20,000 DAYS ON EARTH von Iain Forsyth und Jane Pollard

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20,000 DAYS ON EARTH ist zum Glück kein normaler Dokumentarfilm über Nick Cave als erfolgreichen Musiker und Schriftsteller geworden. Statt dessen ist hier ein eigenes, perfekt komponiertes Kunstwerk entstanden, das den Zuschauer in eine durch und durch artifizielle Welt entführt.

Wir wachen mit Nick Cave auf - natürlich sitzt die Frisur perfekt - begleiten ihn ins Bad und dann in sein undergroundig durchgestyltes Arbeitszimmer, in dem er seine Texte selbstverständlich ganz anachronistisch auf einer alten Reiseschreibmaschine schreibt. Währenddessen versichert uns eine von Cave gesprochene Erzählerstimme, dass sein Leben höchst unspektakulär nur aus Schlafen, Schreiben, Essen und Fernsehen besteht. Es folgt ein Besuch bei einem freudianisch ausgerichteten Psychiater, der dann auch prompt nach den ersten sexuellen Erlebnissen und nach dem Vaterverhältnis fragt, außerdem gibt es skurrile Szenen mit eifrigen Archiviaren, die in einem Nick Cave Archiv gemeinsam mit dem Künstler seltene Dokumente und Fotos aus seiner nun schon Jahrzehnte währenden Karriere sichten. Dazu immer wieder Gespräche auf einer Autofahrt in einem alten Jaguar, in dem nacheinander u.a. mit Blixa Bargeld und Kylie Minogue Personen Platz nehmen, die in Caves künstlerischem Leben eine wichtige Rolle gespielt haben. Unterbrochen wird dieser Handlungsstrang durch Mitschnitte von realen Bandproben mit den Bad Seeds und von Konzertausschnitten rund um das letzte Album. Als Zugabe gibt es dann noch eine unplugged Version von "Higgs Boson Blues", bei der die Bezeichnung "ergreifend" eine schamlose Untertreibung wäre.

Der Film umschifft höchst erfolgreich alle gefährlichen Klippen, die so ein Projekt nahezu zwangsläufig mit sich bringt. Übermäßige Heldenverehrung wird durch den klugen Umgang mit ironischen Momenten erfolgreich verhindert. Und auch die drohende Banalisierung des Gezeigten findet nicht statt, es gibt keine Einblicke in Caves Leben, die doch besser privat geblieben wären. Statt dessen gelingt es Iain Foryth und Jane Pollard durch eine extrem intelligente Mischung aus dokumentarischen Szenen mit fiktionalen Elementen genau das zu erzeugen, was auch beim Hören eines Nick Cave Albums passieren kann: Den Eintritt in eine andere und spannendere Phantasiewelt, die einen poetischen Gegenentwurf zur Realität bildet. Genau wie in einem seiner guten Songs wird man in eine atmosphärische Bilderwelt geworfen, die einen aufsaugt und in ihren Bann zieht. Das ganz spezielle Universum, dass Nick Cave während der Jahrzehnte seines künstlerischen Schaffens gestaltet hat, findet in dieser fiktionalen Dokumentation eine nahezu perfekte Entsprechung.

Für mich ganz klar mein persönliches Highlight der diesjährigen Berlinale.

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Titel

Orignaltitel

20,000 Days on Earth

Credits

Regisseur

Iain Forsyth

Jane Pollard

Schauspieler

Nick Cave

Land

Flagge Vereinigtes KönigreichVereinigtes Königreich

Jahr

2013

Dauer

95 min.

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