Filmfest München

Filmfest München: JANE FONDA IN FIVE ACTS von Susan Lacy

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Täglich laufen auf irgendeinem Sender Schauspieler-Dokus. Oft werden Filmzitate lieblos mit Interviews zusammengeschnitten. Meine Erwartungen an die HBO Dokumentation über Jane Fonda sind also nicht hoch. Doch dann werden sie bei weitem übertroffen.

Mit großer Offenheit beleuchten Regisseurin Susan Lacy und Jane Fonda herself das Leben von Jane Fonda. Dabei werden die dunklen Ecken nicht ausgelassen. Das ist ergreifend und spannend zugleich. Fonda hat über viele Jahrzehnte Zeitgeschichte mitgeschrieben.

1968 dreht sie BARBERELLA. Kurz darauf wird sie zur politischen Aktivistin. Im Vietnamkrieg protestiert sie öffentlichkeitswirksam gegen die Politik von Robert Nixon. Ende der 70ger macht sie mit ihren Videos Aerobic populär. JANE FONDA'S WORKOUT wird zur meist verkauften VHS Kassette aller Zeiten. Anfang der 90er trennt sie sich vom Bürgerrechtsaktiviten Tom Hayden und heiratet CNN Gründer Ted Turner, ...

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Allein die Aneinanderreihung der Ereignisse macht einen sprachlos. Doch etwas anderes macht JANE FONDA IN FIVE ACTS besonders wertvoll. Lacy und Fonda stellen die Zusammenhänge her. So entsteht ein Psychogramm über den Menschen Jane Fonda und eine einfühlsame Reflektion, wie Familiengeschichte uns zu dem macht, wer wir sind.

Filmfest München: IT MUST SCHWING - THE BLUE NOTE STORY von Eric Friedler

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Jazz hält jung. Das bewies auf dem Filmfest München Jazz-Sängerin Sheila Jordan. Sie war aus New York zur Premiere des Jazz Dokumentarfilms IT MUST SCHWING angereist. Die spontane Gesangseinlage der 89-jährigen Sängerin war beeindruckend.

Die weite Anreise von Jordan ist eine Verneigung vor den Gründern des Jazz-Labels Blue Note Records: Frank Wolf und Alfred Lion. Beiden ist der Film gewidmet. Jazz Größen wie Herbie Hancock, Sonny Rollins und Quincy Jones erzählen aus den Gründungsjahren von Blue Note. Aus allen spricht Bewunderung und Dankbarkeit. Mit viel Herz und Idealismus haben Lion und Wolf Jazz-Musiker in ihre Obhut genommen und mit Ihnen Meilensteine der Jazzmusik veröffentlicht.

Die Interviews werden durch Trick-Animationen verbunden. Anschaulich untermalen sie biographische Stationen der beiden Label-Gründer: von der Emigration aus Deutschland in den 30ern, über die ersten entbehrungsreichen Jahre in den USA bis zu den die nächtlichen Aufnahmen im Haus des legendären Tontechnikers Rudy Van Gelder in New Jersey.

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Nicht immer bleibt die Kontinuität der Erzählung gewahrt. Manchmal verliert man beim Sprung durch die Jahre den Überblick. Insgesamt ist der Film aber sehr sehenswert und das nicht nur für Jazz Fans. Er zeigt, wie aus inniger Liebe zur Musik große Kunst wird. Das ist nicht nur ungewöhnlich, sondern auch sehr ermutigend.

Filmfest München: WACKERSDORF von Oliver Haffner

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Sommer in München. Ein Fest, auch für den deutschen Film. Wackersdorf hat die 80er Jahre in der BRD stark geprägt. Der gleichnamige Film fasst das Phänomen gekonnt in zwei Stunden zusammen. Oliver Haffner entwickelt eine dramaturgisch geschlossene Geschichte rund um den Landrat Schuierer. Dieser hatte sich damals gegen die bayerische Strauß-Regierung gestellt.

Zur Seite steht Haffner ein herausragendes Schauspielerensemble. In der Hauptrolle brilliert Johannes Zeiler. Aber auch die anderen Rollen sind fantastisch besetzt. Nebenfiguren erwachen zum Leben, wirken durchgezeichnet. Eine Qualität, die heutzutage vielen Kinofilmen abgeht.

