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Januar 2020

Berlinale 2000

Die Berlinale geht nicht nur in das 50igste Jahr ihres Bestehens sondern vollzieht auch endlich den schon lange geplanten Umzug in das Areal rund um den Potsdamer Platz. Ein Ereignis, das so manchen Filmjournalisten dazu verleitete, Parallelen zwischen der diesjährigen Retrospektive zum Thema "Künstliche Menschen" und dem doch recht steril anmutetenden neuen Umfeld zu ziehen. Nur wenige teilten die schon fast euphorische Begeisterung von Wim Wenders, der in der Rede zum Eröffnungsfilm One Million Dollar Hotel die persönliche Bedeutung des Potsdamer Platzes als Drehorte seines noch zu Mauerzeiten entstandenen Films der Himmel über Berlin betonte: "Je mehr ich darüber rede, um so mehr bin ich davon überwältigt." Für Wim Wenders war es die erste Teilnahme am Berlinale Wettbewerb und sein von klassischen Detektivfilmen inspirierter Thriller wurde mit dem Preis der Jury für eine besondere künstlerische Leistung geehrt.

Großer Gewinner des Festivals war dann aber der amerikanische Episodenfilm Magnolia von Paul Thomas Anderson, ein emotional aufgeladenes Drama aus dem Leben von neun unterschiedlichen Menschen, das die ganz großen Themen Schuld, Vergebung, Erlösung, Reue in einem fast dreistündigen Epos umsetzt. Ganz nebenbei bedeutete diese Film auch für die Songwriterin Aimee Mann den Karrieredurchbruch, denn von ihr stammte die Filmmusik, die von Anderson in diversen Schlüsselszenen zur Strukturierung der Handlung eingesetzt worden war. Die Entscheidung der Jury für den schon allein durch seinen Tom Cruise-Faktor recht publikumswirksamen Magnolia war allerdings nicht unumstritten und die Gesamtauswahl der Wettbewerbsfilme in diesem Jahr wurde wiederholt kritisiert.

Berlinale 1999

Diesmal scheint's zu klappen. Ein Jahr vor der Jahrtausendwende, vor dem Umzug an den Potsdamer Platz (nach langem, langem Gezerre) stimmen Atmosphäre und Filme quer durch die Sektionen, die Politik schaut genauer auf die Berlinale und scheint zu wissen, was sie daran hat, ein Bundeskanzler sitzt im Kino.
Natürlich auch die gewohnheitsmäßige Schelte für dies und jenes oder gleich die ganze Berlinale gibt es - aber auch das typisch: es soll sich alles ändern, immer, sofort - und wenn es das dann tut, gefällt es keinem, so hatte man sich das nicht vorgestellt.

Der Bundesbeauftragte für Kultur mahnt daher mehr „Haupstadt Qualität“ des Festivals an und die Kritiker und Stadtmarketing Leute flippen aus. Da hat er wohl einen Punkt getroffen. Allerdings nicht was die Filme angeht: Sie erfüllen die Erwartungen: allen voran auch deutsche Filme: Aimee und Jaguar von Max Färberböck und Andreas Dresens Nachtgestalten sind schöne Werke, die noch dazu in Berlin spielen. Das hat die Nabelschaustadt gern.

Und dann DER Film für mich in diesem Jahr: A thin red line von Terrence Malick, der mich damals im wahrsten Sinne sprachlos und alle anderen Filme vergessen machte für den Rest des Abends. Der Goldene Bär hoch verdient, wie ich finde.
Unter den vielen guten Filmen bleibt noch Shakespeare in Love von John Madden in Erinnerung - stark erzählt und bewegend - bei aller hollywoodesker Glattheit. Anders dann Mifune - Dogma 3 von Søren Kragh-Jacobsen, ironisch, witzig, direkt und einfach.

Und die ersten Zeichen eines Trends sind spürbar: der Dokumentarfilm erlebt eine neue Blüte: der bewegende, tieftraurige Film Frau Zwilling und Herr Zuckermann ist nur der erste einer ganzen Reihe von Filmen über ein verschwindendes Jahrhundert und ihre Menschen.

Berlinale 1998

Die Stimmung ist mal wieder schlecht. Und das, obwohl unter anderen die Coen Brüder (THE BIG LEBOWSKI), Gus Van Sant (GOOD WILL HUNTING), Alain Resnais (ON CONNAIT LA CHANSON), Barry Levinson (WAG THE DOG) und Quentin Tarantino (JACKIE BROWN) sehr gute Filme in den Wettbewerb geschickt haben.

Aber: Der Berlinale sind sowohl Clint Eastwoods MIDNIGHT IN THE GARDEN OF GOOD AND EVIL durch die Lappen gegangen (woran die Berlinale wohl keine Schuld trifft) als auch Roberto Benignis dreifacher Oscar-Gewinner 1999 LA VITA È BELLA (das hat die Berlinale allerdings selbst vermasselt). Insgesamt scheint die de-Hadeln-Müdigkeit vor allem unter den Kritikern rapide zuzunehmen – der Wechsel in der Festivalleitung schimmert bereits am Horizont.

Was das Panorama angeht, wird immer stärker deutlich, dass die aus der "Info-Schau" der 70er Jahre hervorgegangene Sektion weit mehr als ein Tummelplatz für unabhängige Produktionen ist, die einem größeren Publikum nicht zugemutet werden können. Die jüngste der drei Hauptsektionen zeigt immer mehr Arthouse-Filme mit Marktchancen – und tritt dabei in Konkurrenz zu Festivals mit eben dieser Ausrichtung: Sundance, Brüssel und Rotterdam.

Die Jury unter dem Vorsitz des britischen Extremschauspielers Sir Ben Kingsley entscheidet in puncto Goldener Bär für Central do Brasil – was den internationalen Durchbruch für Regisseur Walter Salles bedeutet.

Berlinale 1997

Puh - das hörte einfach nicht auf: Etatkürzungen, Zank über den Festivalleiter wie überhaupt über die Zukunft des Festivals. Nebenbei dummes Gerede von Politikern, deren geistiger Horizont in Detmold oder Fürstenfeldbruck gut regiert hätte, ja im Berliner Kiezmief jahrzehntelang ausgereicht hatte, aber nun verantwortlich war für Hauptstadt-Kultur. Und so begann man an der Berlinale in einer gefährlichen Mischung aus Großmannssucht und Ignoranz herumzudoktorn.
Am Ende wurde beschlossen: de Hadeln bleibt doch, die Berlinale zieht in die Daimler City am Potsdamer Platz (auch wenn alles noch nicht fertig war, die Kinos ohne Betreiber und der Festspielpalast ohne Konzept) sowie Forum und Wettbewerb bleiben Teil einer gemeinsamen Veranstaltung im Winter (was tatsächlich in Frage stand).

Die italienische Filmkrise wurde nun auch der Berlinale offenbar, als man die angebotenen Filme allesamt ablehnte, sie fast als Beleidigung ansah, da 90 Prozent Fernsehproduktionen mit eben diesem Niveau waren. David Lynchs Lost Highway ging lieber nach Cannes, und so war es auch mit einigen anderen erhofften Wettbewerbsteilnehmern. Es kamen amerikanische Großproduktionen: The People vs. Larry Flynt von Milos Forman, der auch den Goldenen Bären gewann, William Shakespeare's Romeo & Juliet von Baz Luhrmann, Anthony Minghellas Der Englische Patient und Tim Burtons Mars Attacks!, dazu The Crucible von Nicholas Hynter und die übliche Mischung aus dem Rest der Welt, bei der der Film Der Fluss von Tsai Ming-liang herausstach und den Spezialpreis der Jury (Silberner Bär) gewann. Es war ja die inzwischen zum Glück vergessene Zeit der deutschen Komödie, wobei der Wettbewerbsbeitrag Das Leben ist eine Baustelle von Wolfgang Becker noch zu den besseren gehört.

