Blog-Artikel von Haiwen

18.02.06 0:34

Wettbewerb: Isabella von Pang Ho-Cheung

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Der frustrierte und wegen Korruption suspendierte Polizist Shing, gespielt von Chapman To, stürzt sich von einem Frauenabenteuer ins nächste. Dabei macht er eines Nachts in einer Bar ein junges Mädchen an. Yan sitzt in seinem Wohnzimmer am nächsten Morgen und schlürft Nudeln. Sie verfolgt Shing, bis er sie entnervt zur Rede stellt. Sie behauptet, seine Tochter zu sein. Yans Mutter war seine erste Freundin, ist kurz zuvor gestorben. Und Isabella? Das ist ein kleiner Streuner, den Yans Mutter ihr geschenkt hatte. Der ist verschwunden, und Yan ist verzweifelt. Die Suche nach Isabella bringt die beiden näher zusammen. Nach und nach findet Yan einen Platz in Shings Leben, zieht bei ihm ein und stellt seinen bisherigen Lebenswandel auf den Kopf, während Shing sich immer mehr mit seiner neuen Rolle anfreundet. Die Geschichte spielt kurz vor der Übergabe Macaos an die Volksrepublik China Ende 1999. Pang Ho-Cheung versucht dem Film etwas Künstlerisches zu geben, wird auch mit Wong Kar-wai verglichen, doch davon ist er noch einige Längen entfernt.

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17.02.06 2:53

Wettbewerb: Invisible Waves von Pen-ek Ratanaruang

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Im Auftrag seines Chefs Wiwat muß der japanische Koch Kyoji dessen Frau umbringen, die zufällig auch seine Geliebte ist. Er bekommt von Eric Tsang als mysteriöser bandagierter Mönch einen Umschlag mit Geld und einer Überfahrt nach Phuket. Er steigt also in Hongkong auf ein lautes, ungemütliches Schiff ein, versucht in der fensterlosen, donnernden Kabine die Zeit zu verdrücken. Es sind zwar kaum Menschen auf dem Schiff zu sehen – leere Gänge, leere Bar, leerer Pool -, doch zufällig ist an Deck eine wunderschöne junge Frau namens Noi mit einem kleinen Baby. Irgendwie kommt Zuneigung bei ihm auf, obwohl er von Schuldgefühlen und Übelkeitsanfällen geplagt ist. Gleichzeitig folgt ihm ein anderer Mann und sehr viel Pech, denn was er noch nicht ahnen kann, Noi ist die Freundin vom Chef. Klingt ganz nett – aber auch nur wenn der Film 15 Minuten statt quälende 115 Minuten gedauert hätte. Achtung: hier ist die eigentliche Rezension zu Ende. Weiterlesen auf eigene Gefahr.

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16.02.06 19:15

Panorama: Kann Shang Qu Hen Mei (Little Red Flowers) von Zhang Yuan

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Der vierjährige Qiang kommt in ein (Elite)Kindergarten und soll auf Kommando mit allen anderen kleinen Zöglingen Pippi machen, in Reih und Glied spazieren und zur befohlenen Zeit schlafen. Wenige Jahre sind vergangen seit der Gründung der Volksrepublik 1949. Anfangs lacht man über seine Ungeschicktheit, seine frechen Witze, seine kleinen Versehen. Rote Papierblumen bekommen die Kinder, wenn sie artig allen Anweisungen folgen und so pflegeleichte, funktionierende Mitglieder der Gesellschaft werden. Eine große Tafel prangt im Klassenzimmer mit allen Kindernamen, daneben die roten Blumen, die die einzelnen Kinder sich verdient haben, und Qiang starrt heimlich mit sehnsüchtigen Augen diese Tafel an, denn er wünscht sich auch eine rote Blume. Dong Bowen spielt die Figur so gut, dass jeder Zuschauer sich sofort in diese großen runden Augen verlieben muss. Er ist aufgeweckt und schlau, das passt nicht in Lehrerin Lis Welt, in die der Direktorin, in die einer konformistischen Gesellschaft.

