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Februar 2020

BERLIN ALEXANDERPLATZ von Burhan Qurbani (Berlinale 2020)

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Kann das gut gehen? Alfred Döblins Klassiker aus der Weimarer Republik „Berlin Alexanderplatz“ als Film ins heutige Berlin zu transferieren? Aus dem Zuchthäusler Franz Biberkopf den geflüchteten Westafrikaner Francis machen? Nach gut drei Stunden BERLIN ALEXANDERPLATZ kann ich sagen: Ja, das geht sogar sehr gut. Vorausgesetzt, man akzeptiert die bewusst als griechische Tragödie angelegte Form, den tragenden Ton des Kommentars aus dem Off, nimmt das dreimalige Scheitern der Hauptfigur als zwingend hin, weil er als tragischer Held nun mal leiden muss und nochmal leiden und nochmal leiden. Wenn man sich darauf einlassen kann, dann ist Burhan Qurbanis Film der bislang kraftvollste, wuchtigste und mutigste Beitrag in diesem Wettbewerb. Ein klarer Bären-Favorit.

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Claire Denis in conversation with Olivier Assayas (Berlinale 2020)

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Das Format "On Transmission" wurde von Carlo Chatrian angeregt. Er hat sieben Regisseure eingeladen, die selbst wiederum einen anderen Regisseur einladen. Die Regisseure sprechen eine Stunde miteinander und danach wird ein Film von einem der beiden gezeigt. Wenn man die Veranstaltung mit Claire Denis und Olivier Assayas als Beispiel nimmt, dann ist die neue Reihe rundherum gelungen.

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ORPHEA von Alexander Kluge und Khavn (Berlinale 2020)

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Der Festivalleiter Carlo Chatrian verweist gleich zu Beginn der Vorstellung von ORPHEA auf das Besondere des Projekts: drei sehr unterschiedliche Künstler, Alexander Kluge, Khavn und Lilith Stangenberg erzeugen kreative Spannung. Die drei re-mixen sich gegenseitig zu einer verstörenden Abfolge von Bildern und Tönen. Der Film ist anarchisch und wild. Wenn ich sagen würde, der Sinn hat sich mir erschlossen, dann wäre das glatt gelogen. Es gelingt mir nicht einmal, die direkte Abfolge von Bild-Bruchstücken bedeutungsvoll miteinander zu verbinden.

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WALCHENSEE FOREVER von Janna Ji Wonders (Berlinale 2020)

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© Flare Film

Ein fröhliches kleines Mädchen mit einem Blumenkranz schaut selbstbewusst in eine Kamera und beantwortet ihrer Mutter ein paar Fragen über die Familie. Dann wechseln die Positionen und das Mädchen darf die Mutter interviewen und filmen. Schon diese ersten Szenen, die die Regisseurin Janna Ji Wonders als Kind im Gespräch mit ihrer Mutter zeigen, deuten an, dass es im Folgenden um eine Familie gehen wird, in der das filmische Festhalten des eigenen Erlebens eine wichtige Rolle spielt. Das Schöne und zugleich leider immer noch Ungewöhnliche daran: Die über einhundertjährige Familienchronik, die in WALCHENSEE FOREVER aus Interviews, Fotos, Briefen und Filmaufnahmen kunstvoll zusammengefügt wird, erzählt Zeitgeschichte konsequent aus weiblicher Perspektive.

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NEVER RARELY SOMETIMES ALWAYS von Eliza Kittman (Berlinale 2020)

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Wie oft hat sich ein Sexualpartner geweigert, ein Kondom zu tragen? Nie, selten, manchmal, immer? Wie oft hat ein Sexualpartner Deine eigene Verhütung verhindert oder erschwert? Nie, selten, manchmal, immer? Wie oft wurdest Du gegen Deinen Willen zum Geschlechtsverkehr gedrängt? Nie, selten, manchmal, immer? Wie oft wurdest Du körperlich bedroht oder geschlagen? Nie, selten, manchmal, immer? Die Helferin der Abtreibungsklinik in Manhattan stellt der 17-jährigen Autumn (Sidney Flanigan) die Fragen mit sanfter Stimme. Sie will feststellen, ob Autumn zu Hause in Pennsylvania nach der Abtreibung auch sicher ist. Weil Abtreibung in Pennsylvania für Frauen unter 18 die Zustimmung eines Elternteils erfordert, ist Autumn gemeinsam mit ihrer Cousine Skylar (Talia Ryder) für den Eingriff mehrere hundert Meilen mit dem Bus gefahren.

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BLOODY NOSE, EMPTY POCKETS von Bill und Turner Ross (Berlinale 2020)

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© Department of Motion Pictures

Um es in den Worten des Films zu sagen: Fucking awesome, man! Zehn Jahre haben die Brüder Bill und Turner Ross von diesem Film geträumt und dann schließlich innerhalb der letzten zwei Jahre ein echtes Kleinod erschaffen. Zwei Jahre. Ganz schön lang für die Erzählung einer einzigen Nacht in der Bar „20s“ am Stadtrand von Las Vegas. Die letzte Nacht in einer runtergerockten Bar, die für immer schließen soll. Schon morgens versammeln sich die ersten Stammgäste, um sich zum letzten Mal richtig die Kante zu geben.

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FAVOLACCE (BAD TALES) von Fabio und Damiano D’Innocenzo

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Die Bewohner eine properen Einfamilienhaus-Siedlung am Rand von Rom scheinen auf den ersten Blick ein gutes Leben zu genießen: Auto, kleiner Garten, wohlerzogene Kinder, das nötige technische Equipment im Haus. Trotzdem köchelt in dieser brütenden Sommerhitze mehr als nur die Temperatur. Eine merklich angespannte Stimmung, eine (meist) unterdrückte Aggression, Missgunst und Argwohn ziehen sich wie giftige Schlieren über das auf Hochglanz polierte Spiegelbild. Die Kinder fungieren dabei wie kleine Seismographen – sie nehmen die bösen Schwingungen am deutlichsten wahr, und sie sind es auch, die darauf am Ende auf schreckliche Weise reagieren werden.

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DOMANGCHIN YEOJA (THE WOMAN WHO RAN) von Hong Sangsoo

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Den ersten Szenenapplaus des Berlinale-Wettbewerbs bekommt eine dicke Katze. Für den neuen Nachbarn ist sie eine „Räuberkatze“, die man tunlichst nicht füttern sollte. Für die beiden Frauen in der Wohnung gegenüber ist sie „wie ein Kind“: Es ist ganz selbstverständlich, dass sie liebevoll versorgt wird, und dabei wird es auch bleiben. Während des Gesprächs vor der Haustür sitzt die dicke Katze daneben und schaut milde interessiert von einem zum anderen. In der sicheren Gelassenheit, so scheint es, dass ihre Unterstützerin sich mit ihrer ruhigen Beharrlichkeit durchsetzen wird. In Hong Sangsoos wunderbar beiläufig erzähltem Film THE WOMAN WHO RAN geht es immer wieder um Frauen, die miteinander reden und dabei von Männern gestört werden.

