Perspektive Deutsches Kino

Interview mit Sebastian Mez - Regisseur von METAMORPHOSEN

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Der herausragende Film der diesjährigen Perspektive Deutsches Kino war der Dokumentarfilm METAMORPHOSEN von Sebastian Mez. Mez konfrontiert den Zuschauer mit den Folgen eines Ereignisses, das schon mehr als ein halbes Jahrhundert zurückliegt: Die Explosion in der damals sowjetischen, heute russischen Nuklearfabrik Majak. Am 29. September 1957 explodierte in der Anlage, in der waffenfähiges Plutonium angereichert wurde, ein großer Tank mit stark radioaktiver Flüssigkeit. Mez spricht mit den Menschen, die heute noch in unmittelbarer Nachbarschaft der Fabrik leben. Gerade weil er seinen Film nicht als investigative Recherche anlegt, werden die Auswirkungen und Verheerungen durch den Nuklearunfall umso spürbarer. Festivalblog hat ein Interview mit dem Regisseur geführt.

War Dir schon von Anfang an klar, wie Du den Film gestalten wolltest? In schwarz-weiß, keine klassische Interviewsituationen etc.
Immer wenn ich ein Thema habe, was mich interessiert und was zu mir passt, mache ich mir von Beginn an Gedanken über die filmische Form. Im Vordergrund steht die Frage: Welche Form ist angemessen für das Thema? Im Fall von METAMORPHOSEN war von Anfang an die Aufgabe, etwas, was nicht sichtbar und überhaupt nicht konkret ist, in Bilder umzusetzen. Insofern war schnell für mich klar, dass ich mit Artifizierung arbeite. Gleichzeitig wollte ich mit dem zeitlosen Charakter des Films arbeiten. Das Unglück in Majak ist vor mehr als 50 Jahren passiert, damals wäre der Film aktuell gewesen. Er wird aber in 100 Jahren noch genauso aktuell sein, weil der Ort, von dem der Film handelt, für immer radioaktiv verseucht ist.

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EINZELKÄMPFER von Sandra Kaudelka

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EINZELKÄMPFER heißt Sandra Kaudelkas Dokumentarfilm über die vier Spitzenathleten Brita Baldus, Udo Beyer, Ines Geipel und Marita Koch. Alle vier Sportler waren in der DDR erfolgreich, Beyer und Koch holten Olympisches Gold im Kugelstoßen beziehungsweise im 400-Meter-Lauf. Trotzdem sind die Geschichten der Sportler verschieden: Beyer und Koch waren Stars, Koch sogar schlicht die beste 400-Meter-Läuferin aller Zeiten. Die Sprinterin Ines Geipel dagegen wollte sich 1984 aus der DDR absetzen. Diese Pläne aber wurden an die Stasi verraten, so dass sie von einem Tag auf den anderen aus dem Leistungssport ausgeschlossen wurde. Die Wasserspringerin Brita Baldus wiederum holte ihre größten Erfolge nach der Wiedervereinigung: Sie wurde Dritte bei den Weltmeisterschaften 1991 und bei den Olympischen Spielen 1992. 1991 und 1993 wurde sie Europameisterin vom Drei-Meter-Brett. Einen Titel, den sie schon 1983 für die DDR geholt hatte. Sie alle haben auch heute ganz verschiedene Meinungen zum Leistungssport und den Unterschieden zwischen damaliger DDR und dem heutigen Deutschland.

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ZWEI MÜTTER von Anna Zohra Berrached

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Zwei Frauen lieben sich, leben zusammen und wollen ein gemeinsamen Kind haben. Das ist kein Problem. Das ist kein Problem? Es ist ein Problem! Jedenfalls für den deutschen Gesetzgeber und deshalb auch für die Frauen. Genau davon handelt der Film ZWEI MÜTTER von Anna Zohra Berrached. Konkret gesagt: Er handelt von dem Problem Sperma zu bekommen sowie eine professionelle Inseminationsbehandlung und von den finanziellen Belastungen und dem psychologischen Stress, wenn es Monate oder Jahre dauert bis zur erfolgreichen Befruchtung.

