NEVER RARELY SOMETIMES ALWAYS von Eliza Kittman (Berlinale 2020)

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Wie oft hat sich ein Sexualpartner geweigert, ein Kondom zu tragen? Nie, selten, manchmal, immer? Wie oft hat ein Sexualpartner Deine eigene Verhütung verhindert oder erschwert? Nie, selten, manchmal, immer? Wie oft wurdest Du gegen Deinen Willen zum Geschlechtsverkehr gedrängt? Nie, selten, manchmal, immer? Wie oft wurdest Du körperlich bedroht oder geschlagen? Nie, selten, manchmal, immer? Die Helferin der Abtreibungsklinik in Manhattan stellt der 17-jährigen Autumn (Sidney Flanigan) die Fragen mit sanfter Stimme. Sie will feststellen, ob Autumn zu Hause in Pennsylvania nach der Abtreibung auch sicher ist. Weil Abtreibung in Pennsylvania für Frauen unter 18 die Zustimmung eines Elternteils erfordert, ist Autumn gemeinsam mit ihrer Cousine Skylar (Talia Ryder) für den Eingriff mehrere hundert Meilen mit dem Bus gefahren.

Zuvor war Autumn für einen Schwangerschaftstest und eine anschließende Ultraschalluntersuchung in einer Klinik ihres Heimatortes. Dort war es nicht nur unmöglich, eine neutrale Beratung zu bekommen, sondern die Ärztin machte auch bewusst falsche Angaben über das Alter des Fötus. Statt wie behauptet 10 Wochen war der Fötus 18 Wochen alt. Deshalb wird der Abbruch der Schwangerschaft wesentlich komplizierter Die beiden Frauen müssen in eine zweite Klinik fahren. Autumn erträgt das mit stoischer Ruhe, obwohl die Hürden, die sie überwinden muss, immer höher werden. Erst die die Fragen der Betreuerin von Planned Parenthood legen Ihre Gefühle offen. Nicht auf alle Fragen kann oder will sie antworten, der seelische Schmerz ist ihr deutlich anzusehen.

Eliza Hittmans Film beschreibt eine Situation, die für minderjährige Frauen in den USA alltäglich ist. In 37 der 50 Bundesstaaten brauchen Minderjährige die Zustimmung mindestens eines Elternteils für eine Abtreibung. In der stillen und kleinen Geschichte wird deutlich, wie schwierig die Lage für Frauen wie Autumn inzwischen geworden ist. Sie haben praktisch keine Unterstützung, wenn sie in einem Bundesstaat mit restriktiver Abtreibungspolitik leben. Autumn kann sich nur auf die Solidarität ihrer Cousine verlassen. Der Film bleibt ganz nah an seinen beiden Protagonistinnen, zeigt die Probleme und die Risiken, die die auf sich nehmen müssen, die ihr Recht auf die Beendigung einer Schwangerschaft wahrnehmen wollen. Er zeigt auch an vielen kleinen Details, wie feindlich das Klima in den USA geworden ist, gegenüber Frauen, die über ihr Leben entscheiden wollen.

NEVER RARELY SOMETIMES ALWAYS hat auf dem Sundance Festival den U.S. Dramatic Special Jury Award Neorealism gewonnen. Der Film ist hoffentlich auch auf der Berlinale 2020 preiswürdig. Wie wäre es mit Bestes Drehbuch für Eliza Hittman? Besondere Aufmerksamkeit verdient auch die schauspielerische Leistung der Hauptdarstellerin Sidney Flanigan. Es ist ihr erster Film.

Foto: © Focus Features

Kommentare ( 1 )

Absolut beeindruckend. Sehr stimmig erzählt. Fantastische Hautdarstellerin.
Und: Sehr schön aufgeschrieben;-)
Die anfangs beschriebene Frageszene gehört zu dem emotional Härtesten, was ich seit langem im Kino gesehen habe, und das ohne voyeuristisch zu wirken. Kriegen nicht viele so hin.

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Titel

Orignaltitel

Never Rarely Sometimes

Credits

Regisseur

Eliza Hittman

Schauspieler

Ryan Eggold

Sharon Van Etten

Sidney Flanigan

Théodore Pellerin

Talia Ryder

Land

Flagge Vereinigte StaatenVereinigte Staaten

Jahr

2020

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