Kain und Abel in den Südstaaten

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"Shotgun Stories" von Jeff Nichols (Forum)

Echte „White Trash"-Typen denkt man die ersten Minuten. Nur komisch, dass die drei Brüder mit den Namen Son, Boy und Kid nicht laut und rüde sind, sondern still und melancholisch wirken, so als dächten sie die ganze Zeit an einem Plan herum, wie sie ihrem verkorksten Leben entkommen können. Aber wenn der älteste Bruder ohne scheinbare Gemütsregung verkündet seine Frau habe ihn wohl verlassen, der andere Bruder aus seinem Zelt im Garten kriecht im zerfledderten T-Shirt und mit schmierigen Haaren und der dritte Bruder, verfettet in einem vermüllten Van wohnt, dann denkt man eben, was für kaputte Typen sind das denn? Es dauert eine Weile bis aus den knappen Dialogen und Gesten der Brüder Charaktere entstehen, die sympathisch sind, etwas können, etwas wollen und sogar recht klare Vorstellungen von Richtig und Falsch haben,....

....die die Plackerei ihrer Arbeit geduldig ausführen und sich auf ein Bier zum Feierabend freuen. Und auf etwas zu warten scheinen.
Freunde haben sie scheinbar nicht, die drei sind jeder sehr für sich; und sind sie zusammen, bleiben sie unter sich. Auch die Freundinnen können kaum eindringen in diese Männergesellschaft aus stoischen Schweigen, die Nähe untereinander und Vertrauen durch eben dieses gemeinsam Schweigen oder ein Bier auf der Veranda zeigt, und wo Entscheidungen mit einem Kopfnicken gefällt und Streits mit zwei Worten für beendet erklärt werden.

In diesem beeindruckenden Film ist alles auf ein Mindestmaß reduziert: Die Gesichtsausdrücke der Darsteller, die Farben ausgebleicht und die Aufnahmen von Stadt und Landschaft von einem Grauschleier des Elends umgeben, die Dialoge, aufs Skelett abgemagert, sind nur verbaler Ausdruck dessen, was die Augen und manchmal die Gesichter der Männer längst zeigen. Reduziert auch die Musik auf eine ruhige Folk-Gitarre ab und an, ansonsten viel Stille. Reduziert auch die Schnitte und das gesamte Tempo der Geschichte, denn obwohl es um Rache und Blutfehde geht, ist der Verlauf der Story so stark abgebremst, dass man hinterher nicht mehr weiß, warum der Film so packend und spannend war.

Viel zu billig wird Spannung ja meist mit Tempo, schnellen Schnitten, dramatischer Musik, rasenden Autos und Action erzeugt. Nicht so hier. Deswegen braucht es auch einen Moment, bis man die Methode versteht: Man mag diese Männer und will nicht, dass sie das Falsche tun, weiß aber, dass sie es tun werden. Daraus erwächst die Spannung.

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Es geht also um Mord und Rache, um eine kaputte Familie, einen Vater, der ganz amerikanisch geläutert mal Säufer war und dann ganz neu anfing, dafür aber seine erste Familie (die drei Brüder) ohne sich nochmals umzudrehen zurückließ und eine neue mit neuen Kindern gründete. Der Hass zwischen den neuen und alten Kindern wurde durch eine Mutter entfacht, deren emotionaler Stumpfsinn kaum beschreibbar ist.

Selbst der Tod, wird hier unaufgeregt inzeniert. Die Gewalt gehört zum Denken, sie kommt wie ein ungebetener Gast und geht wieder - nur das Leben danach ist jedes Mal ein anderes. Die Blutfehde ist so sehr Teil des Denkens und Fühlens, gehört zu den Männern wie ein vierter Bruder. Sie sind alle bemüht, ihre Gefühle unter Kontrolle zu behalten, das Brodeln, die Wut, die Kraft und Unerbittlichkeit die ihre Moral ihnen gebietet, explodiert aber doch einige Male - immer nur ganz kurz und ohne Gebrüll oder Raserei.

Mir fällt kein Film ein, der wie „Shotgun Stories" Gewalt, Wut und Rache unaufdringlicher, ruhiger, zwingender und zugleich so selbstverständlich vorführt. Er benutzt das Klischee von der vom Langmut und der Langsamkeit der Südstaaten, bekannt aus Werbespots und „Southerner" Filmen (z.B. die Grisham Verflilmung "Die Jury"), und zerstört mit seinen Bildern zugleich das Image von Romantik und Beschaulichkeit des Südens. Aber ohne einfach nur wie Harmony Korine in „Gummo" den „White Trash" vorzuführen oder dämliche, rassistische „Rednecks" zu zeigen, die sich gegenseitig abmurksen.
Das verdreckte Nest umgeben von Baumwollfeldern ist ein Kleinstadtstadtkaff mit allen typisch amerikanischen Mileus: amerikanisch-bürgerlich mit Vorgarten und Carport, verfallende Häuser voller Dreck im Vorgarten, der Trailor Park am Stadtrand und eine entvölkerte, gesichtlose Innenstadt. Diese Stadt könnte überall sein.
Die blutleeren Bilder lassen des Gefühl von Grand Old South, von Hitze und Üppigkeit und Genuss gar nicht erst aufkommen. Auch das ein Effekt der Reduzierung: Der fast biblisch anmutende Konflikt unter Kindern des gleichen Vaters erzählt keine typische Geschichte des ländlichen Südens, sondern eine urtypische Geschichte von Gewalt und Gegengewalt, von engen Familienbanden und einem gefährlichen Ehrgefühl, aus dem die Notwendigkeit auf Rache erwächst.

Und als der Kampf endlich ein Ende hat, gibt es keinen Handschlag, keinen Jubel, ja nicht mal ein Wort zwischen den Brüdern. Freundschaft und Familie, das ist ein gemeinsames Bier, schweigend auf der Veranda im Sonnenuntergang: da ist dann der Alten Süden wieder ganz bei sich.

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Titel

Orignaltitel

Shotgun Stories

Credits

Regisseur

Jeff Nichols

Schauspieler

Natalie Canderday

Barlow Jacobs

Douglas Ligon

Michael Shannon

G. Alan Wilkins

Land

Flagge Vereinigte StaatenVereinigte Staaten

Jahr

2007

Dauer

92 min.

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