Als der Independent-Film noch so richtig Indie war…wann mag das wohl gewesen sein? Vielleicht Anfang der Neunziger? Da zog ein Filmkünstler, der schon seit vier Jahren ein Drehbuch in der Schublade hatte, für ein Casting von New York in ein Motelzimmer nach Kalifornien. In diesem Motelzimmer suchte er unter Hunderten Bewerbern seinen Hauptdarsteller. Als dieser dann den Raum betrat, wußte er: dieser Mann wird ein Star und er ist der Auserwählte für seinen Film. Seine Geldgeber fanden das nicht. Der Künstler war aber so überzeugt, dass er die sichere Film-Finanzierung platzen ließ. So kam Brad Pitt im Debütfilm von Tom DiCillo zu seiner ersten Hauptrolle.
Dieses war nur eine der märchenhaft anmutenden Geschichten, die Tom DiCillo nach der Vorführung von JOHNNY SUEDE zu erzählen wußte. Auf dem gleichen Casting entdeckte Tom DiCillo auch Catherine Keener, die zur Lieblingsschauspielerin des Regisseur werden sollte.
So einzigartig wie die Entstehungsgeschichte von JOHNNY SUEDE ist auch der Film. Man fühlt sich in eine Zeit zurückversetzt, in der sich eine Subkultur noch unbehelligt von medialer Dauerobservartion entwickeln konnte und in der man zur transkontinentalen Vernetzung noch einfach zum nächsten Schnur-Telefon griff...wie z.B. Nick Cave. Dieser war bei einem Freund von Tom DiCillo zu Besuch in Berlin und sah dort das Drehbuch von JOHNNY SUEDE auf dem Wohnzimmertisch liegen. Er war so begeistert von dem Script, dass er mitten in der Nacht den völlig verdutzten Tom DiCillo anrief. Er wollte unbedingt die Rolle des Freak Storm spielen.
Ich kann die Begeisterung von Nick Cave gut verstehen. DiCillo garniert seinen Film mit einer ganzen Reihe von sehr ungewöhnlichen Einfällen. Da ist z.B. Brad Pitts Riesentolle. Sie betont die Absurdität des Charakters von Johnny Suede (Brad Pitt). Johnny ist die Karikatur des naiven, unreflektierten Muttersöhnchens, das keinerlei Zugang zu seinem Innenleben findet. Stattdessen sucht Johnny die Perfektion in seinem Äußeren: seiner Tolle, seinem Rockabilly-Anzug und seinen Wildlederschuhen, die er mit einer Zahnbürste begeistert auf Hochglanz poliert.
Johnny ist eine Anti-Figur: in seinem heruntergekommenen Zimmer läuft er in ausgebeulten Unterhosen herum, fasst sich in den Schritt und probt auf seiner Gitarre für den großen Durchbruch. Dass der große Durchbruch noch nicht geschafft ist, liegt natürlich an dem Rest der Band (in einer Nebenrolle als Bassist übrigens kein Geringerer als Samuel L. Jackson). Bei Frauen hat Johnny anfangs zwar durchaus Erfolg, aber seine Naivität steht einem gemeinsamen Glück immer wieder im Wege.
JOHNNY SUEDE ist ein Unikat und es ist kaum zu fassen, dass der erste Film von Tom DiCillo in zwanzig Jahren noch keinen deutschen Verleih gefunden hat. Es ist nicht auszuschließen, dass der große Erfolg auf dem Münchner Filmfest dies ändern könnte.