KIDS RUN von Barbara Ott (Berlinale 2020)

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Andi (Jannis Niewöhner) war ein Boxer. Na gut, eigentlich war er kein Boxer, sondern einer, der sich für ein paar Euro auf nicht mal drittklassigen Fight Nights mit anderen in einem Ring geprügelt hat und dabei erstaunlicherweise Boxhandschuhe trug. Jetzt ist Andi ein noch junger Vater von drei Kindern – zwei im Grundschulalter ein Baby. Mit keiner der beiden Mütter ist er noch zusammen. Aber die beiden älteren Kinder wohnen bei ihm und auch um das Baby kümmert er sich so oft es geht. Andi jobt als Tagelöhner auf einer Baustelle und dem Müllplatz seines Ex-Trainers Mikael. Er steht seit Monaten kurz davor mit den Kindern aus seinem Wohnloch zu fliegen. Kurz: Andi ist seit langem nur noch ein paar Zentimeter vom Abgrund entfernt.

Schon zu Beginn von KIDS RUN steckt Andi und mit ihm seine Kinder in einer ausweglosen Situation. Der Vater ist überfordert. Kein Wunder – jedes Alltagsproblem kann zur Katastrophe werden. Wenn die Kinder morgens den Bus verpassen, verpasst Andi den abgeranzten Kleinbus, der ihn und die anderen „Penner“ (wie der Chef sie nennt) zur dystopischen Industriebrache bringt, die die Männer abreißen sollen. Keine Arbeit, keine Kohle, keine Wohnung: Das wäre das Ende für das prekäre Familienleben, an das Andi sich klammert.

Er klammert sich daran mit der Wut der Verzweiflung. Er streitet mit den Müttern, er schreit die Kinder an und macht ihnen Angst. Und trotzdem: In jeder Szene ist zu spüren, dass er die Kinder liebt und die Kinder ihn auch. Jannis Niewöhner gelingt es, dass wir mit Andi mitfiebern. Eigentlich ist Andi ein Held. Wohlgemerkt ein Held, der eine fluffige graugetigerte wenige Monate alte Katze vor den Augen seiner Kinder in einen Müllschlucker wirft.

Ein Held, der jetzt 5.000 Euro bei einem Amateur-Boxturnier gewinnen will, damit alles gut wird. Damit Sonja und das Baby zu ihm zurückkommen, damit sie die Wohnung behalten können und die Kinder Koffer für die Klassenfahrt kriegen. Es sei denn, Andi stolpert beim Kampf über den langen langen Bart dieser Drehbuchkonstruktion. Die ausgelutschte schon zig mal gesehene Macho-Geschichte des Boxers, der einen letzten Kampf gewinnen muss, ist die eine Schwäche des Films. Glücklicherweise wird sie mehr als ausgeglichen von den vielen kleinen Familienszenen. KIDS RUN bezieht seine Spannung aus dem Kampf, den Andi für seine Familie kämpft; nicht beim unappetitlichen Geprügel im Ring, sondern wenn er versucht, für die Kinder so etwas Ähnliches wie ein normales Leben zu kreieren. Darüber hinaus geht Regisseurin und Autorin Barbara Ott nicht in die Falle, die alte Boxerstory mit einem konventionellen Ende abzuschließen. Dieser dramaturgische Kniff, die Kamera von Falko Lachmund und das Szenenbild von Christiane Krumwiede heben den Film auf ein gutes Niveau. Nicht zu vergessen der Hauptdarsteller Jannis Niewöhner und auch die beiden Kinderdarsteller Giuseppe Bonvissuto und Eline Doenst.

Foto: ©Falko Lachmund, Flare Film

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Titel

Orignaltitel

Kids Run

Credits

Regisseur

Barbara Ott

Schauspieler

Giuseppe Bonvissuto

Eline Doenst

Sascha Gersak

Oliver Konietzny

Jannis Niewöhner

Carol Schuler

Lena Tronina

Land

Flagge DeutschlandDeutschland

Jahr

2020

Dauer

104 min.

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