Wettbewerb - Berlinale 2022

CROSSING EUROPE 2022: LA LIGNE von Ursula Meier

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Eine Frau rastet aus. Erst fliegt Geschirr und Essen an die Wand, dann wirft sich die grazile junge Frau wie ein Raubtier auf ihre Mutter. Mit Mühe nur kann sie von zwei erwachsenen Männern gebändigt werden. Sie reißt sich los, die Mutter versucht erst, sich hinter dem teuren Flügel zu verschanzen, dann hält sie plötzlich inne, blickt halb zärtlich, halb verächtlich auf ihr Kind und streichelt ihr die Wange. Offenbar die falsche Geste. Zack – eine heftige Ohrfeige wirft die Ältere fast um, sie knallt mit dem Kopf auf die Tastatur. Mit diesem Prolog ohne Ton und in Zeitlupe beginnt Ursula Meiers Wettbewerbsbeitrag LA LIGNE. Der Vorfall hat zur Folge, dass Margaret, die Tochter, für die nächsten drei Monate einen Abstand von hundert Meter zu ihrer Mutter Christina einhalten muss.

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CROSSING EUROPE 2022: AEIOU DAS SCHNELLE ALPHABET DER LIEBE von Nicolette Krebitz

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Anna (Sophie Rois) ist als Schauspielerin nicht mehr so gefragt. Das heißt noch lange nicht, dass sie sich bei einer Hörspielproduktion vom widerwärtigen Kollegen antatschen lässt. Da geht sie lieber. Aber Anna hat einen Scheißtag. Vor der Paris Bar klaut ihr auch noch ein Jugendlicher die Handtasche. Doch ein junges Paar stellt den Dieb nach einer Verfolgungsjagd, lässt ihn laufen und bringt Anna die Handtasche zurück. Nur ein paar Tage später entpuppt sich eben dieser Dieb als der gehemmte Adrian (Milan Herms), dem Anna für ein Schultheaterprojekt richtiges Sprechen beibringen soll. Einen Auftrag, den sie nur widerwillig annimmt, aber sie braucht das Geld.

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Berlinale 2022 - Liebes Tagebuch oder: ratlos vor der Bärenfrage

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Foto: Dirk Michael Deckbar / Berlinale 2014

Auf keiner Berlinale stand ich bislang so ratlos vor der Bärenfrage wie in diesem Jahr. Zum einen, ich muss es gestehen, habe ich es nicht geschafft, alle, oder wenigstens fast alle Wettbewerbs-Filme zu sehen. Irgendwie fehlte mir dazu der Drive, auch die lieben Kolleginnen und Kollegen an der Seite, die einen sonst einfach mitziehen. Viele waren gar nicht erst angereist. Und meine Kinokollegenkumpels, die da waren, saßen nicht neben mir – weil die Sitzplatzvergabe online erfolgte. Ich will jetzt gar nicht rumheulen und bin durchaus in der Lage, mich bei Bedarf auch mit mir unbekannten Menschen neben mir über Filme auszutauschen. Tatsächlich habe ich das auch schon ein, zweimal im Leben getan. Aber früher war eben mehr Lametta.

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Berlinale 2022: LEONORA ADDIO von Paolo Taviani

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Luigi Pirandello wird 1934 der Nobelpreis für Literatur verliehen. Da sitzt er nun in Stockholm, geschniegelt und gebügelt, aber richtig glücklich sieht er nicht aus. In der Tat: "Ich habe mich noch nie so einsam und traurig gefühlt", sagt die Stimme aus dem Off; Pirandello selbst hat das so in einem Brief geschrieben. Im selben Jahr kehrt er nach Rom zurück, zwei Jahre später ist er tot. Seine Asche, so hat er verfügt, soll "in einen groben Stein eingelassen" in seiner Heimat Agrigent auf Sizilien bestattet werden. Der Duce sieht das anders. Die Asche bleibt in Rom. Erst zehn Jahre später, der Weltkrieg ist vorbei, Mussolini-Italien ist untergegangen, wird die Urne nach Sizilien überführt. Die Geschichte dieser Reise liefert den Stoff für den ersten Teil von LEONORA ADDIO, dem Wettbewerbsbeitrag des 90-jährigen Paolo Taviani.

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Berlinale 2022: PK zu LA LIGNE von Ursula Meier

Oh lala, Benjamin! Bonjour, Valeria!

Wissenswertes aus der Pressekonferenz – Teil 2

In Ursula Meiers Wettbewerbsfilm LA LIGNE spielt die Musik eine große Rolle – sie ist Heilerin, aber auch Ursache eines tiefen familiären Zewürfnisses.

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Dann die Überraschung auf der Pressekonferenz: Benjamin Biolay (der mit der schönen Stimme und den tollen Chansons) saß leibhaftig auf dem Podium! Oh lala. Das ist doch mal was. Natürlich saß er nicht aus dekorativen Zwecken da, sondern weil er in dem Film mitgespielt hat – und zwar einen Musiker, der dann auch mal (ein von Biolay komponiertes Lied) singen darf. Gesungen hat er auf der PK leider nicht – aber seine Sprechstimme ist fast genauso schön. Seufz.

Eine sehr interessante Stimme hat auch Valeria Bruni Tedeschi, ein bisschen heiser, recht hell, und in Kombination mit der ganzen Frau einfach umwerfend. Allerdings...