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Forum: "Bokura wa mo kaerenai" (We Can’t Go Home Again) von Fujiwara Toshi

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Fünf junge Menschen sind in Tokio auf der Suche nach dem Sinn des Lebens. Mao ist Redakteurin in einem Verlag für Filmbücher und hat Komplexe, sie wisse zu wenig für diesen Job (stimmt auch). Yushin arbeitet dort als Praktikant, ist Filmfreak und ungerecht zu seiner Freundin. Kurumi nennt sich Lady Satori, verdient Geld als Domina und ist unerfüllt in ihrer Liebe zu Masato, platonisch. Atsushi macht immer Fotos von verschiedenen Orten oder Motiven, doch im Vordergrund ist immer sein Gesicht. Dann gibt es noch einen mysteriösen jungen Mann mit grimmigem Gesichtsausdruck, der Mao immerzu verfolgt. Der Regisseur meinte: „Dieser Film entstand als `kollektive Improvisation´ von Laiendarstellern.“ Genauso muss man sich die Geschichte dann vorstellen – wie eine Abschlussarbeit der Filmhochschule.

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15.02.06 23:33

Panorama: Shisso (Dead Run) von Sabu

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Der junge Mann Shuji erlebt den Verfall seiner Umgebung. Als erstes sollen Familien vom aufgeschütteten Land an der Küste einem Luxushotel Platz machen, den als Baulöwen getarnte Gangster geplant haben. Dann wird sein älterer Bruder von der Schule suspendiert, weil er seine guten Noten erschummelt hatte und verraten wurde. Einzelne Wohnhäuser brennen nach Brandstiftung nieder, Shujis Bruder kommt ins Gefängnis, sein Vater verschwindet, irgendwann auch die Mutter. Währenddessen hat er seine erste Liebe gefunden, die auch schon wieder wegziehen muss. Ihre Begegnungen sind immer mit dem Laufen verbunden. Und dabei sucht er Trost bei einem christlichen Priester, der ihm die Bibel nahe bringt. Klingt ganz gut, ist aber eine dead end Geschichte.

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14.02.06 13:56

The Golden Dung-beetle

"Berliner" sind "glazed donuts"? "Berliner" sind "doughnuts"??? Wieder einmal etwas dazu gelernt (das steht sogar im Wörterbuch). Ihr habt sicher noch mehr Untertitelerleuchtungen zu bieten. Wir sollten einen Preis für die beste Übersetzung bei Untertitel einführen (wie "blueberry muffin" - Himbeerküchlein, "schleich di!" - fuck off), einen goldenen Mistkäfer?

13.02.06 20:36

Forum: Kimyo na sakasu (Strange Circus) von Sono Sion

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Enthüllung einer inzestuösen Familiengeschichte, verworren und kompliziert durch die Verwischung der Grenzen zwischen Opfer und Täter. Es sind drei parallel erzählte Stränge, aus der Sicht einer erfolgreichen erotischen Schriftstellerin mit geheimnisvoller Vergangenheit, ihre Traumsequenzen aus der Sicht eines missbrauchten Mädchens und mit einem immer wiederkehrenden Motiv, dem Strange Circus. Der Film ist very strange, indeed.

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11.02.06 14:55

Cool Charlotte - die diesjährige Präsidentin der Jury

Eine Britin, geliebt im französischen Film? Unerhört! Aber es handelt sich um Charlotte Rampling.


Charlotte Rampling ist der Beweis dafür, dass man ohne jegliche chirurgische oder sonstigen Eingriffe mit 61 noch fantastisch und sexy aussehen kann. Sie macht gerne einen großen Bogen um Hollywood, wobei sie aber eine Rolle im kommenden Basic Instict 2 angenommen hat. Dem Drehbuch konnte sie einfach nicht widerstehen, außerdem sei ja der Regisseur ein Schotte, Michael Caton-Jones, wie sie in einem Interview mit der Londoner Times anmerkte. Wer ihre bisherige Filmografie kennt, wird sich nun am Kinn reiben – sollte man nicht vielleicht doch diesen Film ansehen?