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Pressekonferenz zu DOMANGCHIN YEOJA (Berlinale 2020)

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Hong Sangsoo antwortet langsam und bedächtig auf die Fragen in der Pressekonferenz. Für die Philosophie mit der er DOMANGCHIN YEOJA gemacht hat, findet Hong Sangsoo anschauliche Bilder. Er wollte diesmal nicht die Bedeutung aus den Dingen herauspressen, sondern ohne ausgearbeiteten Plan auf eine Welle warten, die ihn wie einen Surfer über die Oberfläche der Dinge gleiten lässt. So habe er seine Dialoge geschrieben und gehofft, dass es ihn irgendwo hinführt.

Pressekonferenz zu HILLARY (Berlinale 2020)

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Hillary Rodham Clinton ist auf der Berlinale. Nanette Burstein hat eine vier-stündige Dokumentarfilm-Serie über die ehemalige Präsidentschaftskandidatin gedreht. Wenn man Clinton in der Pressekonferenz hört, dann möchte man eigentlich nur noch weinen. Was, wenn sie 2016 nicht gegen den Unausprechbaren verloren hätte?

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THE TWENTIETH CENTURY von Matthew Rankin (Berlinale 2020)

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THE TWENTIETH CENTURY als schrill oder überdreht zu beschreiben, wäre eine maßlose Untertreibung. Eher nehmen wir Teil an einer kreativ-eperimentellen Stil-Explosion, die aus wild gemixten Elementen eine eigene, so noch nicht gesehene Bildsprache entwickelt. Inhaltlich geht es um zehn Kapitel aus dem Leben des bekannten Politikers William Lyon Mackenzie King, der Kanada 22 Jahre lang als Premierminister regiert hatte. Rankin setzt mit der Handlung 1899 ein, als Mackenzie King zum ersten Mal für den Posten des Premierministers kandidiert. Wer jetzt ein klassisches Biopic über eine bekannte historische Persönlichkeit erwartet, wird sich bald verwundert die Augen reiben.

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SEISHIN 0 (Zero) von Kozuhiro Soda (Berlinale 2020)

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Hollywood hat uns daran gewöhnt, dass uns im Kino nie langweilig wird. Die Story zieht uns in ihren Bann, wir sind immer neugierig, was als nächstes geschieht. Schnelle Schnitte lenken unsere Blicke und nehmen uns die Beobachtung ab. Wenn dann ein Film sehr lange Einstellungen hat, in denen nicht viel passiert, dann sagen wir schnell, der Film sei anstrengend, zu mindestens aber dass er uns eines abverlangt: Geduld. Damit kokettiert vor der Vorstellung auch Regisseur Kozuhiro Soda. Er würde am Ende des Films noch einmal kommen und schauen, wieviel aus dem voll besetzten Kinosaal im Arsenal 1 geblieben sind.

Oft wollen wir Film-Fastfood. Etwas, das sofort schmeckt. Mindestens nach einer halben Stunde sollte uns der Film begeistern. Was aber, wenn sich die Schönheit erst nach 2 Stunden einstellt? Was, wenn wir erst einmal alles aufgesehen haben müssen, bevor wir das vorher gesehene würdigen können?

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SIBERIA von Abel Ferrara (Berlinale 2020)

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Clint (Willem Dafoe) lebt mit seinen Huskies in einer Holzhütte in einer kargen, einsamen Berglandschaft. In einer etwas größeren Holzhütte betreibt er eine Bar. Ab und zu kommt ein Jäger vorbei. Clint wird gequält von brutalen und bedrohlichen Erinnerungen, offensichtlich von Schuldgefühlen. Eine alte und eine junge russische Frau kommen in die Bar und bestellen Wodka. Die alte Frau öffnet den Mantel der jungen Frau, sie ist darunter nackt. Sie ist schwanger. Clint küsst ihren Bauchnabel und ihre Brüste. Passiert das alles wirklich oder sind das nur Bilder, die in Clints Kopf existieren? Abel Ferraras SIBERIA lässt die Grenze zwischen innerem Erleben und wahrgenommener Realität verschwinden.

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EFFACER L’HISTORIQUE Benôit Delépine und Gustave Kervern (Berlinale 2020)

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„Meine Muschi ist in der Cloud“, schreit Marie (Corinne Masiero) entsetzt und meint natürlich ein Video ihrer Muschi. Das hat der schmierige Typ gedreht, mit dem sie in einer öden Vorstadtbar abgestürzt ist. Die gesamte Vorstadtsiedlung ist übrigens mindestens genauso öde wie die Bar. Das Wort alptraumhaft trifft es noch besser als öde. Das Sex-Video ist nur eines von Maries Problemen. Sie hat ständig einen im Tee, ist pleite und ihr Mann ist mit dem Sohn ausgezogen. Ach ja, nicht zu vergessen – der Schmierlappen erpresst sie. Wer jetzt ein französisches Sozialdrama erwartet, liegt falsch: EFFACER L’HISTORIQUE ist eine grelle Satire auf die Social-Media-Welt, die Menschen wie Marie nicht nur in den Wahnsinn, sondern auch in die Verblödung treibt. Ob die Verblödung oder der Wahnsinn gewinnt, das ist noch offen.

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SCHWESTERLEIN von Stéphanie Chuat und Véronique Reymond

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Endlich aus diesem sterilen Krankenhauszimmer rauskommen. Endlich wieder auf der Bühne stehen und spielen! Sven will nichts lieber als das. Er ist Schauspieler mit Leib und Seele und kämpft mit unbändigem Lebenswillen für seinen Lebensinhalt. Doch Sven hat Leukämie, und es sieht nicht gut aus für ihn. Seine Zwillingsschwester Lisa, die am engsten mit ihm verbundene Person auf der Welt, will ihn mit aller Kraft unterstützen – und dabei gerät ihr eigenes Leben aus den Fugen. Mit Lars Eidinger und Nina Hoss in den Hauptrollen wirft SCHWESTERLEIN einen packenden, erschütternden und sehr ehrlichen Blick auf das schmerzhafte Ringen mit dem Tod und das Glück der Liebe zwischen Geschwistern.

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UNDINE von Christian Petzold (Berlinale 2020)

Still aus dem Film Undine von Christian Petzold
© Marco Krüger/Schramm Film

Kino als Kunstform lebt - das zeigt Christian Petzold mit seinem Wettbewerbsbeitrag UNDINE in beeindruckender Weise. In der ersten Einstellung sehen wir ein junges Paar im Gespräch, es ist Undine mit ihrem Noch-Freund Johannes. Johannes teilt ihr gerade mit, dass er sich wegen einer anderen Frau von ihr trennen wird. Undine reagiert zunächst ungläubig und erinnert ihn mit dann in sachlichem Feststellungston daran, dass dies zwangsläufig seinen Tod bedeuten würde. Schon an dieser Stelle wird klar, dass Undine wohl keine gewöhnliche Frau ist und das hier keine alltägliche Geschichte erzählt wird. UNDINE nimmt uns mit in eine poetisch-phantastische Zwischenwelt irgendwo zwischen Land und Wasser, in der die Grenzen von Realität und Traum miteinander verschmelzen.