Im Panorama wurde Brassed Off zum Publikumsliebling, ein Film über die Identitätskrise der letzten europäischen Arbeiterklasse: eine Bergarbeiterkapelle in England mitten im industriellen Abschwung.

Spürbar im Anflug, trotz Stars und großer Filme, bereits eine neue Krise - die gefühlt hundertste der Berlinale, die das nächste Jahr bestimmen sollte.

Berlinale 1996

In diesem Jahr durfte es ein bisschen mehr sein und es gab von Allem reichlich: Eine große Auswahl an Spitzenfilmen und jede Menge Stars: Mit Ang Lees Jane Austen Verfilmung Sense and Sensibility, Tim Robbins Dead Man Walking und Terry Gilliams 12 Monkeys im Wettbewerb und cineastischen Perlen wie Wong Kar Weis Fallen Angels im Panorama war die Berlinale in diesem Jahr auf der Haben-Seite wirklich gut ausgestattet. Hinzu kam ein gigantisches Staraufgebot mit allen dazu gehörigen Begleiterscheinungen. So löste Julia Roberts bei ihrer Pressekonferenz eine echte Massenhysterie aus und Bruce Willis bemühte sich gemeinsam mit seiner damaligen Ehefrau Demi Moore aktiv um die musikalische Erbauung der Festivalbesucher durch sein Rockkonzert in der Moabiter Universal Hall.

Außerdem wurde mal wieder der geographische Standort der Berlinale diskutiert und es kam zu ersten Mal der Vorschlag auf, das Filmfestival künftig an den Potsdamer Platz zu verlegen. Hintergrund dieser Idee war der Wunsch einiger Sony-Center-Investoren, durch das kulturelle Flair der Berlinale den Wert des Standorts Potsdamer Platz zu steigern. Bis zur Umsetzung sollte es dann aber bekanntlich noch vier Jahre dauern. Ein Umzug fand dann aber doch schon in diesem Jahr statt: Das Pressezentrum wurde vom Haus der Kulturen ins Hotel Intercontinental verlegt.

Angesichts der starken Konkurrenz im Wettbewerb war die Preisverleihung bis zuletzt spannend. Schliesslich konnte sich dann aber Ang Lee mit Sense und Sensibility bereits zum zweiten Mal über einen Golden Bären freuen und auch Dead Man Walking wurde mit dem Silbernen Bären für Sean Penn als besten Darsteller ausgezeichnet. 12 Monkeys ging dagegen überraschenderweise leer aus

Berlinale 1995

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Regisseur Richard Linklater präsentiert zusammen mit den Hauptdarstellern Julie Delpy und Ethan Hawke "Before Sunrise" (Quelle: Berlinale)

Jubiläen - 25 Jahre Forum, 45 Jahre Berlinale - und nachher meinten viele, dass gerade die Jubiläumsjahre oft daneben gehen. Das wollen wir für diesen 60sten Geburtstag nicht hoffen. 1995 jedenfalls war das Nölen und Quengeln sehr einhellig. Es ging um fehlende Stars (ja, wieder!), um Geld, Organisation, sogar um technische Fragen wie den Umbau eines Kinos. Außerdem machte man sich die Presse zum Feind, weil das neue Medienzentrum im Tiergarten gar nicht gut ankam. Dazu der Dauerbrenner Berliner Kulturpolitik und dazu die berühmte Mauer in den Köpfen. Darüber hinaus machten sich die Sektionen Konkurrenz ohne es zu wollen, und man hörte immer wieder den Satz über Panorama- oder Forumsfilme: „Die könnten aber auch im Wettbewerb laufen“ - was die meisten aber aus formalen Gründen eben nicht konnten. Identitätssuche allenthalben also.

Dabei gab es durchaus schöne Filme: Richard Linklaters Before Sunrise, heute fast ein Klassiker der Generation 80er/90er, Quiz Show von Robert Redford, dazu Smoke und Blue in the Face von Wayne Wang und Paul Auster. Gewonnen hat den Goldbären ein Franzose: Bertrand Tavernier L‘Appât - Der Lockvogel - das erste Mal übrigens seit 30 Jahren, auch wenn Frankreich meist in allen Sektionen einen große Rolle spielte.

Im Panorama lag thematisch wie so oft ein Schwerpunkt auf Homosexualität. Die Sektion hatte seit 1992 einen neuen Leiter, Wieland Speck, der die Traditionen fortsetzen wollte und sich wohl auch Hoffnung machte, ebenso viele Talente zu entdecken wie der im Vorjahr verstorbene Manfred Salzgeber, der unter anderem Pedro Almodóvar, Detlev Buck und Gus Van Sant einem größeren Publikum bekannt gemacht hatte.

Berlinale 1994

Minderwertigkeitskomplex gegenüber dem großen Bruder auf der anderen Seite des Atlantiks. Wieder mal. Die Europäer wollen in 15 Punkten den europäischen Film „retten“ gegenüber der Star- und Dollarpower. Sicher ist: es kommen seit Jahrzehnten viele gute Filme aus Europa. Aber deswegen von einer Filmindustrie zu sprechen wäre wohl übertrieben. Zum Glück. Denn statt industrieller Fertigung gilt: Vielfalt statt Einfalt. Trotzdem lassen sich die Verantwortlichen in Europa von Amerika Erfolg definieren: Einspielergebnisse und dreistellige Millionenausgaben für einen Film, dazu Starpower, die um den ganzen Planeten reicht. Dabei kann man nur verlieren. T

Die Berlinale kann in diesem Jahr wie zum Trotz durch Qualtiät beeindrucken: Ken Loachs Ladybird, Ladybird Krzysztof Kieslowskis Drei Farben: Weiß, Alain Resnais’ Doppelpack Smoking - No Smoking und Jim Sheridans Goldbären-Gewinner In the Name of the Father waren europäisches Kino par excellence. Dazu die ewigen Franzosen Eric Rohmer und Jacques Rivette, sowie Brian de Palma, Peter Weir, Bernardo Bertolucci und andere.

Was sich aber nach der Wende außer neuer Filmländer (das Panorama etwa nannte eine Programmschiene "Blick nach Osten") auch geändert hatte, war die Rolle Berlins: Noch nicht die flotte Hipster-Metropole von heute und nicht mehr Frontstadt mit Sonderetats und -rolle, kürzte man der Berlinale gehörig die Gelder und das Festival wurde fortan von acht (!) Mitarbeitern gestemmt. Ein Witz im Vergleich zu Cannes und Venedig. Der Qualität der Filme tat es keinen Abbruch und ebenso nicht dem glamourösen Empfang für Sophia Loren, die den Goldenen Bären für ihr Lebenswerk erhielt.