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19.02.05 3:10

Forum: Mahiru no hoshizora (Starlit High Noon) von Nakagawa Yosuke

Japan 2005 * Regie/Buch: Nakagawa Yosuke Darsteller: Suzuki Kyoka, Wang Leehom, Kashii Yu Musik: Sawada Joji

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Dieser Film ist nicht empfehlenswert, wenn man mit leerem Magen hingeht. Und tatsächlich geben die Produzenten zu, ja! wir hatten eigens dafür Food Production. Und einen Superkoch-Double. Denn der Hauptdarsteller Wang Leehom kann besser Musik machen als kochen: er ist im wahren Leben ein großer Popstar und Teenieschwarm in Ostasien. Seine Figur Lian Song ist ein Auftragskiller, der in Taipei „arbeitet“ und in Naha, Okinawa, der Muße nachgeht: kochen, schwimmen und Modellflugzeuge bauen. In diesem Refugium begegnet er Yukiko bei seinem wöchentlichen Besuch im Waschsalon und überwindet sich nach langem Beobachten, sie anzusprechen. Er lädt sie zum Essen ein, dem sie schließlich nach langem Zögern nachgibt. Doch soll er zurück nach Taipei. Man will ihn an das verfeindete Triadenlager zum Zeichen der Wiedergutmachung opfern, da Lian den gegnerischen Boss im Auftrag umgebracht hatte. Lian schreibt einen Brief an Yukiko, sie solle sich entscheiden: zum Flughafen kommen, dann würde er in Naha bleiben, oder er würde für immer nach Taipei gehen. Diesen Brief vertraut er der jungen Frau an, an die er täglich im Schwimmbad vorbeigeht – sie ist dort eine Angestellte, die ihn heimlich von ferne bewundert. Eifersüchtig schmeißt sie den Brief weg.

Im Film fällt entgegen unseren Erwartungen kein einziger Schuss. Er ist ruhig und voller Bilder der üppigen subtropischen Landschaft Okinawas. Samtige Brisen, warmes Sonnenlicht, leises Klingeln von Windspielen und das Meer, kein Wunder, dass Protagonist Lian sich hier in seinem Gaijin-Haus wohlfühlt (hier sind US Militärbasen und extra für sie errichtete Häuser). Er wirkt naiv und jungenhaft, fast tollpatschig, verliehen durch seine für asiatische Verhältnisse große Statur, und ist ein Träumer. Er will einmal in der Mittagssonne die Sterne sehen. Denn man erzählt sich, auf dem Himalaya wäre dies möglich. Gleichzeitig schwimmt er wie ein Berufssportler, geht geschmeidig gefährlichen Situationen aus dem Weg. Suzuki Kyokas Rolle spricht wenig. Ihre Mimik ist subtil, die Figur ist verhalten, und trotzdem erkennen wir die tiefe Trauer in einem einzigen Blick. Wir sehen eine leise Andeutung von Skepsis in ihrem Gesicht, als sie das taiwanesische Essen probieren soll, und den plötzlichen Umschwung in ein erstaunt begeistertes Aufleuchten. Sie ist im Gegensatz zu Wang Leehom eine ausgebildete Schauspielerin, die wir aus Radio no jikan kennen und in Blood and Bones mit Beat Takeshi sehen werden.

Der Regisseur nimmt sich viel Zeit, diese Geschichte zu erzählen. Sehnsüchtige Landschaftsbilder und unterschwellig erotische Essensszenen, bloß nichts überstürzen oder offen ansprechen. Kleine Gesten entscheiden. Ich muss die fantastische Musik von Joji Sawada erwähnen, endlich wieder Filmmusik: mit richtigen Instrumenten und richtiger Komposition. Gezielt eingesetzt, ohne zu sehr von der Handlung abzulenken.

Ein großer Wermutstropfen bleibt, denn wie soll dieser Film synchronisiert werden? Mir wurde erst bei einer Publikumsfrage bewusst, dass kaum ein Zuschauer merken konnte, wie Lian seine Monologe auf Mandarin führt und mit Bravour ins Japanische wechselt, wenn er sich mit Yukiko unterhält. In dem Film ist es völlig normal zwischen den Sprachen zu wechseln (und sie sind sich in keinster Weise ähnlich, auch nicht untereinander mit kantonesisch oder koreanisch). Es zeigt eine Form von „inter-connectedness“ in Ost- und Südostasien und erzeugt eine ganz eigene Atmosphäre, die mittlerweile in mehreren Filmen vorkommt – Fulltime Killer auf japanisch, kantonesisch, mandarin und etwas englisch, Comrades - Almost a Love Story auf kantonesisch, mandarin und englisch usw.

