Gestern Abend wurden auf der Abschluss-Gala des Filmfestivals in San Sebastian die Preise im Offiziellen Wettbewerb vergeben. Bei vielen Festivals sind Namen und Form der Preise eng verbunden mit der Identität der gastgebenden Stadt. In der Küstenstadt San Sebastian sind es Muscheln.
Die Goldene Muschel (Concha de Oro) für den besten Film gewann O CORNO (The Rye Horn) der spanischen Regisseurin Jaione Camborda. Camborda stammt selbst aus San Sebastian und hat u.a. an der Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) in München studiert. O CORNO spielt in Galizien in den 70ger Jahren. Aufgrund eines tragischen Ereignisses ist die Muschel-Fischerin und Gelegenheits-Hebamme Maria gezwungen, von der Insel Illa de Arousa zu fliehen, und überquert auf alten Schmuggler-Routen die Grenze zwischen Spanien und Portugal.
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Zumindest aus meiner Sicht überraschend ist der Regiepreis. Das Regie-Duo Tzu-Hui Peng und Ping-Wen Wang bekam die Silberne Muschel von Jury-Mitglied Christian Petzold für CHUN XING (A journey in spring). CHUN XING ist ihr erster Langfilm und erfordert mit seiner sehr zurückgenommenen und langsamen Erzählweise einiges an Geduld von der Zuschauer:in. Peng und Wang beobachten wie der meist übel gelaunte Misanthrop Khim-Hok erst durch den Tod seiner Frau langsam eine emotionale Beziehung zu seiner tatsächlichen inneren und äußeren Situation aufbauen kann.
(von links nach rechts) Regisseur Kei Chika-Ura mit Tatsuya Fuji mit Festivaldirektor José Luis Rebordinos vor der Premiere von GREAT ABSCENCE
Sehr bewegend war die Übergabe des Preises für den besten Darsteller, der ex-aequo vergeben wurde. Der Preis ging zu einem an Marcelo Subiotto für seine Darstellung des Philosophieprofessor Marcelo Pena im argentinischen Wettbewerbsbeitrag PUAN (siehe festivalblog-Kritik). Zum anderen wurde der Preis an Tatsuya Fuji verliehen. Er spielt in dem bewegenden japanischen Film GREAT ABSCENCE (siehe festivalblog-Kritik) von Kei Chika-Ura den an Demenz erkrankten Yohji.
Tatsuya Fuji ist alles andere als ein Unbekannter. Er hat vor fast 50 Jahren die Hauptrolle in AI NO KORIDA (Im Reich der Sinne) von Nagisa Oshima gespielt (siehe festivalblog-Kritik). Der Film hatte damals u.a. auch auf der Berlinale wegen seiner expliziten Sex-Szenen für einen Skandal gesorgt. Tatsuya Fuji war bei Übergabe des Preises in San Sebastian sichtlich gerührt. Dankbar erzählte er von dem Moment, als nach der Premiere von GREAT ABSSENCE das Licht im Kino des Kursaals anging und die Menschen sich zu langanhaltenden Standing Ovations erhoben. Ich saß bei der Premiere nur zwei Reihen unter Tatsuya Fuji und Regisseur Kei Chika-Ura. Es war sehr bewegend zu sehen, wie fassungslos beide über diese Zuneigung des Kinopublikums waren.
Sehr abgeklärt und scherzend dankte dagegen der spanische Darsteller Hovik Keuchkerian für die Concha de plata a la mejor interpretación de reparto (Beste Nebendarsteller:in). Der ehemalige Profiboxer bekam den Preis für seine Rolle des Andreas im neuen Film von Isabel Coixet, UN AMOR (siehe festivalblog-Kritik). In seiner lakonischen Art auf der Bühne der Abschlussgala war eine Ähnlichkeit des Schauspielers mit der wortkargen Figur des Andreas durchaus zu erkennen.
Hovik Keuchkerian auf der Pressekonferenz von Un Amor beim SSIFF 2023
Mit Muscheln schmücken konnten sich auch María Alché und Benjamín Naishta, die für das Drehbuch von PUAN
ausgezeichnet wurden, sowie Nadim Carlsen, den Preis für die Kamera-Arbeit in KALAK bekam.
Filmstill aus Puan