« Januar 2007 | Main | März 2007 »

Februar 2007

Spätbären statt Problembären - oder die Liste reloaded

Nach den Filmpreisen ist vor den Filmpreisen. Alle reden von den Oscars – Berlinale, war da was? Wie Funny van Dannen so schön sagt: „Die Zeit vergeht so rasend, so unwahrscheinlich schnell“. Und dann sagt er noch was Kluges über Herzen, Hotels und Flughäfen, aber das gehört jetzt nicht hierher. Jedenfalls wird man in diesen Tagen einfach mal so aus dem Post-Berlinale-Loch in die Prä-Oscar-Spannung katapultiert. Ich hätte aber, frei nach dem Motto besser spät als nie, noch hier und da ein paar verspäte Bären zu vergeben…

Continue reading "Spätbären statt Problembären - oder die Liste reloaded" »

Berlinale Nachlese

Christian Westheide: Zwei Dicke Striche
Tiziana Zugaro-Merimi: Ist schon ok, Baby!
Steffen Wagner: Denn sie wissen nicht, was sie wollen
Andreas Tai: Heulen am Schreibtisch

Continue reading "Berlinale Nachlese" »

Bärenschau

op_pk_tuya.jpg
Regisseur Wang Quan'an und Hauptdarstellerin Yu Nan von „Tu ya de hun shi“ (Bester Film)

Bevor die GewinnerInnen des Abend feiern gehen, müssen sie sich zusammen mit ihrem Bären noch einmal der Presse stellen. Die Fotografen können dann zeigen, wie viel Stimme ihnen nach 10 Tagen Berlinale geblieben ist. Ein letztes Mal dirigieren sie durch "Nina...Nina...hierhin"- oder "Martina, Martina...nach rechts"-Schreie Schauspieler und Regisseure wie Zirkuspferde durch ihre Manege.

Continue reading "Bärenschau" »

Zwei Dicke Striche

treppe.jpg

Berlinale Bilanz nach 10 Tagen Kellerassel-Existenz im Dunkeln

Schön war’s, lang war’s, manchmal war ich sehr müde (8.30 Kartenschlange 22.30 letzter Film, dann tippen) aber von den Filmen seltenst ermüdet. Die künstlerisch-inhaltlichen Reisen haben an manchen Tagen von einem brasilianischen Anti-Prostitutions-Pamphlet, über einen Boxfilm aus Kanada, in ein Boudoir im Frankreich des 19. Jahrhunderts geführt, was mein Einfühlungsvermögen für Figuren, Themen und Stile wirklich herausforderte.
Der Wettbewerb soll ja nach Aussage der meisten mau gewesen sein.

Die Gründe, die von Kritikern genannt werden, bleiben meist etwas unkonkret und reflektieren eher ein diffuses Gefühl, ....

Continue reading "Zwei Dicke Striche" »

Die Bären sind los

Wie in den letzten beiden Jahren endete auch die Berlinale Gala am heutigen Abend mit einer Überraschung.

Den Goldenen Bären für den besten Film bekam

ty_ya_de_hun_shi_tuyas_marriage_tuyas_ehe.jpg

Tu ya de hun shi (Tuyas Marriage) von Wang Quan'an

Continue reading "Die Bären sind los" »

Afrika?

"Faro, la reine des eaux" (Faro, Godess of Water) von Salif Traoré (Forum)

faroSkal.JPG

Ein Film wie ein Schlag ins Gesicht aller räucherstäbchenschwingenden Natur-Esoteriker und Baumumarmer. Denn was Afrika braucht ist Elektrizität, Technologie und ein Ende der überkommenen Traditionen magischen Denkens. Zumindest wenn man Salif Traores leicht propagandistischem Film folgen mag.

Continue reading "Afrika?" »

Berlin Wrong - Best of Berlin Klischees

berlin_song_rene.jpg

"Berlin Song" von Uli M. Schueppel (Panorama)

Wieviele Berlin-Klischees passen eigentlich in einen Film? Berlin Song beweist: jede Menge! Die Freude über das eigentlich reizvolle Thema, junge Singer-Songwriter aus der Neo-Folk-Szene in Berlin, vergeht dem geneigten Zuschauer recht zügig. Deren Musik steht nämlich kaum im Vordergrund, ganz im Gegensatz zu den Eitelkeiten der Twens, die in Neukölln abhängen.

Continue reading "Berlin Wrong - Best of Berlin Klischees" »

This Is Not A Pop Song

ScottWalker2.jpg

”Scott Walker: 30 Century Man” von Stephen Kijak (Panorama)

Scott Walker ist ein musicians’ musician. Von Musikerkollegen, besonders in England, wird er fast kultisch verehrt. Diese Verehrung brachte den Stein ins Rollen, der Stephen Kijak seinen Dokumentarfilm ermöglichte. David Bowie, der den Film mit produziert hat, Johnny Marr, Jarvis Cocker, Brian Eno, Radiohead, Alison Goldfrapp und unzählige andere sprachen vor dem Kamera über Walkers Musik. So ließ sich schließlich sogar Walker selbst überreden, sich für den Film interviewen zu lassen. Mehr noch: Kijak hatte die Möglichkeit, bei den Aufnahmen des 2006er Albums „The Drift“ zu filmen. Es entstand das Portrait eines Musikers, der abseits von allen musikalischen und erst recht kommerziellen Strömungen seine kreative Energien in Musik umsetzt, die nichts mehr mit Pop zu tun hat, sondern zeitgenössische Musik im Wortsinn ist.

Continue reading "This Is Not A Pop Song" »

Das Leben ist ein Kitschroman

Angel.jpg

„Angel“ von François Ozon (Wettbewerb)

Angel Deverell schreibt mit echter Leidenschaft inbrünstige Liebesromane – und trifft damit in England in den Jahren vor den Ersten Weltkrieg den Geschmack der Leser, wenn auch nicht den der Kritiker. Mit dem eisernen Willen versehen, die Welt ihren Träumen anzupassen, schafft Angel den Aufstieg aus der Backsteinsiedlung ins herrschaftliche Anwesen, und holt sich schließlich ihren Traumprinzen ins Haus. Doch dann beginnt ihr Stern zu sinken, der Traum zerbricht Stück um Stück. Hört sich nach einem Melodrama aus den 50er Jahren an? Richtig. François Ozon hat seinen Wettbewerbsbeitrag „Angel“ an genau diesem Genre ausgerichtet – und es gleichzeitig weiter entwickelt. Angel ist grotesk und anrührend, manipulativ und naiv zugleich, und vor allem ist sie – das wird schon in den ersten zwanzig Minuten des Films klar – eine ganz furchtbar schlechte Schriftstellerin.

Continue reading "Das Leben ist ein Kitschroman" »

Preise der Unabhängigen Jurys

Es ist ein Tradition: am vorletzten Tag der Berlinale werden in der Saarländischen Landesvertretung die Preise der "Unabhängigen" Jurys vergeben. Der Event, obwohl nur 5 Minuten vom Potsdamer Platz entfernt, gleicht mehr einem entspannten Familientreffen und hat wenig mit dem Glamour zu tun, den wir heute Abend bei der Vergabe der Berlinale Bären wieder sehen werden.

Continue reading "Preise der Unabhängigen Jurys" »

Panorama-Publikumspreis an "Blindsight" von Lucy Walker

Den Panorama-Publikumspreis des Jahres 2007 hat der britische Film "Blindsight" von Lucy Walker gewonnen. Die Kritik zum Film finden Sie hier: "Blindsight"

Ein Sommer in den achtziger Jahren

les_temois_1.jpg

"Les Temoins" von André Téchiné (Wettbewerb)

Während eines Sommers in Frankreich treffen sich mehr oder weniger zufällig vier Menschen. Es entspinnt sich zwischen ihnen ein Beziehungsgeflecht um Liebe, Sex und Eifersucht. Was zunächst wie eine leichte Sommerromanze beginnt, wandelt sich unter dem Einfluss der tödlichen Aids-Erkrankung einer der Protagonisten zu einem ernsten Beziehungsdrama. Téchiné schildert, wie sexuelle Experimentierfreudigkeit und daraus resultierende neue Lebensmodelle zu Anfang der 80ger Jahre durch das Aufkommen von Aids jäh zerstört wurden

Continue reading "Ein Sommer in den achtziger Jahren" »

Eine Tasche voller Geld

i_was_a_swiss_banker.jpg

"I was a Swiss Banker" von Thomas Imbach (Forum)

Am Anfang war der Titel „I was a Swiss Banker“, woraus sich dann ganz logisch die Handlung ergab – so Thomas Imbach. Zumindest beginnt der Film ungefähr so, wie es der Titel erahnen läßt: junger, gutaussehender Mann im schnieken Anzug fährt im schwarzen Porsche – jung, dynamisch, erfolgreich. Und natürlich ist auch Geld im Spiel. Der Hauptprotagonist Roger Caviezel schmuggelt Schwarzgeld in die Schweiz. Kein Problem, die deutschen Zollbeamten hat er passiert, doch die Schweizer Dienstbeflissenen sind hartnäckiger und wollen einen Blick in die rote Tasche auf dem Beifahrersitz werfen. Ein kurzes Zögern und dann tritt Roger aufs Gas und braust davon.

Continue reading "Eine Tasche voller Geld" »

Warum vergisst man nicht, was man besser vergäße?

awayfromher.jpg

„Away from Her“ von Sarah Polley

Seit 44 Jahren sind Grant (Gordon Pinset) und Fiona (Julie Christie) verheiratet und in dieser Zeit waren sie kaum einen Tag nicht zusammen. „She had the spark of life - I never wanted to be away from her“, sagt Grant und man sieht die Super 8 Erinnerung an eine sehr hübsche junge Frau und dann die ältere noch immer sehr schöne Frau, die Fiona heute ist. Und eines Tages räumt sie die Bratpfanne in den Kühlschrank – damit fängt es an. Dann fehlen ihr mal einzelne Worte, Fiona kann sich einfach nicht erinnern, wie dieses alkoholische Getränk aus Trauben heißt. Das Schlimmste: Fiona nimmt diesen Verfall vollkommen klar zur Kenntnis....

Continue reading "Warum vergisst man nicht, was man besser vergäße?" »

Kommentare erbeten

baeren_vergabe.jpg

Heute um 19 Uhr wird bekannt gegeben wer die Bären dieser Berlinale bekommen wird. 3-SAT überträgt live. Was waren Eure Favoriten? Wer sollte den Bären davontragen?