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ENDZEIT von Sebastian Fritzsch

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Dann ist das Unfassbare wirklich passiert: Ein Komet ist eingeschlagen. Als sie noch ein kleines Mädchen war. Sie hat überlebt, ihre Eltern nicht. Wenige haben überlebt. Jetzt ist das kleine Mädchen von einst eine junge Frau. Sie schlägt sich allein durch. Sie hat gelernt Fallen zu legen oder sich Vorräte aus leerstehenden Häusern zu besorgen. Sie folgt ihrem Instinkt. Andere Menschen sind für sie zunächst einmal genauso Gegner wie Wölfe. Dann trifft sie einen Mann. Sie muss entscheiden, ob er Freund ist oder Feind. ENDZEIT von Sebastian Fritzsch nach einem Drehbuch von Georg Tiefenbach erzählt eine Geschichte nach der Apokalypse.

In der Post-Apokalypse von ENDZEIT sind die Menschen in vielerlei Hinsicht in eine Art Naturzustand zurückgefallen: Sie haben keine Namen, sie misstrauen einander, sie kooperieren nur dann, wenn es ihnen nützt. ENDZEIT ist eine Art soziales Experiment: Fünf Menschen sind es irgendwann, die vom Schutz und von den Vorräten eines einsamen Gehöfts mitten in den Bergen profitieren wollen. Ob sie das schaffen oder nicht, ob sie zusammenbleiben oder doch nach einer unbekannten Stadt jenseits des Gebirgskamms suchen, die vielleicht nur ein imaginärer Sehnsuchtsort ist? Von diesen Fragen handelt der Film, dem es gut gelingt die paranoide Endzeitstimmung zu kreieren, die schon soviele Vertreter dieses Genres ausgezeichnet hat. Endzeit ist ein schauspielerisch und handwerklich überzeugender Film, der aber dem Thema keine neuen Seiten abgewinnt.

METAMORPHOSEN von Sebastian Mez

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Am 29. September 1957 explodierte in der damals sowjetischen, heute russischen Nuklearfabrik Majak, in der waffenfähiges Plutonium angereichert wurde, ein großer Tank mit stark radioaktiver Flüssigkeit. Mehr als 50 Jahre später geht Sebastian Mez mit Kamera und Mikrofon im nahe gelegenen Dorf Musljumowo auf Spurensuche. In ruhigen Einstellungen filmt er die karge Winterlandschaft und lässt die Menschen reden, die dort leben – Dorfbewohner, keine Funktionäre, keine Politiker. Die Alten erinnern sich immer noch gut an den Unglückstag und seine schrecklichen Folgen. Auch die jüngeren wissen, dass sie den Auswirkungen des Unglücks selbst Jahrzehnte später nicht entkommen können. METAMORPHOSEN beweist, dass beim Film gerade die Konzentration auf wesentliche filmische Mittel eine hohe ästhetische Wirkung erzeugen kann. Eine noch größere Leistung des Filmemachers ist es, seinen Dokumentarfilm nicht zur Faktenschlacht zu machen. So informiert er eindringlich über die Konsequenzen des Unglücks, ohne den Zuschauern mit Daten oder technischen Details zu überhäufen. METAMORPHOSEN ist der mit Abstand beste Film der Perspektive 2013. Ohne jeden Zweifel wäre das Forum die angemessene Sektion für diesen Film gewesen. Auch hier wäre er positiv aufgefallen.

