Der Rohrspatz von Paris

lavieenrose1.jpg

"La Mome - La vie en rose" von Olivier Dahan (Wettbewerb)

Was kann die schimpfen!! Eine echte Berliner Schnauze hat die gute Edith! Ein vulgärer Rohspatz mit einer Stimme, die Wände wackeln lässt - wenn sie schimpft und wenn sie singt. „La vie en rose“ überrascht aber noch mehr, denn es ist kein „Biopic“ geworden. Obwohl ihr Leben genug Material für 10 Filme bietet und an das von Ikonen wie Johnny Cash oder Charly Parker erinnert, die ebenfalls zwischen Musik, Genie, Suff, Drogen, Exzessen und Exzentrik wankten und deren Leben erfolgreich als Biopic verfilmt wurde. Dieser Film ist anders....

Noch treffender ist der Vergleich zwischen ihr und Billie Holliday, die auch in der ersten Szene des Films hinter der Piaf auf einem Foto zu sehen ist. Billie lebte ebenso exzessiv und drogenreich und genau so kurz. Billie Holliday ist die amerikanische Variante der identischen Geschichte von einer Frau, die für die Musik lebte, und der das Leben übel mitspielte. Nicht nur im gleichen Jahr geboren und nur wenige Jahre vor Piaf gestorben, war und ist sie für den Jazzgesang, was Piaf für den Chanson ist. Die Unbestrittene Königin.

„La vie en rose“ ist keine Biographie, weil der Film nicht chronologisch Station für Station des Leben erzählt oder alle wichtigen Begegnungen und Figuren über die Leinwand huschen lässt, was wohl selbst dann schwierig geworden wäre, wenn der Film doppelt so lang geworden wäre wie die bereits recht langen, aber nicht langweiligen 140 Minuten, die er jetzt hat. Eine Zeitspanne von 40 Jahren, ein ganzes Leben wird gezeigt, aber der Regisseur wollte nach eigenen Aussagen ein Portrait schaffen und keine Biographie. Das ist ihm gelungen, auch wenn der unerfahrene „Piafist“ eher angeregt wird, mehr über diese beeindruckende Frau zu erfahren, da der Film bewusst viel offen und auslässt, Geschichten anreißt und Menschen auftauchen und wieder verschwinden wie Tagträume (z.B. wenn Marlene Dietrich Piaf in N.Y. begegnet), selbst wenn sie im „wirklichen“ Leben von Edith Piaf eine lange und wichtige Rolle gespielt haben.

Ein Portrait ist notwendigerweise subjektiv und selektiv, aber wie ich finde deswegen nicht weniger zutreffend. Es ist ja ohnehin eine Illusion, das Leben eines Menschen dadurch verständlich zu machen, dass man jedes noch so verstreute Detail zusammensammelt und in Kontext stellt. Weder ein Leben noch der Film funktioniert so. Möglich sind allein Annäherungen durch eine unendliche Zahl von Perspektiven – dieser Film ist eine davon. Eine gelungene, weil die Frau auf der Leinwand wirklich lebt, Gefühle schafft und die Figur zur überwältigenden Musik ist.

Es ist dennoch nicht zu übersehen, dass es dem Regisseur auch nicht um die Musik ging, sondern um eine Frau, die voller Schmerz, von ganz unten kam und mit ihrer Kunst etwas erreicht hat, das weit über eine Zeit oder eine Generation hinausgeht, das wirklich viel größer ist, als sie selbst.