Continue reading "Kommentare erbeten" »

Emotionaler Börsencrash in Peking

Ping_Guo.jpg

„Ping Guo“ (Lost in Beijing) von Li Yu (Wettbewerb)

In Peking werden wie bekloppt Wolkenkratzer hochgezogen, während sich das einfache Fußvolk kalt berechnend durchs Leben wurschtelt. Geld regiert die Welt – auch in der Hauptstadt der Volksrepublik China. Der Turbokapitalismus durchdringt alle Lebensbereiche. Sex wird gekauft, der Wert eines Babies orientiert sich wie eine Aktie nach den Kriterien Geschlecht und Blutgruppe, und um die Spielregeln von Beziehungen werden nach harten Verhandlungen Verträge aufgesetzt. Dass die Rechnung trotzdem nicht aufgeht, zeigt der chinesische Wettbewerbsbeitrag „Ping Guo“ (Lost in Beijing) der Regisseurin Li Yu.

Continue reading "Emotionaler Börsencrash in Peking" »

Wahlkampf an den Arkaden

campaign_1.jpg

Tatsächlich ist Yamauchi aus "Senkyo - Campaign" nach Berlin gekommen, um auch hier Wahlkampf zu machen. Zufällig trifft er vor den Arkarden am Potsdamer Platz Forumsleiter Christoph Terhechte.

Continue reading "Wahlkampf an den Arkaden" »

Pressekonferenz zu "Yella" von Christian Petzold

Die Pressekonferenzen von Christian Petzold sind etwas besonderes. Sie haben Substanz und man hat das Gefühl, Journalisten, Regisseur und Schauspieler teilen eine gemeinsame Erfahrung, die sie bewegt. Im folgenden einige Kommentare von Christian Petzold zu seinem Film. Diejenigen, die den Film noch nicht gesehen haben, seien gewarnt! In den Kommentaren sind „Spoiler“, die das wichtige Ende des Films vorweg nehmen!

Continue reading "Pressekonferenz zu "Yella" von Christian Petzold" »

Vergangenheit und Gegenwart auf dem Lande

les_esperit.jpg

"L’esprit des lieux" von Catherine Martin (Forum)

Catherine Martin nimmt uns mit auf eine Reise durch das ländliche Québec. Nach über dreißig Jahren sucht sie die Orte auf, die Gabor Szilasi, ein in Kanada bekannter Fotograf, in seinen schwarz-weiß Aufnahmen festgehalten hatte. Dabei beschränkt sich der Dokumentarfilm nicht darauf, den exakt gleichen Bildausschnitt mit der Kamera einzufangen, es ist ein Abgleichen von Vergangenheit und Gegenwart: Den Fotografien von 1970 werden in Standbildern und langsamen Schwenks die Landschaften, Orte und Personen gegenübergestellt.

Continue reading "Vergangenheit und Gegenwart auf dem Lande" »

Feine Differenzen, genaue Dialoge, frische Sichtmöglichkeiten

yella.jpg

"Yella" von Christian Petzold (Wettbewerb)

Der neue Film von Christian Petzold erkundet Traumvorstellungen auf eine grazile und ungewohnte Art. Auf der Grundebene des Films verlässt Yella ihr altes verbrauchtes Leben in Wittenberge, um einen Job in Hannover anzunehmen. Ihre neue Firma ist insolvent, aber es ergibt sich ein Einstieg in eine aberwitzige Welt des Finanzmangement, in der sie Platz zu finden sucht. Zudem gibt es die Liebe. Auf einer zweiten Ebene wird diese Handlung als Traum sichtbar und eröffnet ein ungewohntes Feld geträumte Vorstellungen zu betrachten.

Continue reading "Feine Differenzen, genaue Dialoge, frische Sichtmöglichkeiten" »

Überkitsch in Lederslips

300.jpg

“300“ von Zack Snyder (Wettbewerb a.K.)

Es begab sich im Jahr 480 v. Chr. an den Thermopylen einem Engpass zwischen dem Meer und den Trachinischen Felsen in Mittelgriechenland: Im griechischen Bündnis war es zu schweren Zerwürfnissen gekommen, wie man sich gegen die vorrückenden Truppen des mächtigen Perserkönigs Xerxes I verteidigen solle ... blah, blah, blah ... Das ist alles völlig wurscht. Wer es genau wissen will, soll sein Geschichtsbuch aus der 7. oder 8. Klasse rauskramen. Also: Leonidas ist so’n richtiger Spartaner, ein echt harter Knochen und der Xerxes kommt da irgendwo aus Asien daher und will Stress machen. Das geht natürlich gar nicht, weil erstens ist er ein Barbar und überhaupt. Leonidas denkt sich also eine ganz listigen Plan aus, um Xerxes’ Übermacht an dem Engpass gepflegt wegzumetzeln. Über die Schlacht hat Frank Miller einen Comic gezeichnet und Zack Snyder hat aus dem Comic einen Film gemacht.

Continue reading "Überkitsch in Lederslips" »

Die Sache mit dem falschen Tony

An dieser Stelle ein kleiner Tipp: Tony Leung ist nicht unbedingt Tony Leung. Nun könnte man natürlich sagen, Tony Leungs kann es gar nicht genug geben. Das Problem dabei: Einer davon ist der falsche Tony, der, der immer auftaucht, wenn man nicht mit ihm gerechnet hat...

Continue reading "Die Sache mit dem falschen Tony" »

Seine Figuren schweigen meist, dafür spricht er gern

Ein Interview mit Jeff Nichols, Regisseur von "Shotgun Stories" (Forum)

JeffNichols.jpg

Wir treffen uns in der Lobby des Marriott. Jeff Nichols kommt mit seinem sehr stillen Produzenten, der in den 45 Minuten nur einen einzigen Anruf bekommt - das hatte ich mir bei amerikanischen Produzenten anders vorgestellt.
Jeff Nichols ist ein sehr sympathischer und auskunftsfreudiger Typ. Nach dem Interview, sagt er noch: Mann jetzt hab ich wirklich alles augespuckt, aber war toll!
Er wird nach dem Festival noch ein paar Tag emit seiner Verlobten durch Berlin schlendern, “Es gibt so viel anderes neben Filmen!” Recht hat er!

festivalblog: Mr. Nichols, your film deals with a very traditional, almost biblical issue: the fight between half-brothers, who have the same father who abandoned his first family. Since it is not a fight about money or a kingdom it seems more a fight about which „history“ of their father is true. How you came to that idea?

Jeff Nichols: There are certain battles that are going on for hundreds of years now, there is so much bad blood literally and there are so many reasons on both sides to kill that you ask yourself how can a fight like that possibly end? I came up with only two answers.
1. You have one side totally destroy the other side, that they can’t fight back ever
2. At some point someone on either side has to say. I’m not gonna do this, maybe on the cost of my own life.
I was reading a New Yorker article about an Israeli woman,....

Continue reading "Seine Figuren schweigen meist, dafür spricht er gern" »

Die Sache mit der Tasche

Gut, dass es die mauvenen oder mauverfarbenen oder wie auch immer Umhängetaschen gibt. Besonders in den letzten Berlinale-Tagen hinterlassen Schlafmangel, Filmoverkill, sowie andere Dinge, von denen ich hier gar nicht reden will, Spuren. Der Berlinale Besucher wird müde, unaufmerksam, fahrig, hysterisch, gaga, wasduwillst. Was das mit den mauvenen oder mauvefarbenen, also den Taschen zu tun hat? Sie funktionieren prima als Alarmsignal. Autofahrer wissen: Fuß vom Pedal, der hat vielleicht gerade zu viele mongolische Autorenfilme gesehen und latscht mir gleich in seiner Verträumtheit vors Auto. Der Halbstarke an der Ecke sagt sich: Der werfe ich jetzt lieber keinen blöden Spruch an den Kopf, weil: die Nerven liegen bloß, und wie schnell hat man so eine Berlinale-Tasche, gefüllt mit der kompletten Berlinale-Katalogsammlung auf den Kopf gedroschen bekommen. Eben. Kurzum: Die Tasche erfüllt ihren Zweck. Da können die üblichen Berlinale-Taschen-Lästerer lästern wie sie wollen. Ich jedenfalls sage: Nicht ohne meine Tasche!

Gottesfurcht auf Abwegen

takva.jpg

"Takva - A Man's Fear of God" von Özer Kiziltan (Panorama)

Der tiefgläubige Hausdiener Muharrem führt ein bescheidenes, gottesfürchtiges Leben in Istanbul. Doch bald gerät es durch höhere Mächte durcheinander. Nachts wird er von ganz und gar unreinen Phantasien heimgesucht: solche, nach denen er seine Hose waschen und den Körper reinigen muss. Entsetzt von der Macht, die er nicht kontrollieren kann, gerät er in einen schweren Gewissenskonflikt, als der Scheich seiner Sufi-Bruderschaft ihn als Verwalter einsetzen möchte.

Continue reading "Gottesfurcht auf Abwegen" »

Berlinale-Beamten-Stampede

Wir sind Berlinale-Beamten. Wir sind alle gleich getaktet. Stehen um dieselbe Zeit auf, nehmen jeden Morgen dieselbe U-Bahn zum Potsdamer Platz und verschwinden auf Kommando im Kino. Damit man uns besser erkennt, tragen wir mauvefarbene Umhängetaschen. Diejenigen von uns, die nicht wussten, was mauve ist, haben es in der letzten betriebsinternen Fortbildung, auch Berlinale-Pressekonferenz genannt, gelernt. Gemeinsam trotten wir von Kino zu Kino zu Starbucks zu Kino. Wir stehen mit den Füßen scharrend dicht gedrängt vor Cinemaxx 7 und wenn die Kinotür sich öffnet, beginnt ein einzigartiges Naturphänomen – die Berlinale-Beamten-Stampede. Zuschauer reisen von weit her an, um sie zu sehen. Es werden sogar schon Tickets dafür verkauft. Deshalb auch die langen Schlangen in den Arkaden.

Ferien

ferien_thomas_arslan_berlinale_2007.jpg

"Ferien" von Thomas Arslan (Panorama)

Blauer Himmel. Freiheit. Probleme fallen zurück. Eis, Wasser, Lachen und Ausgelassenheit spiegeln die Sehnsüchte der freien Tagen, ein Nachhall unserer Kindheit. In Thomas Arslans „Ferien“ sind es dann auch nur die Kinder, die die Verheißung leben können.