Berlinale 1993

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Johnny Depp auf der Berlinale 1993 (Quelle: Berlinale)

Auch in diesem Jahr blieb die Berlinale nicht unbeeinflusst von der politischen Lage. Das Festival wurde neben dem in Deutschland zunehmenden Rechtsradikalismus auch vom fortschreitenden Krieg im ehemaligen Jugoslawien überschattet. Der serbische Regisseur des Eröffnungsfilms Emir Kusturica musste sich im Vorfeld mit dem Vorwurf serbischer Parteilichkeit auseinandersetzen, den er empört von sich wies. Sein unkonventioneller Film Arizona Dreams mit Johnny Depp, Faye Dunaway und Jerry Lewis wurde dann jedoch einhellig positiv aufgenommen und als gelungene Verschmelzung amerikanischer Erzählformen mit europäischem Stil gelobt. Er gewann den Silbernen Bären als Sonderpreis der Jury.

Das Panorama wurde zum ersten Mal von Wieland Speck geleitet, der den Vorsitz von dem schwer erkrankten Manfred Salzgeber übernommen hatte. Die neue Leitung führte dann auch zu ersten konzeptionellen Umgestaltungen: So sollte das Panorama künftig stilistisch enger an den Wettbewerb gebunden werden, gleichzeitig sollte aber auch eigenen Programminteressen, wie etwa internationalen Arthouse Produktionen und schwul-lesbischen Filmen, mehr Raum gegeben werden.

Im Unterschied zu der in den Vorjahren häufig kritisierten Konzentration auf Hollywood-Produktionen dominierten im Wettbewerb diesmal Filme aus Europa, Asien und Afrika. Diese neue Gewichtung fand ihren Niederschlag dann auch in der Preisvergabe, denn den Goldenen Bären teilten sich gleich zwei Filme aus Asien: Preisträger waren der chinesische Film Die Frauen vom See der duftenden Seelen von Xie Fei und als taiwanesischer Beitrag Das Hochzeitsbankett von Ang Lee, der mit diesem Film seinen internationalen Durchbruch schaffte.

Berlinale 1992

Wird die Berlinale von amerikanischen Filmen dominiert und gräbt so den anderen europäischen Festivals das Wasser ab, wenn es um Premieren großer US-Produktionen geht? Eine alte Diskussion gewinnt wieder an Fahrt. Der französische Kulturminister Jack Lang bläst sich mächtig auf und droht, das Festival von Cannes vorzuverlegen. Die Berliner reagieren nervös: Außenminister Genscher wird zu Hilfe gerufen. Am Ende ändert sich nichts. Natürlich. Wer glaubt schon, dass die Franzosen im Februar in Cannes Filme gucken wollen, wenn das Wetter auch an der Côte d'Azur nicht gerade freundlich ist?

Unterdessen ist die Berlinale weiter auf Identitätssuche. Wenn das Festival im Kalten Krieg die Brücke zwischen unterschiedlichen Systemen in Ost und West war, was soll sie dann in der Zukunft sein? „Eine Brücke zwischen den Kulturen im neuen Europa“, sagt Moritz de Hadeln. Aha. Europäische Regisseure bearbeiten dann auch historische Themen und scheitern nach Ansicht der Kritiker: Konchalovskys Der innere Kreis über den Filmvorführer Stalins „zu melodramatisch“, Geissendörfers Gudrun über den Alltag in Nazi-Deutschland „zu sentimental“ und Caminos "Der Lange Winter" über die Franco-Zeit „zu langweilig“.

Die verflixten Amis kommen dagegen mit Filmen, die gewalttätig und spannend sind: Scorsese fällt mit dem Remake von Kap der Angst nichts Neues ein, aber er hat de Niro. Paul Schraders Light Sleeper zeigt die düsteren aber verführerischen Wege eines Drogendealers der Upper Class und Warren Beatty zeigt in Barry Levinsons Bugsy, dass ein Visionär mit der nötigen kriminellen Energie auch die Wüste blühen lassen kann. Den Goldenen Bär gewinnt Lawrence Kasdans Grand Canyon, den viele Kritiker wieder für „zu seicht“ halten .

Berlinale 1991

Wie soll der zukünftige Kurs des Festivals in der vereinten Stadt aussehen? Die Erwartungen sind groß. Dann bricht einen knappen Monat vor der Berlinale der Zweite Golfkrieg aus und die Berlinale muss unter verschärften Sicherheitsvorkehrungen stattfinden. Im Wettbewerb laufen große Hollywoodproduktionen, die heute Klassiker sind: Das Schweigen der Lämmer und Der mit dem Wolf tanzt; dazu außer Konkurrenz Francis Ford Coppolas Der Pate III.

Trotzdem wird der Ton der Presse schärfer: Das Niveau sei enttäuschend, so heißt es, die Berlinale floppt im Ostteil der Stadt (Auslastung des International nur 25 Prozent). Besonders erbost die berichtende Zunft, dass sie für die Pressevorführungen in das Haus der Kulturen der Welt ausweichen muss. Insgesamt ergibt das schlechte Stimmung und harsche Kritik an der Festspielleitung.

Die Jury, Vorsitz Volker Schlöndorff, wirft zum Abschluss mit Bären um sich: Goldener Bär für Das Haus des Lächelns von Marco Ferreri, dafür gibt es Buh-Rufe bei der Verleihung. Dann gleich zwei Silberne Bären als ex aequo Spezialpreis der Jury für "Die Verurteilung" von Marco Bellocchio und "Satan" von Viktor Aristow. Ebenfalls nicht so recht entscheiden kann sich die Jury beim Silbernen Bären für die beste Regie, also gibt es je einen für Ricky Tognazzi und Jonathan Demme. Um die Verwirrung komplett zu machen, vergibt die Jury dann einen Silbernen Bären für eine herausragende Einzelleistung als Darsteller, Regisseur und Produzent an Kevin Kostner. Soviel Unentschiedenheit bringt natürlich Unkenrufe: Die Berlinale wird wieder einmal als orientierungslos abgeschrieben.

Berlinale 1990

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Antonio Banderas, Pedro Almodovar und Victoria Abril präsentieren "Atame!" auf der Berlinale 1990 (Quelle: Berlinale)

Schon bei der Berlinale 89 fühlt Moritz de Hadeln bei Horst Pehnert, stellvertretender Minister für Kultur in der DDR und Vorsitzender der Hauptverwaltung Film der DDR, vor, ob es nicht möglich sei, einen Teil des Berlinale-Programms auch in Ost-Berlin zu zeigen. Im Februar 89 scheint das noch in weiter Ferne. Am 9. November startet de Hadeln dann per Brief einen neuen Versuch aus „Berlin (West)“, wie es in dem Schreiben an Pehnert so schön heißt. Als am Abend desselben Tages die Mauer durchlässig wird, verbessern sich die Rahmenbedingungen für die Idee schlagartig.

De Hadeln handelt jetzt schnell und trifft sich am 24. November mit Pehnert und dem neuen Kulturminister der DDR, Dietmar Keller, auf der Leipziger Dokumentarfilmwoche. Die Gespräche werden in den darauf folgenden Tagen ausgeweitet. Schon am 6. Dezember stimmen die DDR-Verantwortlichen dem Plan zu, die Filme der Berlinale auch im Ost-Teil der Stadt zu zeigen. Schließlich laufen das gesamte Wettbewerbsprogramm, alle Filme des Kinderfilmfests und Teile des Panoramas im Kosmos und im Colosseum. Große Teile des Forums sind im International zu sehen. Insgesamt zählt die Berlinale im Ostteil 38.000 Zuschauer.

