© Marco Krüger/Schramm Film
Kino als Kunstform lebt - das zeigt Christian Petzold mit seinem Wettbewerbsbeitrag UNDINE in beeindruckender Weise. In der ersten Einstellung sehen wir ein junges Paar im Gespräch, es ist Undine mit ihrem Noch-Freund Johannes. Johannes teilt ihr gerade mit, dass er sich wegen einer anderen Frau von ihr trennen wird. Undine reagiert zunächst ungläubig und erinnert ihn mit dann in sachlichem Feststellungston daran, dass dies zwangsläufig seinen Tod bedeuten würde. Schon an dieser Stelle wird klar, dass Undine wohl keine gewöhnliche Frau ist und das hier keine alltägliche Geschichte erzählt wird. UNDINE nimmt uns mit in eine poetisch-phantastische Zwischenwelt irgendwo zwischen Land und Wasser, in der die Grenzen von Realität und Traum miteinander verschmelzen.
Petzold bewegt sich mit seinem Undine-Film in einem bereits dicht besetzten Bedeutungsraum. Das Motiv der todbringenden Wasserfrau, die ihr Element verlässt, um auf der Erde vergeblich nach der Liebe der Männer zu suchen, gehört seit langer Zeit in vielen Varianten zum festen Kanon der Literaturgeschichte. Eine der ersten Undine-Figuren stammt von Friedrich de la Motte Fouqué, dessen Erzählung "Undine" 1811 veröffentlicht wird und als ein wichtiges Werke der Romantik gilt, eine andere spätere Bearbeitung ist die berühmte Erzählung "Undine geht" von Ingeborg Bachmann. Petzolds Undine Figur ist dennoch erfrischend eigenständig und dies ist nicht nur der Tatsache geschuldet, dass seine Undine im heutigen Berlin lebt und als promovierte Historikerin geschliffene Vorträge über Stadtentwicklung hält. Zwar ist sie einerseits nicht ganz von dieser Welt, andererseits aber eine selbstbewusste Frau mit einem anspruchsvollen Beruf, die versucht, sich von dem mythologischen Geflecht zu lösen, mit dem sie untrennbar verbunden scheint. Die Geschichte wird bei Petzold in weiten Teilen aus der Sicht von Undine erzählt und sie weicht an entscheidenden Stellen zunächst vom klassischen Mythos ab. So darf Undines untreuer Ex-Freund auch nach der Trennung erst einmal unbehelligt weiter vor sich hin leben. Und auch sie selbst findet schon kurz danach in dem Industrietaucher Christoph eine neue Liebe, die ihr echte Erfüllung bringt. Christoph verliebt sich in Undine vor allem wegen ihres brillanten Intellekts und er ist berauscht von ihrer Klugheit. Die beiden gehen eine innige Verbindung ein und alles scheint eine Zeit lang perfekt. Doch so einfach lässt sich ein mythologischer Fluch natürlich nicht abschütteln...
UNDINE hat eine ganz eigene poetische Wirklichkeit und liefert keine unnötigen Erklärungen. Vieles bleibt im Ungefähren und der Interpretation überlassen. Die Figuren schauen sich lange und tief in die Augen, ihre Gespräche haben Bedeutungsebenen jenseits des tatsächlich Gesagten. Im Film dominiert ein blaugrünes Farbenspiel und die ständig präsenten Geräusche von Wasser in all seinen Variationen erinnern daran, dass es noch weitere Dimensionen gibt, die über das Gezeigte hinausreichen. Es wird viel getaucht und geschwommen, Wasserhähne plätschern und ein Aquarium explodiert sehr malerisch. Wie unter einer Wasseroberfläche schimmern schemenhafte Umrisse und Lichtreflexe auf und entziehen sich klaren Zuordnungen. Die Hauptrollen sind mit Paula Beer und Franz Rogowski hervorragend besetzt und besonders die Tauchszenen der beiden sind faszinierend schön. Letztlich ist UNDINE ein zutiefst romantischer Film, denn in dieser Neuinterpretation des Wasserfrauen-Mythos geht es jenseits von Kitsch um nichts Geringeres als um die universelle Suche nach Liebe. Für mich mein Favorit bisher und ein Kinoerlebnis, an das ich noch lange denken werde.