Continue reading "Ferien" »

Zurück ins Mittelalter

moskva_pride.jpg

"Moskva. Pride '06" ("Moscow Gay Pride Festival") von Vladimir Ivanov (Panorama)

“Kann ihr mal bitte in ihre Tasche sehen?” Zivilpolizisten erkennt man sofort. Klar, denke ich, die wollen checken, ob ich eine Kamera dabei habe. Schließlich habe ich erst heute morgen in einem Branchenblatt gelesen, dass bei den Vorführungen inzwischen Nachtsichtgeräte eingesetzt werden, um die Festival-Filme vor Piraterie zu schützen. Erst später kommt mir in den Sinn, dass solche Maßnahmen bei einen Doku-Film über die Gay Parade in Moskau etwas unangemessen sind. Die Zweifel verstärken sich, als mir beim nochmaligen Herausgehen aus dem Saal vier Uniformierte in Grün auffallen.

Continue reading "Zurück ins Mittelalter" »

80er: Säufer, Kiffer, Revoluzzer - aber nicht in Hamburg Hafenstraße

abudehur.jpg

"...a bude hur (It gonna get worse)" von Petr Nikolaev

Wer wie ich in den 80er im Westen aufwuchs, will gern wissen, wie es zur gleichen Zeit war, 18 zu sein und in einer Diktatur zu leben. Wenn dann noch angekündigt wird, der Film handle von einer Gruppe junger Leute, die einfach nur ihren Spaß haben wollen, so klingt das nach meiner Jugend - und irgendwie nach der Jugend der meisten Leute: Mit dem Unterschied, dass die meisten nicht in den Knast kamen oder ins Irrenhaus, weil sie lange Haare hatten oder nicht zur Armee wollten, und mit dem Unterschied, dass sich von niemanden was sagen zu lassen und auf die Kommunisten zu schimpfen in Tschechien sehr mutig, ja ein politischer Akt war, und bei mir in Dortmund albern, wie jeder Akt von Rebellion, wenn er vollkommen ungefährlich und ohne Konsequenzen ist. Nicht so bei Olin und seiner Gang.

Continue reading "80er: Säufer, Kiffer, Revoluzzer - aber nicht in Hamburg Hafenstraße" »

Boxen wie Jesus: Halt die andere Wange hin!

poorboy1.jpg

"Poor Boy’s Game" von Clement Virgo (Panorama)

„Rocky“ kommt in die Kinos und die Kritiker verbeugen sich vor Stallones Mut und dem Film, den er geschaffen hat. Was ist das nur für eine ewige Liebe zwischen Boxen und Kino? Vielleicht gründet die Faszination in dem existenziellen Unterton, den jeder Fight hat, vielleicht auch in dem archaischen Mann gegen Mann (bzw. Frau gegen Frau), vielleicht auch bloß in der Brot&Spiele Liebe der Menschen.
Aber ein Film braucht eben Helden und Konflikte, um Spannung zu schaffen, und dafür bietet das Boxen eine großartige Gelegenheit. Dabei ist das hier gar kein Boxfilm...

Continue reading "Boxen wie Jesus: Halt die andere Wange hin!" »

::festivalblog macher auf 4x6 Meter

Da geht man unbelligt seines Weges, um ein deliziöses Mittagessen bei McDoof zu sich zu nehmen, und denkt: die Stimme kenn ich doch! Dann hört man: "Andreas Tai, festivalblog dot com, eine Frage an den Regisseur..." und da ist er:
4x6 Meter, Mr.Festivalblog (aka. Mr. PK)

andigross.jpg

Pass auf, sonst werden wir noch berühmt!

Ein Traum vom Leben der Boheme

"BerlinSong" von Uli M. Schueppel (Panorama)

Dieser Film handelt von einem Traum. Es ist der Traum eines Bohemelebens, es ist der Traum vom Jungsein und der Traum vom Musikmachen. Alle diese Träume scheinen am Sehnsuchtsort Berlin möglich in diesem Dokumentarfilm über sechs junge Musiker. Sie stammen aus den USA, Norwegen, Holland, England und Australien und leben alle seit ein paar Jahren in Berlin. Sie sind ungefähr zwischen 25 und 35, sie kennen sich und gehören zur Antifolkszene in Berlin, sie spielen in kleinen Clubs, und wirken alle – jeder auf eine andere Weise – ein bisschen schüchtern.
Wenn man von diesem Film einen realistischen Blick auf Berlin oder in das Leben der Immigranten erwartet, wird man enttäuscht werden. Wenn man diesen Film dagegen als Sammlung von Eindrücken und als Bild eines Idylls akzeptiert, dann bekommt man zum Dank einen merkwürdig romantischen Spaziergang am Landwehrkanal und einen Nachmittag voll kleiner Gesten eines gemeinsamen Musikmachens geschenkt.

Continue reading "Ein Traum vom Leben der Boheme" »

Kritiker-Kasten

Wer glaubt, dass in einer Berlinale-Pressekonferenz jeder das gleiche Recht hat, dumme Fragen zu stellen, der irrt. Nehmen wir als Beispiel die Pressekonferenz zu „Yella“ von Christian Petzold. Während der Moderator den einen Kritiker gleich beim Namen nennt, als er ihm das Wort gibt (man kennt sich eben), lässt er die Fragen eines anderen Kritikers im Sande verlaufen.

Continue reading "Kritiker-Kasten" »

Generation 50plus

marianne_faithful_palm_berlinale.jpg

"Irina Palm" von Sam Garbarski (Wettbewerb)

Filme, die es schaffen, auch tragische Geschichten leicht und mühelos zu erzählen, gibt es nicht all zu häufig. Als wirklich hohe Kunst darf es gelten, dabei auch noch Themen wie Krankheit, Einsamkeit, Prostitution und Alter gerecht zu werden. „Irina Palm“ ist diese schwierige Gradwanderung meisterhaft gelungen. Beklemmende Momente tiefer Traurigkeit wechseln sich ab mit befreiender Situationskomik.

Continue reading "Generation 50plus" »

Zwei Filme übers Sterben - also das Leben!

dans_les_villes.jpg

"Dans le villes" von Catherine Martin (Forum)

chrigu.jpg

"Chrigu" von Jan Gassmann & Christian Ziörjen (Forum)

In „Dans le Villes“ ist Herbst und es wird Winter. Drei Frauen unterschiedlichen Alters sind einsam - nicht nur allein, sondern wirklich einsam. Das Leben fühlt sich für sie nur noch an, wie eine Last, ein Schmerz. Der blinde Mann im Film ist auch allein, aber scheint einen Weg gefunden zu haben, die Einsamkeit, die bei ihm sogar noch Dunkelheit ist, zu bannen.
„Chrigu“, der auf den ersten Blick ein Dokumentarfilm über Krebstod eines lebensfrohen jungen Mannes ist, befasst sich doch vielmehr mit dem Leben, als „Dans le villes“. Dieser junge Mann ist nicht allein, will gerade nicht sterben, weil er das Leben liebt.

Continue reading "Zwei Filme übers Sterben - also das Leben!" »

Zirkus is nich

aschermittwoch.jpg


"Zirkus is nich" von Astrid Schult (Perspektive Deutsches Kino)

Schade dass der Film selbst schon Zirkus is nich heißt: Sonst hätte ich das als Überschrift für diese Kritik gewählt. Der Titel ist so genial wie der Film: Eine bessere Kurzzusammenfassung gibt es auch nicht. Wer in Berlin wohnt, und von einem Dokumentarfilm hört, der „Zirkus is nich“ heißt und der in Hellersdorf spielt, vor dessen innerem Auge erscheint schon die Szenerie: Hartz IV, triste Plattenbauten, Armut, eine gute Portion Trostlosigkeit, RTL-Talkshow-Familien, vernachlässigte Kinder...

Continue reading "Zirkus is nich" »

Wenn ein Mann im Wald und so weiter

when_a_man_falls_into_the_forrest_sharon_stone.jpg

"When a man falls in the forest" von Ryan Eslinger (Wettbewerb)

„Das Leben besteht nicht aus großen Geschichten“, sagt eine mir unbekannte Berlinalebesucherin beim Rausgehen, und da schwingt hörbar Anerkennung mit. Ihr Begleiter hatte wohl gerade ebensolche großen Geschichten vermisst. Keine großen Geschichten? Und das in einem Film mit Sharon Stone? Wunderbar.

Continue reading "Wenn ein Mann im Wald und so weiter" »

Zeigst Du mir Deins, zeig ich Dir meins

interview.jpg


"Interview" von Steve Buscemi (Panorama)

Das Wühlen in den Privatgeheimnissen prominenter Menschen gehört zum täglich Brot des Boulevardjournalismus und die Beziehung zwischen Jäger und Gejagtem ist dabei eigentlich klar definiert. Steve Buscemi geht mit „Interview“ der Frage nach, was zwischen den Akteuren geschehen kann, wenn sich diese Rollenverteilung überraschend verändert.

Continue reading "Zeigst Du mir Deins, zeig ich Dir meins" »

Wer Nikki A sagt, muss auch Nikki B sagen

Nikki_Lee.jpg

"a.k.a. Nikki S. Lee" von Nikki S. Lee (Forum)

Die südkoreanische Fotokünstlerin Nikki S. Lee ist eine Meisterin im Spiel mit Identitäten. In ihren inszenierten Bildern übernimmt sie immer andere Rollen. Für ihren Film „a.k.a. Nikki S. Lee“ nimmt sie zwei grundsätzliche Identitäten an: Die der introvertierten „Nikki A“, die am liebsten allein in ihrer Wohnung liest oder sich um Ausstellungsdetails kümmert oder ernsthafte kunsttheoretische Diskussionen führt und die der jetsettenden „Nikki B“, die die Kunstwelt bereist, um Sammler zu treffen, neue Aktionen zu planen und den Kunstbetrieb am Laufen zu halten. Bei dieser Konstellation von einer Dokumentation zu sprechen wäre sicher naiv, dennoch gibt der Film Einblicke in das anstrengende Künstlerleben zwischen Kunst und Business.

Continue reading "Wer Nikki A sagt, muss auch Nikki B sagen" »

Ein Ort des Vergnügens

prater.jpg

"Prater" von Ulrike Ottinger (Forum)

Wünsche nach Entgrenzung und Ausbruch gehören mit zu den ältesten Sehnsüchten der bürgerlichen Gesellschaft. Eine beliebte Möglichkeit dazu, gefahrlos dem Alltag zu entfliehen, bot sich von je her auf Jahrmärkten und Rummelplätzen. Der Film „Prater“ von Ulrike Ottinger entführt den Zuschauer in diese Welt aus Sensationen und Illusionen.