Nun denn, wem asiatische Sprachübungen zu umständlich sind, der soll sich einfach nur auf die schönen Bilder konzentrieren und sich den Duft vom Essen vorstellen.

18.02.05 18:22

Panorama Special: Riyuu (The Motive) von Nobuhiko Obayashi

Japan 2004 * Regie: Nobuhiko Obayashi Buch: Nobuhiko Obayashi und Shiro Ishimori nach einem Roman von Miyuki Miyabe Darsteller: Ittoku Kishibe, Masami Hisamoto, Miyoko Akaza, Jun Fubuki

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Bevor der Film beginnt, kommt der lächelnde ältere Regisseur Herr Obayaki auf die Bühne. Er sagt uns einige Sätze zum Film, lächelt viel, genauso wie die widerwillig herbei geholten drei Produzenten, darunter seine Frau, die ganz verlegen kichern. Er hofft, der Film berühre uns, geht uns ans Herz. Irgendwann sagt er das noch einmal. Als schon alle denken, jetzt kann der Film beginnen, sagt er das wieder und lächelt ganz freundlich dabei.

Genauso ist der Film. Wie ein lieber alter Großonkel, der uns eine Geschichte erzählt. Dann holt er aus und erzählt weiter. Und holt wieder Luft und erzählt und erzählt und kommt nicht zum Punkt.

Eigentlich ist Riyuu eine spannende Geschichte, geschrieben von der in Japan erfolgreichen Autorin Miyuki Miyabi. Vier Tote in einer Wohnung, von denen aber keiner wirklich hingehört. Was haben sie dort alle gemacht? Kannten sie sich untereinander überhaupt? Was verbindet sie mit dem Besitzer? Was war das Motiv von diesen Morden? Die zuständigen Polizisten sind verwirrt, und in einzelnen Szenen erzählen alle Zeugen, was sie gesehen haben, woher sie wen kennen. Sie erzählen es in die Kamera, uns, als würden wir sie bei einem kleinen Plausch ganz locker verhören. Aus verschiedensten Winkeln sehen wir die Mordnacht wie bei einem Miss Marple oder Hercule Poirot Film, die Puzzleteile ergeben nach und nach ein großes Bild.

Es ist leider ein sehr, sehr großes Bild. Alle erzählen und erzählen. Sicher gibt es einige witzige Details, die einen zum Schmunzeln bringen. Ein Mann plaudert seine Geschichte, während im Hintergrund des Segelclubs zwei halbnackte Mädchen ins Bild kommen. Als ein junges Mädchen in sehr kurzem Mini ein Orangensaft serviert und in die Kamera lächelnd grüßt, wird der befragte Mann wütend und schmeißt alle hinaus, da er nicht gefilmt werden möchte. Alle, die ins Bild kommen, grüßen uns freundlich verlegen, bitten uns zum Tee oder Kaffee. Es ist das einfache alltägliche Tokyo fernab vom bizarren und verrückten Shibuya oder Shinjuku. Keine Louis Vuitton Taschen oder Gucci Schuhe, keine stylischen oder im Fetisch verkleidete Figuren. Kein buntes rastloses Treiben voller Salarymen oder Geschäftsleuten. Nicht die uns fremde Popwelt wie in Lost in Translation, ganz frei von Klischees und dem verkorksten westlichen Bild Nippons. Hier werden einfache Familien in einem der vielen Stadtteilen Tokyos gezeigt, mit einem seufzenden Bedauern, dass sich so vieles vor allem seit dem Krieg verändert hat. Häuser abgerissen, alte Straßenzüge platt gemacht. Leise Kritik an Geldgier und Profitwahn, die einfache Existenzen kaputt macht, die so hart gearbeitet haben, die noch an familiäre Werte glauben.

Ein ruhiger Film mit viel Liebe zu Details. Zu viel Liebe zu Details. Man traut sich kaum aufzustehen, als man zum Tee gebeten wird und erzählt bekommt, wie der Vater von der verdächtigen Person war. Ja, er hatte es damals so schwer, dieses Süßwarengeschäft zu erhalten. Denn dessen Mutter war eigentlich auch bemitleidenswert. Sie musste in eine vorherbestimmte Familie einheiraten. Und der Verdächtige, der wollte ja nur das Beste für seine Kinder. Er ist ja gleich nach der Schule von zu Hause ausgezogen. Und sein Vater ist nie darüber hinweggekommen. Man schielt schon zur Tür, guckt heimlich auf die Uhr und lächelt freundlich, weil man doch endlich wissen will, was war nun das Motiv???