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YI ZHI YOU DAO HAI SHUI BIAN LAN (Swimming Out Till the Sea Turns Blue) von Jia Zhang-ke (Berlinale 2020)

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Geschichtsbuch-Geschichte fand ich immer fad. Wenn mein Großvater oder meine Großmutter von früher erzählt haben, war das hingegen hoch spannend. Erzählte Erinnerungen zeigen, wie Geschichte durch Menschen hindurchgelebt wurde.

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TODOS OS MORTOS (ALL THE DEAD ONES) von Caetano Gotardo und Marco Dutra (Berlinale 2020)

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Der köstliche Kaffee aus Brasilien – bis 1888 waren vor allem versklavte Männer, Frauen und Kinder auf den großen Plantagen dafür zuständig, ihn anzubauen, zu ernten, zu verarbeiten – und zu servieren. Caetano Gotardo und Marco Dutra unternehmen in TODOS OS MORTOS den Versuch, die Auswirkungen dieser Geschichte anhand zweier miteinander eng verknüpfter Familienschicksale zu ergründen. Ehemalige Sklaven und ehemalige Sklavenhalter lebten kurz vor der Jahrtausendwende Seite an Seite in einer Gesellschaft, die sich im Aufbruch in die Moderne befand. Die entscheidenden Figuren in dieser Erzählung sind Frauen, die Männer sind als Versorger weitestgehend unbrauchbar – und die Geschichte ist in diesem mit langem Atem erzählten Film alles andere als Geschichte.

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AUTOMOTIVE von Jonas Heldt (Berlinale 2020)

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Audi. In Ingolstadt ist Audi mehr als eine Automarke und mehr als eine Firma. In Ingolstadt ist Audi der wichtigste Taktgeber für die Wirtschaft einer ganzen Region. Dass „die Wirtschaft“ nichts Abstraktes ist, zeigt Jonas Heldts Dokumentarfilm AUTOMOTIVE am Beispiel von zwei Frauen: Seda ist Leiharbeiterin für den Logistikdienstleister Imperial, der im Auftrag von Audi Lager und andere Logistikservices übernimmt. Eva ist eine Headhunterin, die vor allem Fachkräfte für Automatisierung in Produktion und Logistik vermittelt. Denn das ist das große Thema, vor dem sich die Doku abspielt: Audi ist wie die ganze Automobilindustrie im Umbruch: Internationale Produktionsketten gibt es schon lange, die Automatisierung und die Digitalisierung verändern jetzt zusätzlich die gesamte Fertigung.

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MINAMATA von Andrew Levitas (Berlinale 2020)

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Basierend auf wahren Begebenheiten erzählt Regisseur Andrew Levitas in MINAMATA, wie der bekannte Kriegsfotograf W. Eugene Smith zusammen mit den Bewohnern der japanischen Kleinstadt Minamata gegen einen Chemiekonzern kämpft, der die Umwelt mit Quecksilber-Emissionen vergiftet hatte. Das Quecksilber, dass von dem Chemiewerk seit den fünfziger Jahren in die Luft und die örtlichen Gewässer eingeleitet worden war, hatte zwanzig Jahre später zu chronischen Vergiftungen und schrecklichen Missbildungen bei den Bewohnern der Region geführt. Der verantwortliche Konzern reagierte mit allen auch heute noch üblichen Taktiken, die über die Leugnung der eigenen Verantwortung, das Herunterspielen der Tatsachen bis zur Einschüchterung der Betroffenen reichen.

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LE SEL DES LARMES (THE SALT OF TEARS) von Philippe Garrel (Berlinale 2020)

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Vielleicht ist es einfach keine gute Idee, wenn alte Männer Filme über das Liebesleben junger Männer drehen. In Philippe Garrels LE SEL DES LARMES ist das Ergebnis jedenfalls ziemlich ermüdend bis ärgerlich.

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PERSIAN LESSONS von Vadim Perelman (Berlinale 2020)

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Weil Menschen eine Sprache haben, haben auch Nazis eine Sprache – gewiss keine schöne. Das wird bereits in der Eröffnungsszene von Vadim Perelmans PERSIAN LESSONS klar, in der der Hauptsturmführer Klaus Koch (Lars Eidinger) die Aufseherin Elsa (Leonie Benesch) zusammenschreit, weil sie keine gleichförmigen Buchstaben schreibt und die Linien in ihren Gefangenenlisten unordentlich gezogen sind. Sprache und Erinnerung, das sind die beiden großen Themen des Films. Das Sprachvermögen und das Erinnerungsvermögen sind zutiefst menschliche Fähigkeiten. Die beiden Menschen im Zentrum des Films sind SS-Hauptsturmführer Koch, der für die Offiziersküche eines Übergangslagers verantwortlich ist, und der jüdische Gefangene Gilles (Nahuel Pérez Biscayart), der behauptet, ein Perser namens Reza zu sein. Weil Koch davon träumt, nach dem Krieg in Teheran ein Restaurant zu eröffnen, macht er Gilles zu seinem Sprachlehrer. Für Gilles ist das eine kleine Chance, sein Leben zu retten. Aber um das zu schaffen, muss er seine eigene Version von Farsi erfinden und sie dem Hauptsturmführer beibringen, ohne dass der Schwindel auffliegt.

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FIRST COW von Kelly Reichardt (Berlinale 2020)

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Veganer aufgepasst: Richtig gutes Süßgebäck gelingt ohne Milch einfach nicht! Doch woher soll man die Milch nehmen, in einem gottverlassenen amerikanischen Frontier-Kaff am Ende der Welt, wo die einzige Kuh dem allmächtigen Ortsvorsteher gehört? Woher also nehmen, wenn nicht stehlen? Eben. FIRST COW erzählt in einem ganz eigenen, einfühlsamen Ton von einer couragierten Enterprise im Wilden Westen des frühen 19. Jahrhunderts.

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Publikumsgespräch BLACK MILK (Berlinale 2020)

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Von links: Uisenma Borchu, Berlinale Moderator, Gunsmaa Tsogzol, Terbish Demberel, zwei weitere Darsteller, ein Dolmetscher und Sven Zellner

Nach der Premiere von BLACK MILK holt Regisseurin Uisenma Borchu einige der Darsteller sowie Sven Zellner (Kamera und Produktion) auf die Bühne. Ihr Film hat starke autobiografische Züge. Das zeigt sich in der Wahl der Darsteller. Die Hauptfigur Wessi spielt Borchu selbst, die Schwester im Film ist im realen Leben ihre Cousine Gunsmaa Tsogzol aus der Mongolei und der Vater im Film ist auch tatsächlich ihr Vater.

