
Im Fußball hält die Geduld nicht lange an. Wenn die Ergebnisse nicht stimmen, bedient man sich immer des gleichen Rituals. Obwohl alle wissen, dass Erfolg von vielen Faktoren abhängt, ist es immer ein bestimmter Kopf, der rollt: der vom Trainer.
Bei einem Filmfestival dauert eine Saison nur 10 Tage und es gibt keine Regeln, die einem sagen, ob man gewonnen oder verloren hat. Am Ende des Festivals wird aber trotzdem Bilanz gezogen und wenn sich dann ein Gefühl der Unzufriedenheit Bahn bricht, steht auch hier eine bestimmte Person im Kreuzfeuer: der Festivaldirektor.
Es ist daher nach den durchmischten Kritiken zur Berlinale 2011 zunächst nicht verwunderlich, dass sich die Jubelschreie über die Vertragsverlängerung des Berlinale Leiters Dieter Kosslick in Grenzen hielten. Besonders die Community der “Filmexperten” grummelte über die Selbstverständlichkeit mit der Kosslick Berlinale Direktor bleiben darf. Sie wollen die Berlinale wieder in der Champions League sehen und sich dem FC Barcelona der Filmfestivals, dem Festival in Cannes, nicht geschlagen geben.
Neben der Sorge um die Filmkunst kann man aus den Kommentaren, aber auch ein Stück verletzte Berufsehre heraushören. Dazu gibt eine kleine Vorgeschichte. Im Oktober 2011 hat der Verband der deutschen Filmkritik e.V. ein Symposium zur Zukunft der Berlinale veranstaltet. Dieter Kosslick war eingeladen, hatte zugesagt, dann seine Zusage aber wieder zurückgezogen. Kosslick hatte den Eindruck, dass die Veranstalter nicht ganz unvoreingenommen waren. Angesichts des Veranstaltungstitels "Was kommt nach den Verrissen" lag er damit sicherlich nicht ganz falsch.
Nun ist die Beziehung zwischen der Berlinale und Filmkritikern immer eine besondere gewesen. Aus Unmut über das Wettbewerbsprogramm wurde 1964 die "Woche der Kritik" als eine Gegenveranstaltung ins Leben gerufen. 1970 wurde sie als "Internationales Forum des Jungen Films" in die Berlinale integriert und vom Filmkritiker Ulrich Gregor maßgeblich geprägt.
Wie berechtigt ist nun die gegenwärtige Kritik am Wettbewerbsprogramm und der Berlinale insgesamt? Aus meiner Sicht ist eine wertende Berlinale-Bilanz immer eine sehr persönliche Angelegenheit und hat viel mit der individuellen Filmauswahl zu tun. Richtig ist, dass Cannes in den letzten Jahren die großen Namen an Bord ziehen konnte und die Berlinale vergleichsweise leer ausging. Man kann aber auch Kosslick schwerlich widersprechen, wenn er anmerkt, dass das Festivalprogramm 2011 einige Highlights bereithielt (wie z.B. NADER AND SIMIN und THE TURIN HORSE). Was mich in jedem Fall wundert ist, dass sich die Filmkritiker so sehr am Wettbewerb festbeißen. Filmkunst hat ihren Platz sehr viel stärker in den Nebensektionen Panorama und Forum als im Wettbewerb. Deren Leiter bleiben aber weitestgehend verschont.
Mein persönlicher Eindruck ist, dass Dieter Kosslick nach der Ära Moritz de Hadeln viel für die Publikums- und Öffentlichkeitswirksamkeit der Berlinale getan hat. Sein Steckenpferd das Kulinarische Kino wird zwar von der Filmkritik oft hämisch kommentiert, von anderen Festivals wie dem Filmfestival in San Sebastian aber adaptiert.
Ich freue mich in jedem Fall, dass auch in den nächsten Jahren Teppich und Schal in einheitlichem Rot zusammenfinden, und wünsche Dieter Kosslick viel Glück für die nächsten 5 Jahre.