Berlinale 2023: ROTER HIMMEL von Christian Petzold

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ROTER HIMMEL ist ein Sommerfilm. In Christian Petzolds Wettbewerbsbeitrag geht es ums Erwachsenwerden und die Leichtigkeit des Sommers, aber zugleich um eine Katastrophe und die Schwere einer Reise zu sich selbst. Hauptfigur Leon hat eigentlich keine Probleme, aber Paranoia – wie es der Regisseur bei der Pressekonferenz zum Film auf den Punkt bringt.

Leon (Thomas Schubert) schreibt, steht kurz vor der Fertigstellung seines zweiten Romans – und hat eine Heidenangst vor dem Scheitern. Gemeinsam mit seinem Freund Felix (Langston Uibel) will er ein paar Wochen im Ferienhaus von Felix Mutter an der Ostsee verbringen. Vor allem, um dem Manuskript den letzten Schliff zu verpassen. Unterwegs, bei der Fahrt durch den Wald, bleibt der Wagen liegen. Die beiden Jungs müssen sich mit ihrem Gepäck durch den Wald schlagen. Für Leon ein Riesenproblem, Felix macht einfach.

Als die Freunde schließlich an dem Haus ankommen, wohnt dort offenbar schon jemand. Nadja (Paula Beer) ist eine junge Bekannte von Felix Mutter. Zunächst finden sich nur Spuren von ihr: Chaos in der Küche, Klamotten auf dem Boden – und nachts dringen dann eindeutige Sexgeräusche durch die dünne Zimmerwand. Während Felix die Dinge locker nimmt und mit Nadja gut klarkommt, ist Leon einfach nur genervt. Alles ist für ihn ein Problem. Nadja stört die künstlerische Konzentration, die Mücken rauben ihm den Schlaf. So kann er nicht arbeiten. Statt mit Felix ins Meer zu springen, liegt er missmutig in langen Hosen und Sweatshirt im Sand. In der Gartenlaube richtet er sich ein kleines Ausweichbüro ein – nur um dann heimlich die Zeit zu verplempern oder zu verschlafen. „Er baut sich eine Bühne, auf der er den anderen vorspielt: Ich bin Schriftsteller“ sagt Petzold dazu in der Pressekonferenz. Leider wirkt Leons Ein-Mann-Stück wenig überzeugend.

Die Dreierkonstellation Leon, Felix und Nadja wird bald durch Devid (Enno Trebs), den Rettungsschwimmer am Strand, ergänzt. Dicklich und blass steht Leon abseits, während die anderen, allesamt schlank und schön, sich gut verstehen und Spaß miteinander haben. Er wirkt wie ein Kind am Rand des Spielplatzes, das den anderen neidisch beim Spielen zuschaut und nicht mitmachen darf – oder will. In einer wunderschönen Szene beobachtet Leon die drei heimlich beim Ballspiel im Garten mit bunt fluoreszierenden Schlägern – ein nächtlicher Sommerreigen, ein Bild wie ein Traum.

Als Felix anfängt, Menschen zu fotografieren, die aufs Wasser schauen, und so sein Portfolio für die Kunsthochschule vorbereitet, reagiert Leon hämisch und destruktiv. Seine Aggression wird immer deutlicher, sein Unglück auch. Es ist Nadja, die ihm immer wieder die Hand reicht – ihm aber auch klare Ansagen macht. Und während Leon allmählich bewusst wird, dass sein Buch misslungen ist, gesteht er sich auch zögerlich ein, dass er eigentlich in Nadja verliebt ist. Doch beide Erkenntnisse nützen ihm zunächst nichts.

Parallel zu dieser spannungsgeladenen Situation lauert im Hintergrund eine echte Bedrohung: Der Wald brennt, nur 30 Kilometer entfernt. Vom Dach aus kann man den Himmel bereits rot glühen sehen. Aber dort, wo die jungen Leute wohnen, soll es sicher sein. Als Leons Lektor, väterlich-verständnisvoll gespielt von Matthias Brandt, zu der Gruppe dazu stößt, verschieben sich die emotionalen Koordinaten erneut. Und dann kommt es zur Katastrophe – aber die trifft an einer ganz anderen Stelle, als vermutet.

Wie auch in UNDINE spielt hier Wasser eine wichtige Rolle, diesmal kommt noch das Element Feuer hinzu. Diese Symbolik fügt sich ebenso stimmig in den Film ein, wie das Gedicht „Der Asra“ von Heinrich Heine – und wie die Musik. Ja, richtig gelesen: Musik. Petzold verwendet Filmmusik, wenn überhaupt, dann nur sehr sparsam. In ROTER HIMMEL hören die Figuren an wenigen Stellen Musik, und die hat dann auch einen echten Mehrwert für das Geschehen auf der Leinwand. Genau wie der Song „In my mind“ der Wiener Band „Wallners“, der den Film kongenial einrahmt: „Love will make us blind, love will make us find – in my mind“, heißt es darin.

Die überraschende Wende am Schluss wird natürlich nicht verraten, aber so viel schon: „Roter Himmel“ ist stimmig inszeniert und wunderbar gespielt. Ein Sommerfilm, der in seiner Leichtigkeit und mit der darunter liegenden Schwere bestens funktioniert.

Foto: Christian Schulz / Schramm Film

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Titel

Orignaltitel

Roter Himmel

Englischer Titel

Afire

Credits

Regisseur

Christian Petzold

Schauspieler

Paula Beer

Matthias Brandt

Thomas Schubert

Enno Trebs

Langston Uibel

Jahr

2023

Dauer

103 min.

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