ist – abgesehen von ein paar Längen gegen Ende – ein komischer, trauriger und berührender Film über eine Frau, die in ihrer eigenen Welt lebt und sich ihre eigene Realität schafft – und davon bis zum Ende nicht abweichen kann und will.