Wenn ein Mann im Wald und so weiter

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"When a man falls in the forest" von Ryan Eslinger (Wettbewerb)

„Das Leben besteht nicht aus großen Geschichten“, sagt eine mir unbekannte Berlinalebesucherin beim Rausgehen, und da schwingt hörbar Anerkennung mit. Ihr Begleiter hatte wohl gerade ebensolche großen Geschichten vermisst. Keine großen Geschichten? Und das in einem Film mit Sharon Stone? Wunderbar.

Große Geschichten sind das wirklich nicht, welche die Hauptpersonen aus diesem Film hergeben: Da sind Gary und Karen (unspektakulär aber präzise gespielt von Sharon Stone), ein kaputtes Paar, das schon lange nicht mehr reden kann, da ist der Mann der seine Beteiligung bei einem Jahre zurückliegenden tödlichen Autounfall nicht verarbeiten kann, und schließlich Bill, der pathologische Einzelgänger, der einsame Freak, der alles tut um den Menschen aus dem Weg zu gehen. Bill wird gespielt von Dylan Baker, und wer einmal den Film Happiness gesehen hat, weiß was für ein Talent der Mann für gestörte Charaktere der besonderen Art hat. So rechnet man auch damit, dass er irgendwann damit beginnt, wie in Happiness sehr dunkle Seiten zu entwickeln. Aber im Film passiert nichts dergleichen, die Charaktere verwalten den Alltag ihrer Existenz und die Erinnerung an das, was sie mal waren, oder auch nicht. Die drei Männer verbindet einzig ihre gemeinsame Schulzeit in irgendeiner gottverdammten Kleinstadt-Highschool.

Dass Bill mit seiner Riesenbrille schon damals der Obernerd und Außenseiter war versteht sich von selbst. Und sein Job als Nachthausmeister und Putzkraft eignet sich recht gut, um den Menschen aus dem Weg zu gehen: Wenn er mit dröhnenden Staubsauger durchs Büro schleicht und gleichzeitig lautstark Opern über seine Kopfhörer schallen, ist die Umgebung Lichtjahre entfernt.

Als er seine Nachbarin, die ständig von ihrem Ehemann verprügelt wird, in einem seltenen Anflug von Zwischenmenschlichkeit anspricht (Blick und Stimme tief gesenkt, versteht sich) ist sie verdutzt: „I didn’t even know that you exist.“ Und Gary wirft ihm vor, er sei in seiner ganzen Verschrobenheit doch nur eine einzige Show, irgendwie nicht wirklich real. Tatsächlich fragt man sich bei allen Charakteren, was ihre Existenz überhaupt noch ausmacht, und das scheinen sie sich auch selbst zu fragen. Sie haben alle den Glauben an sich verloren, und die Versuche ihn zurückzuholen scheitern. Gary versucht seine Ehe zu retten, indem er einen grandiosen Liebeserklärungswasserfall auf den Anrufbeantworter von Karen spricht, aber sie löscht ihn ohne hinzuhören. Wie hieß die Überschrift zu einer anderen festivalblog-Kritik so treffend: Ein glückliches Leben ist möglich, aber unwahrscheinlch.

Das jede Existenz, wenn man sie denn überhaupt bereit ist anzunehmen, recht vergänglich ist wird klar, als Gary in einen Raubüberfall gerät. Gib dein Portemonnaie, sagt der Räuber und richtet seine Pistole auf Gary. Nö, sagt Gary. Was, fragt der Räuber. Nö, sagt Gary, nö! Er genießt es, er sagt es selbstbewusst, langsam. Kurz darauf ist er tot.

Die Charaktere wandern durch ihren Alltag wie durch einen schlechten Traum. Dabei sind ausgerechnet Träume das einzige, was Bills Dasein bereichert – wenn auch in der ihm eigenen seltsamen Form. Da er dank eines Kassetten-Ratgebers lernt, wie er durch dass Führen von „Traumprotokollen“ den Inhalt seiner Träume aktiv steuern kann, lässt er bald so richtig die Sau raus. In einem herrlich skurrilen Splatter-Auftritt säbelt Kill-Bill den Prügel-Nachbarn in Stücke, ein andermal rettet Super-Bill Menschen. Am Ende – man stelle sich vor – hat Bill in der Realität eine fast normale Begegnung mit einer Frau - ein unerhörter Fortschritt. When a man falls in the forest, was für ein herrlicher Titel: das ist unaufgeregtes aber souveränes amerikanisches Kino eher independentmäßigen Zuschnitts. Das wird wohl möglicherweise keine Bären einbringen, ist aber durchaus erfreulich.

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Titel

Orignaltitel

When A Man Falls In The Forest

Credits

Regisseur

Ryan Eslinger

Schauspieler

Timothy Hutton

Sharon Stone

Land

Flagge KanadaKanada

Flagge Vereinigte StaatenVereinigte Staaten

Jahr

2007

Dauer

90 min.

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