Der Abspann läuft. Regisseurin Susanne Heinrich tritt mit Mikro vor die Leinwand. Sie erklärt, warum sie bereits jetzt, noch während des Abspanns, mit der Q&A beginnt. Er dauert sieben Minuten. Durch diese Ausdehnung konnte sie die volle Filmförderung nutzen.
Der Ansatz ist exemplarisch für die Herangehensweise von Heinrich. Sich im System bewegen, aber unabhängig und kritisch. Eine herausfordernde Gegenspielerin sein, sich mit intelligentem Witz das, woran man verzweifelt, für sich nutzbar machen und es perspektivisch auf einen Punkt zuwenden, an dem irgendwann Utopien entstehen können.
Heinrich selbst spricht von "Produktiv machen von Unwohlsein". Ihre Protagonistin verzweifelt. Die von Marie Rathscheck auf den Punkt genau gespielte junge Frau verzweifelt an Rollenzuschreibungen, an Ansprüchen gegenüber sich selbst aber vor allen an Männern. Wenn zum Beispiel der Mann nach dem Sex das Kondom zuknotet und in den Papierkorb legt, dann macht sie dieser Professionalismus traurig. Traurig auch, dass sie bereits vor langem ein Buch angefangen hat, aber nicht über den Anfangssatz des zweiten Kapitels hinauskommt.
DAS MELANCHOLISCHE MÄDCHEN ist stilisiert, bunt ausstaffiert und in seiner absurden Wahrhaftigkeit durchgängig unterhaltsam. Die junge Frau spricht eintönig und monologisierend ihre melancholischen Gedanken direkt an ihren männlichen Mitspieler*innen vorbei. In der Überspitzung legt Heinrich die Un-Verhältnisse offen. Sie folgt damit keinem Geringeren als Bertolt Brecht, der den Verfremdungseffekt zu einem zentralen Bestandteil seines Theaters gemacht hat.
Der DFFB Abschlussfilm ist auch Heinrichs Spielfilmdebüt. Sie ist aber bereits lange aktive Kulturarbeiterin. Sie hat bereits zwei Romane und zwei Erzählbände veröffentlicht. 2005 war sie beim Bachmannpreis in Klagenfurt und 2011 Stipendiatin an der Villa Massimo.
Das merkt man in der Q&A nach dem Film. Die Regisseurin ist eloquent und es wird klar, wie nah ihr Film an aktuellen sozio-philosophischen Diskursen ist. Ein klarer Bezug sind z.B. die Arbeiten von Eva Illouz. Heinrichs Ansätze bleiben aber nicht nur Theorie. Sie setzt sie sowohl Filmproduktion als auch Filmstil praktisch um. So war 70% der Film-Crew mit Frauen besetzt und die Aufteilung des MELANCHOLISCHEN MÄDCHENS in Episoden folgt ihrem eigenen Aufruf, sich dem Ordnungsprinzip der Story zu widersetzen.
Susanne Heinrich ist eine politisch feministische Filmemacherin der neuen Generation. Sie hat keine Scheu alle Genres zu nutzen oder die Wirklichkeit mit einem Zuckerguss zu übergießen. Es sind ihre Mittel, um für die Zuschauer*in den Blick auf Muster freizulegen, die in ihrer gesellschaftlichen Wiederholung Frauen den Raum nehmen.
Wer mehr von Heinrich hören möchte, sollte am 29.4. nach Berlin kommen. Da organisiert sie an der DFFB die Konferenz KINO IN DEN ZEITEN DER KATASTROPHE.