Im Publikumsgespräch wird offensichtlich, wie uneindeutig Identitätskonstruktionen verlaufen. Sie komme eigentlich überall auf der Welt zu Recht, sagt Borchu. Daher könne auch überall Ihr zu Hause sein. Und doch gibt es eine versteckte Bindung an die Mongolei und eine zwiespältige Beziehung zu Deutschland. Hier sei ihr seid ihrer Kindheit gesagt worden, wo sie hingehen solle. Uisenma Borchus persönliches Nomadengefühl ist letztlich auch ein Akt der Selbstbestimmung, eine selbstbewusste Reaktion auf den Rassismus, den sie in Deutschland erlebt hat.

SCHWARZE MILCH (Black Milk) von Uisenma Borchu (Berlinale 2020)

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BLACK MILK nimmt sich Zeit. Intime Momente, Konflikte und Uneindeutigkeiten werden nicht einer dramaturgischen Linie geopfert. Regisseurin Uisenma Boruch lässt Personen und Situationen für sich sprechen. Das tut gut.

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KIDS RUN von Barbara Ott (Berlinale 2020)

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Andi (Jannis Niewöhner) war ein Boxer. Na gut, eigentlich war er kein Boxer, sondern einer, der sich für ein paar Euro auf nicht mal drittklassigen Fight Nights mit anderen in einem Ring geprügelt hat und dabei erstaunlicherweise Boxhandschuhe trug. Jetzt ist Andi ein noch junger Vater von drei Kindern – zwei im Grundschulalter ein Baby. Mit keiner der beiden Mütter ist er noch zusammen. Aber die beiden älteren Kinder wohnen bei ihm und auch um das Baby kümmert er sich so oft es geht. Andi jobt als Tagelöhner auf einer Baustelle und dem Müllplatz seines Ex-Trainers Mikael. Er steht seit Monaten kurz davor mit den Kindern aus seinem Wohnloch zu fliegen. Kurz: Andi ist seit langem nur noch ein paar Zentimeter vom Abgrund entfernt.

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VOLEVO NASCONDERMI (HIDDEN AWAY) von Girgio Diritti (Berlinale 2020)

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Ein dunkles Auge, das verschreckt aus einem über den Kopf gezogenen Mantel hervorlugt. Nur nicht gesehen werden. Antonio Ligabue (1899-1965), als Dorftrottel abgestempelter Ausnahmekünstler, hat bereit viel Schlimmes in seinem Leben erlitten, als er während der Mussolini-Ära in die Psychatrie überwiesen wird. Kindheit in der Schweiz, nach dem Tod der italienischen Eltern Unterbringung bei einem Bauernpaar, von den Dorfkindern gehänselt, vom Ziehvater misshandelt – das Kind Toni wächst zu einem misstrauischen, zutiefst scheuen Wesen heran, das sich am liebsten versteckt. Nur mit den Tieren auf dem Hof hat der Junge von Anfang an eine enge Verbindung – er spricht mit den Gänsen, ahmt kämpfende Hähne nach und verfolgt Käfer auf ihrem wirren Krabbelweg. Und Tiere sind es auch, die er als erstes zeichnet – mit einem erstaunlichen Talent, das ihn schließlich bis zu renommierten Ausstellungshäusern in Rom führen wird.

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EL PRÓFUGO (THE INTRUDER) von Natalia Meta (Berlinale 2020)

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Psychothriller, Gruselfilm oder doch Psychogramm einer jungen Frau unter extremem Stress? EL PRÓFUGO (THE INTRUDER) der argentinischen Regisseurin Natalia Meta hat von allem etwas und verknüpft die Genre-Anteile äußerst geschickt miteinander. Visuell einfallsreich und bisweilen mit skurrilem Humor erzählt der Film von einem Schwebezustand zwischen Wahn und Realität. Die besondere filmische Atmosphäre dieser Gratwanderung hallt noch lange nach der Kinovorführung nach.

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NACKTE TIERE von Melanie Waelde (Berlinale 2020)

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Was soll man nach dem Schulabschluss bloß tun, wenn man irgendwo im Nirgendwo lebt: Gehen? Bleiben? Nicht so einfach zu entscheiden, wenn es für beides gute Gründe gibt. Die 27-jährige Potsdamerin Melanie Waelde hat mit NACKTE TIERE einen starken Spielfilm über die Unsicherheiten des Erwachsenwerdens auf dem Land gedreht. Auf der Berlinale läuft er in der Reihe „Encounters“, die für ästhetisch innovative und wegweisende Filme reserviert ist. Ein wahrer Ritterschlag also für eine so junge Regisseurin, zumal es sich um ihren ersten langen Spielfilm handelt. „Nackte Tiere“, so der Titel, ist ein intensives Porträt einer Clique Jugendlicher auf dem Land. Ganz nah ist der Film seinen Protagonisten, und hält doch respektvollen Abstand.

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SCHLINGENSIEF - IN DAS SCHWEIGEN HINEINSCHREIEN von Bettina Böhler (Berlinale 2020)

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Bettina Böhler, Filmeditorin und auch Weggefährtin von Christoph Schlingensief, hat die ultimative, bewegende Schlingensief-Doku gedreht. Kann man dem Mann in zwei Stunden gerecht werden? Wohl kaum. Aber wenn überhaupt, dann so:

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„Man ist nie wieder so stark wie mit 17“ (Berlinale 2020)

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Gespräch mit Melanie Waelde, Regisseurin des Encounter-Beitrags NACKTE TIERE

NACKTE TIERE – was für ein Titel! Sind Tiere nicht immer nackt, oder eigentlich nie? Melanie Waelde, 27 Jahre alt, Potsdamerin, Regisseurin, Drehbuchautorin und in diesem Jahr Teilnehmerin an der neuen Berlinale-Wettbewerbsreihe „Encounters“ hat diesen widersprüchlichen Filmtitel ganz bewusst gewählt. Die seltsamen Assoziationen, die sich dabei ergeben, heißt sie willkommen. Überhaupt mag sie es, wenn Filme nicht eindeutig sind, wenn die Zuschauer manches eben so oder so interpretieren können. Ihr Film vermeidet Eindeutigkeiten, stellt anscheinend so klare Grenzen in Frage. Was also bedeutet „Nackte Tiere“? Waelde spielt die Frage zurück an die Journalistin. „Verletzlichkeit und Ungezähmtheit“, kommen ihr in den Sinn. Scheint zu passen. Waelde lächelt.

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MY SALINGER YEAR von Philippe Falardeau (Berlinale 2020)

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Junge Frau kommt nach New York. Junge Frau will sich als Schriftstellerin verwirklichen und Teil der aufregenden Literaturszene der Stadt werden. Junge Frau landet bei einer Literaturagentur mit knallharter Chefin, wo sie stundenlang gähnend langweilige Texte abtippen muss. Einziger Lichtblick: Sie darf die Fanpost an J.D. Salinger lesen und diese mit Standardbriefen beantworten. MY SALINGER YEAR von Philippe Falardeau ist der Eröffnungsfilm der diesjährigen Berlinale, mit ihm soll man sanft auf das Festival eingestimmt werden – und genauso nett und harmlos kommt er auch daher. Eine gut erzählte Coming of Age Story, die aber so vorhersehbar ist, dass sie nur dank der guten schauspielerischen Leistung von Margaret Qualley (Junge Frau = Joanna) und Sigourney Weaver (Joannas Chefin) überhaupt im Gedächtnis bleibt.

