Interview mit Josef Hader zu ANDREA LÄSST SICH SCHEIDEN

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Josef Hader, österreichischer Kabarettist, Autor, Regisseur und Schauspieler, stellte mit ANDREA LÄSST SICH SCHEIDEN im Panorama der diesjährigen Berlinale seine zweite Regiearbeit seit WILDE MAUS (2017) vor. Im Zentrum des Films steht Andrea (Birgit Minichmayr), eine junge Polizistin, aus einem niederösterreichischen Dorf, die ihre Heimat hinter sich lassen will. Dabei erweist sich ihr Ehemann als Hindernis der besonderen Art. Neben der Regiearbeit schrieb Hader das Drehbuch mit Florian Kloibhofer und spielte die Rolle des Religionslehrers Franz. Außerdem spielen mit: Thomas Schubert (bekannt aus ROTER HIMMEL), Robert Stadlober und Thomas Stipsits. Der Film startet am 4. April in den deutschen Kinos.
Festivalblog (Steffen Wagner und Tiziana Zugaro) hat mit Josef Hader über seinen Film gesprochen.

Festivalblog: Herr Hader, in Ihrem zweiten Film ist eine Frau die Hauptfigur. Wie kam es dazu? Und sagen Sie bitte nicht wegen der tollen Birgit Minichmayr, obwohl wir Frau Minichmayr natürlich auch super finden.

Josef Hader: Wenn man eine Geschichte erzählen will, sucht man intuitiv nach einer Hauptfigur, die Schwierigkeiten und Widerstände erleben muss. Und eine Frau auf dem Land, die Polizistin ist, also diesen Männerberuf ausübt, und noch dazu die Leute aus dem eigenen Dorf bei Alkoholkontrollen vor sich hat: Das war so ungefähr der maximale Druck, der mir eingefallen ist. Das war eine Kombination, die mir Spaß gemacht hat, um die Geschichte von da weiter zu erzählen.

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Der Film setzt gleich zu Beginn den Ton mit feinsinnig-bösem Humor: Wenn man sich den gruselig die Heimat verklärenden Hoamatgsang anhört, mit dem die erste Szene einsetzt, versteht man Andreas Hauptantrieb sofort.

Es ist ein Fluchtfilm. Ein Film über eine Frau, die weggehen will.

Das Ende lässt verschiedene Zukunftsszenarien für Andrea offen. Was meinen Sie: Wird sie es schaffen, aus ihrem Heimatdorf rauszukommen?

Ich bin als Jugendlicher mit den Filmen des New Hollywood sozialisiert worden. Das heißt: Ich liebe schlechte Filmausgänge als Kinozuschauer. Aber ich bin nicht mutig genug, es als Regisseur genauso zu machen. Ich möchte es aber auch nicht bequem den Zuschauern überlassen, sich selbst auszudenken, wie es ausgeht. Ich hoffe, es so zu treffen, dass sich das Publikum denkt „jetzt kann ich sie entlassen“. Man hat das Gefühl, die Figur ist auf einem guten Weg. Das war meine Idee eines Endes.

Ist ANDREA LÄSST SICH SCHEIDEN Komödie oder Tragödie? Er scheint uns insgesamt ein wenig trauriger zu sein als Ihr erster Film WILDE MAUS.

Ich wollte mal den Begriff Tragikomödie ernst nehmen. Also wirklich 50:50. In den meisten Tragikomödien ist das Drama nicht so wichtig wie die Komödie. Manchmal ist das Drama nur Dekoration. Die Zuschauer lehnen sich zurück und denken, „das geht eh sicher gut aus mit dem Humor in dem Film“. Mir war es diesmal wichtig, eine Komödie zu machen, in der so etwas Schlimmes passiert, dass dann der Witz im Film das Drama nicht wettmachen kann. Das Lachen ist dann ein erleichtertes Lachen. In den Screenings habe ich auch ein erstauntes Lachen gehört, eben dass man über so etwas lachen kann. Aus meiner persönlichen Sicht ist es eine spannendere Komödie, weil sie mehr Drama hat.

Die Männer um Andrea sind, zugespitzt formuliert, entweder schrecklich und aufdringlich oder harmlose, aber recht hilflose Trottel. Was bedeutet es, dass der einzige Mann, mit dem Andrea letztlich auskommen kann, der Lehrer Franz, also der hilfloseste dieser Trottel ist?