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DeAD von Sven Halfar

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Patrick hat seinen „Erzeuger“ nie kennengelernt, weil der sich schon vor der Geburt aus dem Staub gemacht hat. Als er Ende 20 ist, bringt sich seine Mutter um. Patrick selbst entdeckt sie. Sie hat sich erhängt. Nach der Beerdigung findet er Informationen über seinen Vater und macht sich gemeinsam mit seinem Kumpel Elmer auf die Suche. DeAD klingt wie ganz schwere Kost, Familientragödie eben. Allerdings sind die beiden mit einem amerikanischen Oldtimercabrio unterwegs und haben einen Hang zu rabulistischem Irrsinn und narzisstischen Rachegelüsten. So wird aus der Aufarbeitung des gestörten Vater-Sohn-Verhältnis eine schwarze Komödie mit einem guten Schuss detailverliebter Perversität
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In ihren besten Momenten ist der Film von Sven Halfar eine wahnwitzige Mischung aus FUNNY GAMES, DAS FEST und von Tarrantino infizierter Freude an stilisierter Gewalt. Das düstere Duo sucht den runden Geburtstag des Vaters mit einer ganz eigenen Art von sadistischem Charme heim. Schicht für Schicht legen sie die Schwachstellen der feiernden Familie bloß und lassen nach und nach die Gewalt mit mordlüsterner Höflichkeit eskalieren. Das Filmteam und die Darsteller kreieren mit Lust am Wahnwitz und in übersteigerter B-Movie-Ästhetik einige grandiose Szenen. Letztlich gelingt der Film nicht in allen Passagen, weil nicht alle Figuren überzeugen. Aber trotzdem lohnt das Gucken für den, der Spaß am Makaberen, an der Übertreibung und am Geschmacklosen hat.

SILVI von Nico Sommer

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Die 47jährige Silvi erfährt von ihrem Ehemann nach einem letzten gemeinsamen Besuch in der Autowaschanlage, dass er sich nach 30 Jahren Ehe neu orientieren möchte und die Trennung will. Sie reagiert zunächst geschockt, stürzt sich dann aber voller Elan in das Abenteuer der modernen Partnersuche. Auf ihrer Suche begegnen ihr verschiedenste Männer: Vom gut getarnten sexbesessenen Egoisten über einen romantisch veranlagten Südländer mit stark ausgepägter Sado-Maso-Neigung bis hin zum scheinbar kreuzbraven Familienvater wird sie mit einer ganzen Palette männlicher Sex- und Beziehungswünsche konfrontiert. Obwohl Silvi im Laufe ihrer Partnersuche erkennen muss, dass es den ersehnten Platz im Märchenschloss nicht umsonst gibt und dass man dafür auch schon mal jemanden nackt in einen Wäscheschrank einsperren muss, bleibt sie hoffnungsvoll und zuversichtlich.

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FREIER FALL von Stephan Lacant

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Marc und Kay kurz bevor der freie Fall beginnt. Bild: Sten Mende, kurhaus production

Bereitschaftspolizist, also Beamter, verheiratet – Kind ist unterwegs – und der Einzug in die Doppelhaushälfte in unmittelbarer Nähe der Schwiegereltern und von Schwägerin und Schwager läuft gerade. Wie es für Marc bis zur Pensionierung weitergeht, steht fest. Noch vorgezeichneter kann ein Lebensweg gar nicht sein. Doch dann lernt Marc auf einem Polizeilehrgang Kay kennen und schnell kippt dieses Leben ins Ungewisse.

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Das Highlight in der Perspektive: METAMORPHOSEN

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Musljumowo mehr als 50 Jahre nach der Katastrophe, Quelle: Berlinale.