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Pressekonferenz: MY SALINGER YEAR (Berlinale 2020)

Die erste Film-Pressekonferenz der 70. Berlinale. Besonders unter den Fotograf*innen ist die Aufregung groß. Wie Löwen müssen sie gebändigt werden. Gefangen in einem Knipsrausch wollen sie sich auch nach mehrmaliger Aufforderung nicht setzen. Am Ende muss die Pressechefin der Berlinale persönlich einschreiten.

Klar, ich kann den hohen Adrenalinpegel verstehen. Sigourney Weaver und Magaret Qualley sind vielleicht die größten Hollywood Stars an diesem Berlinale-Wochenende.

Die zwei Schauspielerinnen, die zwei ganz unterschiedliche Generationen verkörpern, sind sich dann sehr sympathisch und einander innig verbunden. Zusammen mit dem kanadischen Regisseur Philippe Falardeau und der Schriftstellerin Joanna Rakoff füllen sie den Presseraum im Grand Hyatt Hotel mit einer wohlig warmen Team-Atmosphäre.

Für den Zusammenhalt spricht auch, dass zwei Filmcrew-Mitglieder, die nicht auf der Pressekonferenz anwesend sind, besonders hervorgehoben werden: einmal die Kostümdesignerin Ann Roth und dann die Kamerafrau Sara Mishara. Hoch gelobt wird letztere von Falardeau ("Write that name down") und Rakoff ("A real genius").

Rakoff gibt dann auch noch einen anderen wichtigen Hinweis: bis auf eine Stelle waren alle leitenden Positionen bei der Filmproduktion mit Frauen besetzt. Ein sehr wichtiges Signal nach vorn, das die Berlinale derzeit gut gebrauchen kann.

Berlinale 2020

Heute ist es endlich soweit: die 70. Berlinale wird eröffnet. Vieles ist in diesem Jahr anders. Die Leitung hat gewechselt, das Cinestar hat geschlossen und die Berlinale Plakate sind bärlos. Auch wenn ich bereits einige bekannte Gesichter wie den Pressekollegen von African Refugee News und langjährige Mitarbeiter des Presse-Ticketcounter gesichtet habe: es stellt sich nur ein verhaltenes, abwartendes "Same procedure as last year" ein.

Der Vorlauf zur Berlinale kann man wohl als gescheitert bezeichnen: anstatt über Filme zu sprechen, musste das neue Leitungsteam die Wahl des Jury Präsidenten rechtfertigen und mit der verschleppten Aufarbeitung der NSDAP Vergangenheit des Berlinale Gründers beginnen.

Wenn man sich dann der Filmauswahl widmet, dann gibt es vor allem viele Fragezeichen: weniger bekannte Namen, dafür mehr "Newcomer". Zumindest für den Eröffnungsfilm MY SALINGER YEAR stehen die Autogrammjäger heute morgen schon in der Kälte: Sigourney Weaver und Margaret Qualley sind heute Mittag bei der Pressekonferenz und eröffnen am Abend dann zusammen mit Mariette Rissenbeck und Carlo Chatrian die Jubiläumsausgabe.

Berlinale 2019

2019 war ein Jahr des Abschieds und stand ganz im Zeichen von Dieter Kosslick. Es war sein letztes Jahr als Festivalleiter. Kosslick war beliebt, das wusste man, aber dieses Jahr merkte man es besonders. Ob in der Eröffnungs- und Abschlussgala, auf den Filmpremieren oder in der Tagespresse: sein Abschied war allgegenwärtig. Internationale Branchenblätter wie Variety schalteten große Anzeigen um "Dieter" zu danken. Wehmut.

Von manch einem Abschied wusste man damals noch nichts, manches ahnte man aber. Mit Kosslick ging auch die wunderbare Anke Engelke. Der Forumsleiter Christoph Terhechte hatte bereits 2018 überraschend das Feld geräumt. Für viele langjährige Mitarbeiter im Forum-Team war dann auch 2019 das letzte Mal. Nur zwei von Ihnen sitzen später im Auswahlkomitee der neuen Leiterin Christina Nord für das Forum-Programm der Berlinale 2020.

Wenn man einiges gewusst hätte, dann hätte man vielleicht noch liebevoller zurückgeschaut. So hatte z.B. das Cinestar im Sony Center 2019 seinen letzten Auftritt als Austragungsort der Berlinale. Ende 2019 fiel für immer der Vorhang.

Ein im Nachhinein trauriger Abschied war die Premiere von PETER LINDBERGH – WOMEN'S STORIES. Nach der Premierenvorstellung kam Lindbergh auf die Bühne. Ein halbes Jahr später ist er gestorben.

Die Filme der Berlinale 2019 konnten über die Sektionen hinweg überzeugen und erhielten auch nach der Berlinale noch große Anerkennung, so z.B. SYSTEMSPRENGER (Wettberwerb), HEIMAT IST EIN RAUM AUS ZEIT (Forum) oder TALKING ABOUT TREES (Panorama).

Persönlich hat mich besonders gefreut, dass Angela Schanelec mit dem Regiepreis für ICH WAR ZUHAUSE, ABER endlich die gebührende Anerkennung bekommen hat.

Berlinale 2018

Ein Ballett von Gabelstaplern gleich zu Beginn – und die Herzen der Zuschauer waren gewonnen für Thomas Stubers sanftes Supermarkt-Drama IN DEN GÄNGEN. Weitaus kontroverser wurde der Gewinnerfilm TOUCH ME NOT von Adina Pintilie bewertet.

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Berlinale 2017

Dieses Berlinalejahr bleibt mit einem stark besetzten Wettbewerb in Erinnerung: Da ist zunächst der wunderbare Film von Ildikó Enyedis TESTRÖL ES LELEKRÖL,(On body and soul), der es auf unnachahmliche Weise schafft, die raue Wirklichkeit eines Schlachthauses in Budapest kunstvoll mit einer poetischen Liebesgeschichte zu verschmelzen. Enyedis gewinnt mit ihrem Film absolut verdient den Goldenen Bären und ON BODY AND SOUL hat seitdem einen festen Platz in meiner inneren Hall of Fame der Lieblingsfilme.

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Berlinale 2016

Diese Momente sind rar. Ich komme aus dem Kino, bis in die Haarspitzen mit Energie geladen, bin wie weggeblasen, aufgewühlt und doch glücklich. Ich habe etwas vollkommen Neues gesehen. Für mich war es damals einfach groß. Es war das Jahr 1989 und ich hatte DO THE RIGHT THING gesehen.

