Dies vorweg: Der Eröffnungsfilm der diesjährigen Berlinale ist kein Gute-Laune-Movie. Macht aber nichts, passt zum Thema. Schauplatz: Eine irische Kleinstadt Anfang der 1980er Jahre. Plot: Bill, ein stiller, aber freundlicher Kohlenhändler und Familienvater wird durch eine schockierende Begegnung in einem Nonnenkloster aus seinem ruhig dahinfließenden Alltag gerissen und mit Dämonen aus seiner Kindheit konfrontiert. Das Problem: Diese Dämonen sind katholisch, mächtig und noch sehr lebendig. Bill muss sich entscheiden, ob er gegen sie kämpfen will. Um der Dramatik das Häubchen aufzusetzen, spielt die Geschichte in der Vorweihnachtszeit. Leider stellt der Film seine – durchaus lobenswerte – Botschaft ein wenig zu sehr in den Vordergrund. Wegen eines brillanten Cillian Murphy in der Hauptrolle ist er dennoch absolut sehenswert.
Kurz gesagt:
Worum geht's?
Mann arbeitet Trauma auf und versucht, es besser zu machen.Für Fans von:
Peaky Blinders, Cillian Murphy und Katholiken-Bashing.Lieblingsmoment:
Bills Tochter übt ein herrlich schiefes „Jingle Bells“ auf der Zierharmonika.Lang gesagt
Der leider nicht fiktionale Hintergrund sind die berüchtigten Magdalenenheime für so genannte „gefallene Mädchen“, in denen die katholische Kirche in Irland junge Frauen über fast zwei Jahrhunderte hinweg drangsaliert, ausgebeutet und misshandelt hat. Waren diese Mädchen schwanger, wurden ihnen die Kinder nach der Geburt meist weggenommen. Oder schlimmer. In den vergangenen Jahrzehnten wurde die grausame Geschichte dieser Heime allmählich öffentlich gemacht und aufgearbeitet. Das letzte wurde 1996 geschlossen. Während sich der Goldene-Löwe-Gewinner THE MAGDALENE SISTERS 2002 auf drei junge Mädchen fokussierte, steht in SMALL THINGS LIKE THESE ein Mann im Vordergrund – und mit ihm eine ganze Stadtgemeinschaft, deren Mitglieder in einem Netz aus finanziellen und gesellschaftlichen Abhängigkeiten als stumme, untätige Zeugen in diese Verbrechen der Kirche verstrickt sind. Doch der Einsatz, sich aufzulehnen, ist hoch: Armut und soziale Ausgrenzung sind reale und erschreckende Bedrohungen in dieser harten Welt. Keiner stellt sich selbst leichtfertig ins Abseits.
Die Gegensätze zwischen Drinnen und Draußen, Schein und Sein spielt der Film bildgewaltig aus. Die bunt geschmückten Tannenbäume und hell erleuchteten Schaufenster der kleinen Stadt erscheinen wie glitzernde Verkörperungen der Scheinheiligkeit – wenn zugleich, nur wenige hundert Meter entfernt, junge Mädchen bei Minustemperaturen in Kohlekeller gesperrt werden. Als die Mutter Oberin die Gemeinde beim Weihnachtsgottesdienst „Der Herr ist Mitgefühl und Liebe“ rezitieren lässt, wirkt das wie der blanke Hohn.
Regisseur Tim Mielants spart nicht mit bedeutungsvoll aufgeladenen Bildern: Düster sitzen schwarze Krähen auf grauem Gemäuer, vom Kohlenstaub der harten Arbeit schwarz sind die Hände von Bill, bevor er sie allabendlich nach der Arbeit wie besessen im Waschbecken schrubbt. Die Ankunft von Besuchern im Magdalenenheim wird stets durch eine Schar schnatternder Gänse angekündigt – das Kloster ist in Wirklichkeit eine Festung. In mehreren, fast albtraumhaften Sequenzen begegnet Bill kleinen Jungen auf der Straße, die einem Charles-Dickens-Roman entsprungen zu sein scheinen – oder eine Version dessen sind, was aus ihm auch hätte werden können.
Cillian Murphy spielt sehr zurückhaltend und umso wirkungsvoller einen Mann, der langsam und unaufhörlich sein inneres Gleichgewicht verliert. Dinge aus seiner Vergangenheit, Erinnerungen an seine Mutter und Schuldgefühle kommen allmählich ans Tageslicht. Und erst jetzt, als erwachsener Mann und Vater von fünf Töchtern, scheint er die Zusammenhänge überhaupt erst zu begreifen. Bei diesem Prozess wird er weitgehend allein gelassen. Und so kommt es am Schluss, wie es kommen muss: Ein Mann muss sich entscheiden.
Was die Frauen angeht: Eileen Walsh als Bills Frau macht das Beste aus ihrer etwas holzschnittartig angelegten Rolle, und Emily Watson lehrt uns als nach außen stets lächelnde, innerlich eiskalte Schwester Oberin das Gruseln.
Nichts für Weihnachts-Romantiker. Oder eben gerade doch.