Vaterland oder Familie

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"The Good Sheperd" von Robert De Niro (Wettbewerb)

„The Good Sheperd“, die zweite Regiearbeit von Robert De Niro ist kein Agententhriller. Nach „A Bronx Tale“ hat De Niro erneut ein Familienepos gedreht. Er erzählt die Geschichte von Edward Wilson (Matt Damon), der in den Sechziger Jahren für die Abteilung der Gegenspionage der CIA arbeitet und bei der gescheiterten Schweinebucht-Invasion im April 1961 ein Fiasko erlebt. Das Leben von Wilson, seine Entwicklung vom idealistischen Studenten der Literaturwissenschaft an der Elite-Universität Yale zum Aufsteiger in der US-Geheimdienstbürokratie im und nach dem Zweiten Weltkrieg ist das eigentliche Drama. Dabei geht es um große Themen wie Patriotismus vs. persönliches Glück, Loyalität vs. Verrat und ob Geheimdienste eigentlich moralisch handeln können.

De Niro beginnt seinen Film kurz vor der Schweinebucht-Episode. Da ist Edward Wilson bereits eine wichtige Figur in der CIA. Das bemerkt der Außenstehende nicht. In seiner Rolle schleicht Matt Damon durch Washington, als würde er die gesamten Weltprobleme auf seinen Schultern tragen. Er könnte ein Buchhalter in einer beliebigen Firma sein, aber er arbeitet mit Information und Desinformation, führt Agenten und ist eine wichtige Schaltstelle in der Welt der Spionage, die die Nichteingeweihten immer für so glamourös halten.

In vielen Rückblenden zeigt uns De Niro einen ganz anderen Wilson, der sensibel ist, sich für Lyrik interessiert und ein brillanter Student ist. Aber schon als Kind hat seine Biographie einen dunklen Schatten bekommen. Sein Vater, der eigentlich Staatssekretär im Verteidigungsministerium werden sollte, bringt sich um. Der kleine Junge Edward findet die Leiche und wird schon da zum Geheimnisträger. Er nimmt den Abschiedsbrief des Vaters an sich und lässt ihn für Jahrzehnte ungeöffnet.

Das Leben des jungen Studenten wendet sich, als er 1939 in die geheime, elitäre Studentenverbindung Skull & Bones eintritt. Was ihn daran fasziniert, sind die hehren Grundsätze von Bruderschaft und absoluter Loyalität. So knüpft er sich eng an die konservative politische Elite des Landes. In diesem Geheimbund, der angeblich 1832 in Yale gegründet wurde und um den sich hunderte Verschwörungstheorien ranken – die Männer der Familie Bush sollen dort in der dritten Generation Mitglieder sein – wird der Nachwuchs für wichtige politische Posten rekrutiert. Edward Wilson gerät so in den Umkreis der CIA-Vorgängerorganisation Office of Strategic Services (OSS). Die Mitgliedschaft in Skull & Bones wird auch sein Privatleben für immer verändern. Edwards, der in die Studentin Laura verliebt ist, wird auf einer Verbindungsfeier von Margaret Russell (Angelina Jolie) der Schwester seines besten Freundes verführt. Der Sex bleibt nicht ohne Folgen: Margaret ist schwanger und kurz danach ist Wilson Schwiegersohn in einer einflussreichen Senatorenfamilie. Am Tag der Hochzeit entscheidet sich der Bräutigam für die Geheimdienstkarriere, wird in das Londoner Büro versetzt und geht nach dem Krieg nach Berlin.

Wilson hat klare Prioritäten gesetzt: Vaterland vor Familie. So verpasst nicht nur die Geburt, sondern auch die ersten Lebensjahre seines Sohnes Edward Jr., ein Versäumnis, das ihn einholen wird. Auch als er nach Amerika zurückkehrt, schließt er seine aus seinem Leben aus. Er macht nicht nur aus seinem Beruf ein Geheimnis, sondern bleibt für Frau und Kind ein Rätsel. Er beruhigt sich damit, dass er nur so für die Sicherheit seines Landes, seiner Agenten und seiner Familie sorgen kann - ein gefährlicher Selbstbetrug. De Niro macht durch die mehrfachen Rückblenden die fast krankhafte Veränderung Wilsons besonders deutlich. Matt Damon spielt den Studenten Edward Wilson als prinzipientreuen Romantiker. Der erwachsene Wilson dagegen ist unter dem Druck seiner Geheimnisse zu einem emotionslosen Bürokraten geworden, der gleichzeitig bedrohlich wirkt – er ist für Mord und Folter verantwortlich – und verloren – er hat seine Träume für immer begraben.

De Niro entwickelt seine Geschichte langsam mit vielen Details. Der Film ist in seiner Dramaturgie fast rührend altmodisch, so wie auch die Agenten auf beiden Seiten auf uns wirken. In seiner Weise ist der Film so übersichtlich, wie es der Kalte Krieg vermeintlich war: Hier die Guten, dort die Bösen. Den Mangel an Tempo und – seltsam bei einer bei einer Agentengeschichte – auch an Spannung machen die Schauspieler wett. Matt Damon agiert minimalistisch, Angelina Jolie als Gegenpol furios, emotional und vor allem verdammt gut aussehend. Die eigentlichen Trümpfe sind die unglaublich guten Nebendarsteller: In größeren Rollen William Hurt, John Turturro, Michael Gambon, die Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Herausragend spielt Eddie Redmayne als der bereits erwachsene Sohn Eward Wilson Jr. Jede Wette, der erst 25-jährige Brite ist in ein paar Jahren ein Star.

De Niros genaue Art des Erzählens muss man mögen, sonst wird man sich langweilen. Sicher, die Geschichte steuert mit etwas viel Pathos auf den tragischen Moment zu, als sogar Wilsons mittlerweile erwachsener Sohn Edward Jr. in die Geheimdienstintrigen hineingezogen wird. Auch steht De Niro, wie schon in „A Bronx Tale“, sehr im Banne von Coppola und Scorsese, wenn man Art der Inszenierung und die Symbolik betrachtet – eine wichtige Verhandlung Wilsons mit einem KGB-Offizier findet bei einem klassischen Chorkonzert von Edward Jr. statt. „The Good Sheperd“ liefert das Sittenbild einer Familie, verknüpft mit der Beschreibung der Pathologie eines Männerbundes - klassisches Kino eben, was zumindest beim amerikanischen Publikum nicht ankam. Das mag auch daran liegen, dass der Film deutlich macht: Das mit den Guten und den Bösen war auch im Kalten Krieg nicht so einfach.

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Titel

Orignaltitel

The Good Sheperd

Credits

Regisseur

Robert De Niro

Schauspieler

Alec Baldwin

Matt Damon

Angelina Jolie

Robert De Niro

Land

Flagge Vereinigte StaatenVereinigte Staaten

Jahr

2006

Dauer

167 min.

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