la_vie_2.jpg


Am Ende des Films springen die Orte und Zeiten und Personen und Ereignisse so wild durcheinander, wie in der Erinnerung der im Sterben liegenden Sängerin und schon der Versuch muss scheitern, Jahreszahlen zu ahnen oder eine Chronologie noch zu schaffen. Alle einfachen Ursache-Wirkung Ketten werden aufgehoben. Und gerade deswegen scheint diese Figur so lebendig, so echt. Was bleibt ist ihre Stimme, ihr Charakter zwischen himmelhochjauchzend, biestig und tief betrübt. Manchmal nur ein Häuflein Mensch.
Edit Piaf war in der Version dieses Films ein Mensch, der wie wir alle verflucht ist, das zu leben, was ihn vorbestimmt: die Zeit, die Umgebung, die Eltern, die Talente, die Zwänge. Und sie wiederholt ja beinahe sogar das verpfuschte Leben ihrer Mutter, einer Kirmessängerin und Säuferin. Sie hatte nur eine bessere Stimme und deswegen kam sie aus der Gosse heraus, in der sie das Leben ihrer Mutter eine Weile nachahmte, wird entdeckt.

Bei einer anderen, objektiv bedeutsamen Periode, die Kriegszeit im besetzten Paris, als Edith Piaf für Kriegsgefangene sang und Papiere schmuggelte, leistet sich der Regisseur den Luxus, den sich ein Deutscher Regisseur nicht erlauben dürfte: er lässt sie einfach weg, ganz und komplett. Weil es ihn offenbar nicht interessierte. Es gibt stattdessen einen Sprung von 1940 auf 1947. Auch das ein Beweis für den selbstbewussten Anspruch, keine Biographie machen zu wollen.
Piaf geht nach New York, hat nach anfänglichen Problemen dort Erfolg und kommt vor allem mit der Liebe ihres Lebens zusammen, dem Boxer und kurzzeitigem Mittelgewichts Weltmeister Marcel Cerdan. Diese Episode ist im Film ebenso kurz und intensiv wie sie wohl auch war, denn 1949 kommt er auf dem Weg zu Edith bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Daran zerbricht sie, ruiniert ihren eh geschundenen Körper endgültig mit Drogen.
Und wie Charly Parker, der bei seinem Tod auf 60 geschätzt wurde, aber nur 35 war, so sieht auch sie mit 47, als sie stirbt, aus wie 70.
Auch das eine fantastische Leistung der Schauspielerin Marion Cotillard, die nach eigner Aussage Angst davor hatte, eine Frau spielen zu müssen, die älter ist als sie selbst, der dies aber hervorragend gelungen ist, der Watschelgang, der gebeugte Rücken, die Hasenzähne, das seltsam erstarrte Gesicht. Cotillard brauchte lange, die Eigenheiten und Bewegungen der Piaf wieder loszuwerden, die sie sich erarbeitete hatte, um diese facettenreiche, widersprüchliche Frau zu sein, deren Höhen und Tiefen in zehn Leben von normalen Menschen Platz hätten.

Trotz der Schrecklichkeiten kommen einem die Tränen, in den glücklichsten Momenten, die der Film zeigt, wenn sie auf der Bühne ist, wenn sie eine Essenz des Lebens darstellt. Der Film ist meilenweit entfernt von einem Melodram, soweit wie Piaf von Selbstmitleid: sie weint trotz all der Schicksalsschläge nur ein einziges Mal in diesem Film: nachdem sie auf der Bühne zusammengebrochen ist und ahnt, dass es einer ihrer letzten Auftritte war, aber unbedingt noch ein Mal wieder hinaus will. Ansonsten sieht man die Frau kaputt, hysterisch, fuchsteufelswild, ausgelassen und verliebt, aber nie traurig. Auch das wie ich finde eine echte Leistung des Films.
Wer aber allein wegen der Musik hineingeht, wird enttäuschst werden. Die Musik ist da, ja sie ist sogar fast immer da, aber doch nebensächlich Es geht um das tragische und fantastische Leben, um die Liebe, um die Leidenschaft und das Leid einer Frau. Ob sie wirklich SO war, spielt keine Rolle, nicht mal, ob sie genau so gesungen hat, denn es ist ein bewegender Film geworden.

