This Is Not A Pop Song

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”Scott Walker: 30 Century Man” von Stephen Kijak (Panorama)

Scott Walker ist ein musicians’ musician. Von Musikerkollegen, besonders in England, wird er fast kultisch verehrt. Diese Verehrung brachte den Stein ins Rollen, der Stephen Kijak seinen Dokumentarfilm ermöglichte. David Bowie, der den Film mit produziert hat, Johnny Marr, Jarvis Cocker, Brian Eno, Radiohead, Alison Goldfrapp und unzählige andere sprachen vor dem Kamera über Walkers Musik. So ließ sich schließlich sogar Walker selbst überreden, sich für den Film interviewen zu lassen. Mehr noch: Kijak hatte die Möglichkeit, bei den Aufnahmen des 2006er Albums „The Drift“ zu filmen. Es entstand das Portrait eines Musikers, der abseits von allen musikalischen und erst recht kommerziellen Strömungen seine kreative Energien in Musik umsetzt, die nichts mehr mit Pop zu tun hat, sondern zeitgenössische Musik im Wortsinn ist.

Unter seinem richtigen Namen Scott Engel war der Musiker, der sich später Scott Walker nannte, Ende der 50er Jahre ein Teenstar in den USA. Von 1965 bis 1967 hatte er mit den „Walker Brothers“ eine Reihe von Hits in England und Europa (Make It Easy on Yourself, The Sun Ain’t Gonna Shine Any More). Dann folgten in schneller Folge Soloalben, mit denen Walker vor allem als Interpret von Cover-Versionen Erfolg hatte. Seine Stimme, er ist der einzige Sänger der Popgeschichte, der sich mit Roy Orbison messen kann, ist dabei sein größtes Kapital. Für sein Album „Scott 4“ (1969) schreibt er alle Songs und verfolgt seine eigene konzeptionelle künstlerische Vision. Das Album wird ein Flop. Auch aufgrund des Drucks der Plattenfirma, nimmt er bis 1974 noch vier Alben mit Cover-Versionen auf. Danach folgt die Reunion der Walker Brothers, die drei Alben aufnehmen. Nach dem letzten Walker Brothers Album von 1977 verstummt der Musiker Scott Walker für sieben Jahre. Das Album „Climate of Hunter“ (1984) gilt heute als Platte des Übergangs auf der Entwicklung hin zu avantgardistischer Musik.

Das nächste Album von Walker erscheint erst 1995: Das experimentelle „Tilt“. Im Interview sagt Walker, dass er das Album eigentlich gar nicht veröffentlichen wollte. „Tilt“ ist viel zu avantgardistisch, um kommerziell erfolgreich zu sein, für Kritiker und Musikerkollegen ist es eine Offenbarung. Walker singt mit seiner Baritonstimme nicht wirklich zu Songs im eigentlichen Sinne, Soundscapes ist ein besserer Begriff. Selbst Producer Peter Walsh beschreibt das Album als „verstörend“. Walker singt assoziative Texte, die abgrundtief dunkle Stimmungen ausdrücken. Der „All Music Guide“ beschreibt es als „utterly divorced from even the outer limits of rock reality“. Sound-Guru Brian Eno sagt im Film “es ist fast peinlich, er hat sich mit einem einzigen Geniestreich an die Spitze der kreativen Avantgarde gesetzt.“ Die Statements der anderen Musiker in Kijaks Film lassen sich mit dem Satz zusammenfassen: „es ist nicht zu verstehen, aber fantastisch.“

Danach gab es wieder eine 11-jährige Pause bis zu „The Drifter“. Die Dokumentation zeigt exemplarisch an den Aufnahmen zum 2006er-Album, wie Walker arbeitet. Dabei wird deutlich: Walker sucht nach dem richtigen Sound und scheut dabei den ungewöhnlichen Weg nicht. Ein fast mannshoher Holzwürfel wird gebaut und im Studio als Percussionsinstrument genutzt, ein Musiker bearbeitet eine Rinderhälfte mit bloßen Fäusten. Peter Walsh berichtet davon, wie er monatelang nach den richtigen Eselsrufen gesucht hat. Gleichzeitig nutzt Walker ein klassisches Orchester, denen er im Dienste des ungewöhnlichen Klangs alles abverlangt. Walkers Anweisungen sind klar, er achtet auf das Detail und hat sichtlich Spaß im Studio. Etwas, das man von dem als introvertiert und schwierig geltenden Musiker gar nicht erwartet hätte. Die Ergebnisse sind ungewöhnliche Klangwelten, die trotzdem nicht unzugänglich sind. Der NME schreibt: „His voice is fluttering like a dove over a blackened landscape.”

Der Film ist so spannend wie Walkers Musik. Stephen Hijak ist die Spannung gelungen, weil er eben diese Musik so ausführlich zu Gehör bringt. Hervorragend ist sein Kunstgriff, die Musik mit extra für den Film produzierten grafischen Animationen zu hinterlegen. Sehr geschickt nutzt er auch die Testimonials der zahlreichen Stars, gerade weil er dieses Mittel nicht bis zur Ermüdung einsetzt, wie es häufig in Dokumentationen vorkommt. Die Begeisterung von Bowie, Albarn & Co. überträgt sich und macht neugierig auf die gleichzeitig minimalistische und komplexen Alben Walkers. Darüber hinaus bekommt man eine Idee in den kreativen Prozess, auch wenn Scott Walker selbst etwas ratlos ist. Darüber spreche er nicht gerne, weil er abergläubisch sei: „You have to feel the phenomenon of words and music coming out of silence.“ Das Schönste an “30 Century Man” ist der Blick, den man auf den Künstler werfen kann: Scott Walker ist eben kein ausgebrannter Kultstar, der mit seiner Stellung jenseits des Mainstreams kokettiert und sich in der Bewunderung der Anderen sonnt. Er ist ein Künstler, dessen Interesse allein der Ausschöpfung der eigenen Fähigkeiten gilt – frei von allen Zwängen – und dabei ist er gerade auf einem Höhepunkt angekommen.

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Titel

Orignaltitel

Scott Walker - 30 Century Man

Credits

Regisseur

Stephen Kijak

Land

Flagge Vereinigte StaatenVereinigte Staaten

Flagge Vereinigtes KönigreichVereinigtes Königreich

Jahr

2000

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