Wenn es nur um's Überleben geht

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"Killer of Sheep" von Charles Burnett (Forum)

Bevor der Film auf der Leinwand läuft, läuft schon ein Film im Kopf ab. Dieser Film im Kopf kommt mit wenigen Infos aus und bewegt sich in erschreckend stereotypen Bahnen. Wenn also das Berlinale Heftchen schreibt, dass Charles Burnetts „Killer of Sheep“ aus dem Jahr 1977 „aus dem schwarzen Milieu von Los Angeles erzählt“, wird im Kopf ein Blaxploitation-Video mit coolen Brothers und fiesen Cops eingeworfen oder als Alternative das Sozialdrama komplett mit Unterdrückung, Ausbeutung und dem heroischen Kampf gegen die soziale Marginalisierung. Burnett hat vor 30 Jahren etwas völlig anderes gemacht: Er hat einen stillen, einfühlsamen Film gedreht, der in einem quasi-dokumentatorischen Stil das Leben eines Schlachthofarbeiters, seiner Familie und seiner Freunde in Alltagsszenen erzählt. Als Special Screening eröffnete der Film, der vor 26 Jahren schon einmal auf der Berlinale lief, in diesem Jahr das Forum.

Der Film beginnt mit einer Moralpredigt eines Vaters für seinen vielleicht 10-jährigen Sohn: „Du sollst Deinen Bruder nicht, schlagen, denn Dein Bruder ist in der Not, der einzige der Dich verteidigt.“ Die Ohrfeige gibt es danach von der Mutter noch gratis dazu. Zusammenhalt und Solidarität sind die Werte, an die der Vater appelliert. Doch das Leben der Familien, die in einer der ärmsten Gegenden Los Angeles’ leben, wird von anderen Faktoren bestimmt – vom ständigen Geldmangel und der puren Erschöpfung durch das Bemühen unter schwierigen Bedingungen irgendwie über die Runden zu kommen.

Charles Burnett, der damals die UCLA Film School besuchte, drehte seinen Abschlussfilm fast ausschließlich mit Laiendarstellern aus seinem privaten Umfeld in Watts. Einziger professioneller Schauspieler war Henry G. Sanders (später viele Fernsehrollen in den USA), der die Hauptfigur spielt, den Schlachthofarbeiter Stan. Vor allem wegen dieser Rahmenbedingungen drehte Burnett vor allem am Wochenende und natürlich mit geringen Produktionsmitteln auf 16mm. (Der Film wurde im Jahr 2000 restauriert und auf 35mm kopiert.) Trotzdem wirkt der Film nicht amateurhaft. Ganz im Gegenteil – von Burnett selbst in schwarz-weiß gefilmt, verfügt der „Killer of Sheep“ über eine Authentizität, die sich nicht im quasi-dokumentarischen Stil erschöpft, sondern vor allem auf der Persönlichkeit und Präsenz der Darsteller beruht. Hier sind es die kleinen Gesten, die das vermitteln, was das Leben der Menschen im Armenviertel ausmacht. Wenn Stans Frau leise feststellt, dass er seit Monaten nicht mehr gelächelt hat oder wenn die Kinder vor allem mit Steinen und Schutt spielen.
Charles Burnett verzichtet auf einen herkömmlichen Plot, arbeitete aber mit einem Drehbuch und nur wenig mit Improvisation . Es sind kleine Episoden aus Stans Leben, die für das Leben der gesamten Community stehen. Stan der für 15 Dollar einen alten Automotor kauft, der dann leider vom fast Schrott reifen Pick Up fällt. Stan, dessen Familienausflug auf die Rennbahn schief geht, weil der Wagen seines Freundes einen Platten hat und Stan, der ein dubioses Angebot von zwei Kleingaunern ablehnt. Dazwischen immer wieder kurze Szenen aus dem Schlachthof.

Burnett machte nach dem Film deutlich, dass er vor allem die Werte der dort gezeigten community filmisch darstellen wollte – deshalb auch die wichtige Funktion der beschrieben Eingangsszene. Diese Leute seien trotz ihrer schwierigen sozialen Situation eben nicht radikal gewesen. „That’s why I couldn’t be a spokesperson, the people should speak for themselves.“ Das gelingt dem Film außerordentlich eindrucksvoll. Die Stimmung kann man am besten als trotzig-resignativ beschreiben. Das Ziel ist nicht aus diesen Verhältnissen hinauszukommen – denn diese Chance ist verschwindend gering – sondern mit Würde und Anstand zu überleben. Und genau das ist für die Protagonisten der Kern eines gelingenden Lebens, ganz ohne Heroismus und Kitsch. Ein Geniestreich ist Charles Burnett mit der Musik im Film gelungen. Die Musik bricht das Stilmittel des quasi-dokumentatorischen, ohne das Maß an Authentizität zu verringern. Sie wirkt nicht nur als Verstärker der Bildwirkung, sondern schafft eine emotionale Ebene, die die Botschaft der Films unterstreicht. Die Szene, die den Tanz von Stan und seiner Frau zu Dinah Washingtons „The Bitter Earth“ zeigt, gehört zum Traurigsten, was ich je auf einer Leinwand gesehen habe.

„Killer of Sheep“ wurde nach seiner Fertigstellung 1977 fast nie öffentlich gezeigt. Erst 1981 lief er auf der Berlinale, wo er den Kritikerpreis des Forums gewann und dann auch auf anderen Festivals. Das, so Burnett heute, verschaffte dem Black Independent Film eine Plattform. 1990 wurde der Film als einer der ersten 50 Filme in die National Film Registry aufgenommen und 2002 von der National Society of Film Critics zu einem der „100 Essential Films“ gewählt. Die restaurierte Fassung ist auch in den USA wieder in Einzelaufführungen zu sehen. Auch 30 Jahre nach „Killer of Sheep“ bleibt Burnett angesichts der Wirkung des Independent Black Cinema skeptisch: In Hollywood bleibe man nach wie vor lieber bei den Stereotypen von „Cops and Robbers“ und „Crime, Drugs, and Violence“, wenn es um das Leben in Vierteln wie Watts gehe.

Kommentare ( 3 )

alter, "um's", das ist übelster apostroph-faschismus, das geht so nicht!

ach so: und schöne kritik! "Blaxploitation-Video mit coolen Brothers und fiesen Cops" sollte als fste Kategorie in die Filmgeschichte eingehen!

Vielleicht faschistisch aber korrekt.
Weil es eigentlich "um das" heißt.

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Titel

Orignaltitel

Killer of Sheep

Credits

Regisseur

Charles Burnett

Schauspieler

Charles Bracy

Angela Burnett

Eugene Cherry

Jack Drummond

Kaycee Moore

Henry Gayle Sanders

Land

Flagge Vereinigte StaatenVereinigte Staaten

Jahr

1977

Dauer

83 min.

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