Wettbewerb: Tian Bian Yi Duo Yun (The Wayward Cloud) von Tsai Ming Liang

Taiwan, China, Frankreich 2004 * Regie/Buch: Tsai Ming Liang Darsteller: Shiang Chyi Chen, Kang Sheng Lee, Yi Ching Lu, Sumomo Yuzakura

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Dieser Film hat ganze 112 Minuten gedauert, fällt in die Kategorie Musical/Comedy/Drama (imdb.com) und verleitet Berliner Boulevardblätter zu sagen, die Berlinale hätte sich in die “Sexinale” verwandelt. Wo beginne ich nur… Man hätte sich wohl Tsais vorhergehenden Film ansehe müssen, „What Time is it there?“ (2001), denn sonst weiß man sicher nicht, dass die Hauptfigur Shiang-Chyi aus Frankreich zurückkehrt, dass sie die andere Hauptfigur Hsiao Kang kennt, der einmal am Hauptbahnhof Uhren verkauft hat. Die Hauptpromenade, an der er stand, ist abgerissen, und sie kann ihn nicht mehr dort finden. Soweit in der Zusammenfassung des offiziellen Berlinale Programms.

Verdammt, diesen Anfang habe ich ja gar nicht gesehen! Ich habe nur scheinbar ziellos umherirrende einsame Menschen in der leeren Millionenstadt Taipei gesehen. An einer Stelle setzt sich die Frau einfach zu einem schlafenden Mann an eine Kinderschaukel, der sie anlächelt, als sie aufwacht. Dann nimmt sie ihn gleich mit in die Wohnung.

Und da gibt es noch die Pornoszenen. Ja, der Uhrenverkäufer ist Pornodarsteller geworden. Wenn man ganz konzentriert aufpasst, sagt Shiang-Chyi an einer einzigen Stelle, „Verkaufst du keine Uhren mehr?“ Und er sagt nichts, wie im ganzen Film nicht. Irgendwann kommt sie dahinter, denn es wird gleich nebenan gedreht.

Viel Symbolik: Wassermelonen, Wassermangel und Dürre in der Sommerhitze Taipeis, eiskaltes reines Wasser in durchsichtigen Plastikflaschen in Shiang-Chyis Kühlschrank, ein Koffer, der nicht aufgeht, ein Schlüssel, der im Asphalt fest eingewalzt wurde, eine japanische Pornodarstellerin, die sich im vollen Lift auszieht, weil sie Ameisen am Körper hat. Sonst sind die Lifte immer leer, die Gänge leer, die Wohnungen karg und unbewohnt. Alles wirkt kalt trotz der unerträglichen Hitze. Es ist eine Entfremdung und Rückzug in ein kleines Mikrokosmos von Einsamkeit. Stille durchzieht den Film, viel Text musste niemand lernen, eigentlich sagt Hsiao Kang nicht ein einziges Wort im ganzen Film, die Japanerin stöhnt viel und sagt einen einzigen Satz. Die gedrehten Pornoszenen wirken routinehaft, alltäglich und auf keinen Fall schmutzig oder anrüchig – seltsamerweise. Kleine Pannen lassen diese äußerliche Nacktheit ganz normal erscheinen. Es steckt sogar Witz in den meisten Szenen, ohne die Figuren der Lächerlichkeit preiszugeben oder bloß zu stellen. Und plötzlich, als wäre die Filmhandlung in Theaterakte gegliedert, durchbrechen bunte, laute Musikszenen die Stille. Jede Figur singt sein Liedchen in Shanghaier Chansonmanier der 30er und tanzt wie im Musical – fast losgelöst vom eigentlichen Film, würde man schnell genug die Untertitel durchlesen und sehen, ah! es handelt sich doch immer noch um den gleichen Film, sie singen ja darüber!