Auch sonst funktionieren bisher undenkbare Dinge: So gilt die Berlinale-Akkreditierung als amtliches Dokument für den Grenzübertritt in die DDR und der Zwangsumtausch entfällt. Über die Qualität der Wettbewerbsfilme wird eher genölt, was aber angesichts der politischen Entwicklungen nicht einmal zweitrangig ist. Julia Roberts, Sally Field und viele andere Stars lassen sich auf oder an der Mauer fotografieren. Die DEFA zeigt insgesamt sieben Regalfilme, die in der DDR verboten waren. Einmal mehr gibt es ex aequo zwei Goldene Bären: Für Costa-Gavras Music Box und für Jiri Menzels Film Lerchen am Faden, der in der Tschecheslowakei zuvor zwei Jahrzehnte lang verboten war.

Berlinale 1989

Die Forum-Zuschauer „müssen sowieso irgendeine Sorte Masochisten sein, um die Filme sehen zu wollen. Das Bier in Berlin ist nicht besonders gut, und es dauert eine Ewigkeit, bis man endlich eines hat. Glücklicherweise haben sie in der Stadt auch noch andere Getränke.“ Aki Kaurismäki
Worauf es am Ende ankommt: gute Filme und Getränke. Die gab es irgendwo auch in diesem Jahr, von dem wohl im Februar noch keiner ahnen konnte, was am Ende als neue Weltordnung übrig blieb. Auch nicht all die feinsinnigen Künstler, deren Filme im Forum sich nicht um Zukunft, sondern vor allem um Vergangenheitsbewältigung (viel Adolfnazi und die Folgen) drehten.
Dem DDR-Bonzen mit dem tollen Titel „Vorsitzender der Hauptverwaltung Film der DDR“ Horst Pehnert verlieh man gerade noch rechtzeitig zusammen mit einem Russen und Amerikaner einen Preis, weil sie sich um die Kooperation zwischen Ost und West zugunsten des Festivals verdient gemacht hatten.

Sieger des Berlinale im gefühlt hundertsten „Schicksalsjahr der Deutschen“ nach 71/14/18/33/45/54/68 usw. war ein Film über Autismus (was man natürlich auch politisch verstehen kann!) Rain Man von Barry Levinson.
Dass auch die USA filmisch wieder einmal Selbstreinigung qua Film betrieben (den osteuropäischen Filmgepflogenheiten darin um ein paar Jahrzehnte voraus), war in Mississippi Burning zu sehen, für den Gene Hackman auch einen Darstellerpreis erhielt.

Dies war das letzte Filmfestival vor dem Ende der Welt, wie wir sie kannten. All die Kalten-Krieger-Kämpfe in der Frontstadt Berlin, die diplomatischen Verwicklungen, ideologischen Zänke zwischen Künstlern und Politikern, die Boykotte und Agitprop Filme gegen dies und gegen das, die fast nach UNO klingende Nachkriegs-Formel auf der Berlinale „Filme zum Wohle der Völkerverständigung“ zeigen zu wollen und die ewigen Streitereien über eben diesen Anspruch - sie endeten ein halbes Jahr später. Nur noch ein Filmfestival war die Berlinale ab 1990 - wenn auch von da an in einer der dynamischsten Städte Europas, an der Nahtstelle der neuen Ordnung und mitten drin im Alten/Neuen Europa.

Berlinale 1988

Eröffnungsfilm war diesmal der Musikfilm Linie 1 von Rainer Hauff, ein echter "Berlin-ist-schon-toll-Film" mit allen dazu notwendigen Zutaten: Berliner Kiez Alltag als Musical, eingängige Musik, viele Tanzeinlagen und natürlich die Hauptfigur Sunny, "ein Mädchen aus der Provinz auf der Suche nach der großen Liebe". Hauffs Linie 1 ist die Verfilmung des gleichnamigen, sehr erfolgreichen Musicals des Grips-Theaters, einem der meistgespielten deutschen Theaterstücke seiner Zeit.

Außerdem gab es in diesem Jahr Probleme mit der Jurybesetzung, denn Gerd Fröbe hatte in letzter Minute aus gesundheitlichen Gründen den Vorsitz der Internationalen Jury abgelehnt. Quasi in letzter Minute konnte dann noch der Leiter der Filmfestspiele in Venedig, Guglielmo Biraghi, für dieses Amt gewonnen werden. In dieser Besetzung ist möglicherweise mit ein Grund für die ungewöhnliche Preisentscheidung der damaligen Berlinale zu sehen. Denn trotz sehr starker Präsenz amerikanischer Studioproduktionen wie etwa Woody Allens September, Steven Spielbergs Das Reich der Sonne und Norman Jewisons Mondsüchtig mit Cher und Nicolas Cage in den Hauptrollen, wurde der Goldene Bär in diesem Jahr zum ersten Mal an einen Film aus der Volksrepublik China vergeben, nämlich an Das Rote Kornfeld von Zhang Yimou, nach einem Roman von Mo Yan. Die Jury wollte mit diesem Preis nicht nur einen formal und inhaltlich herausragenden Film auszeichnen, sondern auch explizit ein Zeichen setzen für eine Unterstützung der kulturellen Liberalisierung in China.

Berlinale 1987

Zehn Jahre Kinderfilmfest auf der Berlinale: Ein Grund zu feiern. Im Laufe der Jahre hat sich die Sektion für die Minis einen sehr guten Ruf erarbeitet.

Im Zeichen von Perestroika, Glasnost und Gorbatschow hat die Sowjetunion ihre Filmtresore geöffnet – gezeigt werden jetzt auch ehemals zensierte Filme. Diese filmpolitische Entwicklung spiegelt sich in Wettbewerb, Panorama und Forum wider. So läuft auf der Berlinale beispielsweise eine ursprünglich einkassierte sowjetische Dokumentation über das Kernreaktorunglück in Tschernobyl und seine verheerenden Folgen. Den Goldenen Bären erhält Gleb Panfilovs TEMA – eine Entscheidung für einen guten Film, aber eben auch eine eindeutig politische Entscheidung. Das wird der Berlinale-Jury noch öfter passieren.

Erstmals wird in diesem Jahr der Alfred-Bauer-Preis vergeben, "für einen Spielfilm, der neue Perspektiven in der Filmkunst eröffnet", in Gedenken an den im Jahr 1986 gestorbenen ersten Festivalleiter der Berlinale.

Berlinale 1986

Aufregung! Weil „Die Zeit“ gegen die Berlinale polemisiert und unkt, dass das Münchner Filmfest bald mit einem eigenen Wettbewerb gegen Berlin antreten werde, gibt es FDP-Anfragen im Abgeordnetenhaus. Dann eröffnet Fellinis Ginger und Fred die Berlinale und München wird wieder zu einem beschaulichen Dorf an der Isar.

Alles ist gut! Alles ist gut? - von wegen. Denn das Innenministerium macht sich, ähem, Sorgen! Im Wettbewerb läuft Reinhard Hauffs Stammheim und ebenfalls im Wettbewerb, wenn auch außer Konkurrenz, ruft des Innenministers Spezl, Herbert Achternbusch, Heilt Hitler! (Spoiler Alert! Bierbichler pisst am Ende in den Starnberger See.). Bei Hauffs Film sind die Sicherheitsvorkehrungen scharf, trotzdem spritzt es Buttersäure im Zoo Palast. Stammheim bekommt den Goldenen Bären, aber ohne Eklat geht es nicht. Jurypräsidentin Gina Lollobrigida ist über die Jury-Entscheidung empört, spricht in der Verleihungsrede von einer kontroversen Jury-Diskussion und sagt deutlich, dass Sie gegen den Film gestimmt habe. Damit verstößt sie divenhaft aber ungalant gegen die Schweigepflicht der Juroren.

