THE TWENTIETH CENTURY von Matthew Rankin (Berlinale 2020)

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THE TWENTIETH CENTURY als schrill oder überdreht zu beschreiben, wäre eine maßlose Untertreibung. Eher nehmen wir Teil an einer kreativ-eperimentellen Stil-Explosion, die aus wild gemixten Elementen eine eigene, so noch nicht gesehene Bildsprache entwickelt. Inhaltlich geht es um zehn Kapitel aus dem Leben des bekannten Politikers William Lyon Mackenzie King, der Kanada 22 Jahre lang als Premierminister regiert hatte. Rankin setzt mit der Handlung 1899 ein, als Mackenzie King zum ersten Mal für den Posten des Premierministers kandidiert. Wer jetzt ein klassisches Biopic über eine bekannte historische Persönlichkeit erwartet, wird sich bald verwundert die Augen reiben.

Die Ausschnitte aus dem Leben von Mackenzie King, die Matthew Rankin in seiner bizarren Geschichtsstunde aneinanderreiht, bewegen sich optisch irgendwo zwischen Surrealismus, Filmästhetik der 30er Jahre, einer großen Prise Monty Python, rührseeligen Kitschelementen und Comicstrips. Als Granitur gibt es dann noch jede Menge Perücken und falsche Bärte sowie eine Aneinanderreihung von Gags verschiedenster Güte. Neben einem diabolischen Arzt kommen einem explodierenden Kaktus und einer blondbezopften Harfenspielerin wesentliche Schlüsselfunktionen in der Handlung zu. Trotzdem wird der Film auch dem Anspruch gerecht, historische Ereignisse und Persönlichkeiten zu porträtieren, er tut dies eben nur auf sehr eigenwillige Weise. Es finden sich viele Einsprengsel aus der damaligen Tagespolitik und auch die Rivalität zwischen Mackenzie King und Arthur Meighen, die im Film eine wichtige Rolle spielt, ist historisch verbrieft. Sogar einige der staatsmännischen Aussprüche, die die Hauptfigur tätigt, könnten heute noch so ähnlich im politischen Umfeld erfolgen.

Auch ohne vertiefte Kenntnisse der kanadischen Geschichte ab 1899 ist allerdings davon auszugehen, dass manche der Vorlieben, die dem Helden Mackenzie King zugeschrieben werden, doch eher der Phantasie des Regisseurs entspringen und nicht zu einhundert Prozent auf historischen Fakten beruhen. Jedenfalls war mir bis dato unbekannt, dass ein kanadischer Premierminister nicht nur Schuhfetischist war sondern gleichzeitig auch in höchst ungut ödipaler Weise an seine optisch an den bösen Wolf mit Perücke erinnernde Mutter gebunden war. Aber was weiß man schon? Ich habe jedenfalls durch den Film Lust darauf bekommen, mich mit der Geschichte des realen Mackeinzie King näher zu beschäftigen. Und klar wird auch: Schon damals war die Kandidatur für das höchste Staatsamt kein Zuckerschlecken. Besonders in Erinnerung bleiben wird mir der Wettkampf in kanadischer Männlichkeit, dem sich unser Held im Laufe der Handlung unterziehen muss. Bei dieser Prüfung der Führungsqualitäten der Präsidentschaftkandidaten werden so wichtige Qualifikationen wie Holzstammriechen, Butterstampfen, den eigenen Namen in den Schnee pinkeln und das Erschlagen von Babyrobben abgeprüft. Auch die immense Bedeutung der niedlichen Papageientaucher-Vögel für die kanadische Geschichte wurde in der hier gezeigten Dimension noch nie beleuchtet. Unbedingt anschauen...

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Titel

Orignaltitel

The Twentieth Century

Credits

Regisseur

Matthew Rankin

Schauspieler

Mikhaïl Ahooja

Dan Beirne

Sarianne Cormier

Catherine Saint-Laurent

Brent Skagford

Land

Flagge KanadaKanada

Jahr

2019

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