Continue reading "Ein Ort des Vergnügens" »

Inside - Outside

miss_gulag.jpg

"Miss GULAG" von Maria Yatskova (Panorama)

„Miss GULAG“ überrascht. Es ist kein Film, der die Zustände in den Frauenstraflagern Sibiriens anklagt. Stattdessen steht eine Frage im Mittelpunkt: Wo ist das Leben besser? Drinnen oder draußen?

Continue reading "Inside - Outside" »

Das gewalttätige Folkhemmet

WhenDarknessFalls.jpg

“När Mörkret Faller“ von Anders Nilsson (Panorama)

Es gibt viele Formen von Gewalt: Die Ohrfeige, den Faustschlag ins Gesicht, eine Frau mit dem Kopf gegen die Wand zu schlagen, den Schuss, die eigene Tochter auf der dunklen Landstraße vor einen fahrenden LKW hetzen zu lassen. Der schwedische Regisseur Anders Nilsson zeigt in seinem Film „Bei Einbruch der Dunkelheit“ („När Mörkret Faller“) alle diese Formen der Gewalt und noch einige mehr. Der Film erzählt drei parallele Geschichten, in denen Menschen der Gewalt ausgeliefert sind, gegen die Recht und Gesetz nur wenig Schutz bieten. „Bei Einbruch der Dunkelheit“ ist ein düsterer Sozialkommentar, den Nilsson als Krimi inszeniert.

Continue reading "Das gewalttätige Folkhemmet" »

Ein Film ist ein Film ist ein Film

NotesOnAScandal_.jpg

"Notes on A Scandal" von Richard Eyre (Wettbewerb a.K.)

Das Tolle an der Berlinale ist die Hysterie, in die alle Beteiligten langsam und unmerklich abgleiten. "Notes on a Scandal" ist ein gutes Beispiel dafür: während der Film auf dem Berlinaleradiosender Radio1 euphorisch bejubelt wurde ("kein Wunder, dass dieser Film außer Konkurrenz läuft, so gut wie der ist, würde er alle Preise auf einmal abräumen. Das Drehbuch ist super, Regie, Kamera und erst die Hauptdarstellerinnen..."), sah der Kollege Filmkritiker von der FAZ (vom 12.2.) im Film die ganze Mittelmäßigkeit und Langeweile der ganzen Berlinale verkörpert. Ein guter Grund, ihn sich anzuschauen.

Continue reading "Ein Film ist ein Film ist ein Film" »

Ein luxuriöses Spielzeug zeigt die Zähne

the_walker_paul_schrader_defoe_bleibtreu.jpg

"The Walker" von Paul Schrader (Wettbewerb a.K.)

Mit seinem Film „The Walker“ zeigt Regisseur Paul Schrader, dass er – Drehbuchautor von Taxi Driver und Raging Bull – noch immer in der Meisterklasse mitspielt. Allerdings läuft der Film im Wettbewerb außer Konkurrenz, immerhin ist Schrader Jury-Vorsitzender, und ein weiteres Jury-Mitglied, Willem Dafoe, ist in einer Nebenrolle zu sehen. Die Hauptrolle spielt Woody Harrelson: Er ist Carter Page III, genannt Car, der hauptberuflich die Frauen gestresster Washingtoner Politiker in die Oper begleitet und mit ihnen Canasta – und eventuell auch noch andere Dinge – spielt.

Continue reading "Ein luxuriöses Spielzeug zeigt die Zähne" »

Bilder, die von innen heraus leuchten

Edie.jpg

„Factory“, "Harold Stevenson #1 and #2“ und „Trips and Parties“ von Danny Williams (Forum)


Danny Williams, Harvard Student und Filmemacher, gehörte für kurze Zeit – von 1965 bis 1966 – zu Andy Warhols Künstlerclique in der legendären Factory. Zeitweise war er Warhols Lover und lebte – mit dessen Mutter zusammen – in der gemeinsamen Wohnung. Er arrangierte die Lichtshow für Velvet Underground Konzerte und drehte experimentelle Kurzfilme. Irgendwann verlor der junge Mann die Gunst Warhols, kehrte in sein Elternhaus zurück, borgte sich noch am selben Abend das Auto seiner Mutter und ist seitdem verschwunden. Das Forum zeigt in diesem Jahr drei seiner stummen schwarzweiss Kurzfilme als Weltpremiere: Factory, Harold Stevenson #1 and #2 und Trips and Parties. Williams Werke bestechen durch ihren außergewöhnlichen Sinn für Rhythmus, eine Beleuchtungstechnik, die die Figuren geradezu leuchten lässt, und einer Kombination aus traumhafter Schönheit und feinem Witz.

Continue reading "Bilder, die von innen heraus leuchten" »

Kain und Abel in den Südstaaten

shotgun_st.jpg


"Shotgun Stories" von Jeff Nichols (Forum)

Echte „White Trash"-Typen denkt man die ersten Minuten. Nur komisch, dass die drei Brüder mit den Namen Son, Boy und Kid nicht laut und rüde sind, sondern still und melancholisch wirken, so als dächten sie die ganze Zeit an einem Plan herum, wie sie ihrem verkorksten Leben entkommen können. Aber wenn der älteste Bruder ohne scheinbare Gemütsregung verkündet seine Frau habe ihn wohl verlassen, der andere Bruder aus seinem Zelt im Garten kriecht im zerfledderten T-Shirt und mit schmierigen Haaren und der dritte Bruder, verfettet in einem vermüllten Van wohnt, dann denkt man eben, was für kaputte Typen sind das denn? Es dauert eine Weile bis aus den knappen Dialogen und Gesten der Brüder Charaktere entstehen, die sympathisch sind, etwas können, etwas wollen und sogar recht klare Vorstellungen von Richtig und Falsch haben,....

Continue reading "Kain und Abel in den Südstaaten" »

Der Stau bin ich....

Oh, langsam geht es los. Ist ein bischen wie auf einem Segelboot ohne Wind: Erst alles super, dann bilden sich Fraktionen und am Ende gibt es eine Meuterei. Und auf diesem Schiff Berlinale beginne ich, die 2000 oder 3000 Kollegen allmählich zu hassen. Ja, so pauschal! Alle!
Nicht nur im Kino hasse ich sie, weil sie rascheln, quatschen, schnarchen, stinken, essen, schlürfen, schwitzen, brabbeln, telefonieren, ihr Händi nie ausschalten, zu spät kommen, früher gehen, husten, immer wieder husten, niesen und sich räuspern, in ihren Taschen wühlen, ständig irgendwo verdammte Klettverschlüsse auf und zu machen, vor der Vorstellung dummes Zeug reden und danach manchmal noch mehr.
Aber ich weiß: Das ist der gleiche Hass, wie mein Hass auf die anderen Autofahrer in Berlin, wegen denen ständig ich ständig im Stau stehe! Der Stau bist Du!

Ein glückliches Leben ist möglich aber unwahrscheinlich

Allealle.jpg

„AlleAlle“ von Pepe Planitzer (Perspektive Deutsches Kino)

Für Hajo Domühl (Milan Peschel) läuft es nicht. Er ist ein Säufer, macht gerade mit seiner Gerüstbaufirma pleite und jetzt sitzt er volltrunken in seinem Wagen auf der Landstraße irgendwo im gottverlassenen Brandenburg und die Karre verreckt. Auf einmal ein Wunder: Die alte Mühle fährt wieder, allerdings nur durch Muskelkraft bewegt. Hagen (Eberhard Kirchberg) schiebt. Hagen ist ein Baum von einem Kerl. Hagen schiebt Domühl wie ein Berseker über fünf Kilometer, was auch damit zu tun hat, dass Hagen geistigbehindert ist. Am Nachmittag hat in das Heim losgeschickt, er soll jetzt bei seinem Onkel wohnen. Doch den findet Hagen nicht, stattdessen landet er mit seiner Käfigmaus in Domühls versiffter Wohnung mitten im Nichts in südlich von Berlin.

Continue reading "Ein glückliches Leben ist möglich aber unwahrscheinlich" »

6 + 6

MMagnitude.jpg

„Fucking different New York“ - Kompilation mit Kurzfilmen u.a. von Todd Verow und Lala Endara (Panorama)

In „Fucking different New York“ geht es viel weniger um Sex als man es zunächst vermutet. Der Film besteht aus 12 Kurzfilmen, 6 von schwulen Regisseuren, 6 von lesbischen Regisseurinnen. Die schwule Fraktion sollte filmen, wie sie sich Sex unter Lesben, die lesbische Seite, wie sie sich Sex unter Schwulen vorstellen. Herausgekommen sind 12 sehr unterschiedliche, zumeist lustige, Homemovie-Filme.

Continue reading "6 + 6" »

Same as usual? Teil 2: Das Wasser

Im Vergleich zu dem Vorjahren, gab es dieses Jahr eine tragische Veränderung. Kaktusfeige-Birne, Kirsche-Jasmin, Marille-Ingwer...all die schönen Geschmacksorten aus dem Sortiment Vöslauer Mineralwasser, die es gratis im Berlinale Pressezentrum gab, all das Vergangenheit.

Continue reading "Same as usual? Teil 2: Das Wasser" »

Same as usual? Teil 1: Die Tasche

Es ist ein Schmuckstück dieses Jahr: die Berlinale-Tasche. Gerne läuft man dieses Jahr den Männern und Frauen mit dem lila Bärentäschchen hinterher. Gegenüber den letzten Taschen hat diese einen erheblichen Vorteil: sie stinkt nicht. Nein im Gegenteil, sie erfreut die Sinne. Mit dieser Einstellung stehe ich nicht alleine. Als ich mir müde bei Kuchenkaiser am Oranienplatz ein Stück Birnentorte gönne, fällt die Tasche der Bedienung sofort auf. Sie fragt, wo es diese gibt und wie teuer sie ist (leider 23,50). Dann erzählt sie von ihrer ersten Berlinale im Jahr 2000. Damals war sie auf der Berlinale, weil sie für „Leonardos“ Film „The Beach“ Location-Scouting gemacht. Berlinale goes Kreuzberg.