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Berlinale 2015

2015 bekam TAXI von Jafar Panahi den Goldenen Bären. Ein Film den es gar nicht hätte geben dürfen. Denn seit 2010 darf der iranische Regisseur und Drehbuchautor keine Filme machen. Das beschloss das Iranische Revolutionsgericht im Dezember 2010. Das Verbot gilt für 20 Jahre. Am Anfang saß Panahi im Gefängnis. Nun steht er seit Jahren offiziell unter Hausarrest, kann sich aber teilweise im Iran frei bewegen. Seit 2010 hat der Iraner vier Filme gedreht. Für PARDÉ (Closed Curtain) gewann bei der Berlinale 2013 den Silbernen Bären für das beste Drehbuch, 2015 gewann dann TAXI den Goldenen Bären für den besten Film. 2018 beim Filmfestival in Cannes erhielt er gemeinsam mit seinem Co-Autor Nader Saeivar den Preis für das beste Drehbuch für seinen Film SE ROKH (Drei Gesichter).

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Berlinale 2014

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Der Wettbewerb im Berlinale-Jahr 2014 war eine echte Wundertüte: BOYHOOD von Richard Linklater erzählte zwölf Jahre im Leben eines Jungen und einer Familie in knapp drei Stunden. Für die herausragende Langzeitbeobachtung bekam Linklater den Silbernen Regie-Bären. Für das beste Drehbuch wurden Anna und Dietrich Brüggemann mit Silber ausgezeichnet. Ihr Film KREUZWEG zeigt die Konsequenzen eines menschenfeindlichen christlich-fundamentalistischen Glaubenskonzepts. Der Film ist dann stark, wenn er seine Bilder wirken lässt und schwach, wenn er sein Publikum nicht selbst denken lässt, sondern durch bemühte Dialoge belehrt. KREUZWEG war einer von vier deutschen Beiträgen im Wettbewerb. Von denen ist mir auch JACK von Edward Berger im Gedächtnis geblieben.

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Berlinale 2013

2013 ist Wong Kar Wai Präsident der Jury. Er brachte auch gleich den Eröffnungsfilm mit: YI DAI ZONG SHI (The Grandmaster). Mit der Geschichte eines Kung-Fu-Meisters hatte die Berlinale vorher noch nie begonnen, Tony Leung spielte den legendären Ip Man. Ein weiteres Novum: Erstmals verkaufte die Berlinale mehr als 300.000 Kinokarten.

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Berlinale 2012

CESARE DEVE MORIRE, Cäsar muss sterben – ein Theaterstück, gespielt von Gefängnisinsassen, von den italienischen Brüdern Taviani in einen Film gepackt, holte in jenem Jahr den Goldenen Bären ab. Hatte mal wieder keiner auf dem Schirm.

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Berlinale 2011

Mit einem leeren Stuhl auf der Bühne erinnerte die Berlinale 2011 an ein Jurymitglied, das trotz Einladung nicht nach Berlin anreisen durfte. Der iranische Regisseur Jafar Panahi, der sich in seinen Filmen immer wieder kritisch mit Politik und Gesellschaft im Iran auseinandersetzt, war wegen dieser Haltung in der Islamischen Republik Iran 2010 zu einer sechsjährigen Haftstrafe und einem 20-jährigen Berufsverbot verurteilt worden. Die Berlinale würdigte Panahi auch dadurch, dass in vielen Sektionen des Festivals seine Filme gezeigt wurden.

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Berlinale 2010

Fast scheint es wie eine Erinnerung aus einer anderen Epoche: Der Potsdamer Platz war zur Berlinale 2010 mit Schnee und Eis überzogen, der Weg von Kino zu Kino ein Akt für Hasardeure! In den Klimawandel-verseuchten Wintern der vergangenen Jahre können wir uns an solche Eiszeiten kaum mehr erinnern. Tja.

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Berlinale 2009

Überall nur Krisenstimmung - da musste die Berlinale schon einiges bieten, um sich als kulturelles Highlight zu behaupten. Sofern man dies an den Besucherzahlen festmacht, war 2009 ein voller Erfolg: Trotz globaler Wirtschafts- und Finanzkrise wurde mit ca. 270.000 verkauften Tickets wieder ein neuer Rekord aufgestellt. Auch die Jury war mit Tilda Swinton als Präsidentin, mit Christoph Schlingensief, dem Schriftsteller Hennig Mankell, der spanischen Regisseurin Isabel Coixet, dem Regisseur Wayne Wang hochkarätig besetzt. Zwiespältige Reaktionen löste dann der Eröffnungsfilm The International von Tom Tykwer aus, ein Politthriller, der trotz anderslauternder Pressemeldungen keine tiefere Auseinandersetzung mit der Finanzkrise bot, sondern bei dem das internationale Wirtschaftsverbrechen eher die Rahmenhandlung für zahlreiche Verfolgungsjagden und Schusswechsel bildete.

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Berlinale 2008

Das Staraufkommen war wieder einmal beachtlich: Neben Tilda Swinton, Penélope Cruz, Natalie Portman, Daniel Day-Lewis und dem Bollywood-Superstar Shah Rukh Khan wurde die Liste der Berühmtheiten noch getopt von Madonna, die zur Aufführung ihrer ersten Regiearbeit Filth and Wisdom höchstselbst nach Berlin gekommen war und dort außer den obligatorischen Menschenaufläufen inklusive ganz viele Gekreische mit ihrem Erstlingswerk auch für einen kurzweiligen Filmabend sorgte. Die Bedenken, die angesichts der früheren schauspielerischen Leistungen von Madonna durchaus berechtigt waren, erwiesen sich zum Glück als unbegründet: Madonnas Regiedebut wird vermutlich nicht als Meilenstein in die Filmgeschichte eingehen, war aber als unterhaltsamer Musikfilm durchaus sehenswert. Überhaupt stand diese Berlinale im Zeichen der Musik: Abgesehen von der Rockdokumentation über die Gitarristen von Led Zeppelin, The Withe Stripes und U 2 It might get loud als Eröffnungsfilm bot auch das Parorama mit dem Musikdokumentarfilm des Star- und Modefotographen Steven Sebring Dream of Life eine beeindruckende Innenansicht in Leben und Werk der Ausnahmekünstlerin Patti Smith.

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Berlinale 2007

Rekorde, Rekorde Rekorde: In diesem Jahr verbucht die Berlinale 19.000 Akkreditierte aus 127 Ländern, 4.000 Journalisten, 430.000 Kinobesuche in zehn Tagen und 220.000 verkaufte Tickets.

Aus dem Wettbewerb bleibt positiv in Erinnerung: Der Goldene Bär für den chinesischen Wettbewerbsbeitrag TUYAS EHE und vor allem Christian Petzolds YELLA. Toller Film und Nina Hoss bekommt den Silbernen Bären als beste Hauptdarstellerin. Der Alfred-Bauer-Preis für neue Perspektiven in der Filmkunst für Park Chan-wooks genial übergeschnappten Film I’M A CYBORG, BUT THAT’S OK. ist mehr als nur ok. Zurecht Prügel bezieht die Berlinale hingegen dafür, dass das gut gemeinte B-Movie BORDERTOWN mit JLo als Starvehikel im Wettbewerb läuft.