Das Forum gibt sich mit solchen Kindereien nicht ab, sondern betreibt politische Aufklärung auf hohem Niveau: Claude Lanzmann zeigt seinen fast zehnstündigen Dokumentarfilm Shoa über die Vernichtung der europäischen Juden durch die Nationalsozialisten. Auf mehreren Veranstaltungen diskutiert Lanzmann mit dem Publikum. Ebenfalls zum diesem Themenkreis gehören: Josh Waletzkys "Partisanen von Wilna" sowie Lea Roshs Filme "Ein Naziprozess" und "Vernichtung durch Arbeit".

Berlinale 1985

Die Frau und der Fremde vom Rainer Simon ist der einzige Film, der jemals mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde. Die Auszeichnung teilt er sich mit Wetherby von David Hare. Die Frau und der Fremde erzählt von einer Dreiecksbeziehung im Ersten Weltkrieg: Die deutschen Soldaten Richard (Peter Zimmermann) und Karl (Joachim Lätsch) lernen sich in einem russischen Kriegsgefangenenlager kennen. Richard erzählt viel über die Liebe zu seiner Frau Anna (Kathrin Waligura). Karl kann fliehen und schlägt sich zu Anna durch. Das Verhältnis der beiden wird immer enger, dann kehrt auch Richard aus der Gefangenschaft zurück.

Das Forum zeigt mit The Times of Harvey Milk einen der herausragendsten Dokumentarfilme überhaupt, der mittlerweile ein Klassiker ist. Rob Epsteins Filmreportage über den schwulen Bürgerrechtler Harvey Milk erhält im selben Jahr auch den Oscar als bester Dokumentarfilm. Das Forum setzt weitere Glanzlichter mit Secret Honor, Robert Altmans filmischem Kommentar zur Nixon-Zeit und mit Eberhard Fechners dreiteiliger Dokumentation des „Majdanek-Verfahrens“ Der Prozess (1 Anklage, 2 Beweisaufnahme, 3 Urteile). Das Forum bietet dieser Fernsehdokumentation damit eine internationale Plattform.

Sorgen macht sich einmal mehr das deutsche Innenministerium: Jean-Luc Godards Je vous salue, Marie bringt den biblischen Mythos von Maria und Josef auf die Leinwand, was insbesondere den Gründer der Pius-Bruderschaft, Bischof Lefebvre, fürchterlich aufregt. Da auch in Bayern irgendjemand französisch kann, steigt der Blutdruck von Friedrich Zimmermann. Moritz de Hadeln dagegen bleibt ruhig und Godards Film im Wettbewerb.

Berlinale 1984

Innenpolitischer Streit um die Freiheit der Filmkunst und die Filmförderpolitik nach der „geistig-moralischen Wende“: Innenminister „Old Schwurhand“ Friedrich Zimmermann (verurteilter Meineid-Schwörer von 1960, der aber 1961 wegen unterzuckerungsbedingter temporärer Debilität freigesprochen wurde) – sorgt sich um Herbert Achternbuschs Wettbewerbsfilm Wanderkrebs und um den Forums-Beitrag Meridian oder Theater vor dem Regen. Zimmermann (Partei? Na welche wohl? Richtig: CSU) und sein Ministerium verweigerten die Auszahlung von Fördermitteln an die Regisseure. Trotzdem liefen die Filme auf der Berlinale.
Merke also, zensieren können die Kalten Krieger auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs besser: Der geplante Eröffnungsfilm Prostschanje (Abschied von Matjora) von Elem Klimow wird vom sowjetischen Filmverband nicht freigegeben. Er läuft im Zeichen von Gorbatschows Reformen erst 1987 auf der Berlinale (Da ist Zimmermann immer noch Innenminister. Merke also auch, Glasnost und Perestroika kamen sowohl in Bonn als auch in Ost-Berlin mit Verspätung an).
Allgemein geklagt wird über die Unübersichtlichkeit des Festivals: Es gibt den Wettbewerb, Sondervorstellungen außer Konkurrenz im Wettbewerb, die Info-Schau, das Kinderfilmfest, das Mittelmeer-Panorama, die Reihe Deutsche Filme und diverse Retrospektiven. Im Forum gibt es die „Hommage an das ZDF-Fernsehspiel“ und zusätzlich zur Reihe „Neue Deutsche Filme“ die „Perspektiven“ mit Studenten- und Debütfilmen. Das war doch gar nicht so schwierig - alles klar?
Ach ja, John Cassavetes gewinnt mit Love Streams den Goldenen Bären. Das radikale Drama um die Alkoholexzesse eines Autors und seiner Schwester – in den Hauptrollen Cassavetes und Gena Rowlands – verstört einen großen Teil des Publikums.

Berlinale 1983

Die Berlinale beginnt im Trauerflor. Rainer Werner Fassbinder war im Juni des vergangenen Jahres gestorben. In Gedenken an den Regisseur singt Jury Präsidentin Jeanne Moreau ein Lied aus seinem Film Querelle, in dem sie selbst eine der Hauptrollen gespielt hat.

Danach nimmt die Berlinale wieder an Fahrt auf und kann am Ende mit ihren Zahlen hausieren gehen: 394 Filme werden von 200.000 zahlenden Zuschauer gesehen (zum Vergleich: im Jahr 2009 gab es 383 Filme). Das Programm überzeugt durch seine Vielfalt. Nicht nur amerikanische Unterhaltung a la Tootsie findet hier seinen Platz sondern auch Peter Greenaways Der Kontrakt des Zeichners und Eric Rohmers Pauline am Strand.

Zudem ist die Berlinale politisch, ohne dass sie es postulieren muss. Der damalige Bundesinnenminister Zimmermann (CSU) scheitert mit seinem Vorhaben die Aufführung von Herbert Achternbusch Das Gespenst zu verhindern und auch der Gemeinschaftsfilm Krieg und Frieden u.a. von Alexander Kluge, Stefan Aust und Heinrich Böll, der sich kritisch mit dem Nato Doppelbeschluss auseinandersetzt, steht im Visier des BMI.

Beim Hauptpreis konnte sich die die Jury nicht entscheiden und so ging der Goldene Bär ex aequo sowohl an den spanischen Film La Colmena als auch an den Debütfilm von Edward Bennet Ascendancy.

Berlinale 1982

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Wohin nur mit den Mänteln? Diese bohrende Nachfrage stammt aus dem Schlussbericht des IFB von 1982, in dem von der Regisseurin Helma Sander-Brahms der ihrer Meinung nach immer noch viel zu unglamouröse Charakter der Berlinale kritisiert wurde, der viele Stars davon abhielt, in ihrer glanzvollsten Garderobe zum Festivial zu kommen. Abgesehen von solchen eher marginalen Problemen war das Berlinalejahr 1982 vor allem geprägt durch die politische Auseinandersetzung um den Film Night Crossing, einer Disney Produktion über die spektakuläre Flucht zweier Familien mit einem Heißluftballon aus der DDR in die Bundesrepublik. Es wurde im Vorfeld heftig darüber diskutiert, ob dieser Film, der der Berlinale als Eröffnungsfilm angeboten worden war, dort tatsächlich gezeigt werden sollte oder ob so eine Aufführung die Position des Filmfestivals als Schnittstelle im Ost-West-Kulturaustausch gefährden könnte. Der Festivalleiter Moritz de Hadeln entschied sich schließlich aus kulturpolitischen Erwägungen dagegen den Film zu zeigen und wurde dafür von Teilen der Öffentlichkeit wegen Anbiederung an die DDR heftig kritisiert.