1997 hat Tsai Ming Liang mit „Der Fluss“ den Silbernen Bär gewonnen. Und dieser Film? Es ist ein Kunstfilm. Wie eine lange Videoinstallation. Der Film plätschert hin und endet mit einem Höhepunkt – sozusagen. Was wollte uns der Regisseur sagen? Dass man mit Wassermelonen Frauen leichter verführen kann? Dass in meiner Nachbarswohnung Pornofilme gedreht werden könnten? Dass Wolken eigensinnig sind und nicht regnen wollen, auch wenn man zu ihnen betet? Keine Ahnung. So verlasse ich das Kino genauso ratlos wie all die anderen Zuschauer, war er witzig oder war er anrüchig oder war er symbolisch oder war er mutig oder lag das an der französischen Koproduktion oder waren die Untertitel schlecht übersetzt oder…

14.02.05 18:47

Panorama: Silentium von Wolfgang Murnberger

Österreich 2004 * Regie: Wolfgang Murnberger Drehbuch: Wolfgang Murnberger, Josef Hader, Wolf Haas Darsteller: Josef Hader, Simon Schwarz, Joachim Król, Maria Köstlinger, Udo Samel, Jürgen Tarrach, Rosie Alvarez Special Guest: Christoph Schlingensief

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Und scho wieder is wos passiert. In Salzburg stürzt der Schwiegersohn des Festspielpräsidenten vom berühmten Selbstmörderberg Mönchsberg. Hat er aber vielleicht einen kleinen Schubser gekriegt? Daran glaubt die Frau des Toten. Was für ein Glück, dass sie den glücklosen Brenner begegnet! Mit einem interessanten Trostspruch hat er sie für sich gewonnen, und sie wiederum überzeugt ihn davon, sich in die altehrwürdigen Gemäuer eines Knabenkonvikts zu begeben, hinter denen die Witwe die Mörder ihres Mannes vermutet. Ein Jahr zuvor war nämlich der Tote mit seinen skandalträchtigen Erinnerungen an die Öffentlichkeit getreten: der Leiter der Schule und zum Erzbischof aufgestiegene Schorn hat ihm als jungen Schüler etwas zu realistischen Hygieneunterricht erteilt. Mit seinem Freund Berti kommt Brenner nicht um die Kulissen der Festspiele herum (da beweist Christoph Schlingensief sein Können vor den Bayreuther Festspielen ) und kratzt an der glänzenden Oberfläche der morbiden Mozartstadt.

Nach der Romanvorlage von Wolf Haas ist dem Regisseur Wolfgang Murnberger ein spannender Film gelungen, in dem man fiebert, lacht, zittert, den Kopf schüttelt und noch mehr lacht. Das staubige Österreich mit der staubigen katholischen Kirche und dem staubigen Bürgertum, die alle gern heuchlerisch die Augen verschließen, wird schonungslos bloßgestellt. Brenner, dargestellt vom genialen Josef Hader (bekannt als Kabarettist und v.a. wegen dem Film „Indien“), ist der Anti-Held schlechthin. Stolpert von einem Missgeschick ins nächste und kommt doch als Stehaufmännchen immer mit einem blauen Auge davon. Skurrile Szenen erinnern an „Kottan ermittelt“, eine der sicherlich absurdesten Fernsehserien, die in den 80ern über Österreichs Bildschirme flimmerte (oder was sagt man zu einem Polizeipräsidenten, der seinen privaten Krieg mit einem Getränkeautomaten führt?). Brenner ist eine liebenswert tragikomische Figur, dessen einzige Romanze sich durch die kleine Nachtklappe einer Apotheke abspielt. Überhaupt sind die Charaktere dieses Filmes eigensinnig und wunderbar ausgearbeitet. Der bissige Wortwitz bringt uns zum Lachen, aber die Geschichte selbst stimmt einen nachdenklich. Sie ist erst auf den zweiten Blick tiefsinnig.

Nicht umsonst war dieser Film der größte Kassenschlager in Österreich 2004. Die Frage ist nur, kann er in Deutschland bestehen – ohne Untertitel? Keine Sorge, es kämpften sich auch einige „Piefke“-Darsteller tapfer mit österreichischen Ausdrücken und Akzenten im Film durch. Ich freue mich jedenfalls darüber, dass Wolf Haas noch vier ganze Romanvorlagen aus dem SchreibÄrmel gezaubert hatte.

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