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WACKERSDORF ist oberpfälzisch unaufgeregt und doch emotional mitreißend. Zuschauer, die den Protest direkt oder indirekt mitbekommen haben, werden eine Gänsehaut bekommen. Der Film ist außerdem hochaktuell, fast ein politisches Statement. Wackersdorf hat großen Anteil am deutschen Atomausstieg. Die Bürgerrechtsbewegung steht wie kaum eine andere in Deutschland für Zivilcourage und Zivilgesellschaft.

Auf der anderen Seite zeigt der Film eine bayerische Landespolitik, die mit Unnachgiebigkeit und Gewalt zweifelhafte Politik umsetzt. Die Ergebnisse stehen für sich. Wer mag, kann bald daraus seine Schlüsse ziehen.

Bye, Bye Filmfest München 2017

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Das Münchner Filmfest ist vorbei. Es wurde nicht zu viel versprochen. Es war eine Woche voller wundervoller Geschichten.

Den krönenden Abschluss bildete für mich ZWEI IM FALSCHEN FILM. Laura Lackmann hat einen ehrlichen, schwarzhumorigen und tragikkomischen Liebesfilm gedreht. Der Dialogwitz in den kleinen Sticheleien zwischen Hans (Marc Rosemann) und "Heinz" (Laura Tonke) sucht seines gleichen. Lackmanns zweiter Film kommt Anfang 2018 in die Kinos.

Ein Filmstill aus dem Laura Lackmanns Film: Zwei im falschen Film.

Es war ein tolles Festival! Glückwunsch an alle, die dazu beigetragen haben!

FILMFEST MÜNCHEN: MAGICAL MYSTERY ODER: DIE RÜCKKEHR DES KARL SCHMIDT von Arne Feldhusen

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HERR LEHMANN sprach vielen 60er und 70er Jahrgängen aus der Seele. Der Debüt-Roman von Sven Regener ist eine schöne, leicht wehmütige Erinnerung an ein Berliner Vor-Wende-Gefühl. Die Verfilmung von Leander Haußmann brachte das 2003 ziemlich gut auf die Leinwand. Sven Regener schrieb das Drehbuch.

Auch bei der Verfilmung von MAGICAL MYSTERY ODER: DIE RÜCKKEHR DES KARL SCHMIDT war Regener wieder der Drehbuchautor. Zunächst wollte er nicht und man engagierte einen anderen. Dann las er den ersten Entwurf des Drehbuchs und übernahm es dann doch wieder selbst.

MAGICAL MYSTERY ist eine Fortsetzung von HERR LEHMANN. Hauptfigur ist aber nicht Herr Lehmann, sondern Karl. Im HERR LEHMANN Film wurde er von Detlev Buck gespielt. HERR LEHMANN endete mit der Einlieferung von Karl in die Psychiatrie. Fünf Jahre später wohnt Karl in einer Drogen-(Entzugs)-WG in Hamburg Altona. Zufällig trifft er dort in einer Eisdiele seinen alten Berliner Kumpel Raimund. Das Schicksal nimmt seinen Lauf. Wenig später ruft Ferdi aus Berlin an. Ferdi betreibt mit Raimund gemeinsam das Techno-Label Bum Bum Records. Karl soll bei der MAGICAL MYSTERY CLUB TOUR den Aufpasser spielen.

MAGICAL MYSTERY hatte auf dem Münchner Filmfest Premiere. Wieder gelingt das Kunststück. Wieder ist da dieses Lebensgefühl, zwischen leichter Wehmut und voller Lust am Leben. Statt Vorwendezeit ist es dieses Mal die Nachwendezeit mit ihren ausgelassenen Clubnächten und Techno-Raves. Die Orte des Geschehens sind Bremen, Köln, Hamburg und Dortmund, also nicht Berlin, aber Berlin ist eben auch dort, wo Berliner sind.

Es hat viel Gründe, warum MAGICAL MYSTERY so gelungen ist. Natürlich liegt es an der Buchvorlage und dem Drehbuch von Sven Regener. Einen sehr großen Anteil haben aber auch Regisseur Arne Feldhusen (bekannt durch STROMBERG, TATORTREINIGER und LADYKRACHER) sowie das exquisite Darstellerensemble.

