Lonely Planet Asia: Ich Reise, also bin ich NICHT ich

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"Hotel Very Welcome" von Sonja Heiss (Perspektive Deutsches Kino)

Mein erster Film der diesjährigen Berlinale erwies sich als Glücksgriff: humorvoll, vielschichtig, eigenwillig und nicht gewollt oder verkünstelt, wie es Filmhochschulfilme manchmal sind.
„Hotel Very Welcome" spielt in Indien und Thailand. Wow - schöne Drehorte für einen Akademiearbeit denkt der Neidhammel - hat da jemand die Filmerei als Vorwand genommen, um zu reisen und versucht, mit exotischen Bildern eine schwache Geschichte zu kaschieren? Dieses Vorurteil wird vom Film schnell widerlegt. Es ist kein Reisefilm, sondern.....

....ein Film über die Unfähigkeit im Reisen sich selbst oder seinen Problemen zu entkommen und darüber, dass in der Fremde allerhöchstens der Blick auf das, was man selbst ist, geschärft wird - die anderen, die Locals, das Land das ist nicht selten nur Hintergrund.
Die Entwicklung aus Ankommen, Fremdsein, Gewöhnung, Krise und dann Abreise führt „Hotel Very Welcome" in einer ganz und gar unaufdringlichen Art und Weise vor, in großartigen Dialogen, skurrilen Szenen und klasse Darstellern - quasi Prototypen von Backpackern, die jeder, der schon mal so unterwegs war, in irgendeinem Hostel in Spanien, Thailand oder sonstwo in der "Lonely Planet Welt" kennengelernt hat.

Die Ausbildung der Regisseurin Sonja Heiss als Dokumentarfilmerin ist vor allem in der angenehm zurückhaltenden Bildsprache zu spüren, den Settings in Hotel, Touristenstraßen und Orten, die einem in ihrer Austauschbarkeit aber auch Realitätsnähe seltsam vertraut vorkommen. Dokumentarisch ist auch ihre Fähigkeit dass sich Gesichte und Schauspieler hervorragend in die gewählte Umgebung einpassen, irgendwie dahin gehören und doch nicht dahin passen - ein echtes Paradox.
Das ist zum einen Marion (Eva Löbau) aus Deutschland, die aus der gemeinsamen Wohnung mit ihrem Freund geflüchtet ist, um in einem indischen Yoga/New-Age-Camp zu sich zu kommen (was immer das auch heißt). Dann die beiden englischen Kumpel Josh (Ricky Champ) und Adam (Gareth Llewelyn), die es in Thailand einfach krachen lassen wollen, sich aber je länger sie zusammen sind, zunehmend auf die Nerven gehen. Als dritte Figur die deutsche Weltreisende Svenja (Svenja Steinfelder), die in Bangkok gestrandet ist, weil sie ihr Flugzeug verpasst hat und in aberwitzigen Telefongesprächen dem Telefonisten eines Reisebüros näher zu kommen scheint, ihr Hotel dabei nur ein einziges Mal verlässt. Und schließlich der überaus sympathische Ire Liam (Chris O'Dowd), der vor Vaterpflichten aus einem One-Night Stand nach Indien geflohen ist, viel kifft und sich treiben lässt, eigentlich ein paar Monate bleiben will.

„Hotel Very Welcome" zeigt die ganze Bandbreite interkultureller Missverständnisse, Probleme und Absurditäten dieser zwischen Weltflucht und Selbstsucht pendelnden Figuren. Sie begegnen immer nur sich selbst in der Fremde und können lange mit dieser Begegnung nichts anfangen.

Die vier Geschichten bewegen sich entweder am Rande oder etwas mehr im Innern der fremden Kultur (keiner wirklich darin). Recht weit außerhalb stehen gewiss die beiden Engländer Josh und Adam, die zu ElektroBumBum am Strand irgendwo in Thailand feiern - total breit, zusammen mit der bekannten Traveller-Mischung ewiger Hippies, Backpacker, Partymonster und verlorene Seelen. Man trifft die gleichen Leute auch auf Ibiza und jedem anderen Party-Ferienziel, wo die immer gleiche Art europäisch/nordamerikanischer Rucksackschlepper meint, auf einer Reise zu sein und doch nur einen Sauf- und Spaßurlaub in minimal anderer Umgebung (Sonne, Essen, Hintergrund) macht. Die beiden Kumpels gehen sich trotz Alkohol, Drogen und Strand zunehmend auf die Nerven und driften auseinander - klassischer Fall von Reisekoller: man lernt Freunde auf so einem Trip manchmal so gut kennen, dass die Freundschaft danach zu Ende ist - jedenfalls eine Pause braucht.

