METAMORPHOSEN von Sebastian Mez

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Am 29. September 1957 explodierte in der damals sowjetischen, heute russischen Nuklearfabrik Majak, in der waffenfähiges Plutonium angereichert wurde, ein großer Tank mit stark radioaktiver Flüssigkeit. Mehr als 50 Jahre später geht Sebastian Mez mit Kamera und Mikrofon im nahe gelegenen Dorf Musljumowo auf Spurensuche. In ruhigen Einstellungen filmt er die karge Winterlandschaft und lässt die Menschen reden, die dort leben – Dorfbewohner, keine Funktionäre, keine Politiker. Die Alten erinnern sich immer noch gut an den Unglückstag und seine schrecklichen Folgen. Auch die jüngeren wissen, dass sie den Auswirkungen des Unglücks selbst Jahrzehnte später nicht entkommen können. METAMORPHOSEN beweist, dass beim Film gerade die Konzentration auf wesentliche filmische Mittel eine hohe ästhetische Wirkung erzeugen kann. Eine noch größere Leistung des Filmemachers ist es, seinen Dokumentarfilm nicht zur Faktenschlacht zu machen. So informiert er eindringlich über die Konsequenzen des Unglücks, ohne den Zuschauern mit Daten oder technischen Details zu überhäufen. METAMORPHOSEN ist der mit Abstand beste Film der Perspektive 2013. Ohne jeden Zweifel wäre das Forum die angemessene Sektion für diesen Film gewesen. Auch hier wäre er positiv aufgefallen.

METAMORPHOSEN ist deshalb so eindringlich, weil Mez – Regisseur, Kameramann und Produzent in Personalunion – bei seiner Herangehensweise die richtigen Entscheidungen trifft: Er kommt den Menschen nah ohne aufdringlich zu sein. Er unterbricht sie nicht, sondern lässt sie in ihren Worten erzählen. Er macht ausdrucksstarke Bilder von Gesichtern, einfachen Häusern und einer schroffen und irgendwie doch idyllischen Winterlandschaft. Die Menschen erzählen von der „dreckigen Wolke und den zerbrochenen Fenstern“ am Unglückstag. Davon, dass sie schon fünf Tage nach dem Unglück wieder auf den Feldern arbeiteten und von Krankheit und Tod in den Jahren danach. Im Jahr 2006 hätten Japaner in Schutzanzügen im Dorf und am nahe gelegenen Fluss Tetscha Messungen durchgeführt und dann gesagt: „Ich müsst keine Angst mehr vor dem Atomkrieg haben. Die Menschen in Hiroshima haben weniger abbekommen als ihr.“ Ein Dorfbewohner erzählt, dass die Frauen aus Musljumowo noch heute Probleme haben, wenn sie sich in einen Mann aus einem anderen Dorf verlieben. Wenn sie sagten, wo sie herkommen, seien damit viele Beziehungen beendet.

Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen kümmern sich die Menschen um ihr Dorf. Die Förster füttern im Winter zu und kümmern sich so um den Wildbestand und achten darauf, dass niemand widerrechtlich Bäume fällt. Manchmal drücken Sie ein Auge zu. Und die Kinder im Dorfkindergarten singen das Lied von der Wunderinsel Chunga Changa. Es geht ungefähr so:

„Chunga Changa – blauer Himmel – hier ist das ganze Jahr Sommer.
Hier ist das Leben einfach, wir kennen kein Leid.
In Chunga Changa gibt es Kokosnüsse und Bananen.

Die Menschen in Musljumowo sind viel zu realistisch, um auf ein Wunder zu warten. Wenn man den wie verrückt knatternden Geigerzähler gesehen hat, den Sebastian Mez in einer langen Einstellung filmt (das einzige Mal, dass Technik und Zahlen eine Rolle spielen), weiß man auch warum.

Kommentare ( 1 )

"Leider" sehenswert!!!

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Titel

Orignaltitel

Metamorphosen

Englischer Titel

Metamorphoses

Credits

Regisseur

Sebastian Mez

Land

Flagge DeutschlandDeutschland

Jahr

2013

Dauer

84 min.

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