Ansonsten stand 1982 ganz im Zeichen des bundesdeutschen Kinos und der Goldene Bär ging in diesem Jahr dann endlich an Rainer Werner Fassbinder für seinen Film Die Sehnsucht der Veronika Voss. Fassbinder war in den Jahren zuvor mit Fontane Effi Briest und Die Ehe der Maria Braun stets leer ausgegangen.

Berlinale 1981

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Conny Froboess, Rainer Werner Fassbinder und Jeanne Moreau (Quelle: Berlinale)

Der deutschen Filmindustrie passt es nicht, dass nur ein deutscher Film im Wettbewerb läuft – und zwar ausgerechnet Herbert Achternbuschs DER NEGER ERWIN. Darin spielt das bayerische Enfant Terrible d’Avantgarde einen Ex-Sträfling, der aus der Wirtin des Gasthofs „Zum Neger Erwin“ einen Filmstar machen will. Zu diesem Zweck gibt er sich als Filmemacher Herbert Achternbusch aus.

Festivalleiter Moritz de Hadeln wird vorgeworfen, den Kontakt zu deutschen Filmemachern zu vernachlässigen. Er orientiere sich zu sehr an Amerika, klagt etwa Alexander Kluge. In der Tat fehlen de Hadeln in seinem zweiten Jahr als Festivaldirektor noch umfassende Kenntnisse und Kontakte in der deutschen Filmszene – zuvor hat er jahrelang sehr erfolgreich das Filmfestival von Locarno geleitet. Die Kritiker de Hadelns fordern ein „repräsentatives Festival“ – als es jedoch darum geht zu definieren, wie ein solches aussehen sollte, kommen sie auf keinen gemeinsamen Nenner. Der Boykottaufruf verläuft im Sande – auch durch einen taktischen Schulterschluss von de Hadeln und Forums-Leiter Ulrich Gregor.

Auf der Haben-Seite verzeichnet die Berlinale 1981 einen neuen Besucherrekord: 15 Prozent mehr Zuschauer als im Vorjahr. Nüchtern betrachtet kann sich auch die Filmauswahl sehen lassen: Martin Scorseses Meisterwerk RAGING BULL eröffnet den Wettbewerb, Andrej Tarkowskis STALKER läuft im Forum, und Carlos Sauras DEPRISA! DEPRISA!, eine mit viel Tempo und Flamenco (-Soundtrack) erzählte Kleinganovengeschichte aus Madrid erhält den Goldenen Bären.

Berlinale 1980

Beginn Afghanistan Krieg der Sowjetunion - Grünen gründen sich - Streik auf der Danziger Werft und Gründung Solidarność - Ronald Reagan wird Präsident der USA - BRD wird Fußball Europameister in Italien - Reinhold Messner allein auf dem höchsten Berg - Zauberwürfel kommt in die Läden

30. Geburtstag der Berlinale - normalerweise Moment einer Rückschau. Dazu blieb kaum Zeit. Im Vorjahr hatte es mal wieder politisch motivierten Knatsch um einen Film gegeben und der Ostblock zog Filme und Delegierte zurück - Boykott scheint der Trend auch dieses Jahres, in dem der Westen die Olympischen Spiele in Moskau nicht besuchen wird. Auch der neue Leiter Moritz de Hadeln muss auf Filme der Billy Wilder Hommage (z.B. One Two Three) verzichten, weil die Nerven im Osten blank liegen.

Forum und Wettbewerb werden organisatorisch endlich als gleichberechtigte Teile eines Ganzen behandelt. Das Forumsprogramm wurde 1980 ausgeweitet und legte seinen Schwerpunkt auf Dokumentarfilm und brasilianische Filme und sammelte einige Experimentalfilme ein - ganz getreu dem formulierten Anspruch Filme nicht nach Unterhaltungswert oder Kunstform auszuwählen, sondern Filme, die „der Erforschung der Wirklichkeit, der Kommunikation und der Reflexion“ dienen. Was dazu führte, dass jemand sogar die fragwürdigen Filme „auf interessante Weise misslungen fand“ - was man wohl als Kompliment verstehen darf.
Sieger dieses Jahres waren Heartland von Richard Pearce und Werner Schroeters Palermo oder Wolfsburg, wobei vor allem letzterer Preis für Zustimmung und Aufsehen sorgte, weil er alles andere als leicht und zugänglich war.

Berlinale 1979

Nach 1970 polarisierte erneut ein Film über den Vietnam Krieg. Die Darstellung des vietnamesischen Volkes in The Deer Hunter von Michael Cimino wurde nicht nur als einseitig sondern als Verunglimpfung empfunden. Die sozialistischen Länder protestierten und als das nichts nützte, zogen sie die meisten ihrer Filme zurück. Außerdem legten zwei Mitglieder der Jury aus Ungarn und der CSSR ihr Amt nieder. Obwohl sich der Rest der Jury offiziell hinter die Aufführung des Filmes stellte, gab es auch hier kritische Stimmen. Jurymitglied Julie Christie bewertete den Film in einem persönlichen Statement als rassistisch.

Preise gewann The Deer Hunter auf der Berlinale keine. Der Goldene Bär ging an David von Peter Liliental. Im Nachhinein wird dies Michael Cimino recht egal gewesen sein, denn ein Jahr später konnte sein Film fünf Oscars abräumen.

Die zweite Winter-Berlinale war die letzte Berlinale mit Wolf Donner als Festivaldirektor. Nach nur drei Amtsjahren zog er den leitenden Posten in der Kulturredaktion des Spiegels seinem Berlinale Engagement vor. Auch diesmal wurde wieder Ulrich Gregor als Nachfolgekandidat genannt. Es wurde dann aber Moritz de Hadeln, der bis dahin mehrere Jahre die Filmfestspiele von Locarno inszeniert hatte.

Berlinale 1978

Aldo Moro wird entführt und ermordet - erstes Retortenbaby wird geboren - erster Deutscher im All - Johannes Paul II wird Papst - Spanien bekommt Verfassung und beendet Diktatur endgültig - erste Folgen von „Dallas“ laufen - Reinhold Messner als erster ohne Sauerstoff auf dem Mount Everest - Regenbogenfahne wird erfunden

Konkurrenz belebt das Geschäft, sagt man. Im Falle der Berlinale führte es zu Gefrierbrand und erhöhtem Kaffeekonsum: denn in diesem Jahr fand die Berlinale zum ersten Mal nicht im Sommer, sondern im Februar statt, um den zeitlichen Abstand zum Konkurrenten Cannes zu vergrößern. Frierende Schönheiten am roten Teppich, Pudelmützen und gebückte Haltung bei den Wegen zwischen den Vorstellungen gehörten von da an zur Berlinale, wie die Nörgelei über den Wettbewerb - der allerdings in diesem Jahr Mut bewies und das Gemeinschaftsprojekt Deutschland im Herbst zeigte - eine Auseinandersetzung mit dem RAF Terror. Dazu gab es vom großartigen John Cassavetes Opening Night mit Gena Rowlands zu sehen - ein Autorenfilm par exellence, der so auch im Forum hätte laufen können. Die Öffnung des Wettbewerbs war also gelungen und mit Steven Spielbergs Unheimliche Begegnung der dritten Art, der außer Konkurrenz gezeigt wurde, blieb man dem massentauglichen Geschmack dennoch treu.
Im Forum hatte man in diesem Jahr einen Schwerpunkt auf Filme von Frauen gelegt - bis heute ja eher eine Rarität im männerdominierten Filmgeschäft. Mit dabei der Erstling von Margarethe von Trotta, Das zweite Erwachen der Christa Klages.