Von Briefmarkensammler zum Politik-Meister in 10 Tagen

wahlkampf_auf_japanisch.jpg

"Senkyo - Campaign" von Kazuhiro Soda (Forum)

Erstaunlich wie Menschen und was für Menschen und aus welchen Gründen zu Politikern werden. Der 40 jährige Münz und Briefmarkensammler Kazuhiko Yamauchi wird von der LDP (Regierungspartei in Japan seit 1955, mit drei Jahren Unterbrechung!) völlig überraschend zum Kandidaten für die Stadtratswahlen bestimmt.
Er hatte einen kleinen Münzladen und wird im Wahlkampf als Experte für Budget angepriesen, als Self-Made Unternehmer, der frischen Wind in die Politik bringt (in Wirklichkeit hatten sie nur NOCH ungeeignetere Kandidaten).
Eigentlich ist der Mann ein sympathischer, aber unbeholfener, unerfahrener, uncharismatischer ein wenig hektischer Typ, der nun bestimmt und selbstsicher, dauergrinsend, Parolen verkündend, Versprechen machend auftreten soll.

Continue reading "Von Briefmarkensammler zum Politik-Meister in 10 Tagen" »

Ein unglaublich schlechter, sehenswerter Film

warhol_doc.jpg

“Andy Warhol: A Documentary Film” von Ric Burns

Ric Burns hat einen Dokumentarfilm gedreht. Dabei hat er das Kleine Ein-Mal-Eins des Dokumentarfilmdrehens bis zum letzten Komma befolgt. Sein vierstündiger Film erzählt das Leben Andy Warhols streng chronologisch. Verwandte, Zeitzeugen, Kunstkritiker und Kuratoren kommen zu Wort. In einem ausführlichen Voiceover wird das Leben Warhols erzählend vorangetrieben, dazu tönt ohne Pause einschmeichelnde Musik. Es ist ein Desaster. Das Allerschlimmste: Obwohl die Dokumentation ein Desaster ist, guckt man sie zwanghaft bis zum Ende, weil das Thema Warhol so faszinierend ist.

Continue reading "Ein unglaublich schlechter, sehenswerter Film" »

Und noch ein Fussball-WM-Film – aber ohne Fussball

substitute.jpg

"Subsitute" von Fred Poulet und Vikash Dhorasoo (Forum)

Kurz gesagt, dieser Film ist der maximale Gegen-Wortmann, kein Frankreich ein Sommermärchen oder so was. Es geht um Vikash Dhorasoo der in der Quali fast jedes Spiel bestritt, Spezel von Domenech war, dann aber bei der WM nur 16 Minuten spielte und beinah, ja leider nur beinah und damit kein Tor geschossen hat. So kennen heute nicht mal eingefleischte Le Bleu Fans seinen Namen. Der Film zeigt auch keine Fußballer beim rumhängen und Karten spielen, keine Spaßbilder aus den Entmüdungsbecken, keine Kabinenromantik, kein Training und auch nur vom Finale ein paar wackelige Bilder von der Tribüne.

Continue reading "Und noch ein Fussball-WM-Film – aber ohne Fussball" »

Besucher aller Spezies auf der Berlinale

Von weit und aus der Kälte kamen diese Besucher mit ihrem Schlitten.

schlittenhunde.jpg

Die Jugend schläft, einsam wachen die Filmfans, die wahrscheinlich schon auf der Premiere von "Rashomon" dabei waren...

besucher.jpg

Vaterland oder Familie

g_shepherd.jpg

"The Good Sheperd" von Robert De Niro (Wettbewerb)

„The Good Sheperd“, die zweite Regiearbeit von Robert De Niro ist kein Agententhriller. Nach „A Bronx Tale“ hat De Niro erneut ein Familienepos gedreht. Er erzählt die Geschichte von Edward Wilson (Matt Damon), der in den Sechziger Jahren für die Abteilung der Gegenspionage der CIA arbeitet und bei der gescheiterten Schweinebucht-Invasion im April 1961 ein Fiasko erlebt. Das Leben von Wilson, seine Entwicklung vom idealistischen Studenten der Literaturwissenschaft an der Elite-Universität Yale zum Aufsteiger in der US-Geheimdienstbürokratie im und nach dem Zweiten Weltkrieg ist das eigentliche Drama. Dabei geht es um große Themen wie Patriotismus vs. persönliches Glück, Loyalität vs. Verrat und ob Geheimdienste eigentlich moralisch handeln können.

Continue reading "Vaterland oder Familie" »

Unser Lehrer Herr Grothe oder: Der sanfte Prinzipal

guten_morgen_herr_grothe.jpg

"Guten Morgen Herr Grothe" von Lars Kraume (Panorama)

Wo James Belushi 1987 in "Der Prinzipal" mit Baseballschläger als Lehrer an einer Highschool mit den verlotterten Sitten aufräumte oder als Gegenentwurf Robin Williams in "Club der Toten Dichter" die Schüler zu begeisterten Lesern machte, so ist der überforderte, der leidenschaftliche, der raubeinige Lehrer in allen Abstufungen schon vielfach Thema für Kinofilme gewesen.
In „Guten Morgen Herr Grothe“, dem neuen Film von Lars Kraume (Keine Lieder über Liebe), ist es der idealistische Lehrer Michael Grothe (Sebastian Blomberg) und Deutsch sein Fach an einer Berliner Hauptschule.
Die Klasse ein Potpourries des Einwanderungslandes Deutschland und ein Mix der für dieses Genre typischer Klassencharaktere. Die stoische Dauerwalkmanhörerin (heute mit ipod), der stille Asiate, der auf die Fresse kriegt, der romantische Russlanddeutsche, die Clowns, frühreifen Früchtchen, die Störenfriede, Streber und geistig Abwesenden. Und dann ist da wie in jedem Film der eine, der das Klassenklima prägt und an dem sich alle die Zähne ausbeissen: Nico (Ludwig Trepte).

Continue reading "Unser Lehrer Herr Grothe oder: Der sanfte Prinzipal" »

Geheimagent am Wannsee: Robert De Niro spricht mit Volker Schlöndorff

de_niro_shepherd.jpg

Wer genau zugehört hat, weiß es jetzt: Robert De Niro ist im Grunde seines Wesens ein Geheimagent. „Geheimagenten“, sagt De Niro in seinem 50-minütigen Gespräch mit Volker Schlöndorff am gestrigen Sonntag in der American Academy, „Geheimagenten erzählen Dir nichts, wovon sie nicht wollen, dass Du es erfährst.“ So hält es auch De Niro selbst, wenn es um seinen Beruf oder sein Leben geht. Das war der Grund dafür, warum des Gespräch Schlöndorff-De Niro eher ein Schlöndorff-Monolog mit kurzen De Niro Einwürfen war. Eine Tatsache, über die sich Matt Damon königlich amüsierte, der während des Gesprächs quasi auf der Ersatzbank Platz nahm und für einige Kurzeinsätze eingewechselt wurde.

Continue reading "Geheimagent am Wannsee: Robert De Niro spricht mit Volker Schlöndorff" »

Plädoyer für die Menschlichkeit

"L'Espagne vivra" und "Le Retour" von Henri Cartier-Bresson (Magnum in Motion)

Die Reihe Magnum in Motion bot die wunderbare Gelegenheit, zwei Filme des Mitbegründers der legendären Fotoagentur zu sehen. In "L’Espagne vivra" (1938) und "Le Retour" (1945) schildert Henri Cartier-Bresson einfühlsam und eindringlich Elend und Bedrohung durch den Faschismus. Dabei ergreift er deutlich Partei, gegen Krieg lohnt es zu kämpfen und gemeinsam gegen Not und Leid einzustehen. Ohne voyeuristisch oder laut anklagend zu sein, sind die bewegten Bilder von Cartier-Bresson ein Appell für Freiheit und Menschlichkeit. Mehr...

Continue reading "Plädoyer für die Menschlichkeit" »

Ruhrpottcharme allein reicht nicht immer

"Autopiloten" von Bastian Günther (Perspektive Deutsches Kino)

autopiloten1.jpg

Ein Episodenfilm-Roadmovie im Ruhrpott, das klingt für einen, der „von da wech“ kommt wie mich sehr reizvoll. Ein bisschen Heimweh bekomm ich ja schon, wenn es im Deutschlandfunk heißt: „Und nun die Staus ab 5 Kilometer: Auf der A 45 Westhofener Kreuz Richtung Dortmund und auf der A 2 Kamener Kreuz Richtung Dortmund 12 Kilometer stockender Verkehr...“
Stockender Verkehr ist auch ein Begriff, den man auf die Leben der vier Protagonisten anwenden kann: ihr Leben ist ins Stocken geraten und schon im Sinkflug. Der Crash droht, was im Film auch etwas zu plakativ mit einem entführten Flugzeug symbolisiert wird, das über dem ruhpöttischen Luftraum kreist. Alle vier Figuren bekommen das irgendwann mit und wie die Gallier, die nur Angst haben, dass ihnen der Himmel auf den Kopf fällt, scheinen diese Männer eine ganze Weile vor nichts Angst zu haben und meinen: „Dat wird schon werden!“ Wird’ aber nicht.

Continue reading "Ruhrpottcharme allein reicht nicht immer" »

"Rückblickend ist es ja fast irrelevant, ob es eine glückliche oder eine unglückliche Reise war"

sonja_heiss_hotel_very_welcome.jpg

Ein Interview mit Sonja Heiss, Regisseurin von "Hotel Very Welcome" (Perspektive deutsches Kino)

Festivalblog: Ein junger Künstler soll sich ja in seinem Erstling angeblich am besten mit Dingen beschäftigen, die er gut kennt. Wie kommt man also darauf, seinen ersten Spielfilm in Indien und Thailand zu drehen?

Sonja Heiss: Ich bin selbst viel gereist und der Co-Autor und Kameramann, der auch mein Freund ist, wir sind auch zusammen viel gereist. Auf einer Reise ist dann die Idee entstanden, dass man doch mal einen Film über Traveller in Asien machen müsste. Das sollte ein Film werden, der den Traveller nicht mehr so heroisiert. Es geht ja nicht mehr darum, Abenteuer zu bestehen. Mit dem Lonely Planet in der Tasche ist das alles nicht mehr so schwierig. Das Abenteuer ist oft nur man selbst.

fb: Gab es Probleme bei der Finanzierung? Ich stelle mir vor, wenn man dem ZDF oder dem Filmfond Bayern sagt: „Ich will ein paar Monate mit Schauspielern durch Indien und Thailand reisen und einen Film machen“, sagen die da nicht, „Aha, wir sollen Euch also eine schöne Reise finanzieren?“

Continue reading ""Rückblickend ist es ja fast irrelevant, ob es eine glückliche oder eine unglückliche Reise war"" »

15jährige Mädchen in Berlin, und alles echt

prinzessinnenbad.jpg

"Prinzessinnenbad" von Bettina Blümner

Es ist Sommer in Kreuzberg. Mina, Klara und Tanutscha bewegen sich durch ihren Alltag. Sie tun das, was man mit 15 tut: sie telefonieren mit irgendwem, sie sitzen im Park, in der Kneipe, im Internetcafe, sie gehen zur Schule, sie arbeiten, sie sind unterwegs, sie hängen ab. Orte sind angefüllt, wenn man 15 ist.
Die untergehende Sonne eines heißen Sommertags beleuchtet den Strom der Autos am Kottbusser Tor. Die laute Musik dazu verstärkt die gute Laune im Kinosessel. Das ist das Leben, sagt der Film und ich glaube ihm. Dieser Dokumentarfilm macht Spaß.