Ich wollte bei den Männern nicht erreichen, dass man sie für schrecklich hält oder für Bösewichte, sondern eher für ein bisschen deformiert durch ihre eigene Unfähigkeit, das zu erfüllen, was man von einem Mann auf dem Land erwartet. Sie sind alle ein bisschen verkrampft, unlocker, brauchen Alkohol. Andrea ist umgeben von diesen Männern, die überhaupt keine Hilfe sind. Dadurch ist sie einsam. Sie ist ein einsamer Cowboy.
Wenn dann der Hilfloseste am ehesten noch die Hilfe ist, dann vielleicht deshalb, weil er dadurch, dass er soweit unten ist, eine gewisse Freiheit vorleben kann. Franz lebt in gewisser Weise selbstbestimmt, weil überhaupt nichts mehr von ihm erwartet wird. Und das hilft Andrea, weil sie im ganzen Film sehr viel einer möglichen Karriere opfert.

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Kann es, angesichts des generellen Angebots an Männern, die der Film nahelegt, überhaupt einmal einen Mann für Andrea geben?

Das ist eine gute Frage. Ich würde sagen, ja. Weil ich zum Beispiel immer sehr sozial unterentwickelt war und oft einsam. Und ich habe trotzdem eine sehr gute Frau gefunden. Insofern sehe ich Hoffnung für sie, aber einfach wird es nicht.

Sie haben vorhin gesagt, Andrea sei ein „einsamer Cowboy“. Der ganze Film bezieht sich ja in verschiedener Hinsicht auf den klassischen Western. Und das macht Andrea als Lonely Cowboy im Zentrum zu einer ziemlich unkonventionellen Frauenfigur.

Sie ist ein bisschen so, wie Männer oft sind in Filmen, diese Einzelgänger, die mit Pokerface und zusammengekniffenen Augen rumlaufen. In den Screenings hat es ältere Herren gegeben die gesagt haben „die hat ja gar keine Emotionen“ – in Klammern „was ist denn das für eine Frau?“. Da weiß man, die Figur ist gut so, ich bin auf dem richtigen Weg.

Im Gegenzug dazu sind die Männer im Film, so problematisch sie für Andrea sein mögen, nie reine Bösewichte.

Ich mag keine Thesenfilme. Das hier ist kein Film, der sagt, „das große Problem der Welt sind die toxischen Männer“, und wir machen jetzt ein Drama über die toxischen Männer. Meine Intention war, dass alle ein bisschen Opfer ihrer Umgebung sind – die Männer und die Frauen. Ich habe die Landebevölkerung als Kind und Jugendlicher nicht als Böse erlebt, sondern als unbeholfen. Als Elefanten mit einer zu dicken Haut, die andere verletzen, die eine dünnere Haut haben, ohne das wirklich zu wollen. Deswegen bin ich selbst auch weggegangen.

Die Orte, die sie in dem Film zeigen, die weiten Landschaften und sehr karg und nüchtern anmutenden Straßendörfer, sind nicht unbedingt das, was man als Nicht-Österreicher mit Österreich verbindet.

Diese Gegend in Niederösterreich ist nicht typisch Österreich mit Bergen, Holz und Schnitzereien, sondern ein Österreich, das man so nicht kennt. So eine Geschichte könnte auch in Brandenburg spielen. Die Straßendörfer in Niederösterreich waren die perfekten Drehorte. Ich habe sofort gedacht, das sieht ein bisschen aus wie die Westernstädte: die Straße mit dem Horizont darüber. Die Straße im Western hat etwas Unausweichliches. Da steht Gary Cooper und wartet auf Banditen. So eine Straße hat etwas von Schicksal.

Das Schicksal, so könnte man sagen, ist eng mit dem eigenen Charakter verknüpft. Die Charaktere im Film zeichnen sich jeweils durch besondere Fahrzeuge aus, die sie fahren: ein protziger SUV, ein kleiner roter Opel Corsa, ein praktischer VW, ein Fahrrad. Mit welcher Art von Fahrzeug haben Sie selbst eine enge emotionale Bindung?

Ich habe lange den Führerschein nicht gemacht, weil ich das nicht für notwendig gehalten habe. Ich wollte sofort nach Wien und habe mir gedacht, da brauche ich sowas nicht. Auf dem Land bin ich immer mit einem blauen Puch-Moped rumgefahren – exakt das Moped, das im Film DAS EWIGE LEBEN verwendet wurde. Das blaue Moped, mit dem der Brenner herumfährt, das war das Fahrzeug meiner Jugend.

Lieber Herr Hader, vielen Dank für das Gespräch!


Das Interview führten Steffen Wagner und Tiziana Zugaro.

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