Großartige Entdeckungen dagegen im Forum: Thomas Imbachs märchenhafter Film I WAS A SWISS BANKER verzaubert das Publikum, Josef Hader hat einen großen Auftritt in Ann-Kristin Reyels schönem Winterdrama JAGDHUNDE, Jeff Nichols gewaltiger Debütfilm SHOTGUN STORIES avanciert zum Kritikerliebling. Die filmische Wiederentdeckung eines verschollenen Mitglieds der Andy-Warhol-Entourage liefert in A WALK INTO THE SEA: DANNY WILLIAMS AND THE WARHOL FACTORY neues Futter für die Freunde und Feinde der Factory. Gezeigt werden zudem mehrere Warhol-Filme, darunter THE CLOSET, in dem man eine Stunde lang der unterkühlten Sirene Nico dabei zusehen kann, wie sie einen netten jungen Mann mit harmlosen Gesprächen in einem begehbaren Kleiderschrank verunsichert.

Besonderer Leckerbissen: Die Wiederaufführung von Charles Burnetts KILLER OF SHEEP, der bereits 1981 im Forum lief. Wegen Streitigkeiten um die Musikrechte gehört dieses äußerst berührende, formal zwischen Neorealismus, Jean Renoir und Cassavetes angesiedelte Drama zu den am wenigsten gesehenen berühmten Filmen der Welt.

Die Retrospektive bietet einen spannenden Blick auf die "neue Frau" im Stummfilm.

Das Panorama beglückt unter anderem mit Julie Delpies Regiearbeit ZWEI TAGE IN PARIS, der von Jeff Garlin gedrehten John Waters One-Man-Bühnenshow THIS FILTHY WORLD, Thomas Arslans stillem und gerade deshalb so packendem Familien- und Beziehungsdrama FERIEN und THE BUBBLE, in dem Eytan Fox den zum Scheitern verurteilten Versuch einiger junger Leute in Tel Aviv nachzeichnet, trotz des Palästina-Konfliktes in einer „Blase der Glückseligkeit“ zu leben.

Berlinale 2006

Was war da noch mal, im Jahr 2006? Richtig: Deutschland, ein Sommermärchen. Fußballweltmeisterschaft. Die Berlinale also ganz im Zeichen des bevorstehenden schwarz-rot-goldenen Fußballtaumels? Keineswegs. Festivaldirektor Kosslick ging in die Offensive und kündigte bei der Eröffnungspressekonferenz ein explizit politisches Festival an: „so politisch, grausam und unangenehm, wie die Weltlage nun einmal ist.“

Schließlich war 2006 noch kein Obama in Sicht, der Krieg im Irak auf einem blutigen Höhepunkt und Guantánamo wurde samt seinen Folterwerkzeugen von der US-Administration im „Krieg gegen den Terror“ verteidigt. Michael Winterbottom thematisierte in The Road to Guantánamo anhand traumatisierter ehemaliger Gefangener eindrucksvoll dieses staatlich sanktionierte Menschenrechtsverbrechen und bekam dafür den silbernen Bären für die beste Regie. Der kritische Polit-Thriller Syriana lief außer Konkurrenz und wurde von George Clooney persönlich vorgestellt.

Und selbst die Fußballfilme waren 2006 politisch: Der großartige Film Offside von Jafar Panahi führt die Schikanen der frauenfeindlichen iranischen Diktatur ad absurdum, zu denen auch striktes „Stadionverbot“ zählt; und zeigt mutige Frauen, die sich darüber hinwegsetzen – ein Vorbote der heutigen Proteste im Iran. Auch der Goldene Bär ging also fast selbstverständlich an einen starken politischen Film, der die Vergewaltigungen im Jugoslawienkrieg thematisiert: Esmas Geheimnis – Grbavica von Jasmila Žbanić. Politik und Frauenpower, symbolisiert auch von Jurypräsidentin Charlotte Rampling, das ging 2006 hervorragend zusammen. Endlich, so die Bilanz, wieder gesellschaftlich relevantes Kino. Dazu passend feierte der schwul-lesbische Teddy-Award bereits sein 20-jähriges Jubiläum.

Berlinale 2005

Überraschung bei der Preisverleihung: Mit dem südafrikanischen Spielfilmdebut U-Carmen eKhayelitsha von Mark Dornford-May setzte sich ein Film im Wettbewerb um den Goldenen Bären durch, dem zuvor kaum Chancen auf den Preis eingeräumt worden waren. U-Carmen ist eine Adaption der Carmen Oper von Bizet, bei der der Schauplatz der Handlung in das Township eKhayelitsha nahe Kapstadt verlegt worden ist. Bei Publikum und Presse war dagegen ganz klar der politische Film Paradise Now des palästinänsisch-niederländischen Regisseurs Hany Abu-Assad über zwei palästinensische Selbstmordattentäter der Favorit. So gab es bei Bekanntgabe des goldenen Bärens vereinzelt die üblichen Buh-Rufe und auch die Jury Mitglieder Roland Emmerich und Franke Potente sahen bei ihrer Entscheidungsverkündung nicht wirklich begeistert aus.

Ansonsten war der deutsche Film dieses Mal mit Mark Rothemunds Sophie Scholl - Die letzten Tage, Hannes Stöhrs One Day in Europe und Christian Petzolds Gespenster auch im Wettbewerb wieder stark vertreten. Mark Rothemunds Film bekam dann gleich zwei silberne Bären: Für die beste Regie und für Julia Jentsch als beste Darstellerin.

Das Panorama feierte seinen zwanzigsten Geburstag neben einer multimedialen Ausstellungsinstallation mit Filmstills und Fotogalerie in der HomeBase Panorama Lounge am Potsdamer Platz auch mit einem hochkarätigen Filmprogramm und mit George Michael als Promi-Geburstagsgratulanten. Die Ausstellung zeigt u.a. all die Regisseure, an deren internationalem Durchbruch das Panorama maßgeblich mitbeteiligt war, so wie z.B. Pedro Almodóvar, Ang Lee, Gus Van Sant oder Oskar Roehler.

Berlinale 2004

Bei den 54. Internationalen Filmfestspielen in Berlin sieht es lange Zeit so aus, als ob die Ausbeute im Wettbewerb mager ausfallen wird: zu viele peinliche Streifen, zu viele belanglose Filme, zu viel Achselzucken und Ratlosigkeit. Doch ein paar richtig gute Filme sind auch darunter – und die Jury unter dem Vorsitz von Frances McDormand beweist ein glückliches Händchen bei der Auswahl der Preise.

Riesenfreude: Der Goldene Bär für Fatih Akins wuchtiges Drama GEGEN DIE WAND bedeutet den internationalen Durchbruch des deutschtürkischen Regisseurs. In seinen eigenen Worten: "Ich war ein Leben lang eine Raupe - auf einmal bin ich ein Schmetterling". Akin hat seit KURZ UND SCHMERZLOSS über AUF DER ANDEREN SEITE bis hin zu SOUL KITCHEN gezeigt, dass er seine Geschichten in ganz unterschiedlichen Tonlagen unverwechselbar kaftvoll erzählen kann.