Kommentare ( 5 )

Ja, ein wirklich fabelhafter Eröffnungsfilm. Frage mich wann die Berlinale das letzte Mal einen so starken Film zur Eröffnung hatte: 2006 "Snowcake", 2005 "Man to Man"...alles Durchschnittskost. Eröffnungsfilme können auch ein Festival runterreißen, wie 2001 z.B. das Stalingrad-Drama „Enemy at the Gates" von Jean Jaques Annaud.
Interessante die Parallelen zu den anderen Musikern. Das Bild von Billie Holiday ist mir selbstverständlich nicht aufgefallen. Das die Musik nicht im Vordergrund steht, fand ich OK. Die Lieder sind einfach Soundtrack. Wer die Piaf wirklich hören will, der muss sie ja nicht sehen.

Fabelhaft? Ein derart altbackener, reichlich einfallslos inszenierter Film, dem so was wie Selbstreflexion völlig fehlt ist kein guter Start. Ein Leben in dem etwas passiert, ist eben noch nicht ausreichend um als Stoff für einen Film zu dienen. Film, wenn er nicht versucht einen objektiveren Standpunkt einzunehmen, was hier ja absolut nicht gegeben war, erfordert eine schlüssige Gliederung in dramatische Strukturen. Wenn wenigstens die Musik besser, d.h. selektiver, eingesetzt worden wäre, hätte sie den Film noch ein wenig retten können. Sogar über den Boxkampf mussten sie einen Chanson legen... Da war Snow Cake deutlich besser.

Lieber LRC, Du hängst auch noch dem Glauben an, man könnte eine "schlüssige Gliederung" über ein Leben und dann über einen Film legen. Wenn man die Versuche im Kino sieht, dann hat man vielleicht das Gefühl, jetzt kenn ich die Edith Piaf und versteh alles, aber genau das ist Blödsinn. Und deswegen war es eben, wie ich finde, einfallsreich, sich nicht dem üblichen Biographie Mainstream anzupassen, nach dem Motto: wir filmen alle wichtigen Perioden eines Lebens ab und dann haben wir die Frau und ihr Sein und Leiden im Kasten. Und schliesslich lassen wir sie noch ihre Best of Songs im Film singen und alles ist gut, dann kann jeder im Partygespräch tun, als wisse er bescheid. Ist doch langweilig.
Ausserdem fand ich es genial den Boxkampf mit Chancon zu unterlegen und als sie zum ersten Mal auf der großen Bühne singt, gar keinen Chancon-Ton.

Die Einfachheit, wir filmen einen berühmten Menschen ab, gerade bei Biopics nervt ungemein. Selten gelingt das wie bei Johnny Cash oder Capote. Der Vorwurf ein bewegtes Leben reiche nicht zum Film geht deshalb auch daneben: Es ging all diesen Filmen nähmlich nur am Rande über ein ach so bewegtes Leben, sondern um große Gefühle. Und das IST Kino.

Ja lieber Christian, dem Glauben hänge ich an. Wenn der Film in seiner Erzählweise einen objektiven Standpunkt eingenommen hätte, wäre so eine assoziative Aneinanderreihungen unterschieldicher Zeitebenen vielleicht eine gute Idee. Wenn man aber den Film als ein Drama der Gefühle inszenieren will, dann sollte man auf eine kohärrente Dramaturgie achten, weil die großen Gefühle dann nämlich auch für Alle Zuschauer erllebbar werden. Ein Biopic ist ein Spielfilm und hat mit der Realität nur sehr begrenzt etwas zu tun. Wer annimmt er hätte alles über die Person begriffen, nachdem er so einen Film gesehen hat ist natürlich doof. Aber wer würde das denn? Wir beide offensichtlich nicht. Im übrigen ist der "Biographie Mainstream" inzwischen genau das, was La Vie en Rose darstellt.

Das ist der dümste Film aller Zeiten.

Kommentiere den Film oder den Eintrag

Titel

Orignaltitel

La Vie en Rose

Credits

Regisseur

Olivier Dahan

Schauspieler

Marion Cotillard

Sylvie Testud

Land

Flagge FrankreichFrankreich

Flagge Tschechische RepublikTschechische Republik

Flagge Vereinigtes KönigreichVereinigtes Königreich

Jahr

2007

Impressum