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Detlev Buck ist wieder mit von der Partie. Für die Rolle des Karl ist er aber inzwischen zu alt. Dafür glänzt Buck in der Rolle des Label-Chefs Ferdi, der zwischen Koks- und Technoeuphorie verpeilte Chef-Ansagen macht, die dann überraschenderweise auch noch funktionieren. Nicht weniger grandios ist Charly Hübner, der in MAGICAL MYSTERY den Karl spielt. Dazu kommen u.a. noch Bjarne Mädel als Betreuer der Drogen-WG, Marc Hosemann als Raimund und Annika Meier als Rosa. Zurecht wurde Meier auf dem Filmfest für die Rolle der cool abgeklärten Rosa ausgezeichnet.

MAGICAL MYSTERY macht Spass und das bereits in der Nachmittagsvorstellung. Nicht auszudenken, wie es bei einer Abendvorstellung sein wird, wenn sich noch ein paar Bier dazugesellen.

Am 31.8., passend zu der Zeit im Jahr, wenn das Sonnenlicht des späten Nachmittags den Sommer verabschiedet, startet der Film offiziell in den Kinos.

FILMFEST MÜNCHEN: IMMER NOCH JUNG von David Schlichter und Fabian Halbig

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Killerpilze, Killerpilze...hmmmm...war das nicht diese Teenie-Bands? Jaaa, das stimmt schon...aber irgendwie auch nicht. Zum einen sind Jo, Fabi und Mäx längst keine Teenies und auch keine Teenie-Band mehr. Und sie waren nicht "irgendeine" Teenieband. Sie waren die jüngste Punk-Rockband Deutschlands. Schlagzeuger "Jo" war bei Bandgründung 9 (!). Schon auf den ersten Konzerten der Killerpilze liefert er ein Set, dass man den Hut zieht.

Zur gleichen Zeit, als sich die Killerpilze 2002 gegründet haben, hat der damalige Schulkumpel David Schlichter eine Videokamera geschenkt bekommen. Seit dem hat er die Geschichte der Band gefilmt. Es ist alles dabei: die ersten Proben im Kinderzimmer, der Start in Dillingen und Umgebung, das erste Mal Fernsehen (bei Kika!) und dann (quasi als Höhepunkt) 2013 der Auftritt bei Rock am Ring.

IMMER NOCH JUNG ist ein mitreißender Musikfilm, in dem man außerdem sehr viel über die Mechanismen des Musikbusiness erfährt. Besonders gefallen die frühen Konzertaufnahmen, in der die Band mit ihrem Punkrock die Kids in Jugendzentren zum Pogen bringt. Drei Jahre nach Gründung wurden die Killerpilze dann von Universal unter Vertrag genommen.Der rasante Aufstieg begann.

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Doch nicht alles verlief rosig. 2007 verließ Bassist Andreas "Schlagi" Schlagenhaft die Band. Für ihn passten Kommerz und Bravo-Cover nicht mehr zu seiner Idee von Punkrock. Dann beendete Universal nach nur zwei Platten überraschend die Zusammenarbeit. Doch die Killerpilze machten weiter und gründen ihr eigenes Label. Respekt. Am Ende werden sie wie die Rolling Stones noch mit 70 auf der Bühne stehen, dann vielleicht endlich, wie erträumt, im Münchner Olympiastadium.

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Das Publikum ist nach der Aufführung restlos begeistert. Es gibt Standing Ovations (natürlich sind auch viele Fans im Publikum). Fabian Halbig lädt gleich mal alle zur Premierenparty in den Cord Club ein. Sympathisch.

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Man kann nicht anders, als das Münchner Filmfest für solche Events zu lieben. Natürlich ist man auch bei der Berlinale nah dran. Es gibt Publikumsgespräche. Aber selten ist es so nett familiär wie in München. Im Kino vermischen sich Publikum und Filmcrew, man schaut gemeinsam den Film und hinterher steht man vor dem Arri auf der Straße und genießt die Münchner Sommernacht.

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Nachtrag: IMMER NOCH JUNG gewann auf dem Filmfest den Publikumspreis!