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Auch Marion in ihrem New Age Camp voller Sinnsucher, die Derwischtanzkurse belegen oder Yogaübungen machen, bekommt von Indien zunächst nur die Fahrt zum Camp mit, wo sie dann in der riesigen „Energiepyramide" gemeinsam mit den anderen harmlosen Irren singt und tanzt und lernen soll „sich selbst zu lieben" - als wenn das das Problem all dieser Glücks-Egomanen wäre!
Marion liegt nach diesen Lebenssinn-Krabbelgruppen am Pool, ist verstört über „die Inder" die Geld von ihr wollen, wenn sie sich mit ihnen unterhält, und analysiert küchenpsychologisch („Ich glaub ich hab mich einfach ein Stück weiterentwickelt und etwas in ihm sperrt sich gegen diese Entwicklung...") die Beziehung, vor der sie davonläuft. Zwischendurch führt sie aber Telefonate mit ihrem Freund - erst ihre Trennung auf Zeit selbstsicher verteidigend („Das tut mir gut jetzt") allmählich wieder mit Verlustangst („Ich kann dich auch auf dem Handy anrufen!") und Heulanfällen reagierend.
In dem Camp ist eine bunte Ansammlung spirituell Obdachloser aus aller Welt vereint und bleibt schön unter sich.

Der Ire Liam wagt sich weiter hinein in die fremde Kultur und macht irgendwann eine Wüstentour mit einem Guide, denkt darüber nach in Indien zu bleiben (lacht aber über seine Idee), führt am nächtlichen Feuer Gespräche mit dem Mann (soweit Verständnis überhaupt möglich ist). Liam verliert nie seinen Humor und keinen Gedanken daran, was sein wird, wenn er nach Haus fährt. Er ist auf eine schöne Art immer er selbst, ob im stickigen Zug, im Stau, im schäbigen Hotel, unterwegs in der Wüste oder später in Goa mit einem Haufen zur Gitarre singender Dreadlocktypen und hübscher Hippie-Frauen. Er kifft zwar viel, aber nicht genug, dass es ihn kalt läßt, als er erfährt, welchen Namen sein neugeborener Sohn von der Mutter verpasst bekommt. Er beschließt früher Heim zu kehren als geplant, verpasst - verbimmelt wie er ist - natürlich seinen Flug und trifft in Bombay die inzwischen dort auch gestrandete Yoga-Deutsche Marion - Ende offen.

Auch Svenja, die Deutsche in Bangkok, die zunehmend Gefallen an den surrealen Telefongesprächen mit dem Thailänder gefunden hat und sich sogar mit dem Mann am anderen Ende der Telefonleitung treffen wollte, hat es schließlich geschafft, einen Flug zu buchen und muss sich von ihrem weinenden Telefonfreund, dessen Englisch immer mehr außer Kontrolle gerät, verabschieden. Auf dem letzten Gang durch Bangkok sehen wir auch die beiden Engländer durch das Einkaufsviertel streifen - ein echter Episodenfilmmoment: die Figuren begegnen sich, aber lernen einander wohl nicht mehr kennen.

Ich wiederhole mich gern: "Hotel Very Welcome" ist ein sehr witziger, sehr klug beobachteter Film mit klasse Darstellern, dessen größte Leistung es war, KEIN Fernweh zu wecken. Vor allem deshalb nicht, weil man wie die meisten Figuren im Film kaum etwas von den beiden Ländern zu sehen bekommt und lediglich den meisten Charakteren dabei zusieht, wie sie NICHT reisen, um Fremdes kennenzulernen, sondern darüber selbst lachend (Liam) oder heulend (Marion), der irren Idee anhängen, man könnte sich auf so eine Trip selbst finden oder verlieren, beziehungsweise die Problem einfach hinter sich lassen.
Die anderen drei Asienbesucher wollen nicht mal das. Sie haben offenbar gar kein Interesse an dem Land (wie Svenja, die kaum das Hotel verlässt oder die beiden Engländer, die beim einzigen Ausflug weg von der Partyzone auch wieder nur ans Vögeln denken). Und doch nehmen auch sie ein paar Erkenntnisse mit nach Haus, die aber mehr über sie verraten, als über das Land, in dem sie gewesen sind.

Fernweh schafft er also nicht, aber Lust macht der Film, einen Abend mit den fünf Figuren abzuhängen und sich ihre seltsamen Geschichten anzuhören: mit Liam vielleicht bei einem Guinness in Limmericks über indische Transportmittel sprechen oder mit Adam und Joshua in Liverpool nach einem Fußballspiel ihre thailändischen Drogentrips aufarbeiten, mit Marion in einer Nicht-Raucher-Vegetarier Kneipe in Freiburg über "Das Ich an Sich" sprechen oder mit Svenja im Biegarten, zwei Maß vor sich, zuhören, wie sie das irre Englisch des Thais nachmacht.

Kommentare ( 1 )

Den Film würd ich mir ja wirklich gerne mal ansehen. Vor etwa 2 Jahren wurden wir (Judith, Leng und ich) in Thailand angesprochen, ob wir nicht Lust hätten, n bisl mit den Engländern zu quatschen. Ich weiß nicht, ob die Szene überhaupt zu sehen ist, jedenfalls fänd ichs interessant den ganzen fIlm zu sehen- das Konzept des Films an sich fand ich schon damals gut.

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Titel

Orignaltitel

Hotel Very Welcome

Credits

Regisseur

Sonja Heiss

Schauspieler

Ricky Champ

Gareth Llewelyn

Eva Löbau

Chris O’Dowd

Sevenja Steinfelder

Land

Flagge DeutschlandDeutschland

Jahr

2007

Dauer

90 min.

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