Continue reading "15jährige Mädchen in Berlin, und alles echt" »

Warten auf Bob: Ein Stummfilm

Ist das Hollywood? Die Aufregung in der American Academy ist jedenfalls immens. Robert De Niro hat sich zum Plausch mit dem Academy-Gründungsmitglied Volker Schlöndorff angesagt. Also strömen die Aufgeregten, denen es noch gelungen eine Einladung zu ergattern. An der Anmeldung habe ich eine gelbes Kärtchen mit Schachbrettmuster erhalten, das mich leider in den Nebenraum mit Leinwand verbannt. Gut, De Niro auf der Leinwand ist ja nichts Schlechtes. Mit im Nebenraum eine ganze Rotte der schreibenden Zunft und etliche Zeitgenossen, die, wie ich messerscharf aus ihren Outfits folgere – schwarzer Anzug mit schwarzem Hemd oder schwarzem Rolli – Filmschaffende oder sonst wie Kreative sein müssen. Und richtig, Sie reden über Filmverleih, „haste die Gedeck gesehen“ und über ihre „neuen Projekte“. Sie sehen super aus, haben sich aber nicht wirklich was zu sagen.

Continue reading "Warten auf Bob: Ein Stummfilm" »

Im Wald und auf der Heide

lady_chatterly_ferran.jpg

"Lady Chatterley" von Pascal Ferran (Panorama)

In einen Film wie "Lady Chatterley" geht wohl fast jeder mit einer Erwartungshaltung, die auch von moralisch nicht vollkommen einwandfreien Motiven geprägt ist. Wer jedoch vor allem freizügige Sexscenen erwartet hatte, wurde herbe enttäuscht.

Continue reading "Im Wald und auf der Heide" »

Pictures of an Exhibition

Filmstill Wolfsbergen von Nanouk Leopold

"Wolfsbergen" von Nanouk Leopold (Forum)

Besser als Anne Leweke im Programmheft des Forums kann man „Wolfsbergen“ nicht beschreiben. Der Text kann hier nachgelesen werde. Für mich eine Überraschung und einer der schönsten Filme bisher. Die Gefühle der Hauptfiguren zum Leben, zu sich selbst und zueinander sind derart gut in Szene gesetzt, dass sich die Bilder nicht mehr bewegen müssen. Ein Filmstill hat die Kraft, eine Situation zu beschreiben. Man denkt, man sei in einer Ausstellung für moderne Fotografie und man möchte ein Bild am liebsten unbemerkt von der Kino-Leinwand abhängen und mitnehmen.

Clint-San klärt Amerika & Japan über einander auf

lettersfromiwo.jpg

"Letters from Iwo Jima" von Clint Eastwood (Wettbewerb / Ausser Konkurrenz)

Der zweite Teil dieses Pazifikkriegsepos beginnt, wo der erste Teil endete: in der Gegenwart: 60 Jahre nach Kriegsende. In einer Höhle werden Briefe von Soldaten gefunden, die damals auf der Insel Iwo Jima gekämpft haben und fast alle umkamen, inklusive des Generals, der die 20.000 Soldaten befehligt hat (ist wirklich so passiert). Ihre Verteidigung von Iwo Jima war ein Himmelfahrtskommando, denn gegenüber eine fast zehnfachen Übermacht der Amerikaner und ihrer gigantischen Militärmaschinerie war klar, die Japaner würden dort niemals gewinnen können. Und so waren am Ende nur 1000 Japaner noch am Leben - die Ehre sollte verteidigt werden, weil das Land längst verloren war - das geht selten gut aus....

Continue reading "Clint-San klärt Amerika & Japan über einander auf" »

Eine Kirche ist eine Kirche ist eine Kirche...

inmemoriadime.jpg

"In Memoria di me" von Saverio Costanzo (Wettbewerb)

Es wird im ganzen Film sehr bedächtig und sehr viel durch die langen Gänge des Priesterkonvents geschritten, in dem der ganze Film spielt. Außerdem wird viel geschwiegen, es finden etwa fünf Berührungen statt und alle reden wie eine Mischung aus Philosophen und Paul Coelho Leser – wenn sie reden, denn sehr viel passiert (offenbar) im Kopf der Figuren und dann in ihren Gesichtern.
Ein Besucher sagte nach dem Film, innere Monologe auf Leinwand abzubilden, ist immer langweilig. Langweilig trifft es nicht – dem Film fehlt es an Tiefe, obwohl er von den ganz großen Fragen des Lebens handelt...

Continue reading "Eine Kirche ist eine Kirche ist eine Kirche..." »

Auf den Coolness-Faktor kommt es an

don_forum.jpg

„Don“ von Farhan Akhtar

Er ist smart, er ist sexy, er ist der König der Gangster – er ist Don. Und weil wir uns im Universum von Bollywood befinden, wird der Boss himself natürlich von Shah Rukh Khan gespielt, dem indischen Filmstar schlechthin. Farhan Akhtars Forum-Film „Don“ hat zwar eine stolze Länge von fast drei Stunden, dass einem aber trotzdem nie langweilig wird, verdankt man einem rasanten Plot, der gespickt ist mit spannenden Fights, gut getimten Gags und einer bunten Bilderflut. Und wenn den Figuren danach ist, fangen sie einfach an zu singen und zu tanzen: Willkommen in Bollywood.

Continue reading "Auf den Coolness-Faktor kommt es an" »

Ein Ganove im Dienste der Nazis

faelscher.jpg

„Die Fälscher“ von Stefan Ruzowitzky (Wettbewerb)

Sally Sorowitsch ist ein Ganove – einer, der weiß, wie er sich durchschlagen muss im Vorkriegs-Berlin. Vorwiegend mit Fälscherein. Irgenwann einmal, so sagt er, hatte er auch Familie. In Russland. Irgend etwas ist passiert, damals,und seitdem spricht er kein russisch mehr. Wie dieser Sally, als Jude und Krimineller doppelt gebrandmarkt, dann im KZ Sachsenhausen zum Meisterfälscher im Dienste der Nazis wird, davon erzählt der deutsche Wettbewerbsbeitrag „Die Fälscher“ von Stefan Ruzowitzky.

Continue reading "Ein Ganove im Dienste der Nazis" »

Geheimagentin wider Willen

Fay_Grim.jpg

"Fay Grim" von Hal Hartley (Panorama)

Die Vorstellung, nach einer langen Beziehung zu entdecken, dass der eigene Partner doch nicht der Looser und Langweiler war, für den man ihn insgeheim immer hielt, ist durchaus reizvoll. Genau diese Entdeckung steht der amerikanischen Hausfrau Fay Grimm (Parker Posey) bevor, die durch eine Reihe von haarsträubenden Ereignissen erkennen muss, dass sie von ihrem angeblich toten Ehemann so gut wie gar nichts wusste.

Continue reading "Geheimagentin wider Willen" »

Die Reinheit des Handelns

no_regeret.jpg

"Huhwaehaji Anah" ("No regret") von Leesong Hee-il

Dieser Film erzählt eine archaische Liebesgeschichte zwischen einfachen, fast möchte ich sagen, reinen und damit unschuldigen Charakteren. Es ist eine einfache Geschichte über eine einfache, aber große Liebe.
Der arme, aber fröhliche Weise Su-min trifft auf den melancholischen Fabrikantensohn Jae-min. Ihre Liebe entwickelt sich unter großen Opfern und Anstrengungen gegen das gleichermaßen fundamentale wie unsichtbare Verbot einer Liebe zwischen Männern. (Dies ist nur ein Verbot gegen die Liebe, Sex zwischen Männern ist geduldet, vielleicht sogar erlaubt.)

Continue reading "Die Reinheit des Handelns" »

Zyklopen, SM und deutsches Kulturgut

dasepo_naughty_girls_korea.jpg

"Dasepo Sonyeo" ("Dasepo Naughty Girls") von E. J-Yong (Panorama)

“Virginity doesn’t pay”, sagt „Poverty Girl“ während sie auf ihren „Kunden” wartet. Als der aus der Dusche kommt, stellt er ihr noch ein paar Extra Scheine extra in Aussicht, wenn beide sein neues Toy ausprobieren. Das vibriert schon beim Auspacken.

Continue reading "Zyklopen, SM und deutsches Kulturgut" »

Woody Allens Traum wird wahr: Er ist eine französiche Frau

deux_jour_a_paris_julie_delpy.jpg

"Deux jours a Paris" von July Delpy (Panorama)

Die Referenzen an Woody Allen sind unübersehbar: Sie trägt eine unförmige schwarze Brille, und Er hat Kopfschmerzen und schon bei der Ankunft in Paris führen die beiden amüsante, über-analytische Dialoge über sich, die Liebe, das Land und das Leben im allgemeinen. Beide werden sich nicht bessern, aber genau das ist so toll, denn alle haben einen Hau: Ihre Eltern, irre und liebenswert, Jack ein phobischer Amerikaner, Marion eine neurotisch, sexuell gesteuerte und wunderbare Klischeefanzösin auf der Suche nach der großen Liebe. „It’s a cliché but it’s true!“, sagt auch Jack (was für eine amerikanischer Name!). Und darum geht es in "Deux jours a Paris" auch: Amerika - Frankreich, die beiden Geschwister des globalen Anspruchs auf kulturelle Führerschaft. ...