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Berlinale 2022: LES PASSAGERS DE LA NUIT von Mikhaël Hers

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Es lohnt sich immer, Charlotte Gainsbourg dabei zuzusehen, wie sie Verletzlichkeit und Stärke raffiniert kombiniert. In Mikhaël Hers Wettbewerbsbeitrag LES PASSAGERS DE LA NUIT füllt sie, wieder einmal, eine solche Paraderolle mit Bravour aus. Paris, 1980er Jahre: Elisabeth wird von ihrem Ehemann verlassen, nun muss sie ihr Leben neu sortieren – zum Beispiel eine Arbeit finden, das lähmende Gefühl, absolut nutzlos zu sein, überwinden und ihren heranwachsenden Kindern Orientierung in Zeiten des Umbruchs geben. Die Arbeit in einer Late Night Radio Talk Show erweist sich dabei als unerwarteter Rettungsanker.

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Berlinale 2022: AEIOU – DAS SCHNELLE ALPHABET DER LIEBE von Nicolette Krebitz

Wissenswertes aus der Pressekonferenz

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Die Regisseurin und ihre beiden Stars: Sophie Rois, Milan Herms, Nicolette Krebitz

Sophie Rois hat eher keine so gute Erinnerung an die Sprecherziehung an der Schauspielschule. Ihr wurde damals recht brutal erklärt: "Du gehörst nicht auf die Schauspielschule, Du gehörst ins Krankenhaus!" Wir freuen uns, dass Frau Rois auf dieses Verdikt gepfiffen hat. Und sich nun mit einer großartigen Rolle in Nicolette Krebitz‘ wunderschönem Wettbewerbsfilm AEIOU – DAS SCHNELLE ALPHABET DER LIEBE mit Verve und Charme für diese frühe Schmach rächt. Sie spielt dort eine Schauspielerin, die als Sprecherzieherin in mehrerer Hinsicht erstaunliche Erfolge erzielt.

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Berlinale 2022: NANA (BEFORE, NOW & THEN) von Kamila Andini

Bis der Knoten sich löst

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Die Kunst, sich einen perfekten Haarknoten zu drehen, beherrscht in Indonesien in den 1960er Jahren jede Frau im Schlaf. So auch Nana (Happy Salma): Ziehen, drehen, wirbeln, feststecken – die Frisur sitzt. Und mit ihr das Lächeln, die Haltung, die Gesten und Worte der liebevollen und fürsorglichen Ehefrau und Mutter. Im Haarknoten einer Frau lassen sich ihre tiefsten Geheimnisse perfekt verstecken, so erklärt Nana ihrer kleinen Tochter einmal lächelnd. Das ist mehr als eine kindgerechte Antwort auf die Frage "Warum tragen Frauen ihr Haar eigentlich lang, Mama?" Es ist ein Bild für die Selbstkontrolle und Verleugnung, mit der Nana tagein, tagaus lebt. Kamila Andinis Wettbewerbsfilm NANA löst diesen Knoten, Windung um Windung, auf ganz eigene, poetische Weise.

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Berlinale 2022: EVERTHING WILL BE OK von Rithy Panh

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"Das Archiv bin ich", sagt die Frauenstimme, die die Bilder von Rithy Panhs EVERYTHING WILL BE OK über den gesamten Film hinweg kommentiert. Die Stimme ist Erzählerin, Deuterin, Anklägerin. Es ist nicht klar, aus welcher Perspektive sie spricht. Ist sie Teilnehmende am durchgängigen Narrativ des Films – dem Zerfall der Herrschaft der Menschen über die Tiere und dem Aufstieg der Tiere zu Herrschern über die Menschen – oder ist sie Beobachterin?

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Berlinale 2022: RIMINI von Ulrich Seidl

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Ulrich Seidl schaut hin, bis es weh tut. Und darüber hinaus. Das macht er gut, das tut er gern. In RIMINI, dem diesjährigen Wettbewerbs-Beitrag auf der Berlinale, schaut er Richie Bravo beim Schnulzensingen, Saufen, Rauchen, Vögeln und Verzweifeln zu. Die Schauplätze dieses Dramas vom dicken Gigolo, armen Gigolo: das winterliche Rimini mit seinen maroden, leer stehenden Betonklötzen von Hotels und Richies vermeintlich zurückgelassene Heimat in Österreich. Alte Nazis kommen auch vor (Hallo, Österreich!), aber sie sind auf dem Höhepunkt ihrer Demenz (jetzt aber wirklich!) und kurz vor dem Exitus.

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Berlinale 2022: PETER VON KANT von François Ozon

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Französischer Star-Regisseur macht einen Film über das toxische Liebesleben eines deutschen Star-Regisseurs. Dabei erinnert die Hauptfigur stark an einen realen, bereits verstorbenen deutschen Star-Regisseur, der seinerzeit die Vorlage, im Theater und Film, für die Neuinterpretation des Franzosen geschaffen hat. Die drei Hauptfiguren sind nun Männer, wo es vorher Frauen waren - aber im Grunde waren es auch damals schon verpuppte Männer, denn der deutsche Star-Regisseur hatte in seinem Film seine eigene, komplizierte Liebesbeziehung zu einem seiner Hautdarsteller verarbeitet. Alles klar? Der Eröffnungsfilm des Berlinale-Wettbewerbs, François Ozons PETER VON KANT, nennt sich Adaption, ist aber vielmehr ein intelligentes Vexierspiel, das sich auf Rainer Werner Fassbinders DIE BITTEREN TRÄNEN DER PETRA VON KANT bezieht.

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