Großes Lob und Preise heimst auch EL ABRAZO PARTIDO des Argentiniers Daniel Burman ein – völlig zu Recht. Der Gewinner des Silbernen Bären für den Besten Film erzählt von einer Handvoll Menschen, die in einem heruntergekommenen Einkaufszentrum in Buenos Aires an ihrem Leben herumwerkeln. Brüchige Identitäten, Verlust und die Sehnsucht nach einem Lebensinhalt stehen im Zentrum dieses Films, der nie ins Betuliche abrutscht, sondern das Leben mit Gespür für Rhythmus und Tempo auf die Leinwand bannt. Hauptdarsteller Daniel Hendler bekommt einen Silbernen Bären.

Klar ist auch, dass die Südafrikanerin Charlize Theron für ihren atemberaubenden Auftritt in MONSTER den Silbernen Bären verdient hat. Dass ein zweiter Silberner Bär an die Kolumbianerin Catalina Sandino Moreno für ihre Rolle in „Maria, llena eres de gracia“ geht, ist wohl eher der politischen Relevanz dieses Drogenschmugglerfilms geschuldet.

Um ein künstlerisches Eltern-Kind-Paar geht es in Mario Van Peebles HOW TO GET THE MAN’S FOOT OUTTA YOUR ASS: der afroamerikanische Filmemacher hat sich an die Dokumentation eines Meilensteins der schwarzamerikanischen Filmgeschichte gemacht: der Entstehung des Independent-Films SWEET SWEETBACK’S BAADASSSSS SONG, den sein Vater Melvin Van Peebles 1971 unter den widrigsten Bedingungen gedreht hat. Während Melvin Van Peebles Film in der Retrospektive zu sehen ist, läuft das „Making of“ im Panorama. Familiensache ist Ehrensache.

Berlinale 2003

Galt das Festival 2002 bereits als politisch, so nehmen Teilnehmer der Berlinale in diesem Jahr noch eindeutiger und sichtbarer Stellung zur aktuellen politischen Lage. Der Irakkrieg steht unmittelbar bevor – Berlinale-Gäste Martin Scorsese, Spike Lee, Dustin Hoffman, Spike Jonze und natürlich auch Oliver Stone lassen sich die Gelegenheit nicht entgehen, öffentlichkeitswirksam gegen die Politik von George W. Bush zu protestieren.

Insgesamt macht das Festival einen qualitätsvollen und sehr, sehr ernsten Eindruck: Patrice Chéreau erhält für sein beeindruckendes Sterbedrama SON FRÈRE den Silbernen Bären für die Beste Regie, dem Thema Sterben widmen sich auch Isabel Coixet in MY LIFE WITHOUT ME und Nir Bergmans BROKEN WINGS – beide Filme erhalten auf dem Festival und darüber hinaus großes Lob; Hans-Christian Schmids LICHTER und Oskar Roehlers DER ALTE AFFE ANGST gehen mit beeindruckender Intensität und jeweils ganz eigenem Gefühl für die richtige filmische Form dorthin, wo es wehtut.

Die Jury unter Vorsitz von Atom Egoyan entscheidet sich schließlich für den Versuch einer konsequenten Opfersicht: Michael Winterbottoms IN THIS WORLD erhält den Golden Bären, was dem einen oder der anderen dann doch zuviel Politik und zuwenig Ästhetik ist.

Berlinale 2002

Die Debüt-Berlinale von Dieter Kosslick wird allgemein als gelungener Neuanfang gewertet. Der extrem gut vernetzte neue Festivalchef, so der Tenor der Berlinale-Kommentatoren, bringe frischen Wind in die Berlinale. Kosslick punktet nicht nur durch seine Expertise im Filmfördergeschäft, er ist zudem die geborene Rampensau: mit demonstrativ guter Laune jettet er im klirrend kalten Februar von Termin zu Termin und schafft es, die Menschen ein knappes halbes Jahr nach 9/11 mit seiner positiven Art mitzureißen.

Der junge deutsche Film bekommt in diesem Jahr starken Rückenwind durch die neue Sektion Perspektive Deutsches Kino, geleitet von Alfred Holighaus. Auch im Wettbewerb ist der deutsche Film mit vier Beiträgen vertreten – der Große Preis der Jury geht an einen von ihnen: Andreas Dresen erntet breites Lob für seinen betont uneitlen Blick auf das emotionale und lebenspraktische Kuddelmuddel von Menschen „wie du und ich“, HALBE TREPPE. Ein Wermutstropfen: Drei der vier deutschen Wettbewerbsbeiträge wurden ganz ohne Förderung realisiert.

Einer der ganz Großen wird für sein Lebenswerk geehrt: Robert Altman. 2006 läuft sein letzter Film A PRAIRIE HOME COMPANION auf der Berlinale, im November desselben Jahres stirbt Altman.

Den Goldenen Bären teilen sich zwei komplett unterschiedliche Filme: Hayao Miyazakis zauberhafter Zeichentrickfilm SPIRITED AWAY und Paul Greengrass' politisch engagiertes Irland-Drama BLOODY SUNDAY. Nun ja, schließlich steht die Berlinale 2002 ja auch unter dem Motto "Accept Diversity".

Berlinale 2001

Nach 21 Dienstjahren bricht nun das letzte Berlinalejahr für Festvialleiter Moritz des Hadeln an. Sein Nachfolger Dieter Kosslick ist zwar schon überall präsent, hält sich aber in Interviews bedeckt und lobt die gute Arbeit seines Vorgängers. Ein weiterer personeller Wechsel findet bei der Leitung des Forums statt, dort übergibt Ulrich Gregor an den Filmjournalisten Christoph Terhechte, der zuvor u.a. das Filmressort des Berliner Stadtmagazins "tip" geleitet hatte.

Als Favouriten im Wettbewerb kristallisierten sich zwei Filme heraus: Der kunstvoll konstruierte grenzüberschreitende Thriller Traffic - Macht des Kartells von Steven Soderbergh und das erotische Kammerspiel Intimacy von Patrice Chéreau. Während es im auch formal anspruchsvollen "Traffic" um den Kampf gegen die Drogenmafia an der mexikanischen Grenze geht, ist "Intimacy" eine tiefsinnige Reflexion über Sexualität und Einsamkeit mit zum Teil recht drastischen Sexszenen, die sich vor allem durch die ungeschönte Art der Darstellung klischeegeprägten Sehgewohnheiten konsequent verweigern. Letztlich erwies sich Chéreau mit seinem Film dann als der große Abräumer: Neben dem Golden Bären gewann er auch noch den Blauen Engel für den besten europäischen Film, seine Hauptdarstellerin Kerry Fox wurde mit dem Silbernen Bären als beste Darstellerin ausgezeichnet. Auch der Konkurrent "Traffic" ging aber nicht gänzlich leer aus, Benicio del Torro wurde für seine Leistung mit dem Silbernen Bären als bester Darsteller bedacht.

Auffällig war die starke Präsenz von Filmen aus Japan, China, Korea, Thailand und Vietnam in allen Sektionen des Festivals, ein deutliches Zeichen dafür, dass die Berlinale ihrem Ziel, eine Plattform für das junge asiatische Kino zu bieten, deutlich näher gekommen war.