Continue reading "Woody Allens Traum wird wahr: Er ist eine französiche Frau" »

Bergsteiger der Herzen

blindsight.jpg

"Blindsight" von Lucy Walker (Panorama)

Eine Gruppe von blinden tibetanischen Kindern besteigt gemeinsam mit einem blinden US-Bergsteiger und ihrer blinden deutschen Betreuerin den Himalaya, die für ihr Projekt einer Blindenschule in Tibet auf der Berlinale mit dem „Mutter –Theresa-Preis“ ausgezeichnet wird – passt noch mehr Gutmenschentum in eine Kurzbeschreibung?
So weit das weit gefehlte Klischee...

Continue reading "Bergsteiger der Herzen" »

Lonely Planet Asia: Ich Reise, also bin ich NICHT ich

HotelVW.jpg

"Hotel Very Welcome" von Sonja Heiss (Perspektive Deutsches Kino)

Mein erster Film der diesjährigen Berlinale erwies sich als Glücksgriff: humorvoll, vielschichtig, eigenwillig und nicht gewollt oder verkünstelt, wie es Filmhochschulfilme manchmal sind.
„Hotel Very Welcome" spielt in Indien und Thailand. Wow - schöne Drehorte für einen Akademiearbeit denkt der Neidhammel - hat da jemand die Filmerei als Vorwand genommen, um zu reisen und versucht, mit exotischen Bildern eine schwache Geschichte zu kaschieren? Dieses Vorurteil wird vom Film schnell widerlegt. Es ist kein Reisefilm, sondern.....

Continue reading "Lonely Planet Asia: Ich Reise, also bin ich NICHT ich" »

Die spinnen die Amis....(aber einige nicht)

strange_culture.jpg

"Strange Culture" von Lynn Hershman Leeson (Panorama)

Die Regisseurin nannte zwei Gründe für die Titelwahl: Einmal die Bakterienkulturen, die Dr. Kurzt angelegte und die die ganze, kafkaeske Geschichte ausgelöst haben und dann die seltsamen Zeiten, in denen man in der US amerikanischen Kultur nach 9/11 lebt. Mir fällt noch eine Dritte "strange culture" ein, in die der Film Einblick gewährt: Die seit langem eher stille und fast vergessene HÄLFTE der eher linksliberalen Amerikaner. Sie besteht in diesem Film aus einer kulturellen Minderheit aus Uni Profs, Künstlern und Museumskuratoren, die Kurzt in diesem zum Himmel stinkenden Fall von Justiz-Tollwut unterstützen....

Continue reading "Die spinnen die Amis....(aber einige nicht)" »

Marburg! oder: Stadt als Beute

Gestern Abend, kurz nach Mitternacht in einem Cafe in Prenzlauer Berg. Weit entfernt von allen Berlinalespielorten. Es wird kalt. Ein heruntergekommener Mann hält die Eingangstür offen ohne herein zu kommen, wirft feindselige Blicke nach drinnen. "So habt ihr euch das wohl gedacht?" ruft er ins Cafe und sofort eilt eine Bedienung herbei, um die Ordnung wieder herzustellen. Aber dieser Mann ist noch nicht fertig. "Hier sitzt es also, das Berlinale-Pack" fährt er uns an. "Ihr geht doch alle vor die Hunde. Die ganze Demokratie geht vor die Hunde" bellt er in den inzwischen eisigen Raum. Dann hat die Bedienung es geschafft und ihn aus dem Eingang heraus bugsiert. Im Weggehen dreht er sich noch einmal um und wirft uns trotzig hinterher: "Übrigens, ich bin aus Marburg!"

Angry

pas_douce_walz.jpg

"Pas Douce" ("A Parting Shot") von Jeanne Waltz

Wut im Bauch. Am helllichten Tag auf dem Fahrrad Gin trinken. Dann einfach in den kalten See fahren. Das Fahrrad wieder herausschieben. Seine Sachen in einen Müllsack packen. Einfach nur weg. Sein Gewehr nehmen und in den Wald gehen. Den Gewehrlauf an den Hals halten.

Continue reading "Angry" »

Casablanca und Der Dritte Mann - als Tofuversion

good_german_soderberg.jpg

"The Good German" von Steven Soderbergh (Wettbewerb)

Was ist dieser Film? Ein Krimi, ein Remake, eine Hommage, eine Neuinterpetation, ein bloßes Nachäffen? Keine Ahnung. Von allem etwas vermutlich. Durchaus gelungen die Wiedergeburt eines 40er Jahre Thrillers direkt am Anfang, mit der pompösen Musik als Aufmacher, den wackeligen Bildern, die zackige Einführung der Charaktere und sogar ein wenig Esprit in den Dialogen. Aber warum überhaupt der Aufwand, einen Film zu machen, der wie in den 40ern gemacht aussieht? Das hab ich bis zum Ende nicht begriffen ....

Continue reading "Casablanca und Der Dritte Mann - als Tofuversion" »

Wenn es nur um's Überleben geht

killer_of_sheep_burnett.jpg

"Killer of Sheep" von Charles Burnett (Forum)

Bevor der Film auf der Leinwand läuft, läuft schon ein Film im Kopf ab. Dieser Film im Kopf kommt mit wenigen Infos aus und bewegt sich in erschreckend stereotypen Bahnen. Wenn also das Berlinale Heftchen schreibt, dass Charles Burnetts „Killer of Sheep“ aus dem Jahr 1977 „aus dem schwarzen Milieu von Los Angeles erzählt“, wird im Kopf ein Blaxploitation-Video mit coolen Brothers und fiesen Cops eingeworfen oder als Alternative das Sozialdrama komplett mit Unterdrückung, Ausbeutung und dem heroischen Kampf gegen die soziale Marginalisierung. Burnett hat vor 30 Jahren etwas völlig anderes gemacht: Er hat einen stillen, einfühlsamen Film gedreht, der in einem quasi-dokumentatorischen Stil das Leben eines Schlachthofarbeiters, seiner Familie und seiner Freunde in Alltagsszenen erzählt. Als Special Screening eröffnete der Film, der vor 26 Jahren schon einmal auf der Berlinale lief, in diesem Jahr das Forum.

Continue reading "Wenn es nur um's Überleben geht" »

Liebe im Edo-Zeitalter

love_and_honor_yamada.jpg

"Bushi no Ichibun" ("Love and Honore) von Yoji Yamada

Jeden Tag das beste Essen vorgesetzt zu bekommen, ein Traum? Für Shinnojo ist es real, auch wenn er diesem Umstand nichts abgewinnen kann. Der Samurai ist am Hof des Clanfürsten als Vorkoster angestellt. Vier Samurai sitzen in einem Raum hinter der Küche. Vier Schälchen werden hereingetragen. Auf Kommando müssen die Samurai probieren. Wenn sie nach einer Minute noch nicht umgefallen sind, war das Essen nicht vergiftet. Dann darf es zu seiner Lordschaft getragen werden.

Continue reading "Liebe im Edo-Zeitalter" »

Die Sache mit der Mütze

Was besonders viel Spaß auf der Berlinale macht ist ja bekanntlich das Stars-Watching. Eine recht gute Gelegenheit bietet sich dafür während der Pressevorführungen im Wettbewerb, wo die Jury nett aufgereiht und gut sichtbar mitten im Publikum sitzt. Da kann man dann beobachten, dass die Damen viel pünktlicher sind als die Herren und auch sichtlich ausgeschlafener wirken. Es war weiterhin zu beobachten, dass Gael Garcia Bernal offenbar einen Zwang zur Kopfbedeckung in der Öffentlichkeit hat. Zog er sich nach der 9-Uhr-Vorstellung noch flugs einen Schal über den Kopf, kam er dann zur Nachmittags-Vorstellung schon ganz professionell mit Indio-Strickmützchen in den Kinosaal. Das blieb dann auch während des gesamten Films auf dem Kopp. Ehrlicherweise müssen wir dabei zugeben, dass Herr Bernal selbst mit lächerlichem Mützchen hinreißend aussieht...

Fußball, Ferien und Moses im Schilf

the_Year_my_Parents_went_on_vacation.jpg

„O ano em que meus pais sairam de férias“ („The Year my Parents went on vacation“) von Cao Hamburger (Wettbewerb)

Brasilien 1970. Es herrscht eine Militärdiktatur und in Mexiko bereiten sich die Mannschaften auf die Fußball-Weltmeisterschaft vor. Der 12-jährige Mauro fiebert mit seinen Helden mit, übt sich im Tischfußball und kann es kaum erwarten, das die WM beginnt. Da eröffnen ihm seine Eltern, dass sie für unbestimmte Zeit „in Urlaub“ fahren müssen. Mauro soll unterdessen beim Großvater wohnen. Cao Hamburgers „O ano em que meus pais sairam de férias“ verknüpft die politischen Ereignisse dieses Jahres geschickt mit dem gesellschaftlichen Ereignis Nummer Eins aus der Sicht eines kleinen Jungen.

Continue reading "Fußball, Ferien und Moses im Schilf" »

Planet Hyatt: Schreien und blechen

Der leicht hysterische Berlinale-Irrsinn - wir sind cool, kreativ, tragen seltsame Brillen und reden alle in einer Art hyperrealer babylonischer Sprachverwirrung durcheinander - kommt auch 2007 in der Lobby des Hyatt wieder zur vollen Entfaltung. Die Langhaarige im Sessel gegenüber textet mit etwa 103 Dezibel in einer vermutlich osteuropäischen Sprache auf ihren Begleiter ein, während die drei asiatischen Herren am Nebentisch nicht minder laut dafür aber in einem deutlich höheren Frequenzbereich miteinander kommunizieren. Akustisch erinnert die Lobby an eine Viehauktion. Dann bricht die Langhaarige jäh ab. Hat Sie die Stimme verloren? Nein. Sie hat festgestellt, dass ihr Latte Macchiato 6 Euro kostet.

Ein Herz für die Berlinale...

..hat auch unser Freund und Helfer. Am Seiteneingang vom Hyatt steht ein Polizist. Er muss dafür sorgen, dass wild gewordene Berliner Robert De Niro und Cate Blanchet nicht zu nah kommen. Stolz hält er eine noch eingeschweißte Berlinale Tasche in den Händen. Die sind dieses Jahr Lila. Passt unheimlich gut zur grünen Polizeiuniform.

Der Anti-Forrest Gump: Die 60er vom Rand her gesehen

four_friends.jpg

"Four Friends" (1981) von Arthur Penn (Hommage)

Irgendwann war es klar: die Macher des schrecklichen „Forrest Gump" haben diesen wirklich schönen Film von Arthur Penn gesehen und sich gedacht, wie wäre es, wenn wir einen Film machen, in dem eine Figur nicht nur die Aufs und Abs der 60er erlebt, sondern gleich die ganze zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts durchschreitet. Und dann ist der Typ noch ein bisschen dämlich, herzensgut und in allen Momenten der jüngeren amerikanischen Geschichte zugegen. Oh boy....