Der herausragende Film der diesjährigen Perspektive Deutsches Kino ist ein Dokumentarfilm: METAMORPHOSEN von Sebastian Mez. Mez konfrontiert den Zuschauer mit den Folgen eines Ereignisses, das schon mehr als ein halbes Jahrhundert zurückliegt: Die Explosion in der damals sowjetischen, heute russischen Nuklearfabrik Majak. Am 29. September 1957 explodierte in der Anlage, in der waffenfähiges Plutonium angereichert wurde, ein großer Tank mit stark radioaktiver Flüssigkeit. METAMORPHOSEN beschäftigt sich nicht mit Technik, versucht keine komplizierten Erklärungen. Mez filmt mit großer Ruhe und langen Einstellungen im nahen Dorf Musljumowo. Und er lässt Menschen sprechen. Mit diesem einfachen Rezept gelingt eine inhaltlich und ästhetisch sehr beeindruckende Dokumentation. Weil solche Filme bei der Berlinale viel zu oft übersehen werden, hier gleich die Aufführungsdaten: Der Film hat seine Premiere am Montag, 11. Februar, um 19.30 Uhr im Cinemaxx 3 und wird am Dienstag, 12. Februar, zweimal gezeigt - um 13 Uhr im Colosseum und um 20.30 Uhr im Cinemaxx 1.

METAMORPHOSEN sticht aus einem guten Perspektive-Jahrgang mit vielen handwerklich ansprechenden und thematisch interessanten Filmen hervor. Nur zwei Filme, die eher im essayistisch-experimientellen Bereich angesiedelt sind, fallen stark ab. Ein besonderer Tipp bei den Spielfilmen ist FREIER FALL von Stephan Lacant mit Hanno Koffler, Max Riemelt und Katharina Schüttler in den Hauptrollen. FREIER FALL erzählt eine spannende Beziehungs-Geschichte zweier Polizisten und einer Frau. Ebenfalls überzeugend ist bei den Spielfilmen ENDZEIT von Sebastian Fritzsch. Der Titel gibt hier das Thema vor: Es geht um das Überleben nach der großen Katastrophe. Wer es gerne bizarr mag und mit den Filmen von Quentin Tarrantino etwas anfangen kann, sollte es mit DeAD von Sven Halfar versuchen. Mich hat der Film nicht vollkommen überzeugt, aber er hat viele gute Einfälle und eine ganze Reihe von überraschenden Szenen für die Freundinnen und Freunde brutal-heiterer Geschmacklosigkeiten.

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Prämierte deutsche Filme am Kinotag der Berlinale 2013

Am Berlinale-Kinotag, dem 17. Februar 2013, präsentiert die Perspektive Deutsches Kino wie schon im vergangenen Jahr ausgezeichnete deutsche Filme: Das Berlinale-Publikum kann den Gewinner des Spielfilmwettbewerbs "Max Ophüls Preis 2013" sehen. Dieser Preis wird am 27. Januar in Saarbrücken verliehen. Hinzu kommen der elfminütigen Dokumentarfilm-Gewinner des "First Steps Award 2012" REALITY 2.0 (Regie: Victor Orozco Ramirez) und ANATOMIE DES WEGGEHENS (Regie: Serban Oliver Tataru), der ebenfalls für den Preis nominiert war.

Berlinale mit elf Filmen in der Perspektive Deutsches Kino

Der deutsche Filmnachwuchs präsentiert sich auf der Berlinale 2013 in der Perspektive Deutsches Kino mit elf Beiträgen. Das Programm der Perspektive umfasst in diesem Jahr sechs Spielfilme, drei Dokumentarfilme und zwei sogenannte mittellange Filme mit einer Länge unter 50 Minuten.

Die Beiträge der Perspektive Deutsches Kino bei der Berlinale 2013:
CHIRALIA von Santiago Gil (mittellanger Film)
DeAD von Sven Halfar
DIE MIT DEM BAUCH TANZEN (Dancing with Bellies) von Carolin Genreith (Dokumentarfilm)
EINZELKÄMPFER (I Will Not Lose) von Sandra Kaudelka (Dokumentarfilm)
ENDZEIT (End of Time) von Sebastian Fritzsch
FREIER FALL (Free Fall) von Stephan Lacant
KALIFORNIA von Laura Mahlberg (mittellanger Film)
METAMORPHOSEN von Sebastian Mez (Dokumentarfilm)
SILVI von Nico Sommer
DIE WIEDERGÄNGER (The Revenants) von Andreas Bolm
ZWEI MÜTTER (Two Mothers) von Anne Zohra Berrached

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