Der Goldene Bär ging nicht an einen, sondern an alle spanischen Beiträge, eine Art Begrüßungsgeschenk an die junge Demokratie. Und obwohl Winter und lange dunkel: 1978 startete auch das Kinderfilmfest zum ersten Mal und die meist ausverkauften Vorstellungen gaben der Festivalleitung recht, die Berlinale um zukünftige Kinogeher zu erweitern.

Berlinale 1977

Im Jahr zuvor hatte Alfred Bauer nach 25 Jahren als Leiter der Berlinale die Bühne verlassen. Seine Amtszeit endete weder durch Absetzung noch durch Kündigung, sondern durch das Erreichen der Altersgrenze. Die Suche nach einen Nachfolger wurde mit viel Polemik geführt. Besonders gegen den Kandidaten Ulrich Gregor wurde scharf geschossen. Mit Wolf Donner trat dann überraschend ein Kompromisskandidat die Nachfolge von Bauer an. Was damals nur wenige wussten: Donner sollten nur drei Jahre als Festivalleiter beschieden sein.

Zunächst konnte sich Donners Start aber sehen lassen: 20% mehr Zuschauer und ein gut bestückter Wettbewerb. Mit dabei waren u. a. Truffauts L'homme qui ammait les femmes, Bressons Le diable probablement und der DDR-Film Mama, ich lebe von Konrad Wolf, zu dem Wolfgang Kohlhaase das Drehbuch schrieb (Kohlhaase schrieb später das Drehbuch zu "Sommer vorm Balkon" und wird 2010 mit einem Ehrenbären ausgezeichnet).

Auch 1977 gab es wieder einen Eklat. Die Jüdische Gemeinde in Berlin protestierte beim Senat gegen die Berufung von Rainer Werner Fassbinder in die Jury des Wettbewerbs. Stein des Anstoßes war Fassinders Theaterstück "Der Müll, die Stadt und der Tod", in dem die Jüdische Gemeinde antisemitische Tendenzen erkannte. Der Berliner Senat folgte dieser Anschauung nicht und Fassbinder blieb Jurymitglied.

Der Regisseur konnte allerdings mit dem Bresson Film nicht seinen Favoriten durchsetzen. Den Goldenen Bären bekam Woschozdenie von Larissa Schepitko. Es war für die Regisseurin der Beginn einer kurzen Karriere im Westen; nur wenige Jahre später verunglückte Schepitko bei einem Autounfall.

Berlinale 1976

1976 gibt es wieder einen Skandal, diesmal geht es um den Vorwurf der Verbreitung von Pornographie: Die Filmkopie von Nagisas Oshimas Im Reich der Sinne wird direkt nach ihrer Vorführung im Forum des Jungen Films von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt und der Leiter des Forums, Ulrich Gregor, wird wegen des Vorwurfs der Verbreitung von Pornographie angeklagt. Der Film, der bereits bei seiner Erstaufführung in Cannes für Diskussionen gesorgt hatte und z.B von der damaligen BZ-Berichterstattung als "größter Porno aller Zeiten" tituliert wurde, thematisiert die immer extremer werdende sexuelle Besessenheit eines japanischen Liebespaares, die schließlich in der Verstümmelung und Tötung des Mannes durch die Frau endet. Während dem Film von der internationalen Kritik "hohe künstlerische Qualität sowie wichtige politische und ästhetische Einsichten" bescheinigt wurde, richtete sich der Vorwurf der Staatsanwaltschaft gegen die Kombination aus Sex und Gewalt, die so nicht zulässig sei. Erst nach einigen Monaten und längeren juristischen Debatten wurde die Anklage gegen den Leiter des Forums schließlich fallengelassen.

Aber natürlich bestand das Berlinalejahr 1976 nicht nur aus diesem Skandal um die Grenzen der Kunstfreiheit. Im Zentrum des Wettbewerbs standen diesmal vor allem amerikanische Filme. Den goldenen Bären konnte dann schließlich Robert Altman mit seiner Demontage der amerikanischen Legende Buffalo Bill Buffalo Bill And The Indians, or Sitting Bull´s History Lesson mit nach Hause nehmen.

Berlinale 1975

25. Berlinale: Endlich werden die Brüder und Schwestern aus dem „anderen Deutschland“ nicht nur in der Glotze von Wim Thoelke begrüßt, sondern sind auch bei der Berlinale dabei. Die UdSSR nahm im Jahr zuvor erstmals teil und nun hat auch das teutonisch-sozialistische Bruderland die Erlaubnis vom Obersten Sowjet, sich im Zoo-Palast zu präsentieren. Im Gepäck für den Wettbewerb hat Frank Beyer den später für den Oscar nominierten Jakob der Lügner, einen gelungenen Film nach dem noch viel besseren Roman von Jurek Becker. Hauptdarsteller Vlastimil Brodsky bekommt den Silbernen Bären für die beste männliche schauspielerische Leistung.
Zum Jubiläum gibt es für das Publikum Star-Futter: Kirk Douglas ist mit dem Western Posse vertreten und Claudia Cardinale darf die Bären überreichen. Den goldenen erhält die Ungarin Martá Mészáros für Örökbefogadás (Adoption).
Kurios: Vor 35 Jahren zeigt Woody Allen seine Revolutionsgroteske Love and Death (Die letzte Nacht des Boris Gruschenko) und erhält einen Silbernen Bären für „sein Gesamtwerk“. Besser zu früh als nie, mag sich die Jury gedacht haben. Da Mr. Allen seitdem in 38 weiteren Kinofilmen Regie geführt hat, kann die Jury auf ihren Wagemut stolz sein.

Berlinale 1974

Endlich war es soweit: 1974 wurde zum ersten Mal in der Geschichte der Berlinale ein sowjetischer Beitrag gezeigt. Bis zu diesem Jahr hatte sich der sowjetische Polit-Apparat immer wieder verweigert. Bereits 1958 hatte der deutsche Botschafter in Moskau eine "Verbalnote" mit einer Einladung übermittelt, aber erst das Viermächteabkommen und die Ost-Verträge ebneten 1972 schließlich den diplomatischen Weg.

Begeistern konnte S toboj i bes tebja von Rodion Rafailowitsch Nachapetow als erster sowjetischer Beitrag allerdings nicht. Das war in diesem Jahr aber auch Nebensache. Zum Überkochen brachte die Filmkritikerseele, dass die Jury ihren Favoriten links liegen ließ. Fassbinders "Fontane Effi Briest" bekam keinen einzigen Preis. Stattdessen bekam der kanadische Regisseur Ted Kotcheff für die Romanverfilmung "The apprenticeship of Duddy Kravitz" das begehrte Goldbärchen.