In Penns Film dagegen erleben wir, wie das Leben zu allen Zeiten für die Allermeisten ist: Man lebt am Rande der Geschichte, nimmt die großen Geschehnisse mehr oder minder wahr, nimmt manchmal sogar ein wenig teil, aber ist die meiste Zeit viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um Geschichte zu machen.....

Continue reading "Der Anti-Forrest Gump: Die 60er vom Rand her gesehen" »

Berlinale Verwirrung (1)

berlinaleverwirrung.jpg

Es ist wieder Berlinale.
Ich bin wieder verwirrt.
Ich kann mich wieder nicht entscheiden.
Es ist ganz wunderbar...

Von Von BallaBalla Tokio nach Helau-Stuttgart in 5 Minuten

99029_p1.jpg

Forum: "Ichijiku no kao - Faces of a Fig Tree" von Mamoi Kaori

Das Geheimnis, wie ich nur fünf Minuten von der Berlinale entfernt, fast in eine Pollonese geraten wäre, aber stattdessen Spätzle mit Linsen und Rothaus Pils bekam, während fette Funkenmariechen neben mir gesungen haben, lüfte ich später.
Zunächst zum Film, der ähnlich gaga war, wie die Jecken aus Baden-Württemberg, auf die ich später treffen durfte.

"Ichijuku no kao" fängt toll an: Abendessen bei Familie Kadowaki: ein nur raunender und nöhlender Vater der Tintenfisch Innereien futtert und dazu raucht, eine Tochter, die nur "Mmh" zu allem macht, ein Sohn der gar nichts macht und eine Mutter, die sich raubeinige Wortgefechte über's Bier mit dem Vater liefert, der den Fernseher auch mit dem Hinterkopf sehen kann. Das ganze in dem Innenhof eines traditionellen japanischen Hauses, der so beleuchtet wird, als sei die Familie in ein Terrarium geraten und Teil eines Arrangements, von Kunstlicht beleuchtet und hinter Glas....

Continue reading "Von Von BallaBalla Tokio nach Helau-Stuttgart in 5 Minuten" »

Wo Frikadellen noch Buletten heißen

jagdhunde.jpg

"Jagdhunde" von Anne-Kristin Reyels (Forum)

Ein schöner Film, der die Irrungen und Wirrungen einer Berliner Familie im Mecklenburger Exil zeigt

Wenn Berliner nach Mecklenburg-Vorpommern ziehen, dann kann es schon mal vorkommen, dass sie sich wundern. „Du Papa, wie lange dauert das denn, bis die anfangen mit uns zu reden?“, fragt der Teenager Lars denn auch seinen Papa. Der weiß das auch nicht so genau, baut aber trotzdem fleißig weiter an seiner „Hochzeitsscheune“ und wartet halt mal ab, wie sich das mit den verschrobenen Dorfbewohnern so entwickelt. Anne-Kristin Reyels „Jagdhunde“ ist ein Film der leisen Töne, in dem eigentlich tragische Situationen mit einem ganz feinen Humor dargestellt werden. Und der ist nicht zuletzt dem begnadeten Josef Hader zu verdanken, der hier den Loser-Papa im ostdeutschen Exil gibt.

Continue reading "Wo Frikadellen noch Buletten heißen" »

Noch einmal sehen

ad_lib_night_lee_yong_ki.jpg

"Aju teukbyeolhan sonnim" ("Ad Lib Night") von Lee Yoon-ki (Forum)

Wenn der Vater oder die Mutter im Sterben liegen und Tochter oder Sohn lange verschollen sind, dann wünschen sich nicht nur die Eltern sondern auch Verwandte und Freunde, das verlorene Kind möge noch einmal nach Hause zurückkehren. Zwei junge Männer suchen bereits seit einem Monat nach der Tochter eines im Sterben Liegenden. Seit zehn Jahren ist sie verschollen. Plötzlich, auf einem Platz mitten in Seoul, glauben sie die Tochter zu erkennen.

Continue reading "Noch einmal sehen" »

Der Rohrspatz von Paris

lavieenrose1.jpg

"La Mome - La vie en rose" von Olivier Dahan (Wettbewerb)

Was kann die schimpfen!! Eine echte Berliner Schnauze hat die gute Edith! Ein vulgärer Rohspatz mit einer Stimme, die Wände wackeln lässt - wenn sie schimpft und wenn sie singt. „La vie en rose“ überrascht aber noch mehr, denn es ist kein „Biopic“ geworden. Obwohl ihr Leben genug Material für 10 Filme bietet und an das von Ikonen wie Johnny Cash oder Charly Parker erinnert, die ebenfalls zwischen Musik, Genie, Suff, Drogen, Exzessen und Exzentrik wankten und deren Leben erfolgreich als Biopic verfilmt wurde. Dieser Film ist anders....

Continue reading "Der Rohrspatz von Paris" »

Vorstellung der Jury

jury.jpg

Es ist schon eine tolle Jury. Wann hat man schon einmal Mario Adorf, Willem Dafoe und Gael Garcia Bernal zusammen auf einem Podium sitzen. Die PK verlief locker und artig. Paul Schrader glaubt, dass es keine Probleme geben wird, da sich bisher noch kein Nörgler in der Riege geoutet hätte. Ardorf gibt väterliche Ratschläge an die junge Schauspieler wie Moritz Bleibtreu, die plötzlich in internationalen Produktionen spielen ("Verliert nicht den Kontakt zu Eurem Heimatland") und die anderen Jurymitglieder beantworten brav Fragen der Journalisten zu ihren Herkunftsländern. Beim Preis für die beste Jury sind die Sieben auf jeden Fall heiße Anwärter.

Koreanische Filme im Berlinale Programm

Das koreanische Kino bekommt immer mehr internationale Aufmerksamkeit. Während letztes Jahr die „kleinen“ A-Festivals in Locarno und San Sebastian in der deutschen Presse beinahe ignoriert wurden, war die Kritik vom Filmfestival in Pusan gerade zu entzückt. Kein Wunder also, dass sich dieses auch in der diesjährigen Berlinale widerspiegelt. Mit neun Filmen ist Korea wesentlich stärker vertreten als der ehemalige Berlinale-Liebling Hongkong mit 4 Filmen.

Continue reading "Koreanische Filme im Berlinale Programm" »

Berlinale Luft

Über dem Marlene-Dietrich Platz scheint die Sonne. Im Berlinale Palast schweben Männer mit Helmen an Seilen durch den Raum, während draußen ein Mann von der Organisation die Fotografen anschreit, sie sollen ihre mit Namen versehenen Klebestreifen neben dem Holzpodest, auf dem morgen der Rote Teppich ausgerollt wird, entfernen.

Ein unbeschreiblich, schönes Gefühl.

Retrospektive: Nicht ohne meine Zigarettenspitze

lady_windermere.jpg

Kesser Augenaufschlag, frecher Bubikopf, und ganz selbstverständlich in der Öffentlichkeit rauchen: In den 10er und 20er Jahren des Zwanzigsten Jahrhunderts trat mit einem Paukenschlag ein neuer Frauentypus in Erscheinung, der zugleich Glamour und Emanzipation versprach. Unabhängig und lebenslustig präsentierte sich die neue Frau in ihrer natürlichen Umgebung – der Großstadt. Larger than life konnte man diese City Girls auf der Kinoleinwand bewundern, wo sie als Projektionsfläche für die Sehnsüchte all jener Kinobesucherinnen dienten, die sich nicht unbedingt einen so flamboyanten Lebensstil wie ihre Celluloid-Idole leisten konnten. Auf der diesjährigen Berlinale widmet sich die Retrospektive dem Thema „City Girls“ mit einer Reihe von Stummfilmschätzen, in denen dieser neue Frauentypus wieder zum Leben erweckt wird.

Continue reading "Retrospektive: Nicht ohne meine Zigarettenspitze" »

Damals in der Factory

Die 60er Jahre sind ein stummer schwarzweiss Film, überbelichtet und mit seltsamen Kameraschwenks. Wer dieses Bild vor Augen hat, dessen Erinnerung bezieht sich irgendwie auf die Filme, die in und um die Factory von Andy Warhol entstanden sind – in diesem legendenumwobenen Laboratorium für Underground Kultur.

Continue reading "Damals in der Factory" »

„Dynamik erzeugt man nicht durch Harmonie“

Ein Interview mit dem Leiter des Panorama, Wieland Speck

Wieland Speck ist seit 15 Jahren Leiter der Berlinale-Sektion Panorama und ist damit der dienstälteste unter den Sektionsleitern. Müde wirkt er allerdings nicht: im Gegenteil, freundlich, aufmerksam und energiegeladen sitzt er seinen Interviewpartnern gegenüber. Speck ist selbst Filmemacher und hat den schwul-lesbischen Teddy-Award der Panorama-Reihe mit initiiert. Unter seiner Regie bekommt das in Panorama Hauptprogramm, Dokumente und Special aufgesplittete Programm Jahr für Jahr ein klares Profil.

Wieland Speck

Herr Speck, wenn sie auf die vergangenen 15 Jahre zurückblicken. Was ist Ihnen da gelungen?

Das wichtigste was gelungen ist, das ist die Zusammenarbeit mit dem Berliner Publikum. Ich kann es wagen, die kompliziertesten Filme zu zeigen und kriege die Unterstützung des Stadtpublikums. Das ist es, was mich absolut motorisiert. Die Herausforderung mit den Berlinern war immer schon etwas Besonderes. In Berlin werden Filme nicht einfach gefeiert. Du brauchst Inhalte, ästhetisch anspruchsvolle Ansätze, etwas Grenzen Ausweitendes oder Überschreitendes. Natürlich haben wir hier auch die ganze Profiliga, die letztlich das Gefällige sucht. Die fragt sich, wie kann ich mit einem Film, der gut funktioniert, einen Markt bestücken. Über die Filme, die ich habe, können die jeweils etwas erschrocken sein, aber sie merken, dieser Film wird von einem Stadtpublikum unterstützt. Das hat sich in den Köpfen der Filmwirtschaft festgesetzt. Sie wissen, dass sie hier in Berlin die eckigeren Filme zu sehen bekommen und freuen sich auch darauf.

Continue reading "„Dynamik erzeugt man nicht durch Harmonie“" »