Mit Torte und Grafitti ins 60. Jahr

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60 Jahre Berlinale sollen gebührend gefeiert werden. „Happy Birthday, Berlinale“ ist nun also das offizielle Motto der diesjährigen Filmfestspiele. Eine riesige Geburtstagstorte zum Jubiläum wurde vorsorglich schon mal auf der Eröffnungs-Pressekonferenz am Montag in Berlin geschlachtet. Es gab also nicht nur das komplette Programm zu verdauen, sondern auch ein mehrstöckiges Zuckerwerk. Gaumenzeugen berichten, der weißrotcremigsüße Kuchen sei lecker gewesen. Und Festivalchef Chef Dieter Kosslick steuerte als verbales Präsent – ganz in der gewohnt launigen Art – gleich noch ein schwäbisches Sprichwort über betagte Jubilare bei: „Wenn die Kerzen teurer sind als die Torte, dann kommt man langsam ins Nachdenken“.

Passend zur Jubiläums-Stimmung stehen die diesjährigen Empfänger der Berlinale Kamera für gute alte Traditionen: Ausgezeichnet werden der japanische Regisseur Yoji Yamada, die Gründer des Forums Ulrich und Erika Gregor sowie die Gießerei Noack, die seit der ersten Berlinale 1951 die Bären herstellt. Yamada, langjähriger Assistent von Altmeister Yasujiro Ozu, war bereits sechs Mal zu Gast bei der Berlinale. Im Wettbewerb läuft sein jüngster Film OTOUTO als Abschlussfilm.

Im Forum, das seinerseits vier Jahrzehnte feiern darf, gibt es in diesem Jahr auffallend viele Bezüge zum Film Noir, wie Sektionsleiter Christoph Terhechte sagt. Ob damit bereits die Stimmungsschwingungen der weltweiten Finanzkrise im Kino angekommen sind? Möglich wäre es. Im Forum Expanded, das Schnittstellen zwischen Kunst und Kino beleuchtet, liegt in diesem Jahr der Schwerpunkt auf Performances. Ein Leckerbissen: Theatermann Christoph Schlingensief wird den Stummfilm INFERNO kommentieren – was in der Tat eine interessante Performance werden dürfte.

Die Uraufführung der restaurierten Fassung von Fritz Langs Filmklassiker METROPOLIS (1927) – also inklusive der bis vor kurzem verschollenen Szenen – verspricht ein weiterer Höhepunkt während der Berlinale zu werden. Wenngleich für die meisten Zuschauer ein ziemlich kalter. Wer nicht zu den wenigen Glücklichen gehört, die den Film kuschelig im Friedrichsstadtpalast zu sehen bekommen, muss – wenn er oder sie denn will – das historische Ereignis vermutlich arg schlotternd vor dem Brandenburger Tor erleben. Aber zumindest auf ganz großer Leinwand. Denn, so Kosslick: „In Zeiten, in denen man Filme auf der Armbanduhr anschaut, wollen wir zeigen, dass Kino Größe braucht“. Recht hat er. Aber bitte das nächste Mal geheizt.

Panorama-Leiter Wieland Speck weiß von auffallend vielen Familien-Filmen im diesjährigen Panorama-Programm zu berichten. „Während früher das Nichtfunktionieren der Familie das eigentliche Thema vieler Filme war, sind die Filmemacher jetzt einen Schritt weiter. Die Dysfunktionalität von Familien wird als gegeben angenommen und bietet einen spannenden Ausgangspunkt für die weitere Handlung“. Man darf gespannt sein. Nicht verpassen sollte man nach Möglichkeit die neue Doku des großen Underground-Filmers Lothar Lambert, ALLE MEINE STEHAUFMÄDCHEN – VON FRAUEN, DIE SICH WAS TRAUEN.

Die Filme der Perspektive Deutsches Kino zeigen in diesem Jahr zwei positive Entwicklungen, sagt Sektionsleiter Alfred Holighaus: Zum einen sei der Trend zum guten Dokumentarfilm unter den deutschen Nachwuchs-Cineasten konstant, zum anderen werde aber auch der fiktionale Film allmählich wieder stärker. Holighaus selbst wechselt nach dieser Berlinale in die Geschäftsführung der Deutschen Filmakademie.

Von der Sektion Generation weiß Leiterin Maryanne Redpath unter anderem zu berichten, dass in diesem Jahr auch Spike Jonze (ADAPTATION) dort einen Film am Start hat. Das Thema: Zwei Computer, die sich verlieben. Das verspricht skurril zu werden.

Ansonsten? Trotz Krise scheint sich der European Filmmarket und der Koproduktionsmarkt bester Gesundheit zu erfreuen, so zumindest die Aussage der Marktverantwortlichen Beki Probst.

Die Stars? Angekündigt sind anderen Leonardo DiCaprio, Jeanne Moreau, Martin Scorsese, Ben Stiller, Gérard Depardieu, Ewan McGregor, Ben Kingsley, Pierce Brosnan, Shah Rukh Khan, Michelle Williams und Jackie Chan.

Und weil in diesem Jahr so viel über Jubiläen und die Jahre, die vergangen sind, geredet wird, ist es umso erfrischender, dass der jüngste Neuzugang zum Wettbewerb für eine neue Generation von Künstlern steht: Der notorisch anonyme britische Graffiti-Künstler Banksy präsentiert außer Konkurrenz EXIT THROUGH THE GIFT SHOP. Nach Banksys eigenen Angaben „ein Film über einen Mann, der einen Film über mich zu drehen versucht.“

Das ist fast so schön absurd wie die Tatsache, dass die Best-of-60-Jahre-Berlinale-Filme, die unter dem Motto „Play it again“ in der Retrospektive gezeigt werden, von dem Filmjournalisten und Autoren David Thomson ausgesucht wurden. Einem renommierten Filmkritiker, fürwahr, der jedoch bislang noch nicht einmal auf der Berlinale zu Gast war. Aber diesmal kommt er wohl. Ist ja auch Jubiläum.

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