Berlinale 1973

Die Berlinale hat zu wenig Geld: Der Senat knausert, der Bund im fernen Dorf Bonn auch (ohne dessen Staatsknete hat der West-Berliner eh' nix zu feiern), und die Einnahmen aus dem Kartenverkauf sind mager, weil der undankbare West-Berliner im heißen Sommer lieber die Badehose einpackt und raus an den Wannsee fährt. Die, die dennoch ins Kino gehen, nehmen sogar ihre Kinder mit in den japanischen Zeichentrickfilm Kanashimi no Belladonna von Eiichi Yamamoto und werden überrascht: Yamamotos sexuell aktive Alptraumgestalten mit Hang zu Gewalt und Fetischen haben soviel mit Micky Maus zu tun wie Motörhead mit Tokyo Hotel.
Zum ersten Mal ist Steven Spielberg mit Duel in Berlin, der längsten Verfolgungsjagd der Kinogeschichte. Der Film läuft im Wettbewerb außer Konkurrenz. Das Internationale Forum des jungen Films macht seinem Namen Ehre und erweitert sein Programm immer mehr: Es laufen Filme aus Afrika, Lateinamerika, Japan, den USA und Europa.
Heute mag man es kaum glauben, aber früher gab es im Wettbewerb der Berlinale auch etwas zu lachen: Pierre Richard ist Der große Blonde mit dem schwarzen Schuh. Regisseur und Drehbuchautor Yves Robert bekommt für den Film sogar einen Silbernen Bären. Gewinner des Festivals wird Ashani Sanket (Ferner Donner) von Satyajit Ray.

Berlinale 1972

Das Forum geht ins zweite Jahr und bildet einen starken Kontrapunkt zum Wettbewerb. Die „Zeit“ charakterisiert den Wettbewerb mit den Worten „roter Plüsch“, „feine Leute und bemühte Festlichkeiten“, während sich das Forum durch „Bärte und lange Haare, Gammel-Look, eine informelle Atmosphäre, Diskussionen“ auszeichne. In der Tat bietet das Forum einen politisch zugespitzten Blick in die Welt: die Zuschauer erfahren hier etwas über Hausbesetzungen in Harlem oder den Völkermord an den kolumbianischen Indios. Die Filme orientieren sich vorwiegend am Dokumentarischen – selbst wenn sie keine Dokus im engeren Sinn sind. Kritiker sehen darin eine bedenkliche Dominanz des Politischen über das Ästhetische.

Festivaldirektor Alfred Bauer stellt sich offiziell schützend vor das Forum, gut dokumentiert sind allerdings seine inoffiziellen Bauchschmerzen zum Thema: Er fürchtet einen Bedeutungsverlust des Wettbewerbs, und er beklagt, dass das Forum seiner dezidiert politischen Perspektive auf Kosten der filmischen Qualität fröne.

Erwähnenswert ist der Wettbewerbs-Beitrag L’UDIENZA von Marco Ferreri, der Kafkas „Das Schloss“ modifiziert, indem er die Geschichte an einer Papstaudienz aufhängt. Der große Allegoriker des italienischen Films sollte zwei Jahre später mit DAS GROSSE FRESSEN Furore machen. Den Goldenen Bären 1972 gewinnt Pier Paolo Pasolini mit I RACCONTI DI CANTERBURY (Pasolinis tolldreiste Geschichten), einem Teil seiner Trilogie der Sinnlichkeit. Die Variation auf Chaucer wird jedoch von der Kritik nicht gerade mit Begeisterungsstürmen aufgenommen.

Berlinale 1971

Frauen in der Schweiz dürfen wählen - Bafög erfunden - Greenpeace gegründet - erste Comutertomographie wird gemacht - Eddy Merckx wird zum dritten Mal Toursieger - Frazier schlägt Ali

Nach dem Knall im Jahr zuvor, den zum Teil absurden Verleumdungen und Sitzstreiks und Schreidebatten packt die Berlinale es im Folgejahr: das „Forum“, ehemals Gegenfestival, wird in die Berlinale integriert, wo von nun an Filme unter den zeitgeisttypischen Schlagworten Erneuerung, Öffnung und kritischer Diskurs gezeigt werden sollten.
Die heute so typische Festivalatmosphäre wurde erst in diesem Jahr geboren. eben nicht nur Filmschau und Glamour, sondern im Anschluss an den Film stattfindende Gespräche mit den Machern, überhaupt die kritische Auseinandersetzung mit den oft politischen Filmen vom Rand der Filmwelt.
Diskurs ohne Wertung, keine Preise - der wertfreie Raum der Kunst im Film. Die Positionen der „Filmschau“-Vertreter und der jungen Generation, die den Film als gesellschaftliche, politische Kraft begriffen, die auch Debatten und Konflikte zeigen, statt sie unter Glamour und Stars und Festivalbrimborium zu verstecken. Mancher sprach von einem Neuanfang des Festivals, was sicher geschah, war eine Verjüngung und ein - wenn auch widerwilliges - Einlenken der Festivalleitung, dass parallel ein zeitgemässeres, angriffslustigeres Kino existierte, als das im offiziellen Wettbewerb zu sehende. Doch der gesellschaftliche Generationenkonflikt spiegelte sich auch im Festival und sorgte für Konflikte zwischen den Machern des kleinen Forums und des großen Bruders.
Eher nebensächlich geriet in diesem "alles neu Jahr" daher der Wettbewerb, der wenigstens ohne Skandale über die Bühne ging, was den Verantwortlichen nach dem Katastrophenjahr 1970 sehr recht gewesen sein dürfte. Goldener Bär: Vittorio de Sicas Il Giardino dei finzi contini, ein Film über den Faschismus - ein Thema, das auch in Italien lange geschlummert hatte, bevor es filmisch offen angegangen wurde.

Berlinale 1970

Das Skandaljahr: Michael Verhoevens Film O.K., der die Vergewaltigung und Ermordung eines vietnamesischen Kindes durch Soldaten der US-Armee in Motiven bayerischer Passionsspiele erzählt, löst am fünften Festivaltag einerseits Beifall und andererseits hysterische Kritik aus. Ein reales Verbrechen aus dem Jahr 1966 hatte Verhoeven zu dem Film inspiriert. Zum Deppen macht sich bereits am 1. Juli das deutsche Jurymitglied Manfred Durniok, der sich beim amerikanischen Jury-Vorsitzenden George Stevens dafür entschuldigt, dass O.K. als Beitrag der Bundesrepublik Deutschland (sic!) im Wettbewerb gezeigt wird. Dieser Speichelleckanfall ist der Anstoß für eine Lawine an Zensurvorwürfen, Rechtfertigungen, persönlichen Verleumdungen und Verschwörungstheorien. Ergebnis: Die hoffnungslos zerstrittene Jury tritt zurück, der Wettbewerb wird abgesagt, einige Filme zurückgezogen oder nur „informatorisch“ gezeigt. Die Berlinale liegt in Trümmern. Die großartige Fassbinder-Satire über den Irrsinn des Alltags Warum läuft Herr R. Amok? lief zum Glück schon bevor das Festival im Chaos versank.
Aus dem Desaster wächst Positives: Endlich reformiert sich die so oft bürokratisch blockierte Berlinale, das „Internationale Forum des jungen Films“ wird aus der Taufe gehoben.