FILMFEST MÜNCHEN: AMERICAN VALHALLA von Andreas Neumann und Joshua Homme

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Josh Homme ist ein Rocker. Er macht das gleich mal klar, als er nach der Vorführung von AMERICAN VALHALLA, lässig, mit einer Bierflasche in der Hand die Bühne betritt. "Let's gonna fucking sit at the front of the stage". Und so sitzen er, Co-Regisseur Andreas Neumann und der Moderator am Rande der Bühne im Carl-Orff-Saal am Gasteig. Schon bald steckt sich Homme eine Zigarette an. Das Rauchen an Veranstaltungsorten ist zum symbolischen Akt geworden. Wer dies in Deutschland noch macht (und das sagt einiges über unsere Zeit), hat entweder Heiligenstatus erlangt (wie ehemals Helmut Schmidt) oder er "just gives a FucK" (wie Josh Homme).

Zugegeben, ich bin ignorant. Ich wusste bis zum Film nicht einmal, dass Homme Sänger der Queens of the Stone Age ist, geschweige denn, dass er die Kultband Kyuss und die Eagles of Death Metal (mit-)begründet hat. Daher sei ihm alles großzügig verziehen (auch, dass er sich im Film wirklich "sehr" cool gibt). Er ist halt eine feste Größe im Rock 'n' Roll.

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Für Fans von Josh Homme und Iggy Popp hat AMERICAN VALHALLA einiges zu bieten. Es kommt sehr gut rüber, wie das POST POP DEPRESSION Album mit Iggy Pop 2015 entstanden ist und wie sich die beiden Rock-Ikonen kennengelernt haben. Überraschenderweise hatte sich Iggy Pop an Josh Homme gewandt, nicht umgekehrt. Nach einigen Brief(!)wechseln, haben Iggy und Josh dann zusammen mit Queens of the Stone Age Gitarrist Dean Fertita und Artic Monkey Drummer Matt Helders im "Wüstenstudio" Rancho De La Luna das Album eingespielt. Der Film hört hier aber nicht auf. Er zeigt auch, wie sie später (verstärkt durch Queens of Stones Age Gitarrist Troy Van Leeuwen) auf Tour gehen. Die Konzertaufnahmen gehören ohne Zweifel zu den stärksten Szenen im Film. Wenn man Iggy Pop live auf der Bühne sieht, dann gibt es keine Zweifel, dass er einer der letzten richtigen Rockstars ist. Auch die Interviewszenen mit ihm sind sehenswert. Sie zeigen einen sensiblen, komischen wie ernsthaften Ausnahmekünstler.

Was bleibt zu sagen? Musikliebhaber dieser Welt: Schaut Euch AMERICAN VALHALLA an. Der Film ist eine gelungene Hommage an den Rock 'n' Roll und Iggy Pop.

FILMBEST MÜNCHEN: COLUMBUS von Kogonada

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Selten haben Architektur und menschliche Schicksale so beeindruckend zusammengefunden wie in COLUMBUS von Kogonada.

Jin (John Cho) kommt nach Columbus. Die Stadt hat nur 40.000 Einwohner, aber eine überproportional große Anzahl an bedeutenden Gebäuden von zeitgenössischen Architekten. Jin kommt nicht wegen der Architektur. Sein Vater, ein koreanischer Architekturprofessor, ist zusammengebrochen und hat seitdem sein Bewusstsein nicht wiedererlangt.

Er trifft Casey (Haley Lu Richardson), eine junge Bibliotheksangestellte, die sich von den Gebäuden ihrer Stadt stark angezogen fühlt. In den Momenten ihres Zusammenseins finden sie durch die Gebäude in ihre eigene Geschichte.

Columbus ist ästhetisch herausragend. Aber nicht nur das: Kogonada widmet sich seinen Figuren mit großer Einfühlsamkeit. Behutsam, wie ein gute Freund, nähert sich die Kamera Jin und Casey, als ob sie von ihrer Verletzlichkeit wüsste.

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Zu einem außergewöhnlichen Erlebnis wird COLUMBUS insbesondere auch durch John Cho (bekannt durch seine Rolle als Lieutenant Sulu in STAR TREK BEYOND) und Haley Lu Richardson. Ihr Spiel erfüllt den Raum im kleinen Kino der Hochschule für Film und Fernsehen, dass man alles um sich herum vergisst.

