Gottesfurcht auf Abwegen

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"Takva - A Man's Fear of God" von Özer Kiziltan (Panorama)

Der tiefgläubige Hausdiener Muharrem führt ein bescheidenes, gottesfürchtiges Leben in Istanbul. Doch bald gerät es durch höhere Mächte durcheinander. Nachts wird er von ganz und gar unreinen Phantasien heimgesucht: solche, nach denen er seine Hose waschen und den Körper reinigen muss. Entsetzt von der Macht, die er nicht kontrollieren kann, gerät er in einen schweren Gewissenskonflikt, als der Scheich seiner Sufi-Bruderschaft ihn als Verwalter einsetzen möchte.

Denn der Meister der Derwische sieht in Muharrem einen vorbildlichen Gläubigen. Dank seiner Abgewandheit von allem Irdischen soll er das Vermögen des Sufi-Ordens verwalten und die Steuern eintreiben. Als der Scheich ihm sein Vertrauen ausspricht und dies mit religiösen Formeln beschließt, treibt es Muharrem angesichts seiner Träume den Angstschweiß auf die Stirn: „Denn Gott der Allmächtige ist allwissend, er sieht alles.“

Als Verwalter mit neuem Handy, eigenem Wagen mit Chauffeur und modernen Anzügen ausgestattet, wird ihm ungewohnter Respekt entgegen gebracht. Überfordert in der neuen Rolle verfolgen ihn weiterhin sexuelle Phantasien mit ziemlich lasziven, langbeinigen Protagonistinnen. Der soziale Aufstieg und der ihm überall entgegen gebrachte Respekt verändern ihn. Während sein Orden die Welt der religiösen Dogmen recht pragmatisch interpretiert, solange dies dem Wohl der Bruderschaft dient, will Muharrem zunächst an seinen rigorosen Grundsätzen festhalten. Die Steuergelder eines Mannes, der Alkohol trinkt will er noch ablehnen. Doch entsetzt muss er feststellen, wie er selbst der Macht des Geldes nachgibt und sich bestechen lässt. Verzweifelt und von Visionen verfolgt irrt er durch die schneebedeckten Straßen Istanbuls, auf der Suche nach seiner verlorenen Unschuld.

„Takva“ ist ein überzeugender Film, der weniger den Islam in den Blick nimmt, als die Macht eines Glaubenssystems und die Ansprüche des Einzelnen an sich selbst. Moral als gesellschaftlicher und religiöser Maßstab ist ein relativer Wert, den die Gemeinschaft vorgibt, aber der einzelne Mensch für sich selbst bestimmen muss. Muharrem sucht eine Reinheit und Aufrichtigkeit die übermenschlich ist. Und wer an sich selbst solche Maßstäbe anlegt, steht nicht nur in der Religion auf verlorenem Posten, sondern in der Welt, die dann zwangsläufig aus den Fugen geraten muss.

Kommentare ( 3 )

Toll waren auch die Bilder aus Istanbul im Winter, die jeder Romantik entbehren und eine Stadt jenseits der Blauen Moschee / Hagia Sophia Klischees zeigen.

Der gute Mann ist, wäre er kein Muslim, päpstlicher als der Papst. Das geht gut so lang er im Laden Säcke schleppt und ansonsten meist allein ist oder zum Beten geht. Ihn verwirren nur seine feuchten Träume. Aber dann muss er raus in die Welt, Menschen sehen, die in ihm nicht mehr nur sehen, was er ist, sondern auch, was er repräsentiert (einen mächtigen Orden), die Leute wollen etwas von ihm und benutzen ihn. Er verliert seine Autonomie, um so mehr seine Macht wächst.

Man merkt dem Film an, dass Drehbuchautor und Regisseur die Orden nicht verunglimpfen wollten (der Vater des Autoren war in solch einem Orden), sondern Faszination zeigen, die vom Sufismus ausgeht und von der Autorität. Aber anhand des Schicksals dieses einen Mannes zeigt er auch die Schwierigkeiten, die entstehen, wenn man in der Welt leben muss, sich aber am liebsten nur um sich selbst und um rein spirituelle Belange kümmern würde. Denn Muharrem, der in beiden Welt lebt, kommt deshalb ins Trudeln. Toller Film und beeindruckende Darsteller, für mich einer der Besten im Panorama!

bin gespannt wie und ob der film in der türkei laufen wird

er gehörte zu den 10 erfolgreichsten Filmen Ende letzten Jahres in der Türkei: viertel Millionen Zuschauer...

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Titel

Orignaltitel

Takva

Englischer Titel

Takva - A Man

Credits

Regisseur

Özer Kiziltan

Schauspieler

Erkan Can

Murat Cemcir

Güven Kiraç

Öznur Kula

Erman Saban

Settar Tanriögen

Meray Uelgen

Land

Flagge DeutschlandDeutschland

Flagge TürkeiTürkei

Jahr

2000

Dauer

96 min.

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