Es gibt diesen Moment, wenn man das Kino verlässt, durch eine Zeitschleuse geht und wieder in der eigenen Wirklichkeit ankommt. Bei vielen Filmen ist es wie ein Fingerschnippen. Doch dieses Mal dauert es länger. Etwas bleibt da, in Columbus.

FILMFEST MÜNCHEN: Galavorstellung Sofia Coppola

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Wenn man sie da vorne sieht, könnte man fast denken, hier steht eine Prinzessin. München bereitet Sofia Coppola einen Empfang, als sei sie die königliche Abgesandte aus einem fernen Märchenland. Vielleicht ist es Coppola auch ein wenig unangenehm. Ihre Worte sagen: "Danke für die Blumen!" Ihre Körpersprache sagt: "Hey, ich bin doch nur eine Künstlerin, die ihr Ding macht."

Dabei ist es schon eine kleine Sensation, dass die Regisseurin nach München gekommen ist. Ihre Filme werden weltweit verehrt. Wie zum Beleg stellt Film-Professorin Michaela Krützen in ihrer Laudatio eine Umfrage unter Studenten in den Mittelpunkt. Welchem Regisseur, welcher Regisseurin sollte die nächste Ausgabe einer Filmzeitschrift gewidmet sein? Sofia Coppola gewann.

Die Laudatio war Teil einer rundum gelungenen Gala. Michael Stadler moderierte mit bekanntem Charm und Witz, Diana Iljine war sympathisch spontan und zu Beginn spielte ein Jazz-Quartett drei Songs aus Coppolas Filmen. Als Coppola später sagte: "I didn't know that Germans can be so funny" durfte man das ruhig als Kompliment verstehen.

Über Coppolas neuesten Film DIE VERFÜHRTEN wurde in der Presse bereits viel im Rahmen von Cannes berichtet. Der Film gewann den Regiepreis. Der sehr nüchterne Stil mag vielleicht nicht jedem gefallen. Für alle, die am Gesamtwerk von Coppola interessiert sind, ist die Neu-Verfilmung des Südstaaten-Dramas natürlich trotzdem ein Muss.

FILMFEST MÜNCHEN: FLESH AND BLOOD von Mark Webber

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Manche Filmemacher sind wie Wissenschaftler. Sie pirschen sich an die Wirklichkeit heran. Sie experimentieren mit Möglichkeiten von Wahrhaftigkeit. So auch Mark Webber, Regisseur und Hauptdarsteller von FLESH AND BLOOD. Seine Form zu filmen ist schonungslos. Webber liefert sich aus, rückt seine Person, die Menschen, die er liebt und ihn umgeben, in den Mittelpunkt des Filmgeschehens.

Der Film beginnt mit der Gefängnisentlassung von Mark, gespielt von Mark (Webber). Er wird von seiner Mutter Cheri abgeholt. Er zieht wieder zu ihr und seinem 13-jährigen Halb-Bruder Guillermo. Beide sind keine Fiktion. Sie sind Mutter und Bruder von Mark Webber. Marks langsames Tasten zurück ins raue Leben bietet Anlass für einen genauen Blick auf die Verarmung in Philadelphia. Was ist dabei Wahrheit, was Fiktion? Es lässt sich nur schwer erkennen. Mark Webber lässt beides fließend ineinander übergehen.

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Er zeigt, wie seine Mutter eine Rede für die Kandidatur zur Vize-Präsidentschaft probt. Tatsächlich ist Cheri Honkala 2012 für die Grünen als US-Vize-Präsidentin angetreten. Im Film wie im wahren Leben engagiert sie sich für die Rechte der Obdachlosen.

Als Mark seinem Bruder Guillermo eine Videokamera schenkt, nutzt dieser sie für einen Film im Film. Er lässt Mark, Cheri und seinen drogenabhängigen Vater von ihrem Schicksal erzählen. Aus den Geschichten verbinden sich einzelne Puzzelteile zur Vergangenheit.

Webbers Experiment geht auf ganzer Linie auf. Viele Bilder sind in ihrer Unmittelbarkeit ergreifend. FLESH AND BLODD zeigt das Amerika, in dem Webber aufgewachsen ist: ein Milieu der Vergessenen ohne Perspektive.


FILMFEST MÜNCHEN: UN BEAU SOLEIL INTÉRIEUR von Claire Denis

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Über die Liebe reden und reden und reden. Und reden und reden und reden. Und reden und reden und reden. Das kann letztlich niemand so gut und schön wie der französischer Autorenfilm. Was will ich in der Liebe? Welcher Partner ist der richtige? Wie ernst ist es meiner Affäre? Was ändert sich, wenn wir miteinander schlafen? Ist dann der Zauber weg? Fragen, die sich einer frustrierte Generation 40+ besonders vehement stellen. Sie hat ja jede Konstellation schon einmal durchlebt, ohne dabei glücklicher zu werden. Juliete Binoche spielt diese Verzweiflung mit Bravour. Das beständige Hinterfragen von Verlangen, Liebe und Sehnsucht treibt sie und ihre Liebhaber an den Rande des Wahnsinns.

Die Regisseurin Claire Denis hat erst mit 40, angefangen eigene Filme zu drehen. Vorher war sie u. a. bei Wim Wenders und Jim Jarmusch Regieassistentin (z.B. für HIMMEL ÜBER BERLIN und DOWN BY LAW). Mit ihrem Erstlingswerk CHOCLOAT (nicht zu verwechseln mit CHOCOLAT von Lasse Hallström) gelang ihr 1988 gleich der Durchbruch. UN BEAU SOLEIL INTÉRIEUR ist nun ihr 13. Spielfilm. Formal und ästhetisch ist der Film zwar ansprechend, aber auch nicht außergewöhnlich. Er ist eine sehr gut Momentaufnahme unserer Zeit und veranschaulicht die Unmöglichkeit, dem Labyrinth von Fragen, in das wir mit der Überantwortung unseres eigenen (Liebes-)Glücks gestoßen wurden, zu entkommen.

Filmfest München 2017

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Geprüft habe ich es nicht. Aber ich bin mir sicher. Jede Berichterstattung habe ich mit einem Vergleich zwischen dem Münchner Filmfest und der Berlinale begonnen. Dieses Mal soll ein Foto reichen. Es sagt mehr als Worte.

Neben dem Sommer hat #ffmuch aber (wieder einmal) ein sehr gutes Programm. Gestern wurde es mit UN BEAU SOLEIL INTÉRIEUR von Claire Denis eröffnet und auch der neueste Film von Sofia Coppola, DIE VERFÜHRTEN ist mit dabei. Das Filmfest widmet der (darf man das noch sagen?) Jung-Regisseurin eine Retrospektive. Der besondere Clou: Festivalleiterin Diana Iljine hat auch Sofia Coppola selbst nach München geholt. Am Montag wird für Copolla der rote Teppich ausgerollt. Vorher steht sie für FILMAKERS LIVE in der Black Box Rede und Antwort (leider ist der Event schon lange ausverkauft). Fast als Kontrapunkt ist die zweite Retrospektive dem deutschen (das darf man bestimmt auch nicht sagen) Alt-Regisseur Reinhard Hauff gewidmet. Er hat u.a. STAMMHEIM und LINIE 1 aber auch DER MANN AUF DER MAUER mit Marius Müller-Westernhagen gedreht.

Traditionell finden sich weitere Entdeckungen aus Cannes im Programm. Neben UN BEAU SOLEIL INTÉRIEUR und DIE VERFÜHRTEN auch Michael Hanekes HAPPY END, FORTUNATA mit Jasmine Trinca (ausgezeichnet als beste Schauspielerin in der Sektion UN CERTAIN REGARD), CLOSENESS (Preis Filmkritik UN CERTAIN REGARD) und der Cannes Eröffnungsfilm LES FANTÔMES D’ISMAËL mit Charlotte Gainsbourg und Marion Cotillard. Wenn das Wetter mitspielt, dann gibt es was auf die Ohren (ich meine nicht die Bud Spencer Doku SIE NANNTEN IHN SPENCER, die auch gezeigt wird). Unter dem Motto LOUD AND FAMOUS laufen u.a. die Konzertfilme NEIL YOUNG: HEART OF GOLD, ZIGGY STARDUST AND THE SPIDERS FROM MARS und FALCO: DONAUINSEL LIVE. Das Münchner Filmfest im Sommer ist damit herrlich erfrischend wie ein Sprung in den Swimming Pool. Also: "